»Wieso denkst du, dass sie dich hassen würde? Hat Lou dir das gesagt?«, hakte Trish nach.
Ich schnaubte. »Hast du mir gerade nicht zugehört? Wie könnte sie mich bitte nicht hassen?«
Sie lehnte sich mit dem Teller in den Händen wieder gegen mich, ihr Kopf in meiner Armbeuge.
»So, wie ich das sehe, ist Lou einfach nur wahnsinnig mit der Situation überfordert, was ja auch wirklich mehr als verständlich ist. Ich meine, wie reagiert man denn bitte richtig, wenn einem der Kerl, in den man sich verliebt hat, plötzlich erzählt, dass er bei dem Unfall, bei dem der Dad gestorben ist, in dem anderen Auto saß? Kann man da überhaupt in irgendeiner Weise richtig reagieren?« Trish schien tatsächlich darüber nachzudenken, mehrere Möglichkeiten in ihrem Kopf durchzuspielen. »Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wie ich mich an ihrer Stelle verhalten hätte. Ich wäre auf jeden Fall niemals so ruhig geblieben wie Lou, ich hätte wahrscheinlich vielmehr um mich geschlagen und wäre durchgedreht.«
»Trish hat recht.« Aiden nickte zustimmend. »Das ist ganz schön viel auf einmal zu verarbeiten und hat in erster Linie nicht unbedingt etwas mit dir zu tun. Und selbst wenn, es ist doch klar, dass das Zeit braucht, zu begreifen, woher ihr beide euch eigentlich schon kennt. Und dass es ausgerechnet die Nacht gewesen ist, in der Lous Dad gestorben ist.«
Langsam nickte ich.
Obwohl ich es so verzweifelt hatte richtig machen wollen, hatte ich unglaublich viele Fehler gemacht, was Louisa anging. Ich hatte dieser eine Mensch sein wollen, der sie immer auffangen würde. Doch ich hatte sie nach unserem ersten Kuss von mir gestoßen, weil sie als Aidens Mitbewohnerin zunächst absolut tabu für mich gewesen war, und die Gefühle, die sie in mir ausgelöst hatte, mir eine scheiß Angst gemacht hatten. Ich hatte meinen Freunden gegenüber verheimlicht, was zwischen uns gelaufen war, weil es einfacher so gewesen war. Ich hatte Louisa von mir gestoßen, als das Gefühl von Nähe zwischen uns immer stärker und eindringlicher geworden war und hatte es im New Forreston Hospital erneut getan, als ich die Wahrheit über uns beide kannte.
Dieser zerstörerische Hurrikan aus Schuld und Selbsthass, der sich innerhalb der letzten fünf Jahre von Tag zu Tag mehr zusammengebraut hatte, hatte mich und meine Handlungen gelähmt. Jedes Mal, wenn es innerhalb der letzten Monate schwierig geworden war, war ich sofort davon ausgegangen, dass es an mir liegen musste: an meinen Fehlern, meinen Schwächen und dem Geheimnis, welches jetzt keins mehr war. Und jedes Mal hatte ich als einzige Lösung gesehen, mich von dem Mädchen, das mir innerhalb kürzester Zeit so viel bedeutet hatte, zurückzuziehen, mich von ihr fernzuhalten. Und Gott, ihr sogar wehzutun, wenn sie nicht zu verstehen schien, dass ich niemals der richtige Mann für sie sein konnte.
Statt Louisas in mich gesetztes Vertrauen zu erwidern und ehrlich zu ihr zu sein, hatte ich also allein und über ihren Kopf hinweg Entscheidungen getroffen, ohne ihr die Möglichkeit zu geben, über ihre Sicht der Dinge zu sprechen .
»Hier geht es nicht um Lou, Paul, es geht um dich!«, sagte Aiden da. »Du musst endlich loslassen und dein Leben leben. Mit deiner Vergangenheit, deiner Zukunft, vor allem aber mit dem Hier und Jetzt!«
»Und egal, was passiert, du bist auf jeden Fall nicht allein dabei«, sagte Trish und versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken.
Ein warmes Gefühl stieg in mir auf, als ich von dem blonden Zwerg zu Aiden und wieder zurück sah. Ja, ich war nicht allein, nicht mit diesen beiden Menschen, die Teil meiner Welt sein wollten, komme, was wolle.
