Ein Nicken. Ein ernster Blick. Ich griff nach der Zigarette zwischen Pauls Fingern, nahm selbst einen Zug, dann noch einen, ehe ich sie ihm zurückreichte und zögerlich zu sprechen begann.
»Weißt du, ich habe mir selbst sehr lange die Schuld an diesem Unfall und vor allem an Dads Tod gegeben. Und letztendlich glaube ich, dass jeder, der in dieser Nacht dort gewesen ist, irgendeinen Grund finden würde, wieso er zumindest teilweise verantwortlich ist. Vielleicht sind wir alle schuld, vielleicht ist es aber auch niemand von uns.« Ich holte bebend Luft, weil ich die folgenden Worte noch nie laut ausgesprochen hatte. »Ich weiß schon gar nicht mehr genau, worum es eigentlich ging, nur noch, dass meine beste Freundin und ich uns an diesem Abend unbedingt sehen wollten. Mom und Dad waren eigentlich dagegen, weil wir am nächsten Tag schon sehr früh am Flughafen in Sacramento sein mussten. Wir wollten Mel und Robbie besuchen. Ich hab aber so lange gequengelt, bis die beiden es mir erlaubt haben. Dad ist also spät abends extra noch einmal losgefahren, um mich abzuholen, am nächsten Tag wäre es ein unnötiger Umweg gewesen. Es war spät, Dad müde, und er ist trotzdem gefahren, nur um mir eine Freude zu machen. Ich hatte so lange furchtbare Schuldgefühle deswegen. Und ich glaube, eine der schlimmsten Sachen dabei ist und war, dass ich mich nicht einmal daran erinnern kann, wieso Leah und ich uns so dringend sehen wollten. Wenn es wenigstens irgendetwas wirklich Wichtiges gewesen wäre … Ich möchte, dass du weißt, dass du nicht die Verantwortung trägst für das, was passiert ist. Zumindest nicht in meinen Augen.«
Aortenabriss. Als ich älter war, hatte ich es gegoogelt. Hatte begriffen, dass Dad keinerlei Chance gehabt hatte, nicht ab dem Moment, als das Auto in die Fahrerseite gekracht war.
»Danke. Es bedeutet mir wirklich viel, dass du das sagst. Inzwischen weiß ich auch, dass ich die Schuldgefühle hinter mir lassen muss. Aber es geht nicht nur um das Sich-verantwortlich-Fühlen. Ich … ich bin nicht mehr der Junge von damals«, sagte Paul heiser, und sein Blick bohrte sich in meinen. »Ich habe mich verändert. Und ich weiß manchmal nicht, ob ich das wegen dieser Nacht getan habe oder weil ich erwachsen geworden bin. Vielleicht ist es beides.«
Überrascht musterte ich ihn. »Das Leben hat dich verwandelt, Paul«, sagte ich. »Das hat es vor fünf Jahren auch mit mir getan. Ich werde diese Nacht niemals vergessen, genauso wie du. Aber wieso sollten wir überhaupt leben, wenn wir nicht zulassen, dass uns das Leben verändert?! Veränderung ist das, was uns das Gefühl von Lebendigkeit gibt.«
»Ich kannte deinen Dad nicht, aber ich denke, dass es genau das ist, was ich ihm schuldig bin, oder? Diese ganzen Veränderungen anzunehmen, mich als den Menschen zu akzeptieren, der ich heute bin, und lebendig zu sein.«
»Dad war so ein positiver Mensch. Ich bin mir sicher, es wäre das gewesen, was er sich gewünscht hätte. Aber Paul … du bist es nicht ihm schuldig, sondern ganz allein dir selbst. So wie ich es mir schuldig bin.«
»Dann ist das hier ein Ich-lebe-Pakt?«
»Ich schätze, ja«, erwiderte ich, und für die Flüchtigkeit eines Augenblicks breitete sich ein warmes Gefühl in meinem Bauch aus.
»Weißt du, es ging nie darum, dass ich dich verantwortlich gemacht habe. Das habe ich auch in dem Moment nicht getan, in dem du mir alles erzählt hast. Zuerst stand ich einfach nur unter Schock, aber dann … ich war einfach enttäuscht und habe mich verraten gefühlt. So als hättest du mich wieder übergangen, mich ausgeschlossen, und das hat doppelt wehgetan, weil es dabei um mein eigenes Leben ging!«
»Denkst du immer noch so?«
»Ich bin mir nicht sicher. Irgendwie schon, zumindest in Teilen.« Ich zögerte. »Aber am meisten bewundere ich dich dafür, dass du den Mut gefunden hast, mir alles zu sagen. Ich weiß nicht, ob ich das an deiner Stelle geschafft hätte. Ich glaube, du warst mutiger, als ich es jemals hätte sein können.«
Tief holte ich Luft und stieß diese wieder aus, versuchte, das Zittern meiner Hände wegzuatmen.
