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Was auch immer geschieht 02 - Feeling close to you

Page 4

by Iosivoni, Bianca


  Wahrscheinlich lachten sich die Zuschauer gerade kaputt. Vielleicht fieberten sie auch mit und feuerten mich an – oder Parker. Was wusste ich schon. Das Einzige, worauf ich mich gerade konzentrieren konnte, war, nicht draufzugehen. Nicht, solange die Chance bestand, dass mich doch noch einer der anderen beiden Mitspieler rettete. Das hier war schließlich eine Community-Runde. Irgendwer musste auf meiner Seite sein, verdammt noch mal!

  Der Balken mit meiner Lebensenergie wurde von Sekunde zu Sekunde kleiner. Shit. Ich hämmerte wie wild auf die Tastatur ein. Ich wollte nicht sterben! Und ganz sicher nicht als Allererste in dieser Runde.

  Als der Balken nur noch ein dünner Strich war, tauchte plötzlich Parker vor mir auf und hob mich vom Haken.

  »Oh, Gott sei Dank!«, rief ich und rannte los. Irgendwohin, Hauptsache weg von hier.

  Dummerweise war ich noch immer verletzt und hinterließ eine Blutspur. Außerdem war das Jammern meiner Figur meilenweit zu hören. Ich musste eine Kiste mit einem Verbandskasten oder einen anderen Überlebenden finden, der mich heilen konnte. Andererseits fehlten nur noch zwei Generatoren, dann konnten wir den Ausgang öffnen und fliehen. Vielleicht schaffte ich es auch so, wenn der Killer nicht …

  Herzschlag. Leise zunächst, dann wurde er immer lauter, und die dramatische Musik setzte ein.

  »Heute ist echt nicht mein Tag«, murmelte ich.

  Mein Charakter duckte sich, und ich betete innerlich, dass der Killer ihr Gewimmer nicht hörte und mich fand. Wenn ich noch mal am Haken landete, wäre ich ziemlich schnell ziemlich tot, da war ich mir absolut sicher. Am liebsten hätte ich die Augen zusammengekniffen und weggesehen, aber das konnte ich mir nicht leisten. Ich musste schnell genug flüchten, wenn der Killer auftauchte.

  Aber es war nicht der Killer, der auf einmal um den Baumstamm herum zu mir kam. Es war derselbe Spieler, der mich gerade im letzten Moment vom Haken gerettet hatte. Der­selbe Spieler, der jetzt trotz der nahenden Gefahr meine Verletzungen heilte.

  Parker.

  Ich biss die Zähne zusammen. Auf keinen Fall würde ich mich bedanken, weder im Livestream und erst recht nicht persönlich. Wobei es ja nicht so war, dass er und ich irgendeine Art von persönlichem Kontakt hatten. Das vorhin war eine Arschlochaktion gewesen, da konnte er mich jetzt noch so hingebungsvoll heilen.

  »Schneller …!«, drängte ich leise, da der Herzschlag des Killers noch immer deutlich zu hören war, er also in der Nähe sein musste.

  Fast im selben Moment verpasste Parker ein Quick-Time-Event, und mein Charakter schrie vor Schmerz auf.

  »Echt jetzt?« Ich gab ein Geräusch von mir, das wie eine Mischung aus frustriertem Schnauben und Knurren klang. Noch deutlicher hätte man unsere Position nicht verraten können.

  Parker heilte weiter. Hinten auf der Karte leuchtete ein fertiger Generator auf. Dann noch einer rechts von uns. Gott sei Dank! Die anderen Mitspieler waren fleißig gewesen. Jetzt mussten wir nur noch den Ausgang erreichen.

  Sobald ich geheilt war, rannte ich los, schlug jedoch einen großen Bogen, um dem Killer auszuweichen. Mein Herz raste, und meine Hände waren so verkrampft, dass es wehtat. Gleich. Gleich hatten wir es geschafft. Nur noch ein kleines bisschen und … da! Der Ausgang war offen.

  »Yes!«, rief ich, als ich hindurchlief.

  Geschafft. Himmel!

  Ich warf mich in meinen Stuhl zurück und atmete tief durch. »Was für eine Runde …«

  Der Chat auf dem anderen Monitor lief so schnell durch, dass ich kaum eine Nachricht richtig lesen konnte. Egal. Allem Anschein nach waren sie mehr als zufrieden. Genau wie ich – trotz der Arschlochaktion von Parker4G. Ich hatte nur mal ein Video von ihm auf YouTube gesehen, und wusste im Grunde nichts über ihn, aber wenn man so eine große Nummer in der Gamingszene war, musste man wohl ein Mistkerl sein.

