Die Sterne werden fallen

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Die Sterne werden fallen Page 25

by Kiefer, Lena


  Tilda antwortete nicht sofort, und da erst wurde mir klar, was sie geschickt vor mir verborgen hatte. Eine echte Leistung, wenn man bedachte, dass ich nicht durch das HeadLock beschränkt war. Aber wenn mich jemand die ganze Zeit belog, konnte nicht einmal ich genau sagen, ob Unausgesprochenes nun wahr oder falsch war.

  »Ihr seid überhaupt keine Freunde«, stellte ich fest und dachte daran, dass Amelie etwas aus der Tasche gezogen hatte, als Tilda die Tür geöffnet hatte. »Sie war aus dem gleichen Grund hier wie wir, richtig? Weil sie herausgefunden hat, dass du etwas mit dem Absturz zu tun hast.«

  Die Hackerin schmollte für ein paar Sekunden, dann verdrehte sie die Augen. »Ja, verdammt, okay? Sie hat mir eine Waffe vor die Nase gehalten und wollte wissen, was ich mit dem Tod ihres Bruders zu schaffen habe.«

  »Und warum erzählst du uns dann so eine bescheuerte Story?!«, fuhr ich sie an. Sie schwieg und ich machte mir meinen eigenen Reim darauf. »Verstehe. Du bist Costard so hörig, dass du jede Chance nutzt, seinen Gegnern zu schaden – und wenn es nur dadurch ist, dass du Amelie de Marais in Misskredit bringst.«

  Tilda verengte die Augen. »Falsch«, sagte sie nur. Es war die Wahrheit.

  Mein Kopf kalkulierte: Konnte es sein, dass es eine dritte Partei in diesem Spiel gab? Eine Partei neben Maraisville und Costard?

  »Wer ist dein Auftraggeber?«, stellte ich die alles entscheidende Frage.

  »Das weiß ich nicht.«

  Echo sah mich erwartungsvoll an, aber ich schüttelte nur den Kopf. Die Hackerin sagte auch jetzt die Wahrheit. Sie wusste nicht, wer sie mit der Drohne beauftragt hatte. Und damit waren wir in einer Sackgasse gelandet.

  Oder auch nicht.

  »Und woher weißt du dann, dass es nicht Costard ist?«

  »Weil ich ihn kenne und früher häufig mit ihm zusammengearbeitet habe. Er würde mich offen kontaktieren, nicht verdeckt.«

  »Wie hat man sich denn mit dir in Verbindung gesetzt?«, fragte ich und drehte dabei mein Messer in der Hand.

  »Ich habe einen abgesicherten lokalen Zugang, das ist hier im Norden nichts Ungewöhnliches.« Tilda gab mir diese Information nur widerwillig. Sie wusste, dass wir nun gegen diese Zugänge vorgehen würden.

  »Wo?«

  »Oben im Arbeitszimmer«, presste sie durch die Zähne.

  Ich sah zu Jye. »Könntest du das Gerät holen?«

  »Bin schon unterwegs.« Er verschwand in Richtung Treppe.

  »Du kannst die Nachricht unmöglich zurückverfolgen, Scale.« Tilda sah mich finster an. »Nicht einmal ich konnte es.«

  »Ach, du hast es versucht? Warum nur, wo dir die Anonymität deiner Auftraggeber doch so wichtig ist?«

  Sie presste die Lippen aufeinander, aber dann brach es doch aus ihr heraus. »Weil man mir das nicht gesagt hat!«, rief sie. »Mir hat niemand gesagt, dass ich den verdammten König umbringen soll!«

  Stille. Echo und ich sahen uns an. Ich schaltete schneller, aber sie reagierte trotz des Schocks zuerst.

  »Das heißt, du hast nicht nur die Drohne programmiert, sondern auch dafür gesorgt, dass die FlightUnit abstürzt?«

  Tilda nickte. »Ich sollte das Programm der Triebwerksteuerung manipulieren. Sie haben behauptet, dass sie die Unit nur irgendwo zum Landen zwingen wollen, um Leopold zu entführen! Niemand hat mir verraten, dass die Unit abstürzen soll und alle Insassen dabei draufgehen!«

  Ihre Verzweiflung war echt, und ich wusste, sie sagte die Wahrheit. Das bedeutete, die OmnI und Costard steckten gar nicht hinter dem Angriff auf Leopold. Sie hatten sich nur damit gebrüstet. Aber wieso?

