Wir sind der Sturm

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Wir sind der Sturm Page 31

by Bichon, Sophie


  Ich blieb stehen, inmitten sich lichtender Tannen und dem Glitzern des Wassers dahinter. Das Licht der Sonne brach sich auf der Oberfläche. Dazwischen die Holzlatten des Stegs, die weit in den Lake Superior hineinreichten. Wir waren allein, nur Paul und ich zwischen Wasser, Wind und Bäumen. Der Moment war aufgeladen mit ihm und mir und all den Worten, die so kurz davor waren, ausgesprochen zu werden. Mit dem, was sein könnte, wenn ich mich nur traute.

  Langsam drehte ich mich zu Paul um, suchte mit klopfendem Herzen seinen Blick. Ruhig und abwartend sah er mir entgegen, und ich wünschte, seine Gelassenheit würde auf mich abfärben. Tief atmete ich ein und aus, versuchte, das Zittern meiner Hände zu verbergen.

  »Ich möchte dir etwas sagen«, sagte ich schließlich, bevor ich es mir wieder anders überlegen konnte.

  Paul nickte und machte einen winzigen Schritt auf mich zu. »Okay«, erwiderte er fest.

  Wir wussten beide, dass ich eine Entscheidung getroffen hatte und dass es unumgänglich war auszusprechen, wie wir weitermachen wollten – als Freunde? Gute Freunde? Oder mehr, weil alles andere nicht ausreichte? Ich schluckte. Und mit einem Mal sah ich hinter Pauls lässiger Haltung doch Unsicherheit und Nervosität aufblitzen. Es war diese fahrige Bewegung, mit der er sich über den Bart strich, die Unruhe seiner Hände, die er schließlich in die Taschen seiner Jeans schob.

  »Ich mag es, wer ich bei dir bin, Paul. Und ich mag, wer du bist, wenn du bei mir bist«, sagte ich und sah ihn mit aller Offenheit an. »Ich habe mich dir vom ersten Moment an verbunden gefühlt, weil ich etwas gesehen habe, das mich an mich selbst erinnert hat. Ich meine, ich wusste zuerst nicht, wer du bist oder wie du heißt, aber du kamst mir so vertraut vor.« Ich strich mir meine Locken hinter die Ohren und verlor mich in seinen Augen, die mir jetzt warm entgegenblickten. Ich hatte den ersten Schritt gemacht, hatte angefangen zu reden, und ich merkte, wie ich innerlich ruhiger wurde.

  Pauls intensiver Blick ruhte auf meinem Gesicht, und deutlich erkannte ich den tosenden Sturm und das wild umherwirbelnde Braun darin, doch ich sah auch die Sanftheit, von der ich wusste, dass sie mir allein galt. Dass sie immer schon nur mir gehört hatte. Ich erinnerte mich an den Schmerz und all das Verlorene, das ich bei unserer ersten Begegnung in Pauls Augen gesehen hatte, als er nur ein Fremder mit einem erregenden Lachen gewesen war. Gefühle, die ich nur zu gut verstanden hatte, da sie einem Spiegelbild meiner eigenen gleichgekommen waren. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich mich verstanden gefühlt.

  »Jetzt, wo wir beide wissen, dass wir uns schon einmal begegnet sind, ist es im Nachhinein wohl kein Wunder, dass ich das Gefühl hatte, du wüsstest als einziger Mensch, wer ich wirklich bin«, fuhr ich fort. »Du hast mich in der Nacht, in der mein Dad gestorben ist, in den Armen gehalten und all das Zerbrochene in mir irgendwie zusammengehalten. Natürlich kann niemand sonst verstehen, was dieser Autounfall in mir verändert hat. Aber es ist nicht nur das. In deiner Gegenwart fühle ich mich wild, frei und endlich wieder glücklich. Einfach, weil du mich die sein lässt, die ich bin. «

  Ich hielt den Atem an, stieß diesen geräuschvoll wieder aus. Die Luft zwischen uns schien zu vibrieren, ein Schwingen, dass sich unaufhaltsam ausbreitete.