»Aber … spielt das alles denn überhaupt noch eine Rolle?«, fügte ich hinzu.
Alles war anders, und es gab keine Chance zu vergessen, wer wir beide gewesen waren. Er siebzehn, ich vierzehn. Wie ein Schatten oder ein Gedanke, der bei jedem Schritt mitschwang. Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals, drohte, mir die Kehle zuzuschnüren. Ich spürte die heißen Tränen, die in mir aufstiegen, die ich aber krampfhaft zu unterdrücken versuchte.
War es nicht seltsam, wie nah sich zwei Menschen sein konnten, ohne einander wirklich nah zu sein? Ich saß neben diesem Mann, in den ich mich gegen jede Vernunft verliebt hatte. Neben dem Mann, der so viel mit mir geteilt hatte, mich sein Innerstes hatte sehen lassen, in dem sich für mich so viel spiegelte. Zwischen uns auf den ersten Blick nur wenige Zentimeter, auf den zweiten aber fast eine ganze Welt, zu viel gestern, zu wenig morgen.
Paul beugte sich ein Stück zu mir und musterte mich eindringlich. Er war mir nah, doch er berührte mich nicht, auch wenn seine Augen sagten, dass er es gern getan hätte. Diese intensive Mischung aus Bernstein und Braun. Flüssiges Karamell. In der Farbe nichts als Aufrichtigkeit.
»Wovor fürchtest du dich, Louisa?«, raunte er. Der Blick war warm, die Stimme sanft.
Egal wie schief in den letzten Wochen alles gelaufen war – dass Paul mir seit diesem Gespräch auf der Lichtung Raum gab, mich auf meine Weise mit der Situation umgehen ließ, mich nicht drängte und um nichts bat, sondern mich einfach sein ließ, berührte etwas tief in mir. Deshalb begann ich, mich mit meinen Gefühlen zögernd vor ihm auszubreiten, weil ich letztendlich nichts mehr zu verlieren hatte .
Ich wusste nicht, wie er zu mir stand, wusste ja nicht einmal, wie ich zu ihm stand. Aber dass Paul mir wichtig war, daran änderte alles, was geschehen war, nichts – dessen war ich mir inzwischen absolut sicher.
»Ich habe Angst, dass du jedes Mal, wenn du mich ansiehst, jedes Mal, wenn du mir in die Augen blickst, nur noch dieses Mädchen siehst, das du aus diesem Auto gezerrt hast«, sagte ich stockend und brach schließlich ab. Die Erinnerung an diesen Moment machte mir das Atmen schwer.
Kurz nachdem Paul mich aus dem Auto gezogen hatte, hatte der hintere Teil Feuer gefangen und sich durch das Metall nach vorn durchgefressen, zu Dad. Langsam, aber stetig. Doch er war schon tot gewesen, ich schon allein. Und Paul, in dieser Nacht nur ein namenloser Junge, war zu der anderen Seite gerannt, hatte versucht, die Tür zu öffnen, sie irgendwie aufzubrechen, doch sie hatte sich kein Stück bewegt. Ich hatte geweint und geschrien und dieser Junge mich festgehalten. Er hatte mich gehalten, während ein Mädchen mit langen blonden Haaren einige Meter entfernt auf der nassen Straße gesessen hatte. Mit angezogenen Beinen und einem leeren Blick in den Augen. Auf meinen Wangen hatten sich Tränen und Regen und das Blut von meiner Stirn vermischt. Und ich hatte mit meinen Fäusten auf seine Brust gehämmert, weil ich nicht gewusst hatte, wohin mit meiner Angst und Wut und Trauer. Paul hatte den Krankenwagen gerufen. Und bis wir die Sirenen hörten, hatten die Arme dieses Fremden um meinen zitternden Körper gelegen wie seine leisen, beruhigenden Worte um mein gerade gebrochenes Herz. Zuerst war da die Feuerwehr gewesen, hatte das brennende Auto gelöscht. Dann der Rettungswagen. Und dieser Junge hatte mich immer noch festgehalten, und das alles, obwohl Blut an seinem linken Oberarm hinabgesickert war und er Schmerzen gehabt haben musste. Ich hatte diesen Fremden nie vergessen, nicht wirklich.