  »Ich hab das Ding.« Jye kam mit einem schmalen Gerät zurück, das ähnlich aussah wie der Operator, mit dem wir früher in Brighton TransUnits oder andere königliche Technologie gehackt hatten.

  »Gut. Dann können wir ja gehen.« Echo stieß sich von der Wand ab.

  »Was passiert jetzt mit mir?«, fragte Tilda ängstlich. All ihr selbstbewusstes Gehabe war längst von ihr abgefallen.

  Das war eine gute Frage. Wir konnten sie natürlich festnehmen, nach Maraisville bringen und dort inhaftieren. Aber wenn wir sie jetzt nach Janstad schleiften, würde man sofort auf uns aufmerksam werden. Hierlassen konnten wir die Hackerin allerdings auch nicht, dazu war sie zu gefährlich – trotz ihrer offensichtlichen Reue über Leopolds Tod.

  »Du kommst mit uns.« Echo schien die gleichen Gedanken zu haben wie ich. »Wir bleiben über Nacht hier im Haus und ordern für morgen früh eine FlightUnit, die uns zurückbringt«, schlug sie vor. »Die nächste Stelle zum Landen ist einige Kilometer von hier, ich will nicht mitten in der Nacht im Wald herumirren.« Das kam überraschend, wo ich doch das Gefühl hatte, Echo würde erst richtig aufleben, wenn man sie vor unangenehme Aufgaben stellte. Aber sie war zu erfahren, um das Risiko einzugehen, unsere Gefangene in der Dunkelheit zu verlieren.

  Echo griff nach ihrem SubDerm-Injektor und bestückte ihn mit einem Betäubungsmittel. Tilda wehrte sich nicht, als man es ihr an den Hals setzte. Anschließend wurde die Hackerin losgebunden und auf das Sofa gelegt, wo es so wirkte, als würde sie ein Schläfchen machen.

  »Hier.« Jye hielt mir etwas entgegen.

  Ich nahm mein HeadLock und setzte mir den Injektor an. Ein Knopfdruck und fünf Sekunden später legte sich die gewohnte Folie über die Welt. Aber mittlerweile machte mir das nichts mehr aus. Es war ein niedriger Preis für mein Leben und meine Freiheit. Das hatte ich heute Abend wieder gelernt.

  »Wie lange ist sie betäubt?«, fragte ich Echo.

  »Fünf Stunden, so ungefähr. Bei ihrer Körpergröße wahrscheinlich etwas länger.« Sie ließ sich in einen Sessel fallen. »Ihr solltet ein bisschen schlafen«, ordnete sie an. »Bis es wieder hell wird, müssen wir warten.«

  Jye gehorchte und legte sich auf die Bank in der Küche. Ich setzte mich im Wohnzimmer auf das Fensterbrett und lehnte meinen schmerzenden Kopf gegen die kalte Scheibe. Tildas Operator hatte ich auf meinen Knien.

  »Was denkst du darüber?«, fragte ich Echo und nickte mit dem Kinn in Richtung der bewusstlosen Hackerin. »Glaubst du, es gibt wirklich eine dritte Partei?«

  Die Schakalin hob die Schultern. »Schwer zu sagen. Auch wenn Costard sie vorher immer offen kontaktiert hat, könnte er es bei diesem Auftrag ja trotzdem verdeckt getan haben.«

  »Ja, könnte er. Nur wenn es wirklich so ist, wie Tilda sagt, und auf die FlightUnit zugegriffen wurde, warum hat die OmnI das dann nicht bei allen Units der königlichen Flotte gemacht? Sie hätte zum Beispiel uns auf dem Weg hierher töten können und unzählige andere Soldaten und Schakale in den letzten Monaten. Aber es ist nichts passiert.«

  »Keine Ahnung.« Echo stieß die Luft aus. »Wir werden das besprechen müssen, wenn wir zurück sind. Gerade habe ich einen Knoten im Hirn.«

  »Dann schlaf doch einfach. Ich kann es eh nicht.«

  Echo sah mich zweifelnd an. »Sicher?«

  »Sicher. Und keine Sorge, ich verrate niemandem, dass die große Echo Claesson müde geworden ist.« Ich grinste.

  »Das will ich dir auch raten, Scale.« Damit lehnte sie sich zurück und schloss die Augen.

  Ich nahm mir Tildas Operator vor und versuchte, herauszufinden, ob ich das Signal des Absenders nicht doch zurückverfolgen konnte. Aber ich merkte schnell, dass die Hackerin sämtliche Daten gelöscht hatte und ich sie hier nicht rekonstruieren konnte, falls es überhaupt möglich war. Also legte ich das Gerät beiseite und sah stattdessen in die Dunkelheit vor dem Fenster.