Ich dachte über die Worte der beiden nach. Hier ging es nicht um Louisas Vergebung für das, was ich getan hatte. Es ging auch nicht darum, dass Mel oder ihre Mom es taten, nicht um Heather, nicht um sonst jemanden, dessen Leben in irgendeiner Weise mit den Ereignissen dieser Nacht verbunden war. Es ging nicht um Erlösung oder Absolution. Genau in diesem Moment wurde mir klar, was tatsächlich von Bedeutung war: Selbstvergebung. Ich war die einzige Person, die das tun konnte, nein, tun musste . Ich war der einzige Mensch, der in der Lage war, mir diese erdrückende Last von den Schultern zu nehmen. Louisas Dad mochte tot sein, doch ich lebte. Und war ich es diesem Mann, den ich nie kennengelernt hatte, nicht sogar schuldig, dieses Leben in jeder Sekunde bewusst zu erleben, statt mir selbst die Schuld an etwas zu geben, das ich niemals würde ändern können? War ich es ihm nicht schuldig, lebendig zu sein, statt nur vor mich hinzuvegetieren?
Das Herz hämmerte mir hart gegen die Rippen, als ich mich an Aiden wandte, der mit hinter dem Kopf verschränkten Armen im Sofa saß. Trish war inzwischen mit ihrem Kopf an meiner Schulter eingenickt. Ihre langen blonden Haare kitzelten mich am Arm.
»Ich weiß jetzt, was ich tun muss«, sagte ich fest.
Aiden fragte nicht nach, nickte nur, als wüsste er mit Sicherheit, dass ich meinen Weg aus diesem Chaos finden würde.
»Spielen wir noch eins?«, fragte er mich stattdessen, nachdem ich mich vorsichtig von Trish gelöst und die leeren Teller in die Küche gebracht hatte.
Ich grinste. »Klar. Ich lass mir doch nicht die Gelegenheit entgehen, dich fertig zu machen.«
Trish saß immer noch in sich zusammengesunken in unserer Mitte und schlief tief und fest. Und alles war wie immer und trotzdem komplett anders.
Cerde Vertueux
14. KAPITE L
Louisa
»Vergiss nicht, dass ich heute Abend dran bin, den Film auszusuchen«, sagte Aiden mit einem verschmitzten Grinsen und zog die Wohnungstür hinter uns zu.
»Als ob ich das vergessen könnte«, murmelte ich. Das bedeutete, ich würde mir nach meinem letzten Kurs wahrscheinlich wieder einen Horrorfilm ansehen müssen, nur um mich dabei von Aiden auslachen zu lassen, weil ich bei jedem einzelnen schlechten Jump Scare nicht nur zusammenzuckte, sondern mich zu Tode erschreckte – ganz egal, wie offensichtlich er auch sein mochte.
»Jetzt schau mich nicht so gequält an, Lou«, kommentierte Aiden meinen Gesichtsausdruck. »Würdest du mich nicht zwingen, mir Filme wie Das Leuchten der Stille oder Wild Child anzusehen, dann wäre ich bei meiner Auswahl auch viel umgänglicher!«
»Ich bin wirklich beeindruckt, dass du dir die Titel gemerkt hast.«
Er schnaubte. »Ha! Als hätte ich eine Wahl gehabt! Und daran siehst du: Ich gehe mit meiner Filmauswahl bloß auf dich und deine Vorlagen ein. Das ist Aktion und Reaktion.«
Ich hob eine Augenbraue, während wir nebeneinander den Flur Richtung Aufzug entlangliefen.
»Wir können auch einfach wieder mit Game of Thrones anfangen?«, schlug ich hoffnungsvoll vor. Und Aiden schien für einen kurzen Moment tatsächlich darüber nachzudenken.
Im Aufzug drückte er auf den Knopf für das Erdgeschoss und lachte schließlich laut auf. »Vergiss es! «
Die Sonne kitzelte mich im Gesicht, als wir nach draußen traten und den Weg Richtung Firefly einschlugen. Robbie hatte mich gestern Nachmittag zurück ans RSC gefahren, und wenig später war Trish vorbeigekommen. Wir hatten zusammen gekocht, und beim Essen hatte sie mir erzählt, was ich in den vergangenen zwei Wochen verpasst hatte: von ihrer Vermutung, dass Brian einen neuen Freund hätte, weil er neuerdings so gut gelaunt und redselig war, über das Gerücht, Luke hätte etwas mit Olivia am Laufen bis hin zu der Tatsache, dass Trishs Lieblingsdozentin letzte Woche verkündet hatte, dass sie schwanger sei und im kommenden Term deshalb nicht am Redstone College sein würde. Und um mir zur Feier meiner Rückkehr ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern, wie Trish es feierlich ausgedrückt hatte, hatte sie mir ein schönes Wort mitgebracht: Karamellkaubonbon . Ich hatte also noch gar keine Gelegenheit gehabt, mich damit auseinanderzusetzen, was es für mich bedeutete, wieder auf dem Campus zu sein.