  »Ich kann wegen einer einzigen Nacht, so schrecklich sie auch gewesen sein mag, nicht aufgeben, wer wir beide zusammen sind, Paul. Ja, wir sind der Sturm, wir sind ein großes Durcheinander, aber dabei sind wir wir .«

  Ich holte tief Luft, spürte mein Herz schnell und laut in meiner Brust pulsieren, während meine Worte in der Stille um uns herum nachhallten. In Paul steckten so viele Versionen seiner selbst, so wie auch in mir, wie in allen anderen Menschen. Ich wollte ihn mit alldem, was zu ihm gehörte, seinem ganzen Sein, seiner Vergangenheit und seiner Zukunft, mit all dem Guten und Schlechten und unserer gemeinsamen Geschichte. Ich wollte den Mann, an dem alles so intensiv zu sein schien. Der loyal und impulsiv war, intelligent und humorvoll. Der bedingungslos liebte, wenn er es tat, und mit seinen Bildern am liebsten die Welt verändern würde.

  »Ich möchte dich nicht aufgeben«, sagte ich mit fester Stimme. »Ich kann dich nicht aufgeben.«

  »Louisa, ich …« Paul trat einen Schritt auf mich zu, umfasste mein Gesicht mit seinen Händen. Groß und warm lagen sie an meinen Wangen, als er zu mir hinunterblickte und mir dabei direkt in die Augen sah. Der Daumen seiner rechten Hand strich über meine Wange, fuhr unendlich langsam die Konturen meiner Lippen nach. Einmal. Zweimal. Und diese federleichte Berührung sandte ein Kribbeln meine Wirbelsäule hinab, legte sich schwindelerregend auf meine ganze Haut.

  Mein Herz raste. Ich hatte es gesagt, ich hatte es ihm gesagt. Und ich dachte daran, dass das zwischen uns immer schon wie eine Urgewalt gewesen war, wie Feuer und Sturm, lodernd und stürmisch. Und letzten Endes so unausweichlich, ganz egal, was auch passierte.

  Pauls Stimme klang kratzig, als er erneut zu sprechen begann. »Ich habe dich vermisst«, sagte er ernst, und ich spürte seinen warmen Atem als Kribbeln auf meinem Mund. »Gott, ich habe dich so vermisst, Louisa.«

  Er brach ab, ließ seinen Blick nachdenklich über jeden Zentimeter meines Gesichts wandern, dann seufzte er, sah mich fragend an. Sehnsucht in den Augen. Und ich dachte: Ja . Sagte es leise gegen seine Lippen, während er eine Hand in meinen Nacken schob und mich in einer einzigen, festen Bewegung enger an sich zog. Ich stolperte gegen seine Brust, atemlos, doch Paul hielt mich fest. Und dann lagen seine Lippen auf meinen, warm und fordernd, und ich keuchte überrascht auf – an seinen Lippen, in seinen Mund hinein. Und dieser wunderschöne Mann stand dort und küsste mich. Endlich und nach so langer Zeit. Mein Herz setzte einen Schlag aus, nur um in der nächsten Sekunde unaufhaltsam schneller zu schlagen.

  Ich auf Zehenspitzen. Mein Arme legten sich um seinen Hals, enger an ihn heran, näher, drängender. Seine Zunge an meiner, ein betörender Tanz, der mich an seinem Körper erzittern ließ.

  »Paul«, seufzte ich, als er sich für den Bruchteil einer Sekunde von mir löste. Der Blick aus seinen Augen lustverhangen und sanft, mit einer Intensität darin, die mein Herz zum Flattern brachte und mir die Knie weich machte.