»Ich habe Angst«, fuhr ich mit bebender Stimme fort, »dass du jedes Mal nur daran denkst, dass du mich retten musstest. Dass du mich bemitleidest und bedauerst. Und das könnte ich nicht ertragen.«
Paul sah mich aus seinen dunklen Augen an, so intensiv wie die Stille nach meinen Worten laut war. Er wirkte überrascht, ließ seinen Blick nachdenklich über mich gleiten, ehe er zu sprechen ansetzte.
»Natürlich denke ich daran, Louisa«, sagte er schließlich. Fast hätte ich mich nach dieser Bestätigung meiner größten Angst abgewandt, doch ich widerstand dem Drang. Mit klopfendem Herzen hielt ich seinem Blick stand, bereit hinzunehmen, dass ich immer dieses Mädchen sein würde.
Paul schüttelte langsam den Kopf, zog die Beine an und setzte sich mir gegenüber. So, dass er mich direkt
ansehen konnte. »Ja, ich denke daran, aber das ist nicht alles«, fing er an. »Wenn ich dich ansehe, sehe ich das weinende Mädchen, das ich versucht habe, irgendwie zu trösten, bis der Krankenwagen da war. Das ich versucht habe, zu beruhigen, obwohl ich selbst so scheiß überfordert war und unter Schock stand. Ich sehe das Mädchen, an das ich fünf Jahre lang immer wieder gedacht habe, weil ich wissen wollte, wer sie war und wie ihr Leben nach diesem Unfall aussah. Ich sehe die Frau, die letztes Jahr im Firefly in mich hineingerannt ist und die mir seitdem aus irgendeinem Grund nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist. Ich sehe die erste Frau, die mich meine Regeln und Prinzipien hat vergessen lassen, die erste, in die ich mich wirklich verliebt habe. Ich sehe dein schönes Lachen, deine Augen, in denen ganze Welten liegen, ich sehe die Ernsthaftigkeit, mit der du alles tust, deine Begeisterungsfähigkeit. Ich sehe deine Liebe zu Geschichten, zu Wörtern. Ich sehe eine Frau, die Menschen nur langsam in ihr Herz lässt, die aber bedingungslos liebt, sobald ihr jemand wichtig geworden ist. Ich sehe deine Perfektheit und all deine Makel. Und ich sehe die Frau …
Pau l
… die mir gezeigt hat, dass man kaputt sein und trotzdem lieben kann.«
Mein Herz schlug wie wild, hämmerte unablässig gegen meine Rippen, und ich holte tief Luft. Vielleicht war das zu viel gewesen und ich über das Ziel hinausgeschossen, hatte sie mit meinen Worten überfordert. Louisa, mein Feuermädchen … sie hatte so verzweifelt ausgesehen. Und so sehr sie es auch zu verbergen versucht hatte, ich hatte das Zittern in ihrer Stimme gehört, hatte das leichte Beben ihrer auf den Oberschenkeln ruhenden Hände gesehen, genauso wie das glänzende, schwimmende Blau ihrer Augen. Deshalb war das alles aus mir herausgebrochen, das absolut Wahrste, das ich über sie dachte.
Gott, wie konnte sie nur denken, dass bei einem Blick in ihre Ozeanaugen die Erinnerung an das vierzehnjährige, verängstigte Mädchen mein einziger Gedanke war, wo es doch so viel mehr zu sehen gab. In ihr all das, was ich verdammt nochmal immer gesucht hatte. Sie war mutig und stark, ernst und bedacht, fordernd und frech. Louisa war wunderschön, von außen, am meisten aber von innen.
Eine einzelne Träne lief über ihre Wange, und dieses Mal rutschte ich näher an sie heran, legte meine Hand an ihr Gesicht. Einfach so, als wäre die unsichtbare Mauer zwischen uns mit unseren Worten eingerissen. Mein Daumen, der sanft über warme, weiche Haut strich, um die Träne aufzufangen. Bei meiner Berührung biss Louisa sich auf die Unterlippe und blickte mich an, die Augen ungläubig geweitet. Ein Sturm an Gefühlen, der in ihr zu toben schien, ihre warme Haut ein Feuer unter meinen Fingern.
»Danke, Paul«, wisperte sie. »Danke, dass du mich siehst.«
Ich räusperte mich, ließ meine Hand langsam wieder sinken und brachte erneut Abstand zwischen uns .
