Eigentlich wollten wir an den Lake Superior, doch wir fuhren insgesamt fast zwei Stunden ziellos über die Highways, inmitten von sattem Grün und einem strahlend blauen Himmel.
Seit Louisa am Sonntag mit mir geschlafen hatte, fühlte ich mich ihr noch näher als zuvor. Es war verrückt, weil ich nicht gedacht hätte, dass das noch möglich war. Das große Vertrauen, das sie mir entgegengebrachte, indem Louisa mich sie spüren ließ ohne irgendetwas zwischen uns – es hatte mich wahnsinnig angemacht, am meisten aber tief berührt. Ich war nicht nur verliebt in sie, ich liebte Louisa. Und als sie sich noch enger an mich presste, dachte ich an Lukes Party zu Beginn des Terms, als sie mir nach draußen auf den Balkon gefolgt war. Dort hatte sie mir eröffnet, dass sie im Gegensatz zu mir nicht an Schicksal glauben würde, auch wenn ich mir sicher war, dass ihre Meinung sich inzwischen geändert hatte. Ich war überzeugt davon, dass diese Frau mein Schicksal war.
Am Lake Superior liefen wir zusammen zum Steg, nachdem ich das Motorrad bei den Tannen abgestellt hatte. Das Wasser war tiefblau und leuchtete in der Sonne. Die Helme in unseren Händen, hatte ich locker einen Arm um Louisa gelegt, meine Hand in ihre hintere Hosentasche geschoben. Das Holz knarzte unter uns, als wir uns ganz vorn hinsetzten und nebeneinander auf den Rücken sinken ließen. Wir sahen den wenigen Wolken beim Ziehen zu. Weiß vor hellem Blau.
»Ich muss dich etwas fragen«, sagte ich in den Himmel hinein.
»Paul Berger, wirst du mir etwa gleich einen Antrag machen?«, scherzte sie erst und kicherte dann. Dieses Mädchen mit dem Feuerherzen kicherte, und es war das verdammt erste Mal, dass ich das bei ihr hörte. Gott, es war süß. Es war absolut niedlich.
Ich grinste. »Würdest du denn Ja sagen?«
»Wo wäre die Spannung, wenn ich dir das einfach verraten würde?« Vielleicht würde ich es herausfinden. Irgendwann. Doch das, was ich in diesem Moment so dringend wissen musste, war etwas anderes. Es war diese eine Frage, die ich ihr schon die ganze Zeit hatte stellen wollen, doch ich hatte auf den richtigen Moment gewartet, weil ich mir so sehr wünschte, dass sie Ja sagen würde. In meiner Welt gab es nur diese eine Option.
Ich drehte meinen Kopf so, dass ich Louisa ansehen konnte. Und sie tat es mir gleich. Ihr Gesicht ganz nah vor meinem und einzelne orangefarbene Locken, die ihr in die Augen fielen. Mein Herz machte einen nervösen Satz.
»Möchtest du mit nach Deutschland kommen und den Sommer mit mir verbringen?«, fragte ich schließlich. In drei Tagen würde Louisa zu Mel fahren und dort bis zu Beginn des neuen Terms bleiben. Und bis Ende Mai mein Flug ging, würde ich dort auch wohnen. Doch der Gedanke, die darauffolgenden drei Monate ohne Louisa zu verbringen, nachdem ich sie doch gerade erst zurückgewonnen hatte, war verflucht hart. Es war so viel Schlimmes passiert, und ich wollte nichts mehr, als die kommenden Monate jeden Tag neben ihr aufzuwachen. Weil ich wusste, wie es war, sie zu verlieren .
Louisas Augen schienen sich überrascht zu weiten. Wellen aus dunklem, intensivem Blau, die mich überrollten. »Aber …« Sie biss sich auf die Unterlippe. »Ist das nicht zu schnell? Und die Flüge sind doch sicher super teuer, oder? Ich denke nicht, dass ich mir das leisten kann, Paul. Ich hab zwar etwas zur Seite gelegt, aber das wird nicht reichen.«
Ich lächelte. Das waren Einwände, mit denen ich gerechnet hatte. Sanft strich ich ihre Locken nach hinten, sodass ich sie richtig ansehen konnte, begann mit einzelnen Strähnen ihres Haars zu spielen. Louisas von Sommersprossen übersäte Nase kräuselte sich, und irgendwie schienen sie von Tag zu Tag mehr zu werden. Gott, ich liebte jeden einzigen Punkt, jeden Fleck.
