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Feel Again

Page 25

by Mona Kasten


  »Tante Heather hat gar nicht Hallo gesagt«, beschwerte sich Ariel.

  Heather. Tante Heather.

  Plötzlich machte es Klick.

  Gegen meinen Willen versteifte ich mich. »Tante Heather?«, fragte ich leise nach.

  Debbie lächelte. »Heather ist meine beste Freundin. Wir sind zusammen aufgewachsen. Ihr Mann ist gestorben, kurz nachdem die beiden geheiratet hatten. Sie ist für mich wie eine Schwester, deshalb habe ich sie damals überredet, hierher zu ziehen, damit sie nicht so einsam ist. Sie wohnt auf der kleinen Farm am anderen Ende der Straße.«

  »Heather ist meine Patentante«, fügte Ariel stolz hinzu.

  Ich nickte langsam, und ein erdrückendes Gefühl machte sich in meiner Brust breit.

  Isaac war also gerade auf dem Weg zu seiner Exfreundin. Zu der einzigen Frau, die ihm das Gefühl gegeben hatte, etwas wert zu sein. Zu der Frau, mit der er sein erstes Mal erlebt hatte. Die erste Frau, in die er sich verliebt hatte.

  »Alles okay, Sawyer?«, fragte Debbie freundlich.

  Ich versuchte, in ihrem Blick zu erkennen, ob sie wusste oder zumindest ahnte, was damals zwischen Isaac und Heather geschehen war. Dass diese Frau – ihre beste Freundin – sich über den Tod ihres Mannes mit einem emotional labilen Jugendlichen hinweggetröstet hatte.

  Aber Debbie wusste es nicht, da war ich mir ziemlich sicher. Ihr Lächeln war zu unbeschwert und zu offen.

  In diesem Moment hätte ich alles dafür gegeben, genauso ahnungslos zu sein. Denn dann müsste ich jetzt nicht dieses schmerzhafte Ziehen in meiner Brust ertragen – oder mich fragen, was es zu bedeuten hatte.

  Es vergingen zwanzig Minuten.

  Eine halbe Stunde.

  Eine weitere halbe Stunde.

  Zwischendurch holte ich mein Handy aus der Tasche, sicher, dass Isaac mir geschrieben hatte, um zu sagen, dass es länger dauern würde – aber da war nur eine Nachricht von Dawn, die mich fragte, wann ich zurückkäme, keine von Isaac. Und auch kein Anruf. Ich versuchte mich abzulenken, indem ich Ariel zum fünften Mal alle Fragen, die sie zu meinen Tattoos hatte, beantwortete und mich dann bereit erklärte, gemeinsam mit ihr eines zu entwerfen.

  Doch irgendwann konnte ich das mulmige Gefühl in meinem Magen nicht mehr ignorieren, ebenso wenig wie die Wut, die langsam, aber sicher in mir hochkochte.

  Wie konnte er nur?

  Wie konnte er mich in sein Zuhause einladen und mich dann hier sitzen lassen, um zu seiner Exfreundin zu gehen?

  Egal, welche Bedeutung Heather für diese Familie hatte, das war nicht in Ordnung.

  Als ich ihn schließlich – nach geschlagenen eineinhalb Stunden – zur Haustür reinkommen hörte, wäre ich am liebsten aufgesprungen und hätte ihn angeschrien. Doch selbst mein bissiger Kommentar blieb mir im Hals stecken, als ich die Frau sah, die hinter ihm das Wohnzimmer betrat.

  Heather war hübsch – ziemlich hübsch sogar. Sie hatte braunes, welliges Haar, das zerzaust war, trug eine enge Jeans und eine Bluse, die sie in der Taille verknotet hatte und die einen schmalen Streifen gebräunter Haut frei ließ.

  »Tut mir leid, Debbie, ich habe ihn ein bisschen länger in Anspruch genommen«, sagte sie fröhlich und warf Isaac ein Lächeln von der Seite zu. Ihre Wangen waren gerötet, und bei dem Gedanken, was die beiden gerade gemacht haben könnten, wurde mir speiübel.

  Sie ging durch das Wohnzimmer, als würde es ihr gehören, begrüßte erst Debbie mit einem Kuss auf die Wange, dann Ariel mit einer festen Umarmung. Als ihr Blick auf mich fiel, hob sie eine Augenbraue.

