»Ich wollte zuerst nichts sagen wegen allem, was zwischen Paul und dir passiert ist und weil du doch gerade erst zurück bist … ich möchte es dir nicht unter die Nase reiben, dass es bei Bowie und mir so gut läuft und dich damit irgendwie traurig machen«, gab Trish leise zu. »Und dann …«
»Hey«, unterbrach ich sie und griff einen Moment nach ihrer Hand. »ich finde es wirklich süß von dir, dass du dir Gedanken um mich machst, aber das musst du nicht. Bowie und du, ihr seid mir beide wichtig, und das ändert sich nicht, weil da bei mir plötzlich dieser Haufen an Problemen ist. Du sollst mir immer alles erzählen können, die guten und die schlechten Sachen.«
So wie ich dir immer alles erzählen kann. Weil du meine beste Freundin bist.
Trish seufzte erleichtert. »Danke, Süße.« Sie drückte mich überschwänglich an sich.
Ich lächelte in ihre Haare hinein. »Ich freue mich wirklich sehr für euch zwei Lovebirds.«
Das mit Bowie und Trish war ein cercle vertueux . Zwei französische Wörter, die nicht nur wie Teil einer besonders schönen Melodie klangen, sondern deren Bedeutung auch so wunderbar passend war: Es ging um das Gegenteil eines Teufelskreises, beschrieb jene Momente des Lebens, in denen alles am Schnürchen lief und ein gutes Ereignis zu einem anderen führte. Und ich war mir sicher: Irgendwann würde auch mein Leben einem cercle vertueux gleichen.
Pau l
Meine Schuhspitzen berührten den Rand der Fußmatte, zeigten auf die großen bunten Blumen, die darauf abgedruckt waren. Nervös hob ich den Blick und richtete ihn auf die helle Tür zwischen den gelb gestrichenen Wänden. Doch statt endlich zu klingeln, wie ich es mir seit zehn Minuten vornahm, trat ich nur angespannt von einem Fuß auf den anderen. Ich war noch nie bei Mel zu Hause gewesen, und das erste Mal hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt.
Ich hatte mir wieder einmal Aidens Wagen geliehen, um Luca in New Forreston abzuholen und mit ihm zum Lake Superior fahren zu können. Und auf dem Weg zurück zum Campus war ich früher abgebogen, war zu der Adresse gefahren, die Louisa mir kurz vor Weihnachten gegeben hatte, damit ich hatte nachkommen können. Ich hatte es einfach so getan, impulsiv. Und doch war der Gedanke, dass ich mich all meinen Dämonen stellen musste, spätestens seit dem Gespräch mit Aiden und Trish tief in mir verankert. Ich musste es für mich tun.
Mel und ich hatten einen ähnlichen Sinn für Humor, hatten über dieselben schlechten Witze gelacht und ewig miteinander geredet, als Louisa sie bei einem von Aidens Gigs im Heaven mitgebracht hatte. Wir hatten uns die wenigen Male, die wir uns gesehen hatten, wahnsinnig gut verstanden, doch das alles zählte jetzt nicht mehr. Unsere Leben waren enger miteinander verknüpft als rein durch die Tatsache, dass ich mich in ihre kleine Schwester verliebt hatte.
Und für einen Moment erlaubte ich mir den Gedanken an Louisa, wie sie mir am Montag einen Kaffee gemacht hatte. Sie hatte müde ausgesehen und erschöpft, aber etwas an ihr war anders gewesen. Das hatte ich selbst in diesem kurzen Augenblick erkennen können, in dem sie mit den zusammengebundenen Locken und konzentriertem Ausdruck in den tiefblauen Augen das Milchkännchen mit einer Hand geschwenkt hatte. Auf dem Weg zur Tür hatte ich mich noch einmal umgedreht, weil ich doch irgendetwas zu ihr sagen musste, aber ich hatte beim besten Willen nicht gewusst, was dieses Etwas sein sollte.
Es tut mir leid, dass ich in diesem anderen Auto saß.
Es tut mir leid, dass ich dich absichtlich verletzt habe, statt dir die Wahrheit zu sagen, als ich sie kannte.
Es tut mir leid, dass ich mit dir geschlafen habe, obwohl ich längst wusste, wer du bist.
Es tut mir leid, dass ich dich nach wie vor liebe und es nicht schaffe, dich endgültig aus meinem Leben zu streichen, weil mir noch nie eine Frau so viel bedeutet hat wie du.
