„So so. Alle Arbeit?“ Unter stöhnen erhob er sich. „Du willst in meine Dienste treten? Ich bin aber nur ein niederer Priester, dem keine Diener zustehen. Ich habe auch kein eigenes Geld, mit dem ich dich bezahlen könnte.“
„Nehmt mich bitte mit.“ Auch sie stand jetzt auf. „Ich werde euch treu sein, und gut, und fleißig. Bitte.“
„Was ist mit ‚ehrlich‘?“
Sie wurde rot, weil sie erst jetzt bemerkte, dass er sie ertappt hatte.
„Deine Eltern werden sich sorgen machen. Vermutlich suchen sie dich bereits.“
„Wir sind arm, Herr. Wir haben ständig Hunger. Bei euch kriege ich etwas zu essen und kann was lernen.“
„Was willst du denn lernen?“
Sie musste überlegen. „Wie es anderswo ist, Herr.“
„Das ist nicht viel und das lernst du von ganz alleine. Aber ich kann dir auch auf der Fahrt nichts anderes beibringen. Ich bin für gewöhnlich zu erschöpft. Ich hätte meinen Schlaf heute Nacht dringend gebraucht. Stattdessen habe ich dich gesucht.“ Sie sahen sich in die Augen, er kritisch musternd, sie flehend.
„Wenn ich dich einmal beim Stehlen, Lügen oder einem anderen Vergehen erwische, läufst du besser nach Hause, weil ich dir sonst den Hintern versohle und dich anschließend an einen Baum kette. Hältst du uns auf, wirst du zurückgelassen, wir können auf dich keine Rücksicht nehmen. Und wenn ich dir etwas befehle, führst du es besser sofort aus, sonst musst du laufen. Hast du verstanden.“ Sie lächelte nicht, trotzdem strahlte ihr Gesicht und ihre braunen Augen blinkten in dem ersten Licht des Morgens.
„Und hör mit dem ‚Herr‘ auf. Die richtige Anrede ist ‚Wohlehrwürden‘.“
Owithir konnte nicht in die Zukunft sehen, dennoch spürte er, dass sich seine Entscheidung, sie mitzunehmen, als richtig herausstellen würde. Er wusste nicht, was er mit ihr tun, wie er sie vor den Hexern schützen oder wie er die Wächter überzeugen sollte. Es gefiel ihm auch nicht, dass ihre Eltern im Ungewissen über ihr Schicksal bleiben würden und dass sie einen Esser mehr dabei hatten, der sie zudem auch noch aufhalten konnte. Dies waren jedoch alles Dinge, die er jetzt nicht mehr lösen konnte und die er auf sich zukommen lassen musste. Aus irgendeinem Grund mochte er Reigerin und er war froh, dass sie ihretwegen nicht mehr über ihre Schultern blicken mussten.
*
Mit der Theorie war Pethen zur Genüge vertraut, wie Hylei immer wieder feststellen konnte. Wenigstens was die kleineren Zauber anging. Sie hatte keinen Gedanken an ihn verschwendet, während sie noch in der Schule bei Meister Zelon gesessen hatte. Er war immer unbedeutend gewesen, ein niemand, der eben nicht mehr konnte, als die Theorie – selbst wenn man auf die Gerüchte hörte. Auf ihrer Flucht war er ihr lange schlicht eine Last gewesen, auch wenn sie immer auf sein Wissen gehofft hatte. Nun war es jedoch nicht sein Wissen, das ihr am meisten geholfen hatte, sondern die Magie, die er angeblich nicht besaß. Und er hatte sich als guter Gefährte erwiesen. Er konnte inzwischen mithalten, er dachte mit und er forderte nichts von ihr. Er konnte nicht ersetzen, was sie verloren hatte, er würde niemals ihr Freund sein, aber sie würde alles in ihren Kräften tun, damit nicht auch er starb, das war sie ihm inzwischen schuldig.