  »Heather, das ist Sawyer«, stellte Isaac mich vor.

  Heathers Blick glitt über meine schwarzen Jeans, die mehr Löcher als Stoff hatten, sowie über meinen Pulli, der mir am Kragen zu weit war und deshalb ständig an einer Schulter herunterrutschte und zwei meiner Tattoos entblößte. Sie lächelte höflich, aber ich konnte in ihren Augen sehen, dass sie mich in diesem Moment am liebsten wie ein Insekt zerquetscht hätte.

  Bevor sie mir die Hand hinhielt, sah sie Isaac fragend an.

  »Äh.« Er stockte und räusperte sich. Ich sah zu ihm auf, aber er mied meinen Blick. »Sawyer ist … eine Freundin.«

  Ich zuckte zusammen, und für einen Moment bekam ich keine Luft mehr, so sehr taten seine Worte mir weh.

  Ich schluckte trocken.

  Wie mechanisch ergriff ich Heathers Hand und ignorierte den Ausdruck von Genugtuung, der über ihr Gesicht gehuscht war, als Isaac mich ihr vorgestellt hatte. »Freut mich, dich kennenzulernen, Sawyer.«

  »Gleichfalls«, gab ich knapp zurück.

  Sekunden verwandelten sich in Minuten und Minuten in Stunden. Alles um mich herum verschwamm zu einem undeutlichen Brei. Nur am Rande bekam ich mit, dass Isaac Heather und Debbie in die Küche folgte.

  Ich wusste nicht, was mit mir los war, aber mit einem Mal ging es mir überhaupt nicht gut. In meinen Schläfen pochte es, meine Handinnenflächen waren kalt und klebrig, und es kostete mich unglaubliche Konzentration, gleichmäßig zu atmen.

  Mir wurde immer schlechter. Ich erhob mich, um Isaac zu sagen, dass ich fahren wollte, doch an der Tür zur Küche erstarrte ich. Heather hatte ihre Hand auf seine Schulter gelegt. »Du musst versprechen, dass du bald wiederkommst«, sagte sie strahlend. »Wir sehen hier viel zu wenig von dir.«

  Das Stechen in meinem Herzen, das ich ab und zu gespürt hatte, wenn Isaac bei der Arbeit mit einem Mädchen geflirtet hatte, war nichts gegen den Schmerz, der nun von mir Besitz ergriff.

  Isaac lächelte schüchtern. »Ich bin jedes Wochenende auf der Farm, Heather«, sagte er, dann drehte er sich zu seiner Mutter. Unschlüssig hob er eine Hand. »Also, wir fahren dann. Sag Grandpa und Grandma Tschüss von mir.«

  Für einen Moment sah es so aus, als würde Debbie ihn umarmen wollen, aber dann nickte sie nur. »Ja, das mache ich. Fahr vorsichtig, Isaac.«

  Ich winkte Debbie von der Tür aus zu und bedankte mich für das Wochenende, dann ging ich, ohne Isaac zu beachten, an die Garderobe, zog meine Schuhe und meine Jacke an, schnappte mir meinen Rucksack und lief nach draußen zum Auto.

  Die kühle, frische Luft tat mir gut, und ich atmete tief ein.

  Eine Freundin.

  Das war ich also für ihn.

  Warum hatten seine Worte mich so verletzt? Das war doch eigentlich mehr, als ich jemals von ihm gewollt hatte.

  Und warum tat es so weh, ihn mit dieser Frau zu sehen?

  »Hey, alles in Ordnung?« sagte Isaac hinter mir, aber ich konnte ihn gerade nicht ansehen, ohne etwas zu tun oder zu sagen, was ich im Nachhinein bereuen würde. Also wartete ich neben der Beifahrertür, bis Isaac das Auto aufschloss.

  Nur, dass das nicht geschah.

  Isaac stellte sich direkt neben mich.

  »Was ist los?«, fragte er leise.

  Ich sah ihn nicht an, sondern starrte auf den Griff der Autotür. War er wirklich so dämlich, oder stellte er sich nur dumm? Ich hatte ihn eigentlich immer für einen empathischen, intelligenten Mann gehalten.

  »Du hast mich allein gelassen«, platzte es aus mir heraus, und ich bereute sofort, den Mund aufgemacht zu haben. Jetzt kam ich mir nämlich einfach lächerlich vor.

