Feel Again

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Feel Again Page 28

by Mona Kasten


  Wie sollte ich ihm wieder unter die Augen treten und so tun, als wäre nichts gewesen, wenn ich wusste, dass er sich so anhören konnte? Ich seufzte und stellte des Wasser ab. Genau deshalb war ich das Mädchen für One-Night-Stands. Ich war in dem ganzen anderen Kram einfach nicht gut.

  Ich wollte darin ja auch gar nicht gut sein.

  Nachdem ich mich abgetrocknet hatte, schlüpfte ich in die Leggings und das Oasis-Shirt, das ich mir im Owen House gekauft hatte. Es erinnerte mich an Riley, und dieses Gefühl von Geborgenheit brauchte ich gerade.

  Als ich zurück ins Zimmer kam, saß Dawn auf meinem Bett, nicht auf ihrem eigenen. Sie sah mich mit großen Augen an. »Ich habe blöd reagiert, oder?«, fragte sie.

  Ich hatte meine Klamotten von gestern Nacht auf dem Arm und fuhr abwesend mit dem Finger über den Reißverschluss meines Kleids. Ich dachte daran, wie Isaac es mir ausgezogen hatte, und die Erinnerung war so frisch, dass mir ein Schauer über die Arme ging.

  »Ein bisschen vielleicht«, murmelte ich.

  »Tut mir leid. Das wollte ich nicht«, sagte sie sofort und klang dabei ernsthaft zerknirscht. Sie klopfte dann neben sich aufs Bett.

  Ich stopfte wortlos meine Sachen in den Wäschekorb und drehte mich zu ihr um. Ihr reuevoller Blick machte es mir schwer, lange böse auf sie zu sein.

  »Es ist nur … normalerweise kenne ich die Typen nicht, mit denen du schläfst. Und wenn du so heimkommst …«, sie wedelte mit der Hand in die ungefähre Richtung meiner Halsbeuge, die zum Glück inzwischen von meinem Shirt bedeckt war, »denke ich mir, huh, okay. Krasser Typ. Aber Isaac … Isaac kenne ich! Isaac ist mein niedlicher, nerdiger, unschuldiger Freund, und wenn ich ihn jetzt angucke, dann …« Sie wurde rot. »Mal ehrlich, was hat er da gemacht?«

  Ich stöhnte und ließ mich bäuchlings auf das Bett fallen, nur knapp an Dawn vorbei. Ich presste mein Gesicht ins Kissen, bis ich keine Luft mehr bekam und den Kopf auf die Seite legen und mich Dawns Blick stellen musste. Sie sah mich neugierig an, aber auch, als wäre sie unsicher, was sie von der Situation halten sollte.

  »War es nicht … gut?«, fragte sie nach einer Weile zögerlich.

  Ich spürte, wie Hitze in meine Wangen schoss und ich wieder rot wurde. Dabei wurde ich nicht rot. Niemals.

  Ich zuckte mit den Schultern und setzte mich schließlich auf. Ich zog ein Kissen auf meinen Schoß und spielte am Bezug herum. Ich hatte mich noch nie so gefühlt wie in diesem Moment – völlig überfordert, verwirrt und ratlos.

  »Nein«, sagte ich stirnrunzelnd. »Es war … toll.«

  »Wieso guckst du dann so skeptisch?«, fragte sie.

  Ich senkte den Blick und zupfte an einem losen Faden. »Weil es heute Morgen total komisch war. Er hat kein Wort gesagt und konnte mich nicht mal richtig anschauen.«

  Dawn brummte nachdenklich.

  »Wir waren Freunde. Jetzt habe ich alles kaputtgemacht.«

  »Nichts ist kaputt, Sawyer.«

  »So fühlt es sich aber an«, brummte ich.

  »Für Isaac ist das bestimmt nicht so leicht und total ungewohnt. Wahrscheinlich war er einfach nur verunsichert«, sagte sie.

  Ich dachte an den Moment zurück, als er bemerkt hatte, dass ich in der Küche stand. An den Blick in seinen Augen, den ich nicht deuten konnte, und die Tatsache, dass er sich von mir weggedreht hatte.

