Erst huschte Verwirrung über sein Gesicht, dann lachte er: »Mein Ego liebt es zwar, wenn du mir sagst, wie großartig ich bin, aber ich muss dir leider ehrlich sagen, dass ich das nicht gewesen bin.«
Überrascht sah ich ihn an. Es gab nur zwei Menschen, die sonst noch in unserer WG gewesen waren.
Und mit einem Mal glaubte ich, zu wissen, wer meinen ganz eigenen Sternenhimmel wieder zum Leuchten gebracht hatte.
Abends kam Trish vorbei, um mir den Ansatz nachzufärben. Sie lieh sich wieder ohne zu fragen eins von Aidens Shirts und arbeitete sich geübt von Strähne zu Strähne vor. Grelles Orange, das sie in gleichmäßigen und routinierten Bewegungen auf meinen Locken verteilte.
»Ganz ehrlich, Lou, so ganz erholt habe ich mich von Samstag noch nicht«, gestand sie und stöhnte.
»Das glaube ich dir sofort.« Ich musste lachte, weil mich das kein Stück überraschte. Nachdem Talida zu uns in die Küche gekommen war, hatten sie, Lucy und Trish, tatsächlich noch Jello Shots aus Mels Bauchnabel getrunken, und nicht nur einen. Bis wir schließlich ins Heaven losgekommen waren, waren die anderen schon längst betrunken gewesen. Und obwohl ich im Gegensatz zu ihnen nüchtern gewesen war, hing sogar mir das Aufräumen am nächsten Tag nach.
Aber das war es wert gewesen. Mel hatte den ganzen Abend über gestrahlt und immer wieder gesagt, wie großartig sie ihre Bachelorette-Party fand. Und es machte mich glücklich, dass ich es mit Trishs Hilfe geschafft hatte, ihr einen unvergesslichen Abend zu bescheren, nach allem, was sie in den letzten Monaten für mich getan hatte, nach all den Momenten, in denen sie für mich da gewesen war.
Als die Farbe verteilt und die Einwirkzeit vorbei war, wusch ich sie aus meinen Haaren, föhnte meine Locken und ließ mich dann zusammen mit Trish auf mein Bett fallen, den Laptop auf dem Schoß. Wir wollten uns Queer Eye: We’re in Japan ansehen. Zwar kannten wir schon alle vier Folgen, mochten diese Ministaffel aber fast noch lieber als die anderen. Ich klappte den Laptop auf, als Trish mich plötzlich in die Seite stupste. Ich sah auf.
»Hast du eigentlich eine Entscheidung getroffen?«, sagte sie vorsichtig und blickte mich fragend an. »Also wegen Paul?«
Ich schluckte. »Ich bin mir nicht sicher«, erwiderte ich dann leise und blickte nach oben zu meiner Zimmerdecke: kreuz und quer hängende Lichterketten, die mein Zimmer in ein sanftes Licht tauchten. Winzige Sterne, die nur für mich leuchteten. Ich seufzte, denn wenn ich ehrlich zu mir selbst war, dann hatte ich eine Tendenz. Ich hatte zwar auch Angst, doch da war das Glimmen eines kleinen Funkens in mir. Ein Gefühl, eine Richtung.
18. KAPITE L
Paul
Die leise Melodie, die ich gerade eben noch auf der Gitarre gespielt hatte, klang in mir nach. Ich warf einen Blick auf die Uhr: noch eine Minute, dann wäre wieder eine schlaflose Stunde vorbei. Während Mondlicht durch das große Fenster fiel, wartete ich auf die Müdigkeit, die einfach nicht kommen wollte. Mein Körper war es, doch mein Kopf nicht.
Die Minute war vorbei. Drei Uhr morgens. Seufzend stand ich auf und schnappte mir den Laptop vom Schreibtisch. Bläuliches Licht von dem Bildschirm breitete sich in meinem Zimmer aus, als ich ihn aufklappte und mich damit wieder auf das Bett fallen ließ. Ich könnte Dark weiter anschauen. Oder irgendeine andere Serie, die hoffentlich die Müdigkeit mit sich bringen würde.
Gerade als ich mein Netflix-Konto öffnete, vibrierte mein Handy. Und der Name, der darauf aufleuchtete war … Louisas.
Ich hielt in meiner Bewegung inne und starrte auf das Display, so lange, bis das Licht von selbst wieder erlosch. Dann erst entsperrte ich den Bildschirm.