  Es schien, als würde sich das Wirrwarr um Leopolds Tod nicht langsam aufdröseln, sondern immer mehr verheddern – und ich mich gleich mit. Gab es wirklich zwei verschiedene Mitspieler außer uns? Und hatten sie etwas miteinander zu tun oder verfolgten sie verschiedene Ziele? Wo war Amelie de Marais und wieso kehrte sie nicht nach Maraisville zurück, wenn sie doch auf unserer Seite stand? Mein Kopf pochte unangenehm und ich seufzte lautlos. Das ergab alles keinen Sinn.

  Ein leiser Laut ertönte – es gab eine neue Mitteilung auf dem Pad. Mein Pu
ls schnellte hoch, wie immer, seit ich wusste, dass die OmnI darauf zugreifen konnte. Mir schwante nichts Gutes.

  ∞

  ES IST ZEIT, SICH ZU ERHEBEN.

  Ich starrte auf die Überschrift. Seit dem ersten Hassangriff auf Luciens Familie hatte ich damit gerechnet, dass die OmnI und Costard endlich Nutzen aus ihrer Hetzkampagne ziehen würden. Es brachte ihnen nichts, die Menschen einfach nur gegen den König aufzubringen, so würden sie ihr Ziel kaum erreichen. Und da die OmnI seit Monaten nicht an die entscheidenden Ressourcen herankam, um das Machtverhältnis zu drehen, stand es unentschieden. Bis jetzt.

  Liebe Bürger von Europa, ihr seid am Zug. Heute ist der Tag, an dem ihr eure Zukunft in die Hand nehmen und gegen diejenigen vorgehen könnt, die euch eure Freiheit genommen haben.

  Bevor die Abkehr uns zu Schatten unseres eigenen Fortschritts gemacht hat, waren wir vernetzt. Verbunden. Wir hatten alles, was wir brauchten – vor allem ein System, das den Zugang zu unserer wichtigsten Ressource herstellen konnte: Wissen.

  Als die Abkehr kam, wurde diese Verbindung gekappt, der unbegrenzte Zugriff auf dieses Wissen beendet. Das muss rückgängig gemacht werden. Aber der König verhindert, dass wir dieses System wieder in Betrieb nehmen, um euch zurückzugeben, was allen Menschen zusteht. Deswegen brauchen wir eure Hilfe. Wir verlangen nicht, dass ihr kämpft. Das können wir tun. Wir brauchen nur euren friedlichen Protest. Auf der Karte findet ihr all jene Orte, die wir zurückerobern müssen. Alles, was ihr dafür tun müsst, ist: dort sein. Geht zu diesen Gebäuden, geht an diese Orte und seid einfach da. Alles andere erledigen wir.

  Wir sind ReVerse. Wir werden euch befreien.

  Ich sah mir die Karte mit all den markierten wichtigen Kraftwerken und Versorgungszentren an – und wusste sofort, was die OmnI damit bezweckte. Es war so klug, wie man es von ihr erwarten konnte: Indem sie die Leute dazu brachte, sich in der Nähe strategisch wichtiger Zentren aufzuhalten, verhinderte sie, dass Maraisville diese angreifen konnte, sobald sie von der OmnI übernommen wurden. Denn sie wusste genau, dass Lucien kein skrupelloser Tyrann war, wie auch Leopold es nie gewesen war. Sie wusste, dass keiner von ihnen auf Unschuldige feuern würde. Mit diesem Kniff hatte sie genau den lebenden Schutzschild, den sie brauchte – und das, ohne auch nur einen einzigen ihrer Kämpfer opfern zu müssen. Mir wurde kalt, aber diesmal von innen. Das war eine Katastrophe.

  Am liebsten hätte ich sofort eine Verbindung zu Lucien hergestellt, aber wir hatten aus Sicherheitsgründen unsere InterLinks auf stumm geschaltet, falls jemand in der Gegend Aufspürtechnik dafür besaß. Bei all den Schwarzmarktgeschäften, die in Janstad liefen, war es nicht unwahrscheinlich, dass jemand etwas gebaut hatte, das InterLink-Signale von denen eines WrInks unterscheiden konnte. Also konnte ich nur meine Mitstreiter wecken.