»Wegen Ersterem: Zu schnell, zu langsam, das ist doch scheißegal«, sagte ich bestimmt. »Bei uns gelten andere Regeln, Louisa, das war schon vom ersten Moment an so. Ich liebe dich, und ich will diesen Sommer mit dir zusammen sein. Für mich ist das alles, was wichtig ist. Und mach dir wegen des Geldes keine Gedanken. Ich werde mir etwas überlegen, wir kriegen das schon hin.«
Nachdenklich musterte Louisa mich, schien sich jedes Einzelne meiner Worte ganz bewusst durch den Kopf gehen zu lassen.
»Okay«, meinte sie irgendwann. Fast hatte ich schon nicht mehr mit einer Antwort gerechnet.
»Ist das ein Ja?«
»Ja, Paul.« Sie lachte ihr helles Louisa-Lachen. »Das ist ein Ja.«
Und ich spürte das breite Grinsen, das sich ganz automatisch auf meinen Lippen auszubreiten begann.
»Weißt du … Du bist der größte Plot Twist meines Lebens«, sagte sie ernst. »Aber du hast Glück: Ich mag spannende Geschichten. Die Geschichten, die etwas in mir verändern.«
25. KAPITE L
Louisa
»Alles Gute zum Sechzehnten, Luca!«, sagte Paul und hob sein Glas in die Höhe. Alles Gute und Sweet Sixteen riefen wir anderen durcheinander und ließen unsere Gläser über dem hellen Holztisch gegeneinander klirren. Glückwünsche und losgelöstes Lachen wirbelte durch die Luft, verwob sich mit der leisen Musik im Hintergrund.
Wir saßen in der hintersten Ecke des Luigi’s. Eine gemütliche, in schummriges Licht getauchte Nische, während es draußen zu dämmern begann. Aiden hatte erklärt, dass es der beste Tisch wäre und das größte Privileg, ihn für private Besuche reservieren zu dürfen, wenn man hier arbeitete.
Morgen würde Luca zusammen mit Katie und seinen Freunden seinen Geburtstag nachfeiern, doch heute hatte er den Abend mit uns verbringen wollen: mit seiner Freundin, seinem Bruder und Aiden und Trish, die er schon sein Leben lang kannte. Und mit mir. Als wir uns das letzte Mal gesehen hatten und Paul kurz weg gewesen war, hatte Luca mich an sich gedrückt und gemeint, dass er froh war, dass sein Bruder und ich das hingekriegt hätten. Er hatte mich zu seinem Geburtstagsessen eingeladen, gesagt, dass ich jetzt doch dazugehören würde – zur Familie. Ich hatte zu ihm nach oben gesehen, weil er mich mit seinen sechzehn Jahren längst überragte. Hatte schwer schlucken müssen bei seinem schiefen Lächeln, das Pauls oft so ähnelte, und dem Selbstverständnis in seinen grünen Augen. Und als er meinte, dass ich Mel mitbringen sollte, weil sie doch meine Schwester sei, war da dieses verdächtige Brennen in meinen Augen gewesen .
Nacheinander überreichten wir Luca seine Geschenke, und er strahlte über das ganze Gesicht. Als alles ausgepackt war und alle Geschenke sich in einer Ecke des Tisches stapelten, bedeutete Paul uns zusammenzurücken, um ein Foto zu machen. Luca in der Mitte und wir alle Arm in Arm und Gesicht an Gesicht. Danach ein Selfie, weil Luca Paul mit auf dem Foto haben wollte. Es war eine von so vielen, schönen Momentaufnahmen, die seine Kamera während des Terms eingefangen hatte.
Danach setzten wir uns alle wieder auf unsere Plätze, warteten auf die Pizzen, die nur Minuten später kamen. Es wurde laut durcheinander geredet und viel gelacht. Trish löcherte Luca mit Fragen, wollte unbedingt wissen, was seine Pläne waren, jetzt, wo er ein Jahr älter war, und von einem Moment auf den anderen lieferten die beiden sich ein Blickduell über den Tisch hinweg – irgendetwas, das ich offensichtlich verpasst haben musste. Wahrscheinlich hatte sie wieder etwas gesagt, das ihm vor Katie peinlich war, zumindest war da diese leichte Röte auf seinen Wangen. Doch Katie schien gar nichts davon mitzubekommen, weil sie mit Bowie die Köpfe zusammensteckte. Ab September würde sie ebenfalls Theaterwissenschaften am RSC studieren und löcherte Bowie seit mehreren Tagen mit Fragen zu den Kursen und dem Leben auf dem Campus. Aiden und Mel unterhielten sich über irgendetwas, und ich stieß erleichtert Luft aus. Meine Schwester schien sich zusammenzureißen und meinen Mitbewohner und besten Freund nicht mit unangenehmen Kommentaren die Röte ins Gesicht zu treiben.