All das waren Wahrheiten, doch ich wusste nicht, wie ich mit ihnen umgehen sollte – noch nicht. Und ich würde keine von ihnen aussprechen, solange ich mir nicht zu hundert Prozent darüber im Klaren war, auf welche Weise ich mein Leben ändern würde. Ein Leben, in dem ich meine Fehler nicht wiederholen würde.
Plötzlich öffnete sich die Tür, und ich machte überrascht einen Schritt zurück.
»Wie lang wolltest du denn noch da draußen warten, bis die Tür sich auf magische Weise von selbst öffnet?«, fragte Mel mit einer in die Höhe gezogenen Augenbraue und einem breiten Lachen, das ich genauso wenig erwartet hatte wie die aufschwingende Haustür.
Perplex starrte ich sie an und bewegte mich nicht von der Stelle.
Ihre Haare waren unordentlich zusammengebunden, ein Knoten aus dunkelbraunen Locken, in dem zwei Stifte steckten. Einer war leuchtend rot, der andere blau. Schnell zog Mel sie heraus, als sie meinen Blick bemerkte, und murmelte etwas von Arbeiten korrigieren .
»Jetzt komm schon rein, Paul!« Sie trat zur Seite. »Ich habe mich sowieso schon gefragt, wie lange es dauern würde, bis du hier auftauchst.«
Überrascht musterte ich sie von hinten, als ich ihr durch einen großzügigen Flur in ein Wohnzimmer folgte, das von einem großen Sofa mit bunt gemusterten Kissen darauf eingenommen wurde. Die Wände hingen voller Fotos in farbigen Rahmen. Und ich entdeckte mein Lieblingsbild sofort: Es war nicht besonders groß, doch der Holzrahmen leuchtete in einem intensiven Grün. Darauf zu sehen war eine jüngere Version von Louisa. Sie hielt Mary, die dort erst wenige Wochen alt sein konnte, in den Armen, während ihr Blick direkt in die Kamera gerichtet war. Das Foto schien genau die Sekunde festzuhalten, in dem sie den Kopf gehoben hatte, in ihren ernsten blauen Augen Überraschung und eine sanfte Friedlichkeit, die mich berührte.
Ich setzte mich auf das Sofa und wartete auf Mel, die verschwand, nur um kurze Zeit später mit zwei großen Tassen Kaffee zurückzukehren. Sie stellte beide vor uns auf dem Tisch ab und ließ sich neben mich in die Polster sinken.
»Du siehst zwar aus, als könntest du gerade etwas Stärkeres vertragen«, sagte sie, »aber ich befürchte, da musst du jetzt durch. Es gibt nur Kaffee.« Sie zwinkerte mir zu und griff nach ihrer Tasse.
Ich tat es ihr gleich. Das heiße Brennen in meinem Rachen lenkte mich für einen Augenblick davon ab, wie scheiß nervös mich die Situation machte.
»Wie geht es dir?«, wollte Mel wissen. Es klang aufrichtig und so, als würde es sie tatsächlich interessieren.
»Wie … Ähm, wie es mir geht?«, echote ich, weil mich diese Frage völlig überrumpelte. Ich hatte mit Ablehnung gerechnet, mit Vorwürfen und plötzlicher Kälte, aber nicht damit. Selbst wenn Louisa ihr die Wahrheit über uns beide nicht erzählt haben sollte, irgendetwas musste sie ihr doch gesagt haben! Immerhin war sie fast zwei Wochen hier gewesen, und nachdem, was Trish erzählt hatte, war es Louisa in dieser Zeit sehr schlecht gegangen. Sie hatte gemeint, dass sie das Gästezimmer fast die ganze Zeit nicht verlassen hatte.
Geduldig blickte Mel mich an, während sie sich mit den Fingern durch die dunklen Locken fuhr.
»Mir geht es …« Ich hielt inne und dachte über meine Worte und Ge danken nach, knetete meine Hände unruhig in meinem Schoß. »Okay. Ehrlich gesagt, ging es mir schon mal besser. Aber ich bin nicht hier, um mit dir über meine Probleme und mein verkorkstes Leben zu reden. Ich … ich bin gerade dabei, alles irgendwie zu ordnen und zu entwirren, weil alles ein riesiges Chaos ist. Die Dinge anzupacken und vor allem endlich das Richtige zu tun! Und mit dir zu sprechen, scheint mir dabei ziemlich weit oben auf der Liste zu stehen.« Ich hielt inne und zögerte, bevor ich schließlich die nächsten Worte aussprach: »Es gibt etwas, das ich dir gern erzählen würde, Mel.«
»Also geht es dabei in erster Linie nicht um Lou?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte ich ehrlich, »eigentlich geht es um mich. Und vielleicht auch um dich. Und dann erst um Louisa.«
Mel nickte, als würde sie verstehen, wovon ich sprach. Gott, vielleicht verstand sie es ja tatsächlich.