  Lächerlich … und verletzlich.

  Er hob die Hand und berührte mich an der Schulter. Sofort fuhr ich zu ihm herum und funkelte ihn an. Ich würde mich sicher nicht von ihm anfassen lassen.

  »Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat«, sagte er leise und sanft.

  Wieso redete er mit mir, als wäre ich ein scheues Tier?

  »Das war sie, oder?«, fragte ich und war selbst erstaunt darüber, wie kalt meine eigene Stimme klang. »Die Alte, mit der du damals was hattest, meine ich.«

  Sein Blick wurde dunkel. Er antwortete nicht auf die Frage. Aber das musste er auch nicht.

  »Ich glaube das nicht«, murmelte ich und starrte auf den Boden. »Ich glaube das einfach nicht.«

  »Du hast gesagt, du verurteilst mich nicht dafür.«

  »Das
tue ich auch nicht, verdammt. Kannst du jetzt das Auto aufmachen? Ich würde gerne nach Hause.«

  »Wenn du so wütend auf mich bist, kann ich mich beim Fahren nicht konzentrieren, und das wäre gefährlich. Also nein, bis wir das geklärt haben, werde ich den Wagen nicht aufmachen.«

  Ich verpasste ihm einen bitterbösen Blick. Es schien ihn nicht zu interessieren. Alles, was er tat, war, mich nachdenklich anzusehen, als würde er versuchen herauszufinden, was sich hinter meiner Maske aus Wut verbarg. Das machte mich aber nur noch wütender.

  »Schön, dann diskutieren wir das eben aus«, fauchte ich und ballte die Hände zu Fäusten, bis es schmerzte. »Ich bin mit zu dir nach Hause gekommen. Ich habe zwei Partys, auf die ich eingeladen war, und eine Schicht bei Al sausen lassen, damit ich mit dir hier sein kann – und was machst du? Du verschwindest für über eine Stunde bei deiner verdammten Exfreundin, um was weiß ich was zu reparieren, und bringst sie dann auch noch mit hierher, mit ihren roten Wangen, den zerzausten Haaren und dem bauchfreien Top, und stellst mich ihr als – ähm – eine Freundin vor. Dabei geht es sie überhaupt nichts an, wer ich bin oder was ich für dich bin oder welche Rolle ich in deinem Leben spiele, und …«

  »Sawyer«, raunte er.

  »Wieso zum Teufel soll ich dir beibringen, wie man jemanden aufreißt?«, fragte ich außer Atem. »Du hast da doch jemanden quasi auf Abruf bereitsitzen.« Meine Kehle war ganz trocken, und ich hatte das Gefühl, jeden Moment in Tränen ausbrechen zu müssen. Aber das würde ich sicher nicht tun. Nicht schon wieder. Nicht vor Isaac, und schon gar nicht wegen Isaac.

  »Sawyer«, flüsterte er wieder.

  Er nannte mich bei meinem Namen. Immer bei meinem Namen, und nie Baby oder Süße, so wie all die Männer vor ihm es getan hatten. Bei Isaac war ich einfach Sawyer. Ich fragte mich, ob er wusste, wie viel mir das bedeutete.

  Im nächsten Moment legte er die Hände an meine Wangen. Ich konnte gar nicht anders, als den Kopf in den Nacken zu legen und seinen Blick zu suchen.

  Isaac sah mich warm an. Er streichelte meine Wangen, ganz vorsichtig, und atmete ruhig ein und aus. Ich tat es ihm automatisch gleich, obwohl sich mein Körper immer noch anfühlte, als könnte er jede Sekunde in die Luft gehen.

  »Ich empfinde nichts für Heather«, sagte er schließlich. »Und es tut mir leid, dass ich so lange verschwunden bin, obwohl ich mit dir hergekommen bin. Ich dachte, es geht um ein kleines Computerproblem von zwei Minuten, aber dann kam Heathers Mann Keith dazu und hat mir gefühlt einhundert Fragen zu dem neuen System gestellt, das sie sich vor ihrem Urlaub geholt haben.«

  Ich schluckte trocken. »Sie ist wieder verheiratet?«

  »Seit letztem Jahr, ja.«

  Oh.