»Ich finde es echt schön, dass du wieder hier bist, Lou«, sagte Aiden und legte den Arm um mich, als hätte er meine Gedanken erraten. »Ohne dich ist es nur halb so cool.«
Ein Seufzen. Ich hatte ihn auch vermisst, genauso wie Trish und Bowie. Mehr, als ich vermutet hätte. Die Wut auf Aiden war bereits in den ersten Tagen in sich zusammengefallen, denn er hatte mir nicht wirklich etwas verheimlicht. Er hatte sich einfach nur herausgehalten, als er die Wahrheit erfahren hatte, und Paul
die Chance gegeben, es mir selbst zu erklären. Und war es nicht das, was ich an Aiden so mochte? Dass er ein wahnsinnig guter Freund und immer auf die Gefühle seiner Mitmenschen bedacht war? Egal was ich im ersten Moment auch empfunden haben mochte – wenn es jemand gut meinte, dann ganz sicher er.
»Ich bin auch froh, wieder hier zu sein«, sagte ich ehrlich und lehnte mich einen Augenblick gegen ihn.
Während Aiden es sich direkt an der Theke gemütlich machte und die Blätter mit seinen neuen Songtexten auf dem dunklen Holz ausbreitete, lief ich durch das Café, machte Lichter und Kaffeemaschine an, zählte das Geld in der Kasse, holte meine Schürze aus dem Mitarbeiterraum und beendete damit den üblichen Kontrollgang. Kurz bevor die ersten Leute das Firefly begleitet von dem typischen leisen Bimmeln betraten, startete ich die Spotify-Playlist, die morgens immer lief – eine leichte Mischung aus entspanntem Folk und Indie Bands. Zwei Songs von Goodbye April hatten es dank Trish und mir auch auf die Liste geschafft.
Während ich Kaffee für die ersten Leute machte, begann die Melodie von I am the Changer von den Cotton Jones durch den Raum zu wehen. Everything has turned around , hieß es in der ersten Zeile. Und es war auf fast alle nur erdenkliche Arten wahr: Nichts war mehr wie an dem Tag, an dem ich hier das erste Mal in meiner Lieblinsgnische gesessen und Alles Licht, das wir nicht sehen gelesen hatte. Und nichts war mehr wie an dem Tag, an dem Paul mich geküsst und mir gesagt hatte, dass er sich in mich verliebt hatte – mit dieser Mischung aus absolutem Ernst und stiller Überraschung in der Stimme.
Die Schlange an Leuten mit Coffee-to-go-Bechern direkt am Tresen wurde langsam kürzer. Als ich dem letzten Studenten seinen Kaffee hingestellt hatte, drehte ich eine erste Runde durch das Café und nahm die Bestellungen an den wenigen besetzten Tischen auf. Eine der großen Tassen mit Kaffee platzierte ich zusammen mit einem Schokomuffin vor Aiden, bevor ich die anderen Bestellungen verteilte. Und als alle versorgt waren, griff ich nach einem großen Becher auf der Kaffeemaschine, um mir einen Cappuccino zu machen.
Ich war völlig versunken in den Anblick meiner eigenen Hände, die Espresso machten und diesen mit geschäumter Milch auffüllten, dass ich gar nicht bemerkte, wie offensichtlich seit einigen Minuten jemand an der Theke lehnte und darauf wartete, dass ich aufsah. Ein Schatten, der auf das dunkel schimmernde Holz fiel, dicht gefolgt von einem Räuspern. Dunkel, so vertraut .
»Könnte ich auch einen haben?«
Ich holte tief Luft und wappnete mich. Dann hob ich den Blick, mit einem Herzen, das einen Schlag aussetzte, noch bevor ich ihn sah.
Paul.
Bernsteinaugen unter dunklen Brauen.
Grübchen.
Braune Haare, die unter der Kapuze seines schwarzen Hoodies herausrutschten und ihm wie immer in die Stirn fielen, die Hände in die Taschen seiner Lederjacke geschoben.