»Und wie habt ihr zwei Hübschen die letzten Tage so verbracht?«, wollte Trish mit einem Mal von Paul und mir wissen und wackelte dabei mit den Augenbrauen. »Ihr wart plötzlich verschwunden und niemand hat euch mehr zu Gesicht bekommen.«
»Gute Frage«, stimmte Mel zu und biss von dem Pizzastück in ihren Händen ab. Ein abwartendes, neugieriges Funkeln in den blaugrauen Augen .
»Dies und das«, erwiderte Paul mit diesem verdammten Grinsen, bevor ich selbst irgendetwas sagen konnte. Und als Trish und Mel sich einen eindeutigen Blick zuwarfen, stieß ic
h ihm lachend in die Seite. Er sollte den beiden nicht noch mehr Gründe für deren unstillbare und manchmal wirklich nervtötende Neugierde liefern.
»Wir haben einfach Zeit miteinander verbracht«, ergänzte ich, auch wenn sich auf Trishs Gesicht schon längst dieses vermeintlich wissende Grinsen ausgebreitet hatte. Spätestens nach dem Essen würde mein Handy vibrieren, weil sie nicht einmal warten konnte, bis wir allein waren, um mich auszuquetschen.
»Süße, wir wissen ganz genau, was ihr getan habt«, sagte sie. Und Aiden lachte gegenüber von mir laut auf, warf mir dann aber einen mitleidigen Blick zu und begann, Trish in ein Gespräch zu verwickeln, das sie von mir ablenkte.
Ich drehte mich zu Paul, und er lächelte mich an, entschuldigend und gleichzeitig mit einem durchtriebenen Funkeln in seinen dunklen Augen. Und die Erinnerungen an die letzten Tage legten sich warm und leicht um mich, so, wie seine Hand es auf meinem linken Oberschenkel tat.
Ich dachte an das Gefühl von Freiheit, als ich hinter ihm auf seinem Motorrad gesessen hatte, an den an meiner Jacke zerrenden Wind. An seine Frage, bei der mein Herz einen Schlag ausgesetzt hatte. Nächte, die wir zu Tagen, und Tage, die wir zu Nächten machten. Daran, wie ich für Paul ein Mac and Cheese hatte machen wollen, mich aber in Vom Winde verweht und im Leid Scarlett O’Haras verloren und den Ofen ganz vergessen hatte. Und ich dachte daran, wie mein Kopf gestern Abend auf seinen Kissen gelegen hatte und ich ihn nicht hatte sehen können, nur spüren. Ich auf dem Bauch. Und jeder Stoß, jede Berührung, jeder sanfte Kuss auf meiner warmen Haut hatte sich so um vieles intensiver angefühlt. Danach hatte ich in seinen Armen gelegen, meine Beine mit seinen verschlungen. Paul hatte mir seine Lieblingswörter auf den Rücken gemalt, und ich hatte raten müssen. Bei keinem einzigen hatte ich richtig gelegen, doch das war egal gewesen.
Ich dachte an all diese großen und kleinen Momente der letzten Tage. Augenblicke, von denen jeder Einzelne sich nicht nur endlos anfühlte, sondern es auf gewisse Art auch war.
Paul
Nach dem Essen holte Trish den Kuchen und ich kleine Teller aus der Küche. Und während Katie Luca die Augen zuhielt, brachten wir die Kerzen zum Brennen. Insgesamt sechzehn Stück, die er alle auf einmal ausblies. Dunkelblonde Haare, die ihm dabei in die Stirn fielen und er sich anschließend mit einem zufriedenen Lächeln aus dem Gesicht strich. Gott, ich wünschte ihm das Beste, das das Leben ihm geben konnte. Und noch so verdammt viel mehr.
»Was hast du dir gewünscht?«, wollte ich wissen und zuckte zusammen, als Louisa mich empört in die Seite stieß.
»Das darfst du ihn doch nicht fragen, Paul. Wenn er es dir erzählt, dann geht es nicht in Erfüllung.« Sie wandte sich an Luca und sah ihn absolut ernst an. »Erzähl es ihm bloß nicht!«
Luca nickte und begann, den Kuchen zu schneiden, ein Stück für jeden von uns, obwohl wir alle schon mehr als satt waren. Der Duft von geschmolzener Schokolade breitete sich zwischen uns aus.