  Und dann küsste ich ihn. Küsste, küsste und küsste ihn. Seine Hände an meinem Gesicht, in meinen Locken. Er war leidenschaftlich und stürmisch, fast schon grob. Das war kein Kuss, der wie ein Spiel war. Kein Necken, kein langsames Herantasten. Das war Paul, das war ungebändigte Leidenschaft, Instinkt, zurückgehaltene und alles verzehrende Sehnsucht. Und jedes Einzelne dieser Gefühle jagte durch meinen Körper, wurde zu meinen eigenen Empfindungen. Sie waren erst ein Flattern in meinem Bauch, dann ein Feuer, das von Sekunde zu Sekunde stärker brannte.

  Paul trieb mich in den Wahnsinn mit seiner Zunge, seinen Lippen, seinen Zähnen. Und seinen Händen, die sich langsam aus meinen Locken lösten, an meinen Seiten herabwanderten und sich an meine Hüften legten. Wenige Sekunden, in denen sie dort ruhten, fest und schwer und elektrisierend. Ich spürte das belustigte Zucken seiner Mundwinkel an meinen Lippen, als ich einen leisen Schrei zu unterdrücken versuchte, während er mich plötzlich packte und hochhob.

  Instinktiv schlang ich meine Beine um seine Hüften und hielt mich an ihm fest, während Paul mit seinen Lippen über meine strich. Meine Hände waren in seinen Haaren vergraben. Er stolperte vorwärts, presste mich gegen den Baum in meinem Rücken.

  Ich legte meinen Kopf mit geschlossenen Augen in den Nacken, genoss das Gefühl von Pauls Lippen auf meiner Haut. Spuren, die sich meinen Kiefer entlangzogen, meinen Hals. Seine Zunge ein Brennen auf meiner Haut. Ich hatte ihn vermisst, hatte ihn so vermisst. Und jemanden zu vermissen, der ständig um einen war, schmerzte noch viel mehr als Sehnsucht über Distanz – ob zeitlich oder räumlich.

  Meine Gefühle überrollten mich. Das Adrenalin und das, was ich für diesen Mann empfand, größer und übermächtiger, als ich es je für möglich gehalten hätte. Dann war sein Mund wieder an meinem, jede einzelne Berührung ein Pulsieren in meinem Körper. Oh Gott … wie er mir in die Unterlippe biss. Das war Paul, so viel von ihm auf einmal. Das Gefühl seiner Erektion zwischen meinen Beinen ließ mich nach Luft ringen. Und als ich die A
ugen wieder öffnete, sah ich sein träges Lächeln, kurz bevor seine Lippen wieder auf meinen lagen. Auskostend. Sanft. Erregend. Und ein Kribbeln, das sich bis in meine Fingerspitzen ausbreitete.

  »Lou?«, rief jemand. »Paul?« Schritte, die näher kamen, das Knacken von Holz. »Wo seid ihr denn?«

  »Verdammt«, flüsterte ich und biss mir im nächsten Augenblick auf die Lippen. Angehaltener Atem, weil ich nicht wollte, dass er mich losließ. Noch nicht .

  Paul rührte sich tatsächlich nicht von der Stelle. Ich zwischen seinen starken Armen und dem Baum in meinem Rücken. Sein Griff um mich war unverändert fest, der Blick seiner Augen unaufhaltsam und voller Bedeutung.

  Wir beide atmeten schwer. Erinnerungen, die sich zwischen uns ausgebreitet hatten, uns überrollt und vergessen hatten lassen. Erst ihn, dann mich. Am Ende uns beide. Dazu die Magie des Augenblicks, weil die Vergangenheit vielleicht Vergangenheit sein konnte. Zitternd hielt ich mich an seinen Schultern fest, mein Gesicht nur wenige Zentimeter von seinem entfernt.