Ich schluckte schwer. Und mein Blick huschte zur Seite, doch Aiden war nirgends zu sehen. Nur die weißen, dicht beschrifteten Seiten mit seinen Texten und der halb ausgetrunkene Kaffee zeugten davon, dass er gerade eben noch hier gewesen war.
Dann war wieder alles, das ich sah, Paul, der so unerwartet vor mir stand. Und ich, die plötzlich blind für alles andere war, die sich nicht bereit fühlte, ihm gegenüberzustehen. Noch nicht.
Tief atmete ich ein und aus und nickte schließlich automatisch. Als ich Paul wenige Minuten später den Becher mit perfektem Milchschaum auf dem Kaffee in die Hand drückte, bedankte er sich, und für einen Wimpernschlag berührten sich unsere Fingerspitzen. Er hielt inne, ich tat es auch. Nur für wenige Sekunden, doch der Moment reichte für das Kribbeln auf meiner Haut aus – weil offensichtlich nur mein Verstand begriff, dass alles anders war.
Das Geld lag passend auf der Theke. Paul wandte sich zum Gehen, doch im letzten Moment drehte er sich noch einmal zu mir um. Sein Blick ruhte einfach nur auf mir und meinem Gesicht, still und laut zugleich.
Ich fragte mich, was er wohl sah, was er in mir sah. In diesem Moment war meine größte Angst, dass das Gefühl in seinen Augen Mitleid war. Dass er in mir nur noch das kleine, hilflose Mädchen sah, das er vor fünf Jahren hatte retten müssen. Das arme Mädchen, das seinen Dad hatte sterben sehen müssen. Ein Gedanke, den ich kaum ertrug, denn wenn mir die letzten Monate am Redstone College etwas gezeigt hatten, dann, dass ich so nicht mehr war, dass in mir so viel mehr steckte als dieser Moment aus meiner Vergangenheit, so sehr er mein Leben auch für lange Zeit zum Schlimmen verändert hatte und die Erinnerung immer noch schmerzte.
Es schien, als wollte Paul etwas sagen, doch dann wandte er sich wieder ab und verschwand begleitet von dem leisen Bimmeln durch die Tür. Und fast war es so, als wäre er nie hier gewesen. Paul hätte alles sagen können, doch das hatte er nicht. So wie ich nicht all die Fragen gestellt hatte, die ich ihm hätte stellen wollen. Zu sehr fürchtete ich mich vor den Antworten, zu wenig wusste ich, wie ich die Fragen formulieren sollte.
Ein deutscher Roman kam mir in den Sinn, als ich auf die schwingende Tür blickte. Ausgerechnet einer, den Paul mir letztes Jahr geschenkt hatte. Die Freundin seines Cousins hatte so davon geschwärmt, dass er sich auf die Suche nach einer englischsprachigen Ausgabe gemacht hatte. In Gut gegen Nordwind schreibt Leo in einer seiner Mails an Emmi, dass Worte Maske und Enthüllung zugleich wären. Es ist eines dieser Bücher, die mit Sprache spielen, in denen jedes einzelne Wort bewusst gewählt und eingesetzt wird, sich aus einfachen Sätzen unendlich viele Bedeutungen ergeben. Schon beim ersten Mal Lesen hatte dieser Satz in mir nachgeklungen. Maske und Enthüllung . Sagte das nicht alles darüber aus, wie wir Sprache nutzten? Wir konnten uns hinter Worten verstecken oder mit ihnen das Wahrste formulieren, das in uns steckte, das lag an uns allein. Doch wie sollten Paul und ich unsere Worte wählen, wenn wir uns das nächste Mal gegenüberstanden? Es gab Millionen Möglichkeiten und doch keine einzige.
Kurz nachdem Paul weg war, tauchte Aiden wieder auf. Er war kurz hinten gewesen, weil seine Schwester angerufen hatte. Als er sich wieder setzte und mir augenrollend erzählte, dass Ally sich erneut von ihrem Freund getrennt hatte und es sowieso nur eine Frage der Zeit wäre, bis das Ganze wieder von vorn losgehen würde, versuchte ich, mir nicht anmerken zu lassen, wie aufgewühlt ich war. Natürlich war es unvermeidbar, dass ich Paul auf dem Campus begegnen würde, doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass es schon jetzt passieren würde, gleich am allerersten Morgen. Ich hatte mir eingeredet, dass ich noch Zeit hätte, bevor ich mich dem allen würde stellen müssen.