  »Außerdem habe ich dir gesagt, dass das zwischen uns nichts Ernstes war.«

  Ich wollte das so stehen lassen und nichts mehr dazu sagen, aber die Worte sprudelten irgendwie doch an die Oberfläche. »War es wohl, wenn sie die einzige Frau war, die dir das Gefühl gegeben hat, etwas ganz Besonderes zu sein.«

  Er schüttelte langsam den Kopf. »Sie war die erste. Nicht die einzige.«

  Ich biss mir auf die Lippe. Was hatte ich mir eigentlich vorgemacht? Das war der Grund, weshalb wir diese Sache überhaupt erst angefangen hatten – dass Isaac Selbstvertrauen gewann und Mädchen kennenlernte. Ich hatte schließlich mit eigenen Augen gesehen, wie Dawns Stiefschwester an seinen Lippen gehangen hatte.

  Ich wandte den Blick ab.

  Für einen kurzen Moment an diesem Wochenende war tatsächlich der Wunsch in mir aufgekeimt, dass vielleicht ich das richtige Mädchen für Isaac sein könnte.

  Was für ein absurder Gedanke.

  KAPITEL 23

  In der kommenden Woche ging ich Isaac aus dem Weg. Ich traf mich nicht mit ihm, antwortete nicht auf seine Nachrichten und blockte jeden seiner Versuche ab, mich bei der Arbeit in ein Gespräch zu verwickeln.

  Es war einfach zu viel für mich geworden.

  Das Wochenende bei seiner Familie hatte mir den Rest gegeben. Ich hatte an jenem Sonntag einen absoluten Kontrollverlust erlitten, was meine Gefühle betraf. So etwas war mir noch nie passiert, und es hatte mir im Nachhinein einen solchen Schrecken eingejagt, dass ich mich weitestgehend zurückzog.

  Ich konnte keine Sekunde länger in seiner Gesellschaft verbringen, solange er all diese unterschiedlichen Gefühle in mir auslöste. Mein Zusammenbruch beim Geburtstag seines Grandpas war schon schlimm genug gewesen. So etwas würde mir nicht noch einmal passieren, dafür würde ich sorgen.

  Ich war kein Mädchen, das heulte. Und auch keines, das eifersüchtig wurde, sobald ein Kerl eine andere Frau anguckte. Ich hatte keine Ahnung, was Isaac Grant mit mir angestellt hatte, aber es reichte. Ich hatte genug.

  Ich wollte endlich wieder ich selbst sein.

  Jahrelang war ich wunderbar alleine zurechtgekommen. Ich brauchte niemanden. Und am allerwenigsten brauchte ich Isaac.

  Davon musste ich mich nur selbst überzeugen. Und genau das würde ich an diesem Abend tun.

  Ich machte alles wie sonst auch. Ich rief meine Lieblingsplaylist auf und schminkte mich auffällig, mit breitem Lidstrich und silbernem Glitzer unter meinen Augen. Ich zog ein trägerloses schwarzes Kleid an, zerrissene Strumpfhosen und Boots mit Plateausohle. Ich beschloss, das Campustaxi zu nehmen, das mich direkt zum Club fahren würde, und verzichtete deshalb auf eine Jacke.

  Als ich mich von Dawn verabschiedete und ihr sagte, dass ich wahrscheinlich erst am Morgen zurückkehren würde, wirkte sie nicht begeistert, aber das war mir egal.

  Ich hatte dicht gemacht. Ich würde nichts mehr an mich heranlassen und mich nicht mehr verletzen lassen.

  Das Faded lag etwas abseits vom Campus und war einer meiner Lieblingsclubs in Woodshill. Ich mochte den gruftigen Vibe, der hier herrschte, und die Tatsache, dass die meisten Gäste einen ähnlich ausgefallenen Stil wie ich hatten. Im Gegensatz zum Hillhouse, wo ich herausstach wie ein bunter Papagei, fiel ich hier so gut wie gar nicht auf. Hinzu kam, dass gute Musik gespielt wurde, die Getränke bezahlbar waren und man mit Lasern coole Lichtbilder an die heruntergekommenen Wände malen konnte.

