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Was auch immer geschieht 02 - Feeling close to you

Page 14

by Iosivoni, Bianca


  »Ich hab dich zurück ins Hotel gebracht. Ganz ohne Hintergedanken. Also macht mich das wohl zu einem der Guten«, stellte er leise fest. »Aber …« Sein Blick wanderte an mir hinunter und genauso quälend langsam wieder hinauf. Und obwohl er mich nirgendwo berührte, genügte allein dieser Blick, um eine Spur aus purer Hitze auf meiner Haut zu hinterlassen.

  »Aber …?«, hakte ich nach, obwohl eine kleine Stimme in meinem Kopf ziemlich lautstark anmerkte, dass ich das besser nicht tun sollte. Das hier – was auch immer es war – konnte gar nicht gut enden. Trotzdem konnte ich mich nicht davon abhalten, dieses Spiel, was wir hier spielten, weiterzuführen. Nur noch ein bisschen länger. Nur noch ein bisschen mehr.

  »Aber …«, nahm Parker den Faden wieder auf. »Jetzt frage ich mich, ob ich wirklich einer von den Guten bin.«

  Hatte er sich zu mir hinuntergebeugt, oder war ich diejenige, die sich etwas auf die Zehenspitzen gestellt hatte, um ihm entgegenzukommen? Ich wusste es nicht, hatte nicht die geringste Ahnung. Das Einzige, was ich noch wusste, war, dass sich das hier gut anfühlte. Neu und aufregend und völlig anders als alles, was ich mit Brandon oder sonst jemandem erlebt hatte. Vielleicht weil keiner von ihnen mich je so herausgefordert hatte wie Parker. Vielleicht auch, weil keiner bisher die gleiche Wirkung auf mich gehabt hatte wie er.

  »Warum?« Meine Stimme war kaum hörbar, und ich drückte die Hände neben meinem Körper flach gegen die Wand, um mich davon abzuhalten, sie nach Parker auszustrecken. Denn wenn ich das tat, könnte ich für nichts mehr garantieren.

  Er neigte den Kopf etwas, bis sich unsere Lippen fast berührten. Es fehlten vielleicht nur noch zwei, drei Millimeter, dafür spürte ich seinen warmen Atem umso deutlicher auf meiner Haut.

  »Weil ich gerade ziemlich viele Hintergedanken habe«, murmelte er.

  Irgendetwas in mir schmolz. Verpuffte. War einfach weg. Mit ziemlicher Sicherheit mein Verstand. Denn das war die einzige Erklärung dafür, dass ich noch immer hier stand, oder vielmehr an der Wand lehnte, Parker dicht vor mir, und sich keiner von uns bisher wegbewegt hatte, obwohl es genau das war, was wir beide tun sollten.

  Stattdessen betrachtete ich sein Gesicht. Angefangen bei dem dunklen, fast schwarzen Haar, in das ich meine Finger vergraben wollte, über die hohe Stirn, die dichten Brauen über den unglaublich blauen Augen, der geraden Nase bis hin zu seinem Mund. Für einen Mann hatte er einen wirklich schönen Mund, mit sanft geschwungenen Lippen, die immer wieder meinen Blick auf sich zogen. Als ich ihn heute Vormittag zum ersten Mal getroffen hatte, war er glatt rasiert gewesen, doch jetzt, so viele Stunden später, waren die schwarzen Bartstoppel nur zu deutlich zu erkennen. Ich wollte sie mit den Fingern nachfahren und herausfinden, ob sie so rau waren wie in meiner Vorstellung. Aber ich tat es nicht, sondern lenkte meine Aufmerksamkeit zurück zu seinen Augen.

  »Du bist einer von den Guten«, behauptete ich, selbst überrascht davon, wie heiser meine Stimme auf einmal klang, aber nicht weniger überzeugt von dieser Feststellung. Herausfordernd hob ich das Kinn etwas an. »Ich dagegen … nicht.«

  Seine Mundwinkel zuckten. Und dann kam er näher.

  Die erste Berührung war nur ein sanftes Streichen von Lippen über Lippen. Kaum spürbar und nichts, was überhaupt die Bezeichnung »Kuss« verdient hätte. Trotzdem stockte mir der Atem, und mein Herz hämmerte auf einmal so viel schneller als zuvor.

  Blinzelnd öffnete ich die Augen und sah zu Parker hoch. Er war mir noch immer so verdammt nahe, dass seine Augen das Einzige waren, das ich noch wahrnahm. Und wann hatte ich eigentlich meine Hände von der Wand gelöst und sie an seine Seiten gelegt?