Am Nachmittag traf ich mich mit Trish vor dem Hörsaal, in dem ihre Vorlesung zu den Britischen Schauergeschichten stattfand. Jetzt waren da zwar zwei Wochen, in denen ich nicht Teil dieser Welt gewesen war und die mich an den Schreibtisch fesselten wegen all dem, was ich vor allem in meinen Mathe-Kursen aufzuholen hatte – trotzdem wollte ich nicht auf diese Vorlesung verzichten.
Heute würde es um Das Bildnis des Dorian Gray gehen, und weil das eins meiner Lieblingsbücher war, hatte ich meine eigene Ausgabe mitgenommen. Ich hatte das Buch auf einem Flohmarkt gefunden, es war abgegriffen, voller Knicke und vereinzelter Risse. Voll mit meinen Notizen am Rand und Klebezetteln bei all den Passagen, die auf irgendeine Weise etwas Besonderes für mich gewesen waren. Es war ein Buch, dem man ansah, dass es geliebt wurde.
Trish hakte sich bei mir unter und zog mich in den Hörsaal. Wir steuerten eine Reihe möglichst weit vorn an, weil ich so viel wie möglich von der heutigen Vorlesung mitbekommen wollte. Trish wusste das. An unseren Plätzen holte ich die Papiertüte mit den Muffins aus dem Firefly aus meinem Rucksack und reichte Trish einen von ihnen zusammen mit einer Serviette.
»Oh Gott, Blaubeere«, seufzte sie glücklich, »meine Lieblingssorte.« Und in der nächsten Sekunde hatte sie schon den ersten Bissen genommen.
Trish schien die ganze Zeit wahnsinnig hibbelig und aufgedreht zu sein, als wäre da etwas dicht unter der Oberfläche, das kurz davor war überzulaufen. Sie sprach sonst nahezu alles aus, was sie dachte – ich fragte mich, wieso sie es dieses Mal nicht zu tun schien. Und als wir am Ende der Vorlesung unsere Sachen zusammenpackten, stupste ich Trish schließlich in die Seite. Die
langen blonden Haare fielen ihr vors Gesicht, als sie ihre Bücher in ihrem Rucksack verstaute.
»Jetzt sag mir schon endlich, was los ist. Ich habe Angst, dass du gleich platzt, wenn du es noch länger für dich behältst.« Ich lächelte und beobachtete, wie Trish ertappt damit aufhörte, unruhig auf ihrem Platz hin und her zu rutschen. Erst kräuselten ihre Lippen sich zu einem Lächeln, dann zu einem breiten Grinsen, als sie in ihren Bewegungen innehielt und sich zu mir drehte. Die grauen Augen waren vor Begeisterung geweitet, die Wangen gerötet. »Ich ziehe nächste Woche zu Bowie!«, sagte sie so schnell, dass ich sie fast nicht verstanden hätte.
»Was … Moment … Du ziehst zu Bowie?«, echote ich überrascht. »Nächste Woche schon?«
Trish lachte über meinen Gesichtsausdruck. »Ich weiß, das ist alles superschnell und plötzlich. Und verrückt noch dazu, weil es auch noch mitten im Term ist, aber … Bowies Mitbewohnerin zieht kurzfristig aus, weil ihr Freund einen Job in Redstone gefunden hat und die beiden jetzt zusammenziehen. Und ich bin doch sowieso die meiste Zeit bei ihr. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wann ich das letzte Mal bei mir zu Hause geschlafen habe«, erklärte sie. »Bevor Bowie sich jetzt also jemand Neues für das Zimmer sucht, nehme ich es einfach.«
»Ist das etwas, dass du beschlossen hast, oder hat Bowie dich gefragt?« Ich musste das Grinsen, das ich schon in meinen Mundwinkeln zu spüren glaubte, unterdrücken.
»Hm. Eine Mischung aus beidem«, sagte Trish mit einem frechen Funkeln in den grauen Augen.
Als ich meine Ausgabe von Dorian Gray in den Rucksack gleiten ließ, erzählte sie mir, dass sie sogar schon einen Nachmieter für ihr Zimmer im Wohnheim gefunden hatte .
Ich war insgesamt nur zweimal bei Trish gewesen. Das Zimmer war schön eingerichtet, so bunt und fröhlich wie Trish selbst, doch die meiste Zeit war sie bei Paul, Bowie oder Aiden und mir – weil sie gerne Menschen um sich hatte und es bei ihr zu eng für uns alle war.
Wir sind der Sturm Page 23