  Paul räusperte sich, und seine Stimme klang ungewohnt heiser, als er zu sprechen begann. »Ich bin gerade so unglaublich glücklich, weil du mich nicht aufgeben willst.« Für einen Wimpernschlag waren seine Lippen an dieser Stelle hinter meinem Ohr. Eine federleichte Berührung, die für die Gänsehaut auf meinem Körper sorgte. »Weil du uns nicht aufgeben willst, Louisa.« Langsam ließ er mich zu Boden gleiten. »Dieses Mal werde ich dich nicht stehen lassen«, versprach er mir.

  »Und ich werde nicht weglaufen.«

  Es schien, als wollte er noch etwas sagen, doch dazu kam er nicht mehr.

  »Oh Gott, da seid ihr ja! Ich habe euch gefühlt überall ge…« Trish brach mitten im Satz ab, als sie uns sah. Ihr Blick wanderte zwischen uns hin und her, und erst jetzt wurde mir bewusst, dass wir immer noch dicht voreinander standen. Meine Hände auf seiner Brust, mein Becken an seinen Oberschenkeln, seine Daumen an meinen Wangen, die Finger halb in meinen Locken vergraben.

  Eine letzte atemlose Sekunde, dann ließ Paul mich los und trat einen Schritt zurück.

  »Ich konnte ja nicht ahnen, dass ihr kurz davor seid, euch die Klamotten vom Körper zu reißen!« Trish hob amüsiert die Augenbrauen an und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich wollte euch nur Bescheid geben, dass wir jetzt das Feuer anzünden. Ihr wisst schon, das erste in diesem Jahr, ein besonderer Moment und so. Aber«, sie wandte sich grinsend zum Gehen, »wenn ihr etwas Besseres vorhabt, lasst euch von mir nicht aufhalten.«

  Die Sonne stand tief am Himmel, bald würde sie hinter den Bergen mit den Spitzen in den Wolken untergehen. Um das Feuer stehend stießen wir über den ersten brennenden Flammen mit roten Bechern an. Auf den Frühling und den nahenden Sommer, die Freundschaft und das immer näher rückende Ende des Terms. Bier schwappte über die Ränder der Becher und landete mit einem leisen Zischen in dem Orange und Rot.

  Bowie hatte einen Arm um mich und ihren Kopf auf meine Schulter gelegt. Die Fransen ihres Ponys kitzelten über die Haut an meinem Hals. »Jedes Mal denke ich, es ist noch schöner als das letzte Feuer«, sagte sie ehrfürchtig, nachdem sie einen Schluck von ihrem Bier genommen hatte.

  »Es ist jedes Mal schöner«, stimmte ich ihr zu. Vereinzelte bunte Lampions glänzten an den Bäumen direkt neben der Feuerstelle. Fackeln beleuchteten den Weg zum Wasser, und aus einem der Autos dröhnte Musik. Ein paar Leute saßen auf der Ladefläche eines Pick-ups, andere direkt am Wasser. Sie unterhielten sich und füllten den Abend mit ihren Gesprächen. Und es lag dieses aufgeregte Flirren über allem, als würde das Jahr jetzt erst richtig losgehen, Ende des Monats, wenn der Term vorbei wäre und der Sommer bevorstünde. Es war, als wäre das Grün der Bäume satter und die Flammen des Feuers wärmer. Ganz so, als wäre das Gefühl der Zusammengehörigkeit größer und das Lachen ansteckender. Das war Gezelligheid , wie es im Niederländischen genannt wird: diese entspannte Atmosphäre, wenn man mit den Menschen, die einem am Herzen liegen, zusammen war. Leichtigkeit, Wohlbefinden und Wärme .

  Wir setzten uns wieder, und Aiden griff nach seiner Gitarre. Er begann, keine bestimmte Melodie zu spielen, schien mit den Händen einfach nur seinem Gefühl zu folgen. Ein leiser Rhythmus, der sich mit dem Knistern des Feuers vermischte und zusammen mit den glühenden Funken in den Himmel stieg. Trish hatte sich gegen ihn gelehnt und streckte ihre Hände der Wärme der Flammen entgegen. Und sie meinte zufrieden, dass Aiden das wirklich gut machen würde, woraufhin er zu spielen aufhörte und lachte. »Danke«, sagte er. Dann stieß er Paul mit dem Ellenbogen in die Seite und forderte ihn auf, sich die andere Gitarre zu nehmen.