Kurz bevor es zu dämmern begann, ging ich nach unten in die WG, um uns beiden einen Kaffee zu machen. Ich bezweifelte, dass wir heute noch ins Bett gehen würden. Und obwohl ich in dieser Nacht keine einzige Sekunde geschlafen hatte, fühlte ich mich seltsam wach und klar im Kopf. Nicht Aufgeregtheit, sondern eine innere Ruhe, wie ich sie seit einer Ewigkeit nicht mehr empfunden hatte.
Mit zwei Tassen in den Händen stieg ich die Treppen wieder nach oben. That’s what I do: I drink and I know things , stand auf einer von beiden. Ein Zitat von Tyrion Lannister, Louisas Lieblingsfigur aus Game of Thrones . Ich drückte ihr den Becher in die Hand, und so saßen wir schweigend auf dem Dach, mit nach unten baumelnden Beinen und in Erwartung der aufgehenden Sonne. Der Kaffee brannte heiß auf meiner Zunge. Wir schwiegen, doch die Stille zwischen uns war friedlich. Ganz bewusst teilten wir diesen Moment, und in diesem Augenblick wollte ich an keinem anderen Ort sein.
»Das ist meine Lieblingsfarbe«, sagte Louisa plötzlich.
Verständnislos sah ich sie an.
»Die Nacht«, erklärte sie und reckte das Gesicht Richtung Himmel.
Unwillkürlich musste ich grinsen, weil das so typisch sie war. Weil ihre Antworten auf den ersten Blick meist nicht zu meinen Fragen passten, auf den zweiten dafür umso mehr. Weil sie gleichzeitig ungewohnt schlicht und doch so voller Tiefe waren.
»Das ist keine Farbe, Feuermädchen.«
»Natürlich ist es das«, sagte sie mit einer Inbrunst und Ernsthaftigkeit, die es mir noch schwerer machte, meine Hand nicht erneut nach ihr auszustrecken. »Schau dir den Himmel an. Der ist nicht schwarz, aber auch noch nicht blau. Und die Sterne, diese winzigen Punkte, die als heller Schimmer über allem liegen, genau das ist meine Lieblingsfarbe. Der Moment, kurz bevor die Sonne aufgeht.«
Ich lehnte mich auf die Handballen gestützt zurück und folgte Louisas Blick in den Himmel, betrachtete ihre Lieblingsfarbe in all ihren Schattierungen. Je länger ich hinsah, desto besser verstand ich sie.
»Was ist deine?«, wollte Louisa wissen und pustete auf den heißen Kaffee in ihrer Tasse, bevor sie den ersten Schluck nahm.
»Blau«, sagte ich ohne Zögern und sah ihr dabei in die Augen. Die Tiefe von Seen und Ozeanen, die Unendlichkeit eines tosenden Meeres.
Die Sonne stieg höher und höher, bis ihr orangefarbenes Licht sich auf Louisas Gesicht legte, ihre Wangen mit den Sommersprossen, die geschwungene Nase. Als die ersten Strahlen auf ihre Haut trafen, lächelte sie. Es galt nicht mir, sie sah mich nicht einmal an, hatte den Blick stattdessen auf den golden schimmernden Horizont gerichtet. Doch sie lächelte, so berauschend warm und echt. Und in diesem Moment wusste ich, dass unsere Seelen nicht unter dem Gewicht dieser einen Nacht kollabieren würden. Ich hatte absolut keine Ahnung, wie es zwischen uns weitergehen würde, doch genau jetzt und hier war ich mir sicher, dass Louisa so oder so ein Teil meines Lebens bleiben würde – auf die eine oder andere Weise.
Apaixonar
19. KAPITE L
Louisa
Als hätte jemand auf Vorspulen gedrückt, flogen die Tage nach der Nacht mit Paul nur so an mir vorbei. Ich verbrachte die meiste Zeit in der Bibliothek oder zu Hause, um zu lernen, dazwischen meine Schichten im Firefly. Ende des Monats standen die Finals an, und danach wäre mein erstes Jahr am RSC vorbei. Acht Monate, in denen mein ganzes Leben sich verändert hatte. Auch wenn ich mir inzwischen sicher war, dass ich nach dem Sommer mit Literatur im Hauptfach weitermachen würde, war es mir trotzdem wichtig, mein erstes Jahr am College mit guten Ergebnissen abzuschließen. Dafür musste ich mich in Probability Theory deutlich verbessern, und auch in den anderen Fächern wollte ich mich bis zu den Prüfungen noch steigern. Inzwischen hatte ich alles aufgeholt, was ich in den zwei Wochen, die ich bei Mel gewesen war, verpasst hatte, doch mit einigen Dingen hatte ich trotzdem noch Schwierigkeiten.