Man sieht heute keine sterne am himmel.
Ungläubig starrte ich auf die Nachricht, die sie mir geschrieben hatte.
Louisa, mein Feuermädchen.
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Was wollte sie mir damit sagen? Wieso um Himmels willen schrieb sie mir mitten in der Nacht? Und wieso ausgerechnet jetzt ?
Mein Handy vibrierte erneut.
Danke!
Und da erst begriff ich, wovon sie sprach. Als ich Anfang der Woche bei Aiden gewesen war, hatte Louisas Zimmertür am Ende des winzigen Flurs offen gestanden. Und die offensichtlich heruntergefallenen Lichterketten hatten wild durcheinander auf dem Boden gelegen. Nur zu gut wusste ich, wie viel die Sterne Louisa bedeuteten, dass sie nachts vor dem Einschlafen mit dem Gesicht Richtung Fenster lag, damit das Letzte, was sie an jedem Tag sah, der Himmel und all seine Schattierungen waren. Und dass sie diese Lichterketten als Sternenersatz brauchte für die schlechten Tage, an denen die Nacht voller Wolken hing.
Aiden war kurz unter der Dusche gewesen, und ich hatte gar nicht groß darüber nachgedacht, als ich in ihr Zimmer gegangen war und begonnen hatte, Kette für Kette wieder an der Decke zu befestigen. Kreuz und quer und in einem ähnlichen Muster, wie sie selbst sie zu Beginn des Terms aufgehängt hatte. Es war eine Bauchentscheidung gewesen, ein Impuls. Ich hatte ihr einen Gefallen tun wollen, hatte dafür sorgen wollen, dass es Louisa gut ging. Also hatte ich die Lichterketten wieder befestigt, noch bevor wir uns den ersten Film angesehen hatten. Ich hatte nichts gesagt, weil sie nicht denken sollte, dass ich dabei irgendwelche Hintergedanken gehabt hatte. Denn die gab es nicht.
Gern geschehen, schrieb ich schlicht. Denn alles andere, das ich gern ausgesprochen hätte, war zu groß und zu wichtig, um es in eine kurze Nachricht zu fassen. Und es war zu früh dafür, viel zu früh. Stattdessen hielt ich das Handy in die Höhe, schoss ein Foto von der Wand mir gegenüber und drückte auf Senden .
Noch letztes Jahr hatte Louisa dort direkt über dem Schreibtisch Klebeleuchtsterne angebracht. Es waren insgesamt nur zehn Stück, doch sie leuchteten immer noch gegen die Dunkelheit meines Zimmers an. Ein beständiges Fluoreszieren. Weißt du nicht mehr? Nächte sind doch unser Ding , hatte sie mit ihrem süßen Grinsen und einem frechen Funkeln in den Ozeanaugen erklärt, als ich sie gefragt hatte, was sie da mit meinem Zimmer machen würde.
Wieso hast du sie nicht weggemacht?
Ich hatte es nicht übers Herz gebracht, sie wieder von der Wand abzuziehen, nachdem ich Louisa auf eine so beschissene Art verloren hatte. Vielleicht war ich in den Tiefen meines Herzens ein Masochist. Vielleicht würden sie dort so lange hängen, wie dieses Mädchen mir etwas bedeutete. Aber am meisten war es wohl der Wunsch, eines Tages wieder mit ihr zusammen zu sein. Wenn es stimmte, dass die Zeit alle Wunden heilte. Und wenn Louisa überhaupt noch etwas für mich empfand. Ich schluckte. Nicht wenn , sondern falls . Zwei kleine Wörter, zwei alternative Realitäten, die sie erschufen.
Weshalb hätte ich das tun sollen?
Sekunden vergingen, Minuten, und ich ärgerte mich darüber, dass ich mit dieser Gegenfrage reagiert hatte, in der auf den zweiten Blick zu viel mitschwang. Gott weiß, ich wollte nicht, dass dieses Gespräch, das doch letztendlich nur aus wenigen Worten bestand, endete.
Wieso bist du noch wach?, schrieb ich also.
Wieso schläfst du nicht?
Ihre Nachricht gesendet in derselben Sekunde, in der ich meine abgeschickt hatte.
Sie. Ich. Ein Gedanke.
Und ich spürte das Lächeln in meinen Mundwinkeln, weil es in diesem Moment nur uns und unsere Worte in der Nacht zu geben schien. Weil wir beide uns hinter eben diesen verstecken und uns doch nah sein konnten.