  Ich spielte noch ein paar weitere Runden mit der Community – diesmal ohne Parker –, dann wechselte ich zum zweiten Teil von Tomb Raider.

  Erst weit nach Mitternacht verabschiedete ich mich von den Zuschauern, beendete den Livestream und loggte mich überall aus. Eigentlich hatte ich gar nicht vorgehabt, so lange zu spielen, aber ich hatte völlig die Zeit vergessen. Ugh. Morgen würde die Hölle werden.

  Ich streckte mich gähnend und lauschte auf die Stille im Haus. Allem Anschein nach war Dad noch im Büro. Wahrscheinlich schlief er sogar dort – falls er überhaupt schlief und nicht die ganze Nacht durcharbeitete und vergaß zu essen, zu duschen oder dass er eine Tochter hatte. Ich schob das bittere Gefühl beiseite und wollte gerade alle Programme und anschließend den PC ausschalten, um ins Bett zu gehen, als in der Discord-App eine neue Nachricht im Chat aufleuchtete.

  Sie war von Parker4G.

  Parker4G

  Sorry für das eben in DbD …

  TRGame

  Irgendwie fällt es mir schwer, das zu glauben

  Parker4G

  Hey, das war mein Ernst! Außerdem hab ich dich vom Haken gerettet

  TRGame

  In letzter Sekunde! Und wahrscheinlich nur, weil dich deine Fans sonst hassen würden

  Parker4G

  Stimmt

  Parker4G

  Aber auch, weil ich ein Gentleman bin!

  TRGame

  Sorry, ich bin grad vor Lachen vom Stuhl gefallen

  Parker4G : …

  Parker4G

  Hey, bist du noch da?

  Parker4G

  Hallo??

  Level 3

  Parker

  Ich hasste es, nach Hause zu fahren. Was mich wahrscheinlich zum schlechtesten Sohn der Welt machte – aber es war die Wahrheit. Zuerst war ich so weit weg wie möglich gezogen und hatte tatsächlich einen Platz als Medizinstudent in Woodshill, Oregon, bekommen, wo ich auch meine beste Freundin Callie Robertson kennengelernt hatte. Da wir beide aus Alabama stammten und das Gleiche studierten, hatten wir uns natürlich sofort angefreundet. Na ja, um genau zu sein, nach einem katastrophalen ersten Date, das uns beiden gezeigt hatte, dass wir niemals etwas miteinander anfangen könnten. Stattdessen waren wir Freunde geworden. Doch dann hatte erst Callie das Studium abgebrochen und ich kurz darauf ebenfalls, weil mir klar geworden war, dass es nur der verzweifelte Wunsch eines kleinen Jungen gewesen war, einer ganz bestimmten Person zu helfen: seiner Mom.

  Also hatte ich es aufgegeben und versucht, herauszufinden, was ich mit meinem Leben anstellen wollte. Und das hatte mich nach Pensacola geführt. Vom Nordwesten Floridas waren es je nach Verkehrslage drei bis vier Stunden nach Hause – statt der bisherigen vierunddreißig. Weder Mom noch Dad hatten das von mir verlangt, trotzdem hatte ich es durchgezogen und fuhr mittlerweile fast jedes Wochenende nach Hause. Manchmal auch unter der Woche, wenn es nötig war.

  Und ich hasste es. Ich hasste es, dass mein Zuhause nicht mehr voller schöner Erinnerungen steckte und ich bei jedem Besuch damit rechnen musste, dass etwas Schreckliches passiert war – oder mich damit auseinandersetzen musste, was noch passieren würde. Ich hasste meine eigene Hilflosigkeit ebenso sehr wie die völlige Resignation in Dads Gesicht und den abwesenden Ausdruck bei Mom. Aber vor allem hasste ich es, dass ich, obwohl ich jetzt öfter daheim war, nichts tun konnte. Nicht wirklich. Ganz egal, wie sehr ich es mir wünschte.

  »Hi Dad.« Ich ließ den Rucksack neben der Küchentür stehen und ging zur Kochinsel hinüber.

  Dort stapelten sich die benutzten Teller und Töpfe, die nicht mehr in die Spüle passten, weil die ebenfalls voll war. Kaffee- und Soßenflecken prangten auf den Arbeitsflächen. Dazwischen verschüttete Gewürze und die traurigen Überreste der Kräuter, die ich letztes Mal gekauft hatte, weil Dad so gerne frisch kochte.