Aiden griff gerade nach dem Teller, den Luca ihm reichte, als plötzlich ein genervter bis leidender Ausdruck über sein Gesicht huschte. Verwirrt drehte ich mich um und folgte seinem Blick. Die Salat-Frau. Ich seufzte. Mit diesem komischen, kleinen Hund an der Leine stand sie gegen die Theke gelehnt da und sprach mit Mason, der wie Aiden ebenfalls an der Bar arbeitete. Scheiße , formte Aiden mit den Lippen, und auch Mason sah nicht besonders glücklich aus .
»Ähm, ich will mich ja nicht direkt beschweren, aber … was machst du da?«, fragte Mel, als Aiden immer näher an sie heranrückte, um so irgendwie aus der Sichtweite unseres unliebsamen Stammgastes zu kommen. Ich konnte das Lachen nicht länger zurückhalten, als Aiden Mel entschuldigend angrinste.
»Was ist los?«, wollte Louisa wissen und blickte zwischen uns hin und her. Dann Bowie und Trish. Reihum, bis schließlich alle bemerkt zu haben schienen, dass irgendetwas los war. Als Mel eine gute Geschichte witterte, bettelte sie so lange, bis Aiden schließlich mit gesenkter Stimme zu erzählen begann und ich die seltsamen Sprüche der Frau zum Besten gab. Meine letzte Sätze gingen in dem Gelächter der anderen unter, und Aiden stieß erleichtert Luft aus, als sie wenig später mit mehreren Pizzakartons auf dem Arm das Luigi’s verließ.
Apropos Altersunterschiede … grinsend lehnte ich mich zu Luca rüber. »Wie fühlt es sich an, theoretisch nur noch ein Jahr jünger als deine Freundin zu sein?«, wollte ich wissen. Ganz sicher würde ich nicht damit aufhören, Luca aufzuziehen, nur weil er jetzt ein Jahr älter war.
Es dauerte nur Sekunden, dann blitzte es in seinen Augen und plötzlich umspielte ein breites Grinsen seine Lippen. »Wie fühlt es sich denn an, eine Freundin zu haben, die ganze zwei Jahre jünger ist als du, Paul?«, gab er zurück, und alle am Tisch lachten.
»Hätte ich gewusst, was ein jüngerer Kerl alles drauf hat, hätte ich nicht so lange damit gewartet, Luca zu daten«, meinte Katie und spielte zufrieden mit den blauen Spitzen ihrer Haare. Und während ich mich fast an meinem Getränk verschluckte, stieg Luca die Röte ins Gesicht.
»Gott«, murmelte ich. »Wird das jetzt immer so sein, wenn du Katie im nächsten Term auf dem Campus besuchst? Ihr zwei gegen mich?«
Katie grinste. »Kommt drauf an, wie kooperativ du bist, Paul.«
»Bäm!«, sagte Luca belustigt, gab Katie ein High Five und legte anschließend den Arm um sie. Und sie lächelte ihn verträumt an, sah dann wieder zu mir .
»Weißt du, wenn man mit einem Berger zusammen ist, dann muss man früher oder später lernen, schlagfertig zu sein.« Sie zuckte mit den Schultern, während ich eine Augenbraue in die Höhe zog. Als ob dieses Mädchen mit ihrem unerschütterlichen Selbstbewusstsein meinen kleinen Bruder dafür gebraucht hätte!
»Sie hat recht«, stimmte Louisa ihr zu. Die beiden sahen sich an, und ich war mir sicher, da lief so eine komische, wortlose Verschwesterungssache zwischen ihnen. Eine, die für Luca und mich sicher nicht gut enden würde. Ich wandte mich Louisa zu und küsste ihr das freche Grinsen von den Lippen. Ihre Hand, die sich an mein Gesicht hob, über meinen Bart strich.
»Leute, hier sind Minderjährige anwesend!«, drang Mels Stimme zu mir durch.
Sie lachte und der blonde Zwerg mit ihr. »Meine Liebe, viel Spaß in der nächsten Zeit. Das wird jeden einzelnen Tag so gehen, bis die beiden fliegen.«
Louisa
Noch immer kribbelte mein Mund von Pauls Berührung, und ich lehnte mich gegen ihn, seufzte, als er den Arm um mich legte und mich enger an sich zog. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinem ganzen Körper aus, als er mit seinen Lippen sanft über meine Schläfe strich.