Zu viele gedanken, die mich wach halten , antwortete ich ehrlich.
Bei mir auch.
Woran denkst du?
Träume und erinnerungen.
Die leise Poesie, die in ihren Worten mitschwang, verstärkte das schmerzhafte Ziehen in mir. Doch ich wollte das Handy nicht weglegen, wollte noch mehr von ihren Worten lesen.
Sind es gute?
Nicht nur.
In meinem Kopf begannen die Wörter, zu kreisen, die ich nicht schrieb: Denkst du auch an uns, Feuermädchen? Daran, wie wir zusammen waren? An das, was wir beide zusammen hatten?
Findest du auch, dass gedanken lauter sind, sobald es draußen dunkel ist?, fragte sie.
Ja, schrieb ich, aber gleichzeitig ist da nachts auch mehr raum zum denken. mehr freiheit.
Aber zwischen
freiheit und dunkelheit kann man sich schnell allein fühlen.
Hypothetisch? Oder fühlst du dich gerade allein?
Ich wartete, blickte auf das Handy in meinen Händen, doch Louisa schrieb nicht mehr. Mit laut hämmerndem Herzen fischte ich eine Jogginghose und einen bequemen Hoodie aus dem Schrank, zog mir beides über und ging in die Küche. Ich stürzte ein Glas Wasser hinunter und schnappte mir zwei Stücke Pizza aus dem Karton, der von gestern noch auf der Anrichte lag. War ich vorhin schon wach gewesen, so stand ich jetzt unter Strom, tigerte durch die dunkle Wohnung, während ich insgesamt zwanzig Minuten wartete, bis mein Handy erneut leise vibrierte.
Spielt das denn eine rolle?
Ja, für mich schon, schrieb ich, zurück in meinem Zimmer, sofort und versuchte erst gar nicht, zu verbergen, dass ich auf ihre Antwort gewartet hatte. Hier war kein Raum mehr für Spielchen.
Dann: ja. gerade in diesem moment fühle ich mich allein.
Ich mich auch gab ich zu, und mein Herz begann immer schneller zu schlagen, immer lauter, das Schlagen war das einzige Geräusch, das in meinem Zimmer zu existieren schien .
Der Messenger zeigte an, dass Louisa schrieb. Dann war sie wieder offline, nur um anschließend erneut zu schreiben. Hin und her. Und ich, der wie hypnotisiert von den drei Pünktchen war.
Ich bin in fünfzehn minuten bei dir, leuchtete es plötzlich auf. Dann war sie wieder offline.
Einen Moment lang bewegte ich mich nicht, schluckte nur schwer.
Heilige Scheiße! Ich sprang von meinem Bett auf, das Handy immer noch in der Hand. Und ich las Louisas letzte Nachricht wieder und wieder, wollte sichergehen, dass ich sie nicht vielleicht doch falsch verstanden hatte. Gott, sie war auf dem Weg hierher.
Zu mir.
Es war mitten in der Nacht, und ich tat mein Bestes, mir nicht die Frage zu stellen, was es zu bedeuten hatte, dass sie bei mir sein wollte.
Aus irgendeinem Grund war da …
Louisa
… das drängende Bedürfnis, ihn zu sehen. Und ich war es so leid, meine Gefühle und Gedanken zu analysieren, meine eigenen Handlungen zu hinterfragen. Also tat ich es nicht länger, als ich meine Lieblingsleggins und einen flauschigen Pulli aus meiner Kommode zog und beides in meinem dunklen Zimmer mit den Lichterketten eilig anzog. Auch nicht, als ich im schwachen Licht der Laternen den kurzen Weg über den leeren Campus bis zu Pauls Wohnheim lief. Und ich tat es nicht, als ich vor seiner Tür stand und ihm ein letztes Mal schrieb statt zu klingeln, um Isaac und Taylor nicht zu wecken. Wenige Sekunden vergingen, dann öffnete sich die Tür einen Spalt breit, und Paul trat hinaus. Unschlüssig und abwartend standen wir einander gegenüber. Dann machten wir gleichzeitig einen Schritt aufeinander zu und umarmten uns flüchtig. Eine Berührung, die so unbeholfen war, wie sie sich warm und vertraut anfühlte. Ich stand auf Zehenspitzen, schloss die Augen einen winzigen Moment lang und atmete Paul ein, inhalierte ihn in leisen, langsamen Zügen. Er roch nach Wald und Sommerregen, nach gestern und morgen. Und immer noch nach Geborgenheit.