»Okay, hör zu, Paul: Egal, was du mir gleich auch erzählen wirst, ich möchte, dass du weißt, dass ich dich nicht dafür verantwortlich machen werde, dass mein Dad bei diesem Autounfall gestorben ist.«
Stille und angehaltener Atem, dazwischen mein rasendes Herz, de
ssen Schlagen sich innerhalb von Sekunden beschleunigte.
Mel verschränkte die Arme vor der Brust und musterte mich aus ihren blauen Augen, die denen von Louisa manchmal so ähnlich waren. Dann, wenn sie dunkler zu sein schienen, mehr wie das Meer als wie ein wolkenloser Himmel.
»Sie hat es dir erzählt?«
Ich war erstaunt und doch wieder nicht. Ein Nicken. Ich stieß erleichtert Luft aus, die ich unbewusst angehalten hatte. Natürlich war ich in dem vollem Bewusstsein, alles noch einmal aussprechen zu müssen, hierhergekommen, das war Teil des Plans gewesen, doch erst jetzt merkte ich, wie unfassbar erdrückend dieser Gedanke gewesen war. Ich musste mit meinen Worten nicht schon wieder in diese Nacht zurückkehren, mit der Angst, Mel wie zuvor Louisa das Lächeln von den Lippen zu nehmen. Erst jetzt drang die Bedeutung ihrer Worte tatsächlich zu mir durch.
Ich werde dich nicht dafür verantwortlich machen, dass mein Dad bei diesem Autounfall gestorben ist.
»Danke«, sagte ich. Und ich wusste weiß Gott nicht wofür. Für alles, schätze ich. Weil Mel es mir auf ihre Art leicht zu machen versuchte. Verdammt! Das war so viel schwerer, als ich dachte, ich konnte ja nicht einmal mit Sicherheit sagen, was ich hier eigentlich machte – nur dass es mir wichtig erschien. Ein Schritt in die Richtung Leben, das ich führen wollte.
»Wieso?«, wollte ich wissen. »Wieso machst du mich nicht dafür verantwortlich?«
Mel seufzte und schloss für wenige Sekunden die Augen. Und als sie sie wieder aufschlug, schimmerten Tränen darin. »Einen Schuldigen zu suchen, bedeutet letztendlich nur, dass wir nicht akzeptieren können, dass schlimme Dinge in unserem Leben passieren, die sich völlig unserer Kontrolle entziehen«, sagte sie leise und dennoch mit fester Stimme. »Wenn wir jemandem die Schuld geben können, und sei es uns selbst, dann gibt uns das das Gefühl, das Schicksal zumindest ein bisschen in der Hand zu haben, auch wenn es am Ende nichts an den Tatsachen ändert – außer dass es uns und andere unglücklich macht.«
Ich nickte. »Das ist etwas, das ich gerade zu begreifen versuche. Und nach diesen ganzen Jahren, in denen ich mich selbst zum Täter gemacht habe, ist das unfassbar schwer.«
»Außerdem …«, setzte Mel an, »keiner von uns wird jemals mit absoluter Sicherheit sagen können, wie genau dieser Unfall passiert ist. Aber was ich weiß, ist, dass jemand den Krankenwagen gerufen und Lou aus diesem Auto gezogen hat, bevor etwas noch Schlimmeres hatte passieren können. Und inzwischen ist klar, dass du diese Person gewesen bist. Vielleicht hast du meiner kleinen Schwester das Leben gerettet. Und das ist doch etwas wert, oder? «
Ich schluckte schwer. Das waren Dinge, die wir niemals wissen konnten. Was-wäre-wenn-Fragen, Möglichkeiten und Eventualitäten.
»Es tut mir so unfassbar leid, dass du deinen Dad verloren hast, Mel. Es tut mir für Louisa und dich leid, für euch beide. Das sollte nicht so früh passieren.«
»Mir tut es auch leid«, sagte Mel mit einem traurigen Lächeln, das irgendwie auch erleichtert wirkte. Ich lehnte mich ein Stück nach vorn, legte meine Hand für einen Augenblick auf ihren Unterarm.