  »So eine Scheiße«, fluchte Echo fünf Minuten später, als ich ihr den neuesten Zug der OmnI gezeigt hatte. »Das ist wirklich widerwärtig.«

  »Sie benutzt die Menschen als Schild gegen uns.« Ich sank auf den Stuhl. »Sie weiß genau, dass Lucien nicht angreifen wird, wenn Tausende von Leben auf dem Spiel stehen.«

  Echo seufzte. »Und selbst wenn er das tun würde, was für eine Wirkung hätte das? Er würde als genau der Despot dastehen, zu dem die OmnI ihn machen will. Sie kann bei dem Spiel gar nicht verlieren. Und er nicht gewinnen.«

  Jye kam nun auch aus der Küche, wo er bis eben geschlafen hatte, und sah uns ratlos an. »Was ist denn passiert? Eine neue Katastrophe?«

  Stumm hielt Echo ihm das Pad hin.

  »Fuck«, sagte er mit voller Inbrunst, als er den Text gelesen hatte. »Und jetzt? Was tun wir dagegen?«

  »Wir müssen die Bevölkerung irgendwie dazu bringen, uns wieder mehr zu vertrauen als ReVerse«, sagte ich düster. Mir war bewusst, welch großartige Aussichten dieses Vorhaben hatte.

  Wie sich Lucien wohl in diesem Moment fühlte? War er schon informiert oder hatte man ihn erst wecken müssen, um ihm nun ein Pad unter die Nase zu halten und zu zeigen, was seine Gegner Neues aus dem Hut gezaubert hatten? Ich wusste es nicht. Aber ich wusste, ich hätte alles dafür gegeben, bei ihm zu sein.

  Echo kam diesem Wunsch entgegen. Sie stand auf und aktivierte mit kurzem Blinzeln ihre InterLinks. »Erst einmal müssen wir zurück und zwar so schnell wie möglich. Zieht euch an, ich wecke Tilda auf. Um den Gang durch die Dunkelheit kommen wir jetzt nicht mehr herum.«

  Ich nickte und griff mechanisch nach meiner Jacke. Der neueste Schachzug der OmnI hatte mir mit einem Schlag jede Zuversicht geraubt. Was brachte es, dass wir bei dem Absturz einen Schritt weiter waren, wenn sich gleichzeitig das ganze Land gegen uns wendete? Aber trotzdem nickte ich.

  »Gehen wir.«

  25

  Die vier Stunden, die es dauerte, zum Landeplatz der FlightUnit zu laufen und dann zurück nach Maraisville zu fliegen, ließ die OmnI nicht ungenutzt verstreichen. Obwohl wir direkt vom Militärbereich in die Festung fuhren und die Strecke bis zum Lagezentrum im Laufschritt zurücklegten, hatten Costard und sie es bereits ganz in die Nähe des RTC am Rande von Paris geschafft, als wir ankamen. Jye hatte sich bereiterklärt, Tilda ins Militärgefängnis zu begleiten, und fehlte deswegen.

  »Wie viele MerchPoints liegen zwischen der OmnI und dem RTC?«, fragte Imogen gerade Paulsen, als wir hereinkamen. Es war zwei Uhr morgens, und ich sah, dass ausschließlich die Entscheidungsträger anwesend waren. Keine Analysten, keine Experten, nur Travere, Imogen, Saric, Dufort und Lucien.

  »Vierzehn.« Paulsen. »Was nicht viel ist, wenn wir ehrlich sind.«

  »Wie viele Leute von uns sind vor Ort?« Lucien streifte mich mit seinem Blick, wie er es immer tat, wenn ich weg gewesen war: prüfend, um sich zu versichern, dass ich in Ordnung war. Das Lächeln, das dieser Prüfung meist folgte, blieb aber diesmal aus. Ich nahm es ihm nicht übel und lächelte stattdessen selbst – wenn auch schief. Dann setzte ich mich hin.

  Dufort zeigte auf die Karte, die holografisch über den Tisch projiziert wurde. »Wir haben acht Teams von Schakalen in der Nähe, aber die können gegen die Menschenmengen nichts ausrichten. Selbst wenn ich mehr schicke, wird es nicht helfen. Es stehen über dreitausend Zivilisten direkt um das Gebäude und an den MerchPoints davor.« Ich erkannte auf der Karte die Umrisse von Paris und das nahe Umland. Einige Zonen waren blau markiert, aber auffällig war vor allem eine breite rote Ader, die sich von einem Punkt an der ehemaligen deutschen Grenze fast bis zur Stadt zog. Es sah aus wie eine Blutvergiftung, die sich schon viel zu nah am Herzen befand.