»Hey«, raunte er fast lautlos, als wir uns wieder voneinander lösten.
»Hey«, gab ich ebenso leise zurück und erwiderte den Blick aus seinen Bernsteinaugen.
»Hast du Lust, aufs Dach zu gehen?«, fragte Paul und zog die Tür schon hinter sich zu, ohne meine Antwort abzuwarten. »Die Sonne müsste bald aufgehen.«
Das letzte Mal, als wir hier gestanden hatten, hatten meine Beine um seine harten Bauchmuskeln gelegen, seine Hände an meinem Hintern, als er mich vom Aufzug bis zur Wohnung getragen hatte. Meine Lippen an seinen. Oder waren es seine an meinen gewesen? Vom Regen durchnässt, waren wir übereinander hergefallen, ohne an die Konsequenzen zu denken. Es war vorher gewesen. Und jetzt, während wir beide in diesem leeren Flur standen, dachte ich an diesen Moment. Ja, ich wollte mir den Sonnenaufgang ansehen, wollte mit Paul irgendwohin, wo es keine Erinnerungen an ein uns gab, sondern wir nur sein konnten.
Einen flüchtigen Moment lang ruhte Pauls Blick auf meinem Gesicht, bevor er den Gang entlanglief und an der breiten, verglasten Tür am Ende auf mich wartete. Und ich glaube, er dachte dasselbe. Ich folgte ihm durchs Treppenhaus, Stufe für Stufe weiter nach oben. Da waren nur unsere Schritte, die von den Wänden widerhallten, und das leise Summen des elektrischen Lichts.
Das letzte Stockwerk und Paul, der die schwere Tür öffnete. Ich trat hinter ihm nach draußen und schloss für einen Moment die Augen, als kühler Wind über mein Gesicht strich. Noch war der Himmel tiefblau, doch es würde nicht mehr lange dauern, bis die Sonne über den Bergen aufgehen und den Campus in ihr sanftes orangefarbenes Licht tauchen würde .
Wortlos liefen wir bis zur Kante des Daches. Paul setzte sich und ließ seine Beine lässig über den Rand baumeln, als würde es nicht meterweit nach unten gehen.
Ich ließ mich neben ihn sinken. Langsamer, zögerlicher, bedachter. Vorsichtig schob ich mich Stück für Stück weiter nach vorn, bis auch meine Beine über den Rand hingen. Mein Herz raste, doch ich wollte auch nach unten blicken, wollte den in Dunkelheit gehüllten Campus sehen.
Das Klicken von Pauls Feuerzeug und ein Glühen in der Nacht. Die Schachtel Zigaretten, die wieder in seiner Jackentasche verschwand. Die vertrauten Bewegungen seiner Hände beruhigten mich. Paul würde mich nicht fallen lassen, da war ich mir sicher, als ich meinen Blick erst über ihn, dann durch die Nacht schweifen ließ. Er würde mich auffangen.
Das letzte halbe Jahr war ein stetiges Auf und Ab gewesen, ein Leben zwischen Verdrängung und Enthüllung, zwischen Glück und Wahrheit. Paul mochte der Mann sein, der in der Nacht, als mein Dad gestorben war, in dem anderen Auto gesessen hatte, aber er war auch der Mann, der mich ich selbst hatte sein lassen und mich glücklich gemacht hatte. Und inzwischen verstand ich, wieso er sich seit Weihnachten mir gegenüber so verhalten hatte, auch wenn es mich nach wie vor verletzte. Aber war ich wirklich in der Position, darüber zu urteilen, auf welche Art er mit der Wahrheit über uns umgegangen war? Er hatte nicht nur mir den Boden unter den Füßen weggerissen, sondern auch sich selbst.
»Wieso bist du hier, Louisa?«
»Ich konnte nicht schlafen und dachte …«
»Nein.« Paul schüttelte den Kopf und sah mich ernst an. »Ich meine, wieso bist du hier ?«
Hier bei dir, Paul? Hier neben dir auf diesem Dach, obwohl es mitten in der Nacht ist und die Welt noch schläft?