In den letzten Tagen hatte er ihr die Welt des Feuers und der Erde eröffnet. Die Zauber, die er auswendig gelernt hatte, hätten in anderen Händen wohl nur einen Haufen aufgeschüttet oder eine Ölpfütze entzündet. Aber mit ihrem natürlichen Talent, dass ihr die Magie in Strömen zufließen ließ, hatte er mehrmals seine eigene Kraft aufwenden müssen, um sie beide vor ihrer fehlenden Kontrolle über die Elemente schützen zu können. Er war schnell mit dieser Fähigkeit geworden. Er hob nicht einmal mehr die Hand, um die Energie vor sich zu schieben und, was auch immer ihnen um die Ohren zu fliegen drohte, abzuwehren. Auch seine Kontrolle schien immer besser zu werden, wie er zuerst bei dem Einbruch gezeigt hatte, als er mühelos die Tür ent- und später wieder verriegelt hatte. Und wenn er ihr bei ihren Übungen geholfen hatte, setzte er sich selbst noch hin, und probierte für ein paar Herzschläge noch eigene neue Zauber aus. Und das alles, obwohl er den ganzen Tag bereits seine Magie verwendet hatte, um im Wald genauso gut sehen zu können, wie sie. Es war noch nicht allzu lange her, dass es ihr überhaupt aufgefallen war, wie er mit geschlossenen Augen hinter ihr herlief. Sie schalt sich unaufmerksam, dass sie es nicht früher bemerkt hatte. Es zeigte jedoch, wie wenig sie in der ersten Zeit auf ihn geachtet hatte.
Den vorherigen Abend hatten sie zusammengesessen und beratschlagt, wie sie am geschicktesten ihren Weg fortsetzen konnten. Beide spürten, dass sie noch nicht in Sicherheit waren, Hylei, weil die Jahre bei den Feenlingen sie sehr vorsichtig hatten werden lassen, Pethen, weil er meinte, die Verfolger an ihrer Spur ziehen zu spüren. Er hatte es nicht besser erklären können, als dass er meinte, dass die Spur, die sie hinterließen, sie auf irgendeine Weise mit ihren Verfolgern verband, als hätte man eine Leine zwischen sie gespannt. Hylei hatte sich daran gewöhnt, dass er die Welt anders sah als sie. Und wer war sie, dass sie seine Fähigkeiten beurteilen sollte? Es änderte sowieso nichts: sie würden ihre Flucht frühestens beenden, wenn sie das Gefühl hatte, nicht mehr verfolgt zu werden. Sie war sich jedoch nicht sicher, ob dies jemals eintreten würde.
Ihre Beratung war darüber hinaus nötig geworden, weil sie nun in dichter besiedeltes Gebiet gerieten. Sie mussten immer häufiger Umwege um Gehöfte und Dörfer machen, was sie Zeit kostete und die Gefahr barg, dass ihre Verfolger, wenn es sie wirklich gab, dichter an sie heran kamen. Die Frage war, wie lange sie sich noch verbergen können würden und ob es überhaupt sinnvoll war, so viel Wert auf ihre Heimlichkeit zu legen. Sie würden irgendwann auf Menschen oder andere Wesen stoßen, spätestens wenn sie an einen Fluss kamen, den sie nicht ohne weiteres überqueren konnten.
„Vielleicht kann ich uns bald über Flüsse bringen, ohne dass wir ein Boot brauchen.“
Hylei blickte ihn nur abwartend an. Es hatte keinen Sinn, Vermutungen anzustellen, wenn sie genauso gut still beobachten konnte. Pethen verzichtete ebenfalls auf weitere Worte und ließ einen Stein neben ihrem Platz langsam in die Luft aufsteigen. Hyleis Gesichtsausdruck änderte sich nicht, während sie von dem schwebenden Stein wieder in Pethens Gesicht aufsah.