  »Donovan.«

  Mein Vater war so ziemlich der einzige Mensch der Welt, der mich tatsächlich mit dem Vornamen ansprach. Und Mom. Früher zumindest. Ich hatte diesen Namen schon als Kind gehasst und alle dazu gezwungen, mich Parker zu nennen, aber bei Mom und Dad hatte ich es nicht übers Herz gebracht.

  Jetzt betrachtete mich mein Vater aus müden Augen. Die Ringe darunter waren dunkler als bei meinem letzten Besuch, und es waren ein paar Falten dazugekommen. Obwohl Jim Parker
gerade mal achtundvierzig Jahre alt war, wirkte er Jahrzehnte älter. Daran änderte auch das leichte Lächeln nichts, mit dem er mich bedachte und von dem ich wusste, dass er es sich gerade nur mir zuliebe abrang. »Du musst das nicht tun. Ich kümmere mich nachher darum.«

  »Kein Problem. Ich hab schon angefangen«, behauptete ich und nahm die sauberen Teller, Tassen und Gläser aus der Spülmaschine, um sie in die Schränke zu räumen. Wenn ich das jetzt erledigte, musste Dad es später nicht tun. Außerdem konnte ich es auf diese Weise noch etwas hinauszögern, zu Mom zu gehen.

  Ich schnaubte innerlich. Darf ich vorstellen? Donovan Parker, Mustersohn.

  Jim widersprach nicht, was nur zu deutlich machte, wie dringend er die Unterstützung tatsächlich brauchte. Shit. Wie lange war mein letzter Besuch her? War ich diesmal zu lange fort gewesen? Die letzten Wochen verschwammen miteinander, weil ich fast rund um die Uhr für die Prüfungen hatte lernen müssen, ein paar Exklusivdeals für neue Games eingegangen war und mit den Streams und Aufnahmen kaum hinterherkam. Aber nichts davon spielte noch eine Rolle, als ich das Chaos in der Küche sah und sich mein schlechtes Gewissen meldete. So viel zu meinen regelmäßigen Besuchen …

  »Wie geht’s dir?«, fragte Dad und setzte sich auf einen der wackeligen Hocker an der Kücheninsel. In Gedanken machte ich mir eine Notiz, gleich anschließend in der Garage nach dem Werkzeugkasten zu suchen, um die Schrauben festzuziehen. »Was macht die Uni? Jetzt sind Semesterferien, oder?«

  »Stimmt. Und in der Uni ist alles gut.« Das war meine Standardantwort. Dad hatte schon genug Sorgen, da wollte ich ihn nicht damit belasten, dass ich damit rechnete, durch mindestens eine, wenn nicht sogar durch zwei Klausuren gefallen zu sein, weil ich keine Zeit gehabt hatte, mich richtig darauf vorzubereiten. Oder dass ich vergangene Woche mehrere Tage vor dem Büro eines Professors hatte campen müssen, um ihn endlich zu erwischen und dazu zu bringen, meine Hausarbeit zu bewerten. Oder dass ich dieses Semester viel zu wenig für mein Studium getan hatte, da ich mich hauptsächlich auf Livestreams und YouTube-Videos konzentriert hatte. Auf diverse Kooperationen und einen bald anstehenden Werbedeal, der mir nicht nur die Miete für das nächste halbe Jahr sichern, sondern auch einen Großteil von Moms Medikamenten bezahlen würde. Dazu kamen die nie endende Flut an E-Mails und Nachrichten, die verhasste Buchhaltung, und der Druck, immer auf dem neuesten Stand zu sein, was Games und Entwicklungen in der Szene betraf. Zwischen all dem war für mein Studium auf einmal nur noch sehr wenig Platz gewesen.

  »Und die Spiele?«, hakte Dad ein paar Sekunden später nach.