  »Jeanne?« Lucien sah zu der Chefin des königlichen Militärs, die neben Paulsen saß.

  »Ich habe bereits alle verfügbaren Einheiten von ihren Einsatzorten ab- und südlich von Paris zusammengezogen. Darunter auch vier kampfbereite FlightUnits mit voller Bewaffnung.« Jeanne Travere ließ das Ende des Satzes ausklingen, als wäre es eine Frage.

  Lucien schüttelte den Kopf. »Nein, das geht nicht. Wir können nicht auf diese Art antworten.«

  »Aber genau darauf spekuliert die OmnI doch«, meldete sich Saric zu Wort. »Sie weiß genau, dass Sie Skrupel haben, unpopuläre Schritte einzuleiten, deswegen –«

  »Unpopulär?«, echote er. »Das, worüber Sie reden, ist nicht einfach nur unpopulär. Es ist Massenmord.«

  »Sir, wir müssen etwas tun«, beharrte Travere. »Indem diese Leute dem Aufruf der OmnI gefolgt sind, haben sie sich dem Widerstand angeschlossen. Es muss ihnen bewusst sein, dass sie damit keine Unschuldigen mehr sind.«

  »Sie sind manipuliert worden!«, hielt Lucien dagegen. »Sie wurden mit Lügen und verdrehten Tatsachen bombardiert, bis sie bereit waren, sich gegen mich zu stellen. Das hat mit Schuld nichts zu tun!«

  »Es spielt keine Rolle, warum sie dort sind.« Paulsen zeigte zur Karte. »Die OmnI wird in weniger als drei Stunden Zugang zu diesem RTC haben. Darin lagern ausreichend technische Komponenten, um das Kräfteverhältnis innerhalb weniger Tage umzukehren. Wenn wir das Zentrum nicht zerstören, dann –«

  »Wissen Sie eigentlich, was Sie da von mir verlangen?!«, e
xplodierte Lucien. »Ich kann nicht dreitausend Zivilisten töten, verdammte Scheiße!«

  Sofort wurde es still. Ich blickte in die erschrockenen Gesichter der drei Anwesenden, die Lucien nicht so gut kannten wie Imogen, Dufort oder ich. Und selbst ich wusste, dass sein Ausbruch kein gutes Zeichen war.

  In den Besprechungen der letzten Wochen hatte Lucien nicht ein einziges Mal die Nerven verloren. Obwohl er impulsiv war und über ein beeindruckendes Repertoire an Flüchen verfügte, kam nie auch nur einer davon über seine Lippen, solange er in diesem Raum war. Dass er jetzt ausflippte und damit seine wahren Gefühle unter der königlichen Fassade offenlegte, zeigte mir, wie verzweifelt er war. Er stand mit dem Rücken zur Wand. Die OmnI hatte ihn mit ihrem Zug auf einen Schlag ausmanövriert, ihn handlungsunfähig gemacht. Uns alle.

  Imogen war die Erste, die sich wieder regte. »Gibt es nicht eine Lösung, die weniger Opfer fordert?«

  »Wir könnten nur sehr gezielt bombardieren.« Travere nickte. »Bloß die strategischen Zugänge an der Ost- und Westseite. Damit begrenzen wir die Anzahl der zivilen Opfer auf ein Minimum.«

  »Nein«, beharrte Lucien. »Wenn wir auch nur einen einzigen dieser Menschen töten, hat die OmnI gewonnen.«

  »Sie hat auch gewonnen, wenn sie das RTC bekommt«, sagte Imogen. »Denn dann erhält ReVerse ausreichend Komponenten für die Herstellung von Waffen, Drohnen und allem anderen, mit dem die OmnI am Ende Maraisville einnehmen wird.«

  »Wie weit ist der Morbus?«, fragte Lucien.

  »Nicht weit genug.« Imogen verzog das Gesicht. »Cécile Victoire arbeitet Tag und Nacht daran, aber bisher gibt es keine Version, bei der wir sicher sein können, dass sie auch bis zur OmnI gelangt, ohne von ihr entdeckt zu werden.«

  Lucien atmete aus und sah in die Runde. »Und wie lange würde es dauern, das Areal räumen zu lassen?«

  Travere holte tief Luft. »Wir können es nicht räumen lassen. Es sind ja nicht nur Menschen vor Ort, sondern auch Fahrzeuge und Blockaden, die sich nicht ohne Weiteres beseitigen lassen. Außerdem strömen immer mehr Menschen nach.«

 

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