„Es ist noch nicht viel, aber ich werde besser.“ Als er keine Reaktion bei ihr erkennen konnte, fügte er hinzu: „In ein paar Tagen will ich mich selbst schweben lassen, wenn ich das hier besser unter Kontrolle habe.“ Der Stein plumpste herunter. Hylei nickte, fühlte sich jedoch nicht bereit dazu, sich Pethens Magie ein paar Schritte über der Erde anzuvertrauen.
„Trotzdem glaube ich, dass wir uns bald nicht mehr verstecken können. Es werden mehr Felder.“
„Wenn wir gesehen werden, sind wir leichter zu verfolgen.“
„Ich bin mir sicher, dass es nicht darauf ankommt. Dieser Priester-Magier … ich spüre ihn auf irgendeine Weise. Und er folgt uns, ohne uns zu sehen. Er ist besessen und ich fürchte, er wird nicht aufgeben, bevor wir nicht tot oder vollkommen verschwunden sind.“ Hylei nickte. Sie glaubte zwar immer noch an die Möglichkeit, dass sie nicht mehr verfolgt wurden, aber tief in ihrem Herzen wusste sie, dass Pethen Recht hatte.
„Wir hätten ihn töten sollen.“
„Das ist vermutlich wahr. Wir hätten nur mehr Zeit benötigt. Vergiss nicht, … ach, ist auch gleichgültig, wir haben ihn nicht getötet. Und bis uns nicht etwas einfällt, wie wir ihn abschütteln können, müssen wir weiter.“
„Ich weiß.“
„Lass uns die Straßen suchen und schneller auf ihnen vorankommen. Sobald wir am Meer sind, können wir ihn vielleicht abschütteln. Vielleicht verliert er unsere Spur auf dem Wasser.“
Hylei schien zu überlegen und blickte dabei überall hin, außer auf Pethen. Jener wurde immer unruhiger, bis sie schließlich nickte, ohne ihn dabei anzusehen.
„Wir müssen uns verkleiden.“
Beim nächsten Gehöft, welches sie „besuchten“, hatten sie ein wenig Fett und Asche mitgenommen. Mit einigen Erden, die sie auf ihrem Weg ausgruben, mischten sie eine Paste an, mit der sie Hyleis helle Haut dunkler färbten. Es dauert
e einige Abende, bis sie eine halbwegs überzeugende Hautfarbe erreicht hatten, die Hyleis viel zu helle und glatte Feenlingshaut verbarg. Gegen ihre schlanke Gestalt konnten sie kaum etwas tun, aber die Jahreszeit begünstigte sie in diesem Fall, da sie schlicht mehrere Lagen übereinander tragen mussten. Es machte das laufen nicht leichter, aber für Pethen war es eine Erleichterung, zu wissen, dass sie nicht so leicht als Feenling erkannt werden würde. Manche Menschen sahen den Unterschied nicht, schließlich waren Feenlinge nur schlanker, schöner und athletischer. Meist war es die perfekte Haut, die sie zuerst verriet. Kein Mensch blieb so faltenlos. Sie schienen keine Pickel zu kriegen. Pethen glaubte, dass selbst Schmutz nicht an ihnen haftete wie an anderen. Auf lange Sicht konnten Feenlinge sich kaum verstecken. Vielleicht hätte Meister Zelon einen Zauber gekannt, der ihnen geholfen hätte, aber aus Richtung der Magie war auf lange Sicht keine Hilfe zu erwarten.
Am Ende schmierte Hylei auch Pethen ein, damit sie sich ähnlicher sahen. Sie hatten sich entschieden, sich als Geschwister auszugeben, deren Eltern vor längerer Zeit gestorben waren. Alleine im Wald hatten sie sich die letzten Jahre selbst versorgt. Das gab ihnen einen Grund, nicht so viel Geschichten übereinander erzählen zu können. Pethen bestand trotzdem darauf, dass sie sich ein paar Sachen überlegten, die sie während ihrer Flucht auswendig lernen konnten. Die Namen ihrer Eltern – Markis und Beld – ihr Alter, ein paar Jagderfahrungen, sogar Kindheitserinnerungen. Hylei war nicht begeistert davon, sich mit Pethen zusammen ein neues Leben auszudenken und es auswendig zu lernen, korrigierte aber bald schon Pethens Fehler.