  Ein paar atemlose Sekunden verharrten wir beide so, bis die Spannung unerträglich wurde. Zumindest hielt ich es keinen Moment länger aus, ihm so nahe zu sein, ohne ihn richtig zu berühren. Ohne ihm noch näher zu kommen. Also tat ich das einzig Richtige in dieser Situation: Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und presste meinen Mund auf seinen.

  Diesmal gab es kein sanftes Streichen und auch kein zögerliches Herantasten. Seine Lippen brannten auf meinen. Eine Hand umfasste mein Kinn, die andere legte er an meine Taille, als müsste er mich festhalten. Dabei war ich diejenige, die sich an ihm festkrallte, als würde mein Leben davon abhängen. Und das tat es irgendwie auch. Zumindest fühlte es sich so an.

  Meine Haut kribbelte, und als er mich an sich zog, entkam mir ein kleiner Laut, der mir unter anderen Umständen peinlich gewesen wäre. Aber das hier war Parker. Der schlechteste Verlierer bei Guild Wars. Der Überlebende bei Dead by Daylight, der mich am Haken hängen ließ, nur um mich in letzter Sekunde doch noch zu befreien und vor dem Killer zu retten. Der bekannte Gamer, der extra einen Livestream startete, nur weil ich danach gefragt hatte.

  Ich legte die Arme um seinen Hals, schob die Finger in sein Haar und packte zu. Aus seiner Kehle kam ein tiefer Laut, bei dem sich etwas in meinem Bauch erwartungsvoll ­zusammenzog. Im nächsten Moment drängte er mich gegen die Wand und presste sich an mich. Bei dem kurzen Knabbern an meiner Unterlippe keuchte ich auf. Parker nutzte die Chance sofort, um mit der Zunge über die Stelle zu fahren, und meinen Mund zu erobern. Doch in dem Moment, in dem sich unsere Zungen berührten, brach er den Kuss ab und zog sich zurück.

  Sein Brustkorb hob und senkte sich schnell, und er starrte mich an, als würde er mich zum ersten Mal sehen. Oder sich erst jetzt bewusst werden, was da gerade zwischen uns passiert war. Ich schnappte genauso nach Luft wie er. Obwohl ich nie um eine Antwort verlegen war, fehlten mir nun die Worte. Überhaupt war mein Kopf nach diesem Kuss wie leer gefegt. Irgendjemand sollte ihn besser schleunigst neu starten, damit wieder alles so funktionierte, wie es sollte. Stattdessen schlug mir das Herz bis zum Hals, meine Haut spannte und kribbelte, und mein Magen machte einen Hüpfer nach dem anderen. Und meine Knie waren ganz weich. Offenbar war an diesem Spruch tatsächlich etwas dran, auch wenn ich das bisher nie für möglich gehalten hatte. Verdammt. Was passierte hier?

  »Ich schwöre, ich wollte dich nur sicher zurück ins Hotel bringen«, sagte Parker atemlos und mit einer so rauen Stimme, dass ich ihn am liebsten gepackt, wieder an mich gezogen und dort weitergemacht hätte, wo wir aufgehört hatten.

  Aber ich tat es nicht, sondern nickte nur. »Ich weiß.«

  Er lächelte – und es war dieses Lächeln, das noch mehr verrückte Dinge mit mir anstellte. Oder vielmehr dafür sorgte, dass ich Dinge mit ihm anstellen wollte. Doch bevor ich überhaupt begreifen konnte, was hier los war, lehnte er sich wieder ein wenig vor. Diesmal küsste er mich jedoch nicht, sondern drückte seine Lippen für einen winzigen Moment auf meine Stirn.

  »Schlaf gut, Tea-Tea.«

  Ich schloss die Augen und atmete tief durch, dann brach das Lächeln hervor, das ich hatte zurückhalten wollen, weil ich diesen Spitznamen so albern fand. Normalerweise. Aber so wie Parker ihn aussprach, mit dieser Wärme in seiner Stimme und diesem unvergleichlichen Akzent, konnte ich gar nicht anders, als zu lächeln. Und mein Herz konnte nicht anders, als noch wilder zu schlagen.

  Ich lehnte den Kopf gegen die Wand und suchte seinen Blick. Auch seine Mundwinkel wanderten in die Höhe.

  »Nacht«, flüsterte ich.