  »Sein Mitbewohner kam in die Küche, als ich zu ihm gehen wollte. Es war … so abgrundtief peinlich.« Wieder vergrub ich das Gesicht im Kissen. Dawn tätschelte meinen Rücken eine Weile und sorgte dafür, dass ich mich ein bisschen besser fühlte, mir aber gleichzeitig wie ein Kleinkind vorkam. Ich drehte meinen Kopf auf die Seite und sah sie an. »Ich benehme mich wie eine Irre.«

  Sie wackelte mit den Brauen. »Wahrscheinlich, weil Isaac dir das Hirn …« Sie zog eine Grimasse. »Oh Gott, nein. Ich kann es nicht laut aussprechen.«

  Ich grinste, dankbar, dass sie die Stimmung etwas aufgelockert hatte. Ich sah ihr an, dass sie tausend Fragen hatte. Aber anstatt sie zu stellen, begann sie, mir von ihrem Abend bei Spencer zu erzählen.

  »Sawyer?«, fragte sie, nachdem sie geendet hatte und wir uns noch eine Weile über andere Dinge unterhalten hatten. Sie spielte an meinem Zopf herum und trennte eine schmale Strähne davon ab.

  »Mh hm«, machte ich und sah ihr dabei zu, wie sie anfing, die Strähne zu flechten.

  »Du weißt, dass du das mit dem Projekt jetzt nicht mehr so durchziehen kannst, oder?«, fragte sie vorsichtig, ohne mich anzusehen.

  Ich schluckte trocken und ließ die Frage unbeantwortet.

  »Wenn ihr weitermacht, brecht ihr euch gegenseitig das Herz.«

  Sie hatte recht.

  Ich konnte Isaac unmöglich länger dabei behilflich sein, andere Mädchen kennenzulernen, und ihm beibringen, wie man mit ihnen flirtete. Das würde nicht funktionieren. Ich musste einen Schlussstrich unter dieses Projekt ziehen. »Ich weiß«, murmelte ich in mein Kissen.

  Danach beschloss Dawn, beim Asiaten Mittagessen für uns zu bestellen. Sie schaltete die Wiederholung der letzten Bachelorette-Folge ein, und ich beschwerte mich ausnahmsweise nicht. Die Ablenkung war mir recht. Dawn liebte Trash-TV und konnte sich dabei tierisch über die Teilnehmer aufregen und in Rage reden. Ich beobachtete sie eine Weile, und als ihr Kopf so rot war, dass ich mir sicher war, er würde jeden Augenblick explodieren, schnappte ich mir mein Handy, um ein Foto zu machen.

  Mein Herz setzte eine Sekunde aus, als ich sah, dass Isaac mir geschrieben hatte.

  Hey, alles klar?

  Ich spürte Dawns Blick auf mir, ignorierte sie aber.

  Ja. Bei dir? Hat Gian dich noch genervt?

  Er macht mir das Leben zur Hölle. Sorry, dass es vorhin so komisch war.

  Ich schluckte schwer. Dann setzte ich zu einer Antwort an, die ich sofort wieder löschte. Am liebsten hätte ich etwas Witziges geschrieben und so getan, als wäre alles nur halb so wild und als könnten wir die letzte Nacht einfach ignorieren und zur Tagesordnung übergehen. Aber das wäre unehrlich gewesen.

  Nach einer halben Stunde tippte ich schließlich drei Worte.

  Wir müssen reden.

  Er brauchte genauso lange, um zu antworten. Ich stellte mir vor, wie er mehrere Sätze tippte und sie wieder löschte, um letzten Endes doch nur zwei Worte abzuschicken.

  Ich weiß.

  KAPITEL 25

  Am Montag ging ich mit meinem Laptop bewaffnet in Robyns Sprechstunde. Zwar musste das Abschlussprojekt erst im Dezember, am Ende des Semesters, eingereicht werden, aber da ich alles, was ich bislang dafür getan hatte, verwerfen und noch einmal ganz von vorne beginnen würde, musste ich mit meiner Dozentin sprechen.

  Ich wartete ein paar Minuten auf der Bank vor Robyns Büro, bis sich die Tür öffnete und Robyn sich von einer anderen Studentin verabschiedete. Dann wandte sie sich an mich. »Sawyer, hi! Komm rein. Mach es dir bequem.«

  Ich nahm auf dem Stuhl an dem kleinen runden Tisch