Vielleicht lag es an diesen Übungen, dass sie etwas unaufmerksamer waren als gewöhnlich. Trotzdem reagierte Hylei schnell genug, um ihren Speer vor sich zu halten und die beiden Gestalten zu bedrohen, die vor ihnen an einer Hecke standen und ihre Schleudern über den Köpfen drehten. Der eine ließ noch seinen Stein fliegen, bevor er sich umdrehte, der andere hatte noch nicht geschossen und so verfing sich seine Waffe in einem Ast.
Pethen hatte noch nie zuvor welche gesehen, erkannte die Jaltus jedoch sofort. Die Beschreibungen hätten nicht zutreffender sein können: aufrecht gehende Ratten. Sie gingen ihm nur bis zum Bauchnabel, aber ihre Krallen und scharfen Zähne in dem riesigen Rattenkopf waren für sich gefährlich genug. Es war jedoch bekannt, dass man niemals nur ein oder zwei Jaltus antraf. Es mussten mehr in der Nähe sein. Was sie mit ihren Schleudern beschossen hatten, konnten die beiden Magier nicht sehen, es stand jedoch zu befürchten, dass sie gerade jemanden jagten oder überfielen.
„Wir tun euch nichts“, rief er, wobei er sich anschließend sofort lächerlich vorkam. Vermutlich hatte es etwas mit ihrer Größe zu tun, das er sie wie kleine Kinder zu beschwichtigen versuchte. Hylei hingegen wurde weniger eingelullt von solchen Äußerlichkeiten und stieß ruckartig mit dem Speer zu, als der Jaltu ohne Schleuder einen Schrei ausstieß und seine Axt ziehen wollte. Sie ließ ihre Waffe fallen, als der andere sich mit einem quiekenden Gebrüll auf sie stürzte, da der getroffene Jaltu den Schafft festhielt. Noch bevor sie ihre Waffe ziehen konnte, war der kleine Rattenmensch schon wenige Schritte von ihr entfernt. Er sprang und hätte sie wohl erreicht, traf jedoch auf eine Wand, die Pethen vor ihr errichtet hatte und sofort wieder fallen ließ. Die kleine Gestalt fiel auf den Boden und nun war es an Hylei sich auf ihn zu stürzen. Mit ihrem alten Messer stach sie ihm in die Brust, bevor er seine Betäubung abschütteln konnte.
Der Feenling richtete sich auf und lauschte. Auch Pethen konnte jetzt die Schritte hören, die sich ihnen näherten, aber auch Kampflärm und Geschrei hinter der Hecke. Anscheinend hatte der Angriff gerade erst begonnen, weswegen sie die Jaltus auch nicht eher bemerkt hatten, mussten sie sich doch versteckt gehalten haben. Hylei stand auf und reichte ihm den Dolch, mit dem er geübt hatte, bevor sie einen Fuß gegen den zweiten Jaltu setzte und den Speer herauszog.