»Aber ich habe meinen Frieden damit geschlossen. Ich bin mit einem wunderbaren Mann zusammen, den ich bald heiraten werde und mit dem ich eine zauberhafte Tochter habe. Und dann ist da noch Lou. Ich könnte mir wirklich keine bessere Schwester und Freundin wünschen. Du musst auch deinen Frieden damit machen. Wenn du nicht bald anfängst, nach vorn zu schauen, dann wirst du es in deinem Leben verpassen, wirklich glücklich zu sein.«
»Deshalb bin ich hier. Ich möchte keine Geheimnisse mehr haben«, sagte ich. »Ich habe das alles fünf Jahre mit mir herumgeschleppt. Und ich bin inzwischen der Meinung, dass ich es allen – und damit meine ich dich, Louisa und auch mich selbst – schuldig bin, über das zu sprechen, was passiert ist, zumindest ein einziges, verdammtes Mal ehrlich damit zu sein, egal, wie furchtbar es sich anfühlt. Ich habe Menschen, die mir wichtig sind, mit meinem Verhalten verletzt und vor den Kopf gestoßen. Und das alles nur, weil ich so krampfhaft versucht habe, alles ganz allein hinzukriegen.« Ich seufzte. Und für einen Moment vergrub ich das Gesicht in meinen Händen. Das war alles so schwer, all diese ausgesprochenen Worte! Und doch wusste ich, dass es richtig war.
»Ich mag dich, Paul«, sagte Mel ernst und strich sich eine dunkle Locke aus der Stirn. »Ich kenne dich noch nicht sehr gut, aber ich mag dich. Vielleicht weil du mich ein bisschen an Robbie erinnerst, so wie er war, als ich ihn am College kennengelernt habe. Und dass ich dich mag, ist ganz unabhängig von dem, was zwischen meiner Schwester und dir ist. Aber Lou und du, ihr tut einander gut, das konnte ich in so vielen Momenten sehen. Lasst euch das nicht von einer Vergangenheit kaputtmachen, die ihr so oder so nicht ändern könnt. Ich weiß, dass du sie liebst.«
Gott, ja, ich liebte Louisa. Daran hatte sich nichts geändert, vielleicht waren meine Gefühle sogar noch stärker geworden. Tiefer. Intensiver. Aber das spielte vorerst keine Rolle, denn zuerst musste ich lernen, mir selbst zu vergeben. Erst wenn ich all meine Schatten und Dämonen hinter mir lassen konnte, würde ich tatsächlich bereit für das Mädchen aus Feuer sein. Erst dann würde nichts mehr zwischen uns stehen, und ich könnte sie voll und ganz lieben. Insgeheim war ich dieser Idiot, der darauf hoffte, dass Louisa mir vergeben und wieder Vertrauen zu mir fassen würde. Dass sie auf mich warten würde, ohne dass ich sie darum bat. Mir war aber bewusst, dass das wahrscheinlich Bullshit war.
Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, und Mel und ich wandten uns um. Ein Rascheln im Flur, das Abstreifen von Schuhen und eine tiefe Männerstimme, dazwischen immer wieder das helle Glucksen eines Kindes. Marys kleine Hand lag in der eines großen Mannes in Uniform, als sie zusammen das Wohnzimmer betraten. Robbie. Mary hielt in ihren kleinen Schritten inne, als sie mich, einen Fremden, auf dem Sofa sitzen sah. Grüne Kulleraugen, die mich eindringlich musterten, leuchtender noch als auf den Bildern, die Louisa mir vor einer Ewigkeit gezeigt hatte.
»Das ist Paul«, sagte Mel an die beiden gewandt.
Robbie durchbohrte mich mit finsteren Blicken, was ich ihm wirklich nicht verübeln konnte. Doch ich knickte nicht ein, wandte mich nicht ab, sondern ging auf ihn zu, gab ihm die Hand und stellte mich ihm vor, wie ich es auch getan hätte, wenn ich an Weihnachten wie geplant hier gewesen wäre. Hätte sich jemand Aiden, Trish oder Luca gegenüber so benommen, wie ich es Louisa gegenüber getan hatte, würde ich diese Person genauso ansehen. Wahrscheinlich würde ich es im Gegensatz zu Robbie nicht dabei belassen können.