Meine ganzen Lernunterlagen lagen quer in meinem Zimmer verteilt, und ich saß irgendwo in der Mitte mit einer Tasse Tee in den Händen. Trish würde später nachkommen, dann würden wir zum Lernen in die Küche umziehen und uns abends etwas zu essen bestellen. Doch für den Moment nutzte ich den Platz auf dem Boden meines Zimmers aus, um mir einen Überblick über das zu verschaffen, was alles zu tun war.
So sehr ich mich zu konzentrieren versuchte, musste ich mir doch eingestehen, dass ich immer wieder an Paul dachte, an das Gespräch letzte Woche, als wir auf dem Dach seines Wohnheims auf den Sonnenaufgang gewartet hatten. Kurz danach hatte Paul wieder damit begonnen, Wörter mit mir zu teilen. Er schrieb sie mir in Nachrichten. Nachtschwärmer am Freitag, Seelenheil am Montag. Tausendschön irgendwann dazwischen. Sonst stand dort nichts. Ich antwortete ihm Sehnsuchtsort , Sternschnuppe und Traumtanz . Jedes einzelne Wort schrieb ich Buchstabe für Buchstabe und Zeile für Zeile in mein Notizbuch, seine und meine. Es war, als hätten Paul und ich eine eigene Sprache, eine Weniger-ist-mehr-Form der Kommunikation gefunden. Und ich stellte mir die Frage, ob das tatsächlich nur Wörter waren oder kleine Welten mit unendlichen Möglichkeiten an Bedeutungen.
Gestern, als ich bei Trish eingehakt über den Campus gelaufen war, hatte Paul mir ein neues Wort geschrieben: apaixonar . Ich versuchte, während der Vorlesung nicht daran zu denken, doch nach der Hälfte der Zeit gab ich auf und googelte es. Portugiesisch. Verb. Es bedeutete begeistern, hinreißen, zutiefst bewegen . Es bedeutete
Leidenschaft wecken . Mein Herzschlag hatte sich beschleunigt, denn apaixonar-se hieß übersetzt so viel wie sich verlieben . War das Paul bewusst gewesen? Wollte er mir das sagen?
Ich sah wieder seinen ernsten Blick vor mir, hörte den sanften Klang seiner Stimme. Wovor fürchtest du dich, Louisa? Ich dachte an die einzelne Träne, die er mit seiner Hand an meinem Gesicht aufgefangen hatte, an all das Gesagte, das nur dafür sprach, dass er immer noch mich sah, die Frau, die ich jetzt war. Apaixonar war meine Vergangenheit und meine Gegenwart, wenn es um diesen Mann ging. Doch so sehr ich ihn nicht wieder verlieren wollte, so sehr fürchtete ich mich davor, dass Gefühle allein nicht reichten. Nicht mehr. Nicht nach allem, was geschehen war.
Ich sehe die Frau, die mir gezeigt hat, dass man kaputt sein und trotzdem lieben kann.
Seufzend stellte ich die Tasse vor mir auf den Boden und griff nach meinem Handy. Vielleicht sollte ich ihm einfach ein Wort zurückschreiben, irgendein schönes.
»Hey.«
Pau l
Ich hatte gerade gehen wollen, als ich Louisas offene Zimmertür bemerkte. Und meine Füße hatten selbst entschieden, dass ich sie sehen musste. Inmitten dicht beschrifteter Seiten und aufgeschlagener Bücher, eins davon auf ihren überkreuzten Beinen, saß sie auf dem Boden. Louisa schien mich erst nicht zu bemerken, biss sich nachdenklich auf die Lippen, bis sie die Tasse in ihren Händen auf dem Boden abstellte und nach ihrem Handy griff, einen entschlossenen, aber nachdenklichen Ausdruck im Gesicht.
Versunken in ihren Anblick, stand ich im Türrahmen, und erst, als ich etwas sagte, hob Louisa den Kopf. Und Gott, wie sie mich ansah mit diesen Wahnsinnsaugen … Ich spürte das Lächeln auf meinen Lippen, ich konnte gar nicht anders. Sie saß in diesem Durcheinander aus Blättern und schien darin trotzdem irgendeine Art von System zu sehen. Chaotisch, aber mit einem Ziel vor Augen. In diesem Moment war sie so sehr Louisa, so sehr mein Feuermädchen!
»Hey«, sagte sie, ein helles Echo. Ein Lächeln umspielte ihre vollen Lippen – weil sich in dieser Nacht auf dem Dach etwas zwischen uns verändert hatte? Weil sie es ebenfalls zu spüren schien?
Wir sind der Sturm Page 29