„Keine Magie.“
Pethen nickte, fügte aber hinzu: „Nur unsichtbar.“
Hylei blickte sich um und deutete auf einen Baum, der ihnen den Rücken decken sollte. Gerade, als sie sich wieder umdrehten, kamen vier Jaltus herangestürmt. Die Rattenmenschen waren nicht dumm. Sie wurden leicht unterschätzt, weil sie so klein und tiergleich aussahen. Wie so viele andere Halbmenschen, schienen sie zwar tierische Eigenschaften zu besitzen, ansonsten aber mindestens so intelligent und zivilisiert zu sein, wie der nächste Bauer, dem man begegnen würde. Sie waren meist aus reiner Not heraus besser organisiert, vorsichtiger und hielten sich in ihren Gemeinschaften fern von den Menschen. Manche deuteten dies als Verschlagenheit und Verschwörung. Hylei und Pethen, die in den Augen derjenigen, die nicht zu ihrer Zuflucht gehört hatten, ebenfalls Verschwörer und Ausgestoßene waren, hatten etwas anderes gelernt, denn einige ihrer Meister hatten Wert darauf gelegt, ihren Schülern auch etwas von den Völkern der Welt beizubringen. Gleichgültig, wie wohlwollend und verständnisvoll sie jedoch von den verschiedenen Tiermenschenrassen gesprochen hatten, es war immer eine Warnung ausgesprochen worden, die da lautete, dass man sich nicht genug vor ihnen in Acht nehmen konnte, wenn man nicht gerade als Gast bei ihnen geladen war. Und vielleicht lag es an der Abneigung gegen Ratten im Allgemeinen, aber die Jaltus waren immer am schlechtesten in den Erzählungen weggekommen.
Die vier kleinen Gestalten verteilten sich für ihren Angriff im Halbkreis. Sie würden den Nachteil, der ihre geringere Größe nun einmal darstellte, leicht durch ihre Überzahl und ihre bessere Bewaffnung wettmachen können. Sie trugen einfache aber gutgearbeitete Speere mit Metallspitzen, und damit bessere als Hyleis. An ihren Gürteln hingen zusätzlich jeweils eine Schleuder und ein langes Messer, das für sie einem Schwert gleich kommen mochte. Sie verloren keine Zeit mit ihrem Angriff. Pethen wischte den Speer, der auf ihn zuflog, mit dem Arm und einem kleinen Wand, die er reflexartig formte, aus seiner Flugbahn, so dass er am Baum vorbeiflog. Hylei duckte sich, der Speer verfing sich jedoch in ihrer äußeren Jacke, so dass er ein Loch riss und sie leicht aus dem Gleichgewicht brachte. Als hätten sie lange für diese Art von Kampf trainiert, stürmten die beiden verbliebenen Speerträger gleichzeitig auf Hylei und Pethen zu, während die beiden anderen ihre Messer zogen, um gleich darauf zu folgen. Pethen, der zwar fleißig, wann immer es die Magieübungen an den kurzen Abenden zuließen, mit dem Messer trainiert hatte, war sich seiner Fähigkeiten mit der Klinge jedoch nicht sicher. Die Speerspitze, die er auf sich zukommen sah, hätte er vermutlich ebenso abwehren können, wie den geworfenen Speer, doch löste sie ein wildes entsetzen in ihm aus, Todesangst, wie er sie seit dem Kampf gegen den Priestermagier nicht mehr gespürt hatte. Gleichzeitig sah er mit dieser besonderen Sicht, die ihn plötzlich seine ganze Umgebung wahrnehmen ließ, dass seine Gefährtin ungünstig stand, wohl dem einen Angreifer ausweichen können würde, für den zweiten jedoch zu sehr aus dem Gleichgewicht geraten würde, um dem Messer zu entgehen. Ohne Nachzudenken tat er das, was er bereits einmal am Ausgang der Zuflucht getan hatte, er schob seine Angst aus sich heraus. Diesmal jedoch nicht einfach in das Herz eines einzelnen, sondern er ließ sie aus sich herausexplodieren. Mit einem Schlag war es still um ihn herum. Nicht nur die Jaltus hielten in ihren Angriffen inne, auch Hylei wich zum Baum zurück und lehnte sich mit grimmigem Gesicht gegen den Stamm. Um sie herum hatten die wenigen Tiere des Herbstwaldes ihr schreien, ihr Krabbeln und flattern eingestellt, und selbst die Bäume schienen ihre Äste still zu halten. Pethen, dessen Angst fast vollständig aus ihm heraus geflossen war, wischte mit einer Handbewegung den Speerträger vor sich von seinen Füßen und rannte mit erhobenen Messer auf seinen zweiten Gegner zu, dem er die Klinge in dessen Waffenarm stach. Der Schmerzensschrei des Jaltus löste die Starre der übrigen Kämpfer. Während die Rattenmenschen jedoch nun in einer gefühlten Unterzahl waren, fasste Hylei neue Kraft und durchbohrte zum zweiten Mal an diesem Vormittag einen Gegner mit ihrem Speer. Der letzte versuchte zu fliehen, kam jedoch nicht weit, bevor ihn eines von Hyleis Wurfhölzern im Rücken traf.