  Ich warf ihm einen überraschten Blick zu, während ich das dreckige Geschirr in die inzwischen leere Spülmaschine einräumte. Normalerweise kamen wir gar nicht so weit in unseren Gesprächen. Meist ging es um Mom, darum, was noch zu erledigen und zu besorgen war, oder ich schickte Dad aufs Sofa, damit er sich ausruhte. Darum fiel meine Antwort auch bei diesem Thema entsprechend kurz aus. »Läuft. Die Streams sind gut besucht.«

  »Schön«, sagte Jim nach einem Moment und nickte, als wüsste er genau, wovon ich redete. »Das ist schön. Ich bin stolz auf dich, Donovan.«

  Ich gab mir alle Mühe, nicht zusammenzuzucken, denn es gab wirklich nichts in meinem Leben, worauf er stolz sein könnte. Ich ging zum College und spielte Videospiele. Dad widmete sein ganzes Leben seiner todkranken Frau und versuchte, ihr jeden Tag so angenehm wie möglich zu machen. Dafür hatte er sogar seinen Job bei der Feuerwehr aufgegeben, da sie keine Pflegekraft einstellen wollten. Nicht einmal jetzt, obwohl ich es ihnen bezahlen könnte und das auch in regelmäßigen Abständen immer wieder anbot. Denn manchmal kam es mir so vor, als wäre es das Einzige, was ich sinnvoll beitragen konnte. Alles andere war definitiv nichts, auf das jemand wie Jim Parker stolz sein sollte.

  »Danke, Dad«, murmelte ich und machte mich daran, die eingeweichten Töpfe und Pfannen zu schrubben. Das gab mir wenigstens etwas zu tun, weil ich keine Ahnung hatte, was ich noch sagen sollte.

  Auch wenn wir kaum noch dazu kamen, richtig miteinander zu reden, wusste ich genau, was mein Vater da tat. Er versuchte, so etwas wie Normalität aufkommen zu lassen. Als wäre es ganz normal, dass wir in der Küche zusammensaßen und ich ihm erzählte, was es so Neues bei mir gab. Als wären das die einzigen und wichtigsten Gesprächsthemen, abgesehen vom Wetter oder davon, dass der Rasen hinterm Haus mal wieder gemäht werden müsste. Und ich ließ mich darauf ein. Ich wollte diese Normalität, selbst wenn sie nur vorgetäuscht war, da es so etwas im Hause Parker schon seit sieben Jahren nicht mehr gab. Aber für die paar Minuten tat ich gerne so, als ob.

  Jim räusperte sich und schob die leeren Gläser und Tassen auf dem Tresen vor sich herum. »Und wie sieht es mit den Frauen aus? Gibt es da jemanden?«

  Er stellte die Frage so betont beiläufig, dass ich unwillkürlich grinsen musste.

  »Da ist niemand.« Ich stellte ihm zwei Töpfe zum Abtrocknen hin und widmete mich der letzten Pfanne in der Spüle.

  Keine Ahnung, warum er überhaupt fragte. Es war ja nicht so, als hätte ich in den letzten zwei Jahren eine Beziehung gehabt, die länger als ein paar Wochen gehalten hätte. Außerdem hatte ich nach dem Desaster mit Faye nicht das geringste Interesse daran, mich wieder auf irgendjemanden einzulassen. Am Ende stand man sowieso nur wie der letzte Arsch oder – noch schlimmer – mit einem gebrochenen Herzen da. Oder beides.

  Nope. Definitiv nicht erstrebenswert. Einmal im Leben reichte völlig aus.

  »Wirklich nicht?«

  Natürlich musste Dad jetzt auch noch nachhaken. Und in gewisser Weise verstand ich sogar, dass es Teil dieses normalen Gesprächs war – aber musste es dabei unbedingt um mein nicht vorhandenes Liebesleben gehen? Früher hatte ich ständig irgendwelche Kurzzeitbeziehungen oder Affären gehabt, und da hatte mein Vater auch nie groß nachgefragt. Seit der Sache mit Faye, die ich ihm dummerweise erzählt hatte, weil ich mir sicher gewesen war, die Eine gefunden zu haben, tat er das leider öfter. Vielleicht hatte es aber auch damit zu tun, dass ich letzten Monat vierundzwanzig geworden war. Vielleicht gab es ein ungeschriebenes Gesetz, dass man in diesem Alter eine feste, lang anhaltende Beziehung führen musste, die früher oder später vor dem Altar und in einem Vorstadthäuschen mit den statistischen 1,9 Kindern endete. Den Hund und den weißen Gartenzaun nicht zu vergessen.