Und ich spürte das sich anbahnende Lächeln auf meinen Lippen, spürte, wie mein Mund sich ganz von allein auseinanderzog, während sich in meinem Bauch ein warmes Gefühl ausbreitete. Ich war nach Redstone gekommen mit Mel als meinem, einzigen Halt und der in mir wabernden Angst, dass in ihrem Leben kein Platz mehr für mich wäre, da sie inzwischen ihre eigene Familie hatte. Und jetzt, als ich meinen Blick über die Menschen, mit denen ich hier zusammensaß, gleiten ließ, drang mit aller Klarheit zu mir durch, dass all meine Ängste und Befürchtungen umsonst gewesen waren.
Aiden, der war wie Sonnenlicht. Trish, ein chaotischer Wirbelwind mit einem großen Herzen. Beide meine besten Freunde. Bowie, die für eine bunte, laute Welt kämpfte, wo immer sie es konnte. Mel, die mein Fels in der Brandung war und so viel mehr als nur meine große Schwester. Luca, der sich mit seiner fröhlichen Art und seinen Witzen sofort in mein Herz geschlichen hatte. Katie, die mich manchmal an mich selbst erinnerte, nur dass sie mehr nach außen trug, was ich für mich behielt. Und schließlich war da Paul, der meine ganze Welt verändert hatte. Der Mann, bei dem keine Worte zu reichen schienen, um auszudrücken, was er mir bedeutete.
Das war Serendipität. Glück, auf das man durch Zufall stößt. Ich hatte nichts gesucht und alles gefunden. Denn wenn man glaubte, nichts zu haben, konnte man nur alles gewinnen. Und das hatte ich.
WIE EIN SOMMERMÄRCHEN
DREI MONATE SPÄTER
Louisa
Die letzten Monate waren ein Traum bei vollem Bewusstsein, ein Strudel aus wahrhaftigen und schönen Momenten, die jetzt meine Re
alität waren. Natürlich war mir bewusst, dass alles zwei Seiten hatte, dass das Leben aus guten und schlechten Erfahrungen bestand, aus Höhen und Tiefen. Doch nach all den Ereignissen der letzten Jahre wusste ich, dass ich alles schaffen konnte, wenn ich nur wollte.
Mel und Robbies Hochzeit war bunt und laut und genauso wie die beiden. Meine Mutter war nicht gekommen, obwohl Mel sie eingeladen hatte. Ich wusste nicht wieso, doch an diesem Tag war es wichtiger, meine Schwester glücklich zu sehen als genauer nachzufragen. Robbie, diesem Riesen von einem Kerl, standen Tränen in den Augen, als Mel auf ihn zuging. Mir ging es genauso, und ich drückte Mary, die ich auf dem Arm hatte, enger an mich, quetschte Paul fast die Hand ab.
In der Woche darauf fuhren wir in die Berge, verbrachten ausgelassene Tage in der Hütte, in der wir auch Thanksgiving gefeiert hatten. Bowie und Trish, Aiden und Paul, Isaac und Luke. Nachts saßen wir um das Feuer, tagsüber gingen wir wandern, schwammen nackt in einem kleinen See, den wir entdeckt hatten, auch wenn es eigentlich noch zu kalt dafür war. Ich half Aiden bei den Texten für seine neuen Songs, saß mit Paul unter dem Sternenhimmel, lag mit Bowie und Trish auf der Veranda und ließ mir die Sonne ins Gesicht scheinen. Und als Luke uns am letzten Tag zähneknirschend erzählte, dass er sich in seine Mitbewohnerin verliebt hatte, tat ich genauso überrascht wie die anderen.
Danach flog ich mit Paul nach Kalifornien. Er war dabei, als ich mich mit meiner Mom traf. Ich war mir zwar sicher gewesen, dass ich es auch allein schaffen würde – inzwischen war ich stark genug dafür, war über so viele meiner Schatten gesprungen –, doch Paul und ich hatten uns füreinander entschieden und deshalb wollte ich ihn bei mir haben.
Mom sah anders aus als früher, eingefallen und grau. Ich glaubte ihr, dass sie sich Mühe geben wollte, ich glaubte es ihr wirklich. Aber dieses Licht, das vor Dads Tod immer in ihr gewesen war, würde nicht mehr zurückkehren. Sie sah mich und sah doch durch mich hindurch. Und als wir uns voneinander verabschiedeten und sie mich umarmte, spannte sich mein ganzer Körper an. Ihr Atem streifte mich. Der feine Geruch nach Alkohol irgendwo unter Kaffee und Kaugummi.
Wir sind der Sturm Page 36