Während sich die Feenling ihr Holz zurückholte, warf Pethen einen Blick über die Hecke, wo er zehn schritte eine Böschung hinunter einen Weg sehen konnte, auf dem meh
r als zwanzig Jaltus mit vielleicht sechs Menschen kämpften. Einige Tote und Verletzte beider Rassen lagen auf dem Boden um den Kreis der Verteidiger herum. Wenn sie nicht eingriffen, würden die Jaltus ihre Gegner bald Töten und, wenn man den Schauergeschichten glauben wollte, in ihre Speisekammer bringen. Pethen überlegte nicht. Ihm kam nicht in den Sinn, dass die Menschen dort unten ihn vermutlich mit Freude auf einem Scheiterhaufen sehen würden, wenn sie erführen, was er war. Er ergriff einen der Jaltuspeere. Hylei hatte ihn zwar nie mit ihrem üben lassen, er musste jedoch nicht gut werfen können, um ihn mit seinen Gedanken in ein Ziel zu lenken. Er hielt den Speer neben sich in die Luft und legte ihn auf ein wenig Magie, die er neben sich formte. Hylei erschien neben ihm und schüttelte noch den Kopf, als der Speer davonflog. Als Pethen in seiner Rundumsicht gleichzeitig beobachte, wie der Speer einen der Jaltus in den Arm traf und sich Hyleis Hände verkrampften, öffnete er die Augen, die ihm immer zu fielen, wenn er mit Hilfe der Magie sah. Er drehte seinen Kopf zu seiner Gefährtin und sah, wie sie in anfunkelte, bevor sie ebenfalls einen der Speere nahm, um damit in das Kampfgeschehen hineinzuwerfen. Auch sie traf. Der Jaltu quiekte auf und sank sterbend zu Boden. Hatten sich einige der Angreifer nach dem ersten Speer zögerlich umgesehen, erlahmten nun die Kampfhandlungen, während beide Seiten abzuwarten schienen, wer sich einzumischen wagte. Gerade, als einer der Rattenmenschen einen Befehl zu brüllen begann, flog ihm eines von Hyleis Wurfhölzern an die Schultern und er brach schmerztaumelnd zusammen.
„Brüll“, fauchte die Feenling Pethen an und stürmte mit vorgehaltenem Speer die Böschung hinunter, mit einem Schrei, der Pethens Blut in den Adern gefrieren ließ. Ihr Speer hatte sich bereits durch den nächsten Jaltu gebohrt, als ihm aufging, was sie gemeint hatte und auch er aus Leibeskräften brüllend zur Straße hinunter stürmte. Seine Verzögerung stellte sich im Nachhinein als vorteilhaft heraus, denn ihre Gegner hatten sich gerade Hylei zugewandt, so dass er zwei von ihnen umrennen konnte, ohne auf große Gegenwehr zu stoßen. In die Verwirrung stießen jetzt auch die verbliebenen Menschen vor. Zwei von ihnen schienen ihr Handwerk zu verstehen und waren mit Rüstungen, Schwertern und Schilden ausgestattet. Vermutlich die Wächter dieser Gruppe. Sie töteten kurz hintereinander drei der in Unordnung geratenen Rattenmenschen und stürzten sich auf die anderen.
Feen Buch 1: Der Weg nach Imanahm Page 36