  »Sorry, Dad«, erwiderte ich so nonchalant wie möglich und zog eine Grimasse. »Du kennst mich doch. Ich hab gar keine Zeit für eine Beziehung, und die Frauen, die ich kennenlerne, wollen nur mein Geld.« Ich sah an mir hinunter. Mein schwarzes Gaming-T-Shirt mit dem Schriftzug What doesn’t kill you, gives you XP hatte ein paar Wasserflecken abbekommen, genau wie Jeans und Schuhe, aber das juckte mich nicht im Geringsten. »Oder sie wollen nur meinen Körper. Es ist echt eine Qual.«

  Das entlockte Dad zumindest ein Grinsen. Noch immer erschöpft, aber wenigstens grinste er jetzt – und allein diese kleine Veränderung in seiner Mimik ließ ihn um Jahre jünger wirken. Fast schon attraktiv. Er hatte genau wie ich fast schwarzes Haar, nur war seines von grauen Strähnen durchzogen und schon wieder viel zu lang. Von ihm hatte ich die Größe und den eher schlaksigen Körperbau geerbt, aber im Gegensatz zu meinen Augen waren seine braun. Die blauen Augen hatte ich von Mom.

  »Wart’s nur ab«, drohte er spielerisch und stand auf, um die leeren Gläser und Tassen ebenfalls in die Spülmaschine zu stellen. »Wenn du die Richtige triffst, ist es völlig egal, ob du Zeit hast oder nicht. Du nimmst dir die Zeit einfach – oder du bereust es dein Leben lang.«

  Mein eigenes Grinsen verblasste. Eigentlich müsste ich ihn jetzt nach Mom fragen und danach, ob es bei ihnen genauso gewesen war, aber irgendwie brachte ich die Frage nicht über die Lippen. Nicht jetzt. Nicht, wenn sich wenigstens für einen kurzen Moment so etwas wie Normalität in diesem Haus eingestellt hatte.

  »Das glaube ich nicht«, behauptete ich stattdessen und schaltete die Spülmaschine ein. Ein viel zu lautes Brummen ertönte, was mir wieder mal vor Augen führte, wie alt das Gerät schon war. Ich hatte bereits unzählige Male angeboten, ihnen eine neue zu kaufen, die schneller war und sogar Wasser und Strom sparte, aber Dad weige
rte sich vehement. Und das nicht mal so sehr, weil er von seinem einzigen Sohn kein Geld annehmen wollte, sondern weil er daran festhielt, dass das Ding noch funktionierte. Und so lange etwas noch funktionierte, wurde es nicht einfach weggeworfen und ersetzt. In diesem Haushalt gab es Geräte, die älter waren als ich. Und da sollte noch mal jemand behaupten, alles würde nur bis zum Ende der Garantielaufzeit halten.

  Ich trocknete die letzte Pfanne ab und stellte sie in den Schrank, dann wischte ich über alle Oberflächen und warf einen Blick in den Kühlschrank. Er war gut gefüllt. Immerhin. Dann konnte ich Lebensmittel schon mal von der Liste ­streichen. Aber wahrscheinlich würde ich sowieso noch mal für ein paar Getränke und Moms Medikamente losfahren.

  Als ich nichts mehr zu tun hatte, goss ich mir ein Glas Wasser ein und machte Dad einen Kaffee. Einige Sekunden lang erfüllte das vertraute Brummen und Mahlen die Küche, dann wurde es still. Und unerträglich. Nur das Rumoren der Spülmaschine und das Ticken einer Uhr im Haus waren zu hören. Sonst nichts.

  Ich gab mir einen Ruck. »Wie geht es ihr?«, brachte ich hervor, rauer, als ich beabsichtigt hatte.

  Die Falten in Dads Gesicht glätteten sich, fast so, als wäre er erleichtert, dass ich endlich auf Mom zu sprechen kam. »Du kennst deine Mutter. Sie ist tapfer.«

  Beinahe hätte ich den Kopf geschüttelt, denn die Wahrheit war: Ich kannte sie nicht. Nicht mehr. Meine Mutter war schon seit sieben Jahren nicht mehr die Frau, die mich großgezogen hatte. Und es tat weh. Mit jedem Besuch ein bisschen mehr. Anfangs hatte ich mir eingeredet, dass es nur eine Phase wäre, dass Mom einfach nur gestresst und deshalb so gereizt war. So vergesslich. Doch dann hatten wir nach monatelangem Hin und Her von den Ärzten die Diagnose bekommen. Und selbst dann hatte ich ihr und mir selbst immer wieder eingeredet, dass es ihr bestimmt bald besser gehen würde. Dass mir die Medikamente meine Mutter und Dad seine Frau zurückbringen würden. Dass die Müdigkeit und Apathie als Nebenwirkungen der Tabletten nur vorübergehend waren. Dass die Antidepressiva ihr helfen und sie dadurch ihre Lebensfreude zurückgewinnen würde. Dass ihr die Bewegung während der langen Spaziergänge guttun würde.

 

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