Mit zwei tapsenden Schritten überbrückte Mary den Abstand zwischen uns, die blonden Haare mit einem pinken Haargummi zu einem Zopf zusammengebunden, die Wangen von der Kälte draußen gerötet.
»Sie mag Bärte«, warnte Mel mich lachend vor, als ich vor der Kleinen in die Hocke ging.
»Hey, Mary«, sagte ich. Und schon im nächsten Moment waren ihre kleinen Hände an meinem Gesicht, und ich konnte gar nicht anders, als diesen kleinen Menschen anzulächeln, der offensichtlich beschlossen hatte, mich gern zu haben.
Einfach so.
15. KAPITE L
Louisa
Sonnenlicht brach durchs Fenster und malte helle Kreise auf das Laken und die darauf liegenden Polaroid-Fotos. Ein Durcheinander von in Quadraten gefangenen Erinnerungen, von denen jede einzelne im Licht glänzte.
Ich runzelte die Stirn und versuchte zum wiederholten Mal, die schönsten Bilder herauszusuchen und in eine sinnvolle Reihenfolge zu bringen. Auf allen waren Bowie und Trish zu sehen, allein oder mit ihren Freunden, Momentaufnahmen ihrer gemeinsamen Zeit am RSC: eine auf Pauls WG-Sofa schlafende Bowie, der jemand mit einem Edding einen Schnurrbart ins Gesicht gemalt hatte. Trish auf Aidens Schultern, einen roten Becher mit einem breiten Lachen in die Höhe gestreckt. Bowie und Trish, die sich am Lake Superior küssten, als würde ihnen niemand dabei zusehen. Das Thanksgiving-Wochenende und Bowie, die Trish und mir mit einem konzentrierten Gesichtsausdruck die Fußnägel lackierte. Ein Gruppenbild von uns am Feuer vor der Hütte. Ein Selfie von Aiden, Bowie, Trish und Paul am Memorial Day. Bowie und Trish mit zur Hälfte blau geschminkten Gesichtern, weiße Sterne darauf. Aiden und Paul mit
der US-Flagge auf den Wangen.
Ich hatte Paul nicht nach den Bildern fragen wollen, hatte mich nicht dazu durchringen können, ihm zu schreiben oder direkt darum zu bitten. Doch bei unserem letzten Game-of-Thrones -Abend, als ich nach der Roten Hochzeit minutenlang und mit rasendem Herzen auf den schwarzen Bildschirm gestarrt hatte, hatte Aiden mir wortlos einen Stapel Fotos in die Hand gedrückt .
Jetzt saß ich hier. Mittags hatte ich meine erste Vorlesung und musste nachmittags noch ins Firefly. Ich hatte keine Ahnung, wann ich das Geschenk für die beiden fertig bekommen sollte.
»Schatz«, drang Mels Stimme wie aus weiter Ferne zu mir durch. »Hast du mir gerade eigentlich zugehört?«
Ein kurzer Blick auf den aufgeklappten Laptop vor mir und Mel, die die dunklen Locken zu einem unordentlichen Dutt zusammengebunden hatte und in ihren Händen die Luke’s-Diner -Tasse hielt, die ich ihr letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt hatte. Ein abwesend gemurmeltes Ja .
»Du hast also kein einziges Wort von dem gehört, was ich dir erzählt habe«, lachte Mel. »Aber weil ich so eine phänomenale, große Schwester bin, verzeihe ich dir.«
Ich hob den Blick und lächelte Mel entschuldigend an. »Es tut mir leid. Trish und Bowie ziehen morgen schon zusammen, und das hier muss bis dahin fertig sein. Ich dachte, ich könnte das einfach nebenbei machen«, erklärte ich und zog eine Grimasse. »Aber ich bin wohl doch nicht so multitaskingfähig, wie ich dachte.«
Mel legte neugierig den Kopf schräg und versuchte, etwas zu erkennen.
Ich strich mir eine Locke hinters Ohr. »Ich möchte den beiden eine Art Mobile zum Zusammenziehen schenken«, erklärte ich. »Als ich das letzte Mal Laufen war, habe ich diese beiden Äste aus dem Wald mitgenommen.« Ich hielt sie vor die Kamera. Mit einer Schnur hatte ich sie schon überkreuzt zusammengebunden. »Ich werde an allen vier Seiten Schnüre mit Polaroid-Fotos von Trish und Bowie in unterschiedlichen Längen festmachen.«
Wir sind der Sturm Page 24