  Und auch wenn alles in mir dagegen protestierte, zog ich die Schlüsselkarte aus meiner Hosentasche, sobald Parker einen Schritt zurückgetreten war, und öffnete die Tür. Kurz zögerte ich und rang mit mir. Wenn ich mich jetzt zu ihm umdrehte und ihn hereinbat, würde er es tun. Da war ich mir ziemlich sicher. Und wahrscheinlich würde es keiner von uns am nächsten Morgen bereuen. Aber dann würde sich alles, was in diesem Hotelzimmer passierte, wie ein Schleier auf all die anderen Erinnerungen an diesen Trip zur RTX legen. Und ich wollte mich vor allem an diese Momente erinnern.

  An das erste Mal, als ich Parker tatsächlich in echt gesehen hatte. An sein Lächeln. An das Gefühl, so fest von ihm umarmt zu werden, als hätte er nur auf diesen Augenblick gewartet. An das Gameplay heute Nachmittag gegen sein Team. Wie ich ihn bei Beat Saber geschlagen hatte. Wie wir geredet, gelacht und herumgealbert hatten. Zu zweit, aber auch mit unseren Freunden. Das war es, woran ich zurückdenken wollte, wenn ich wieder d
aheim war – und nicht an eine Nacht, die die Dinge zwischen uns verkomplizieren würde.

  Also tat ich es nicht. Ich drehte mich nicht zu Parker um und fragte ihn auch nicht, ob er reinkommen wollte, sondern betrat mein Zimmer und drückte die Tür hinter mir zu.

  Parker

  Hey Teagan?

  Teagan

  Ja?

  Parker

  Ich will eine Revanche bei Beat Saber

  Teagan

  Teagan

  Träum weiter!

  Parker

  Oh, das werde ich. Und wie ich das werde.

  Parker

  Und nicht nur davon …

  Level 9

  Teagan

  Gut eine Woche später saß ich neben meinem Dad im Auto und fummelte an meiner Bluse herum, wobei ich nur mit Mühe ein frustriertes Grummeln unterdrückte. Das Ding hatte Perlenknöpfe, war aus irgendeinem weichen, seidigen Material, cremeweiß und sehr elegant. Und natürlich sehr teuer gewesen. Damit war es genau die Art von Kleidungsstück, das ich niemals freiwillig tragen würde. Aber Dad hatte mich darum gebeten, mir etwas Vernünftiges anzuziehen, und das war eines der wenigen Teile in meinem Kleiderschrank, das in seinen Augen angemessen war. Bonuspunkte gab es dafür, dass es das Tattoo auf meinem Schulterblatt verdeckte. Denn obwohl es nur ein mittelgroßer und noch dazu sehr geschmackvoller Schmetterling war, war ich mir ziemlich sicher, dass Dad es mir nie verziehen hatte, mit sechzehn seine Unterschrift gefälscht zu haben, um mir dieses Tattoo stechen zu lassen. Aber es war ja nicht so, als könnte er es ungeschehen machen.

  Parker

  Wie wär’s mit einer Runde Guild Wars? Vielleicht haben wir Glück und landen wieder in verschiedenen Teams

  Teagan

  Aww, vermisst du mein Lama?

  Parker

  Du hast noch nie meinen Todesstoß gesehen, Baby

  Teagan

  Parker

  Also? Wie sieht’s aus?

  Teagan

  Ich kann nicht …

  Mit einem leisen Seufzen sah ich auf das Smartphone in meiner Hand, bevor ich wieder durch das Fenster beobachtete, wie die Landschaft an uns vorbeirauschte. Kaum zu fassen, dass seit der Convention in Texas mittlerweile fast eine Woche vergangen war. Noch weniger zu fassen war, dass ich mich trotz allem wieder ganz in meinem alten Leben befand, wo jeder dritte Freitagabend im Monat nur eines bedeutete: Dinner mit der ganzen Familie. Meine Großeltern väterlicherseits und der Rest der Familie lebten rund anderthalb Stunden entfernt in einer der Kleinstädte, die sich um Seattle herum ausgebreitet hatten. Zum Glück lagen so viele Meilen zwischen uns, denn sonst würden Treffen wie dieses wahrscheinlich noch öfter stattfinden. Und das war wirklich das Letzte, was ich in meinem Leben brauchte.