Ich schluckte und strich mir eine meiner Locken hinters Ohr. »Weil ich gerade nirgendwo anders sein möchte«, gab ich mit einer Ehrlichkeit zu, die mich selbst überraschte – zu zerbrechlich war das, was nach allem womöglich zwischen uns zu entstehen begann. Aber vielleicht war auch genau das der Grund für absolute Offenheit, weil alles bereits schlimmstmöglich kaputt gegangen war und es nichts mehr zu verlieren gab, nur noch zu gewinnen.
Einen Moment lang musterte Paul mich schweigend, und ich wandte den Blick nicht ab.
»Ich möchte gerade auch genau hier sein«, sagte er rau, bevor er einen Zug seiner Zigarette nahm. Der Rauch stieg in den Himmel auf, in Richtung Unendlichkeit.
Es war seltsam. Wir hatten das alles schon einmal miteinander geteilt: Nächte und Wörter, Himmel und Wahrheiten. Und doch saßen wir hier, tasteten uns mit dem Gesagten vorsichtig voran, immer mit der Befürchtung, zu weit zu gehen und eine unsichtbare Grenze zu überschreiten. Weil wir zwar immer noch dieselben Menschen waren, immer noch dieselbe Zusammensetzung aus Atomen, und inzwischen doch um so vieles verändert.
»Mel hat mir erzählt, dass du bei ihr gewesen bist«, sagte ich in die Nacht hinein.
Paul nickte langsam. »Ja, es gab … es gab Dinge, die ich ihr gern sagen wollte.«
»Sie hat mir nichts über euer Gespräch gesagt, falls du dir deshalb Gedanken machen solltest«, sagte ich leise.
»Sie kann es dir erzählen, Louisa. Ich habe keine Geheimnisse vor dir.« Langsam drehte er sich zu mir und hielt meinen Blick fest. »Nicht mehr.«
Was sollte ich darauf erwidern? War das eine Tatsache? War es eine Frage? Oder doch ein Versprechen?
Paul ließ seinen Blick über den dunkeln Campus schweifen, über die im Schein der
Laternen schimmernden Wege und die hell erleuchteten Eingänge der Wohnheime. Die Bibliothek, die wegen ihrer Lage auf der Anhöhe immer am besten zu erkennen war.
»Ich möchte einfach ein paar Dinge in meinem Leben klären und angehen«, sagte er.
Er klang entschlossen, als er mir von der Suche nach einem Praktikum für den Sommer erzählte. Fotojournalismus, immer noch sein großer Traum. Paul berichtete mir, dass er sich mit seiner Mom getroffen hatte, dass er ihr eine zweite Chance gab, auch wenn die Situation mit seinem Dad sich niemals ändern würde. Er erzählte von dem Tag, an dem sie ihn zusammen mit Luca während seiner Schicht im Luigi’s besucht hatte. Für wenige Stunden hatte es sich tatsächlich so angefühlt, als wäre er Teil einer normalen Familie. Gemeinsames Pizza essen und Interesse am Leben der anderen.
Ich erzählte ihm, dass ich mich endlich getraut und Trish zu einem ihrer Literaturkurse begleitet hatte und ich unter gar keinen Umständen wieder damit aufhören wollte. Dass ich es liebte, für die Storylines zu schreiben und bei meinem ersten Redaktionstreffen gewesen war. Dass mir klar geworden war, dass ich Literatur als Rettungsanker nicht verlieren würde, wenn ich diese Leidenschaft auslebte, dass ich nur etwas zu gewinnen hatte. Und ich wusste nicht, wieso, aber trotz oder genau wegen dieses zerbrechlichen Friedens zwischen uns sprach ich auf diesem Dach in Pauls Gegenwart zum ersten Mal laut aus, dass ich mich entschieden hatte, am Ende des Terms zwar meine Mathe-Prüfungen zu schreiben, für den nächsten aber zu Literatur im Hauptfach wechseln wollte. Und ich glaubte bei meinen Worten so etwas wie Stolz in Pauls Augen aufflammen zu sehen.
Wir redeten und redeten und redeten. Fast war es so wie früher, mit all den Worten zwischen uns. Dieses Mal jedoch war es ein sich einander Annähern, ein Herantasten und Umschiffen dessen, was eigentlich zwischen uns stand.
»Es gibt etwas, das ich dir sagen möchte«, meinte ich deshalb, bevor der Mut mich wieder verlassen konnte. »Vielleicht ist es letztendlich auch gar nicht so wichtig, aber ich möchte es zumindest einmal ausgesprochen haben!«
Wir sind der Sturm Page 28