  Der Türsteher begrüßte mich mit einem »Lange nicht gesehen« und winkte mich in den Club. An der Bar traf ich drei Kommilitonen aus dem Semester über mir, die ich hier schon öfter getroffen hatte. Einer von ihnen hieß Masao, und der glühende Blick, mit dem er mich ansah, während wir uns über die Musik hinweg zu unterhalten versuchten, ließ keinen Zweifel daran, was er sich von mir wünschte. Ich zog ihn mit mir auf die Tanzfläche, wo er sich von hinten gegen mich drängte und ich das Gefühl seiner Hände auf meinem Körper genoss. Er wisperte Worte in mein Ohr, die von der Musik verschluckt wurden, deren Bedeutung ich aber trotzdem verstand. Ich schlang die Hand von hinten um seinen Nacken und behielt ihn ganz nah bei mir. Der Song war gut, und Masao wusste, wie man sich bewegte. Der Druck seiner Finger auf meiner Taille zeigte mir deutlich, was er wollte. Ich legte meine Hände über seine, während er sie weiter hinabwandern ließ. Dabei fühlte ich, wie sein Brustkorb an meinem Rücken vibrierte, fast so sehr wie der Bass, der ebenfalls in mir surrte. Ich schloss die Augen, und …

  … plötzlich flackerte in meinem Kopf ein Bild von Isaac auf.

  Ich erstarrte mitten in der Bewegung.

  Das konnte doch nicht wahr sein!

  Und dann erinnerte ich mich an alles gleichzeitig: an seine grün-braunen Augen, die immer viel mehr sahen, als mir eigentlich lieb war; an seine warmen Lippen; an die Art, wie sich sein Körper unter meinen Händen angefühlt hatte; der Klang meines Namens aus seinem Mund; dass sich mit ihm alles anders anfühlte. Besser.

  Mir wurde warm. Nicht nur körperlich, sondern auch innen drin. In meinem Herzen. Und das … das war doch einfach nur beschissen!

  Ich riss die Augen auf. Mit einem Mal wurde mir bewusst, was ich da gerade im Begriff war zu tun. Die Hände auf meiner Hüfte, deren Berührung ich vor weniger als einer Minute noch genossen hatte, fühlten sich mit einem Mal fremd und falsch auf meinem
Körper an. Ich wollte nichts dringender, als von Masao wegzukommen.

  Ich biss die Zähne fest zusammen. Lavaartiger Zorn durchströmte mich.

  Das war alles Isaacs Schuld! Dieser verdammte Nerd mit seinen blöden, liebevollen Worten und seiner dämlichen, sanftmütigen Art. Oh Gott, ich wurde immer wütender. Masao bemerkte, dass etwas nicht mit mir stimmte, und sah mich fragend an. Ich schüttelte den Kopf, formte das Wort »Sorry« mit meinem Mund und ließ ihn dann stehen.

  Ich wusste, dass es völlig irrational war, und vielleicht hatte ich auch ein Glas Wodka zu viel zu mir genommen, aber ich musste Isaac sehen. Ich musste ihn sehen und ihm mitteilen, wie absolut inakzeptabel es war, dass er mein Leben innerhalb von wenigen Wochen vollkommen auf den Kopf gestellt und mich zu einem anderen Menschen gemacht hatte.

  In schnellen, energischen Schritten verließ ich das Faded.

  An seinem Haus angekommen, schlüpfte ich hinter einem eng umschlungenen Pärchen, das auf dem Weg nach draußen war, ins Treppenhaus, stampfte die Treppe nach oben und schlug mit der flachen Hand gegen die Tür. So kräftig und laut, dass ich mit Sicherheit alle Nachbarn aufscheuchte.

  Leider war es nicht Isaac, der öffnete, sondern Gian. Ich ließ ihn nicht zu Wort kommen.

  »Wo ist er?«, fauchte ich.

  »In seinem Zimmer?« Es klang eher nach einer Gegenfrage als nach einer richtigen Antwort. »Sawyer, was …«

  Ohne Gian weiter zu beachten, durchquerte ich den Flur und das Wohnzimmer und öffnete die Tür zu Isaacs Zimmer schwungvoll.

  Er saß an seinem Schreibtisch, vor ihm ein Buch, aus dem viele bunte Post-its herausragten. War ja klar. Nur ein Kerl wie Isaac schaffte es, donnerstagabends, wenn für die allermeisten Studenten bereits das Wochenende begonnen hatte, mit der Nase in Unilektüre zu stecken.

  »Du!« Ich deutete mit dem Finger auf ihn.

  Er starrte mich an, als wäre ich wahnsinnig.

  So fühlte ich mich auch. Wahnsinnig und völlig durchgeknallt. Und das nur seinetwegen.

 

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