  Wir waren noch ungefähr eine halbe Stunde von unserem Ziel entfernt, als ich erneut auf mein Handy schaute. Alice hatte geschrieben und sich darüber beklagt, dass sie heute Abend keine Trolle aus dem Chat kicken und niemanden bannen konnte. Bei den ganzen wütenden Emojis, die sie dazu schickte, musste ich unweigerlich schmunzeln. Dabei sollte sie eigentlich froh über den freien Abend sein. Während der letzten Livestreams waren ständig Fragen zu Parker im Chat aufgetaucht. Und zu Parker und mir.

  Anscheinend hatten gleich mehrere Leute unsere Umarmung während seiner Autogrammstunde gefilmt und ins Internet gestellt. Dazu kamen ein paar Fotos von uns beiden auf der After-Show-Party und schon brodelte die Gerüchteküche. Wobei das eine Untertreibung war. Die Gerüchteküche war längst explodiert.

  Gestern waren wir dazu übergegangen, bestimmte Wörter und Fragen im Chat einfach zu blockieren, sodass sie gar nicht erst auftauchen konnten. Dafür stieg meine Followerzahl unglaublich schnell an, und ich hatte keine Ahnung, wie ich hinterherkommen sollte. Weder bei den ganzen neugierigen Fragen noch bei den vielen neuen Zuschauern oder der Tatsache, dass ich in der letzten Woche genug Geld verdient hatte, um mir fast das komplette erste Collegejahr finanzieren zu können. Nicht die Wohnung und auch keine Lebenskosten, aber zumindest die Studiengebühren waren abgedeckt. Wahrscheinlich würde es noch eine ganze Weile dauern, bis ich das wirklich realisiert hatte. Das Einzige, was mir noch immer fehlte, war eine Rückmeldung von meinen Wunschcolleges. Langsam aber sicher wurde es eng. Spätestens Ende August musste ich irgendwo anfangen, sonst würde ich nur weiter zu Hause hocken und Kaffee für nervige Kunden zubereiten müssen. Ugh.

  Ich tippte eine Antwort an Alice und wünschte ihr trotz all der wütenden Emojis zuvor einen schönen Abend, dann schaute ich mir die nächsten Nachrichten an. Sie waren wieder von Parker.

  Allein seinen Namen zu lesen sorgte dafür, dass sich mein Herzschlag beschleunigte. Seit der RTX in Austin hatten wir beinahe täglich getextet und mittlerweile noch zweimal bis spät in die Nacht – oder eher bis zum Morgengrauen – miteinander gezockt. Jetzt, da ich nicht mehr zur Schule musste, war das leichter, und ich hatte plötzlich so viel freie Zeit, dass ich öfter streamen und zusätzliche Schichten im Coffeeshop übernehmen konnte.

  »Teagan.« Dad warf mir einen warnenden Blick zu und deutete auf das Handy.

  Ich verdrehte die Augen und packte es weg, ohne Parker zu antworten. Dieser Abend würde die Hölle werden, das wusste ich jetzt schon. Seit meiner Rückkehr aus Austin war mein Vater ziemlich gereizt. Offenbar waren ein Zettel am Kühlschrank und die Nachricht, die unsere Haushälterin Susanna ihm von mir überbracht hatte, nicht genug gewesen. Wahrscheinlich hätte ich ein halbes Jahr im Voraus ein Meeting mit seiner Sekretärin ansetzen lassen und mich dann mit ihm im Büro treffen sollen, um das Für und Wider dieser Reise mit ihm auszudiskutieren. Na, aber sicher doch.

  Die restliche Zeit verbrachte ich damit, aus dem Fenster zu starren und am Radio herumzudrehen, nur um dann frustriert aufzugeben, weil nur Schwachsinn lief. Und weil Dad sowieso lieber Klassik hörte, als irgendetwas mit richtigen Lyrics und Gesang.

  Als wir das mehrstöckige Haus mit Garten, in dem meine Großeltern zusammen mit Onkel Peter und seiner Familie wohnten, endlich erreichten und der Wagen stoppte, war ich beinahe erleichtert, dem angespannten Schweigen im Auto zu entkommen. Allerdings nur kurz. Denn sobald wir durch die Eingangstür traten, fand ich mich in mehreren Umarmungen wieder, die ich weder wollte noch besonders enthusiastisch erwiderte. Gut möglich, dass ich mich gerade wie ein verzogenes Biest verhielt, aber ich kannte diese Leute kaum. Und sie kannten mich nicht. Sie kannten nur das Mädchen, als das sie mich sehen wollten. Aber keiner hier wusste auch nur ansatzweise etwas über meine Wünsche und Ziele oder darüber, wie sehr ich mich abrackerte, um sie zu erreichen.