  »Ihr dürft euch nacheinander ein Lied wünschen, und wir spielen es dann für euch. Aber …«, Aiden fuhr sich mit einer Hand durch die Haare und grinste, »… das bedeutet, ihr müsst auch wirklich alle mitsingen.«

  »Au ja!«, rief Trish begeistert. Mit einem Mal schien sie wieder hellwach zu sein. »Das haben wir ewig nicht mehr gemacht!«

  »Können wir nicht sagen, wir singen alle mit«, warf Isaac ein und rückte sich die Brille zurück, »aber Bowie nicht?«

  Luke nickte zustimmend und stieß mit seinem Becher gegen Isaacs.

  »Hey!«, rief Bowie empört und funkelte die beiden an.

  Trish lachte. »Sorry, Baby, aber du kannst wirklich null singen. Also wirklich überhaupt nicht.«

  »Ich muss ihr recht geben«, sagte ich und konnte mir das Grinsen auch nicht mehr verkneifen. »Aber dafür kannst du andere tolle Sachen.«

  »Ich werde nie darauf klarkommen, dass ausgerechnet du nach David Bowie benannt bist«, meinte Paul grinsend und griff nach der anderen Gitarre, die an den Baumstamm gelehnt dagestanden hatte.

  Bowie schob schmollend die Unterlippe vor. »Dann will ich aber wenigstens als Erste ein Lied aussuchen.« Einen Augenblick dachte sie nach, dann umspielte ein Lächeln ihre Lippen. Es war Lemon Tree von Fools Garden .

  Aiden und Paul spielten, wir sangen. Bowie legte einen Arm um mich, ich lehnte mich gegen sie, und zusammen wippten wir im Takt der Musik. Und so wie der Himmel beständig dunkler wurde, so wurde das warme Gefühl in mir immer größer und weiter. Einfach nur wegen der ungeahnten Perfektion dieses Aprilabends.

  »Du bist dran, Lou.« Aiden nickte mir zu, als der letzte Ton verklungen war.

  Mein Blick huschte zu Paul. Er suchte meinen, fand ihn, hielt ihn. Bei der Art, wie er mich ansah, war das Flattern wieder da. Gott, ich habe dich so vermisst, Louisa, hörte ich ihn wieder sagen. Seine Hände an meinem Gesicht. Dieser Moment kurz bevor er mich geküsst hatte. Ob er auch immer noch meine Lippen auf seinen spürte? Dachte er daran, wie es sich anfühlte, mich festzuhalten, so, wie ich an seine Arme um mich dachte? Es schien, als hätte ich das zurück, was ich für immer verloren geglaubt hatte, doch die Angst war nicht völlig verschwunden. Die Angst, dass es noch einmal in die Brüche gehen würde, bevor es richtig begonnen hätte.

  In diesem Moment lächelte Paul mich an. Dieses Lächeln, das seine Grübchen sichtbar machte und bis zu seinen dunklen Augen reichte.

  »Island in the Sun von Weezer«, sagte ich.

  Ich spürte, wie meine Mundwinkel sich von selbst auseinanderzogen. Und ich lächelte zurück.

  Paul

  Ich hatte Louisa küssen müssen, hatte gar keine andere Wahl gehabt, als sie an mich zu ziehen. Als ich neben ihr am Wasser entlanggelaufen war, hatte ich gewusst, dass sie eine Entscheidung getroffen hatte. Doch sie wirkte so angespannt, so unruhig, dass sich in mir Schritt für Schritt die Überzeugung breitgemacht hatte, sie würde mir innerhalb der nächsten Minuten sagen, dass wir zwar eine Vergangenheit, aber keine Zukunft hätten. Dass sie mich zwar in ihrem Leben wollte, aber nicht auf dieselbe Art wie ich. Ich dachte, ich hätte sie für immer verloren. Doch ich hatte auf sie gewartet, und jetzt schien es so, als hätten wir beide eine zweite Chance bekommen. Gott, ich hatte sie einfach spüren müssen, so kurz es auch gewesen war.

  Louisa lächelte mich an, und ich hätte es am liebsten wieder getan, diesen schönen, lachenden Mund geküsst. Doch ich wollte das nicht überstürzen. Es reichte, dass Trish uns gesehen hatte. Verdammt, wir brauchten diese Zeit. Diese Zeit allein,
ohne dass alle es wussten und ihren Senf dazugaben. Nur sie und ich, um zu begreifen, dass sie wieder mir gehörte. Dass das mit uns wieder echt sein konnte und keine bloße Erinnerung, die bei jedem Gedanken schmerzte.

  Island in the Sun . Ich mochte den Song. Das war der Sommer, das war Freiheit. We’ll run away together. We’ll spend some time forever. We’ll never feel bad anymore.

  Louisa sah mich schon wieder an, während meine Hände über die Saiten der Gitarre strichen, und Gott, ich hoffte, dass das, was sie da gerade sang, wahr war.

  Nachdem sich jeder ein Lied hatte wünschen dürfen, legten Aiden und ich die Gitarren zur Seite und holten uns noch etwas zu trinken.

  »Nur noch drei Wochen, Leute, dann ist der Term vorbei«, seufzte Trish glücklich, als wir uns wieder setzten. »Könnt ihr das glauben?!«

  Zustimmendes Gelächter und Gemurmel. Und die Frage nach unseren Plänen für die kommenden Monate und den Sommer.

  Auf der anderen Seite des Feuers zog Louisa ihre Knie an und stöhnte gequält. »Gerade fühlt es sich so an, als wäre das, was ich bis zu den Finals noch lernen muss, so viel, dass ich so oder so nicht mehr damit fertig werde.« Sie lachte, versank fast in der großen Jacke, die Aiden ihr gegeben hatte, als es kühler geworden war. Sie sah so verdammt süß darin aus! »Ich habe gar keine Zeit, an den Sommer und die freie Zeit zu denken. «

  »Ich finde, das klingt perfekt. Genau das hab ich auch vor«, sagte Luke und verschränkte für einen Moment die Arme hinter dem Kopf. »Der Plan ist, keinen Plan zu haben. Sich treiben zu lassen und die Freiheit zu genießen und nicht an Morgen zu denken.«

  Ich blickte Luke an und musste dann laut loslachen. »Also genau das, was du während des Terms auch immer machst.«

  Aiden erzählte von den kleinen Konzerten, die Goodbye April während des Sommers geben würde und von dem Festival, zu dem er zusammen mit den Jungs von der Band, seiner Schwester Ally und deren Freund fahren würde. Bowie würde zusammen mit Trish nach Hause fliegen und freute sich schon riesig auf die Pride Parade. Es war das erste Mal, dass Trish mitkommen würde. Und ich erzählte den anderen, dass ich wie jeden Sommer nach Deutschland zu meinem Cousin fliegen würde. Von Berlin, dieser bunten, lauten Stadt, die ich so liebte, obwohl ich mich eigentlich in der Natur am freiesten fühlte. Luca würde dieses Jahr hierbleiben, weil er den Sommer vor Katies erstem Term am RSC mit ihr zusammen verbringen wollte. Und für einen kurzen Augenblick erinnerte ich mich daran, wie Louisa mir an ihrem Geburtstag von der Bucket List ihres Lebens erzählt hatte, während wir uns auf meinem Pick-up die Sterne angesehen hatten. Und daran, wie ich gesagt hatte, sie könnte nächsten Sommer doch einfach mitkommen und sich einen Teil von Europa ansehen.

 

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