  Ich könnte auch einfach auf ein College gehen, das mein Vater guthieß, und mir von ihm alles finanzieren lassen: Anreise, Studiengebühren, Wohnung, Möbel, Lebensmittel. Einfach alles. Aber dann würde ich für immer in seiner Schuld stehen und tun müssen, was er wollte, statt das, was ich wollte. Und das kam nicht infrage.

  »Wie schön, dass ihr da seid!«, rief Grandma Ethel und tätschelte mir das Haar, als wäre ich noch fünf. Dann presste sie die Lippen zu einem Strich zusammen, was in Anbetracht der Tatsache, dass sie ohnehin sehr dünne Lippen hatte, wirklich eine Kunst war. »Oh, was hast du nur mit deinen schönen Haaren gemacht?«

  Nur mit Mühe konnte ich ein Augenrollen unterdrücken. Das fragte sie mich jedes Mal. Ganz ehrlich? Löschte sie nach jedem gemeinsamen Abendessen die Erinnerung an meine gefärbten Haare, um sich beim nächsten Mal erneut darüber aufzuregen zu können?

  »Ach, lass das Mädchen doch.« Grandpa Douglas klopfte mir etwas zu fest auf die Schulter. »Sie hat ihre rebellische Phase. Die hatten wir alle mal. Das geht vorbei.«

  Selbst wenn ich hätte antworten wollen, kam ich nicht dazu, denn jetzt tauchte Onkel Peter im Flur auf.

  »Da ist ja mein Lieblingsbruder.« Er umarmte Dad und nutzte es schamlos aus, dass er einen halben Kopf größer und breiter gebaut war als mein Vater. »Wie läuft’s? Wie stehen die Verkäufe?« Damit führte er Dad auch schon Richtung Esszimmer, wo seine Frau und ihre beiden Töchter warteten. Sieben und neun Jahre alt und die Jüngste war so verwöhnt, dass jedes Treffen mit ihrem Geschrei endete. Rei
zend. Wenigstens Janey war erträglich und für ihr Alter ziemlich aufgeweckt und clever.

  »Nun steh nicht hier herum«, wies mich Grandma Ethel an und deutete mir an, ihr zu folgen. »Du kannst mir in der Küche helfen.«

  Kurz sah ich Grandpa Douglas nach, der sich ebenfalls in Richtung Esszimmer bewegte, dann folgte ich ihr schicksalsergeben. »Warum helfen Dad oder Onkel Peter nicht?«

  Sie lachte auf. »Mach dich nicht lächerlich, Teagan Ramona. Dein Vater und dein Onkel wüssten gar nicht, was sie mit einer Schüssel und einem Löffel anfangen sollten. Die Küche ist das Reich von uns Frauen.«

  Diesmal konnte ich es mir nicht verkneifen, die Augen zu verdrehen, aber nahm die Schürze, die sie mir hinhielt, brav entgegen.

  »Das habe ich gesehen, Mädchen.« Spielerisch drohte sie mit dem Zeigefinger. »Mit dieser Einstellung wirst du nie einen Ehemann finden.«

  »Vielleicht bin ich ja nicht im neunzehnten Jahrhundert stecken geblieben und will gar keinen«, murmelte ich und band mir die Schürze um. Dabei hatte ich das seltsame Gefühl, dieses Gespräch schon mal geführt zu haben. Ach ja. Das hatte ich. Bei ungefähr jedem dieser Treffen in den letzten Jahren.

  »Ach, papperlapapp. Das wird sich ändern, sobald du den Richtigen triffst«, behauptete sie und drückte mir einen Kochlöffel in die Hand, gefolgt von einer eindeutigen Geste in Richtung Herd, wo ich in was auch immer herumrühren sollte. »Und dann wirst du froh sein, ihm etwas zu essen machen zu können. Eigentlich sollte dir das deine Mutter beibringen, aber diese Frau hat ja noch nie das getan, was von ihr verlangt wurde.«

  Ruhig bleiben. Halt einfach die Klappe und lächle, Teagan.

  Aber meine Finger verkrampften sich so fest um den Kochlöffel, dass ich nicht einschätzen konnte, was zuerst in zwei Teile zerbrechen würde – das Holz oder meine Knöchel.

  »Ist einfach abgehauen und hat euch allein gelassen …«, murmelte Grandma Ethel und hantierte mit den Gewürzen herum. »Eine Schande ist das! Das kannst du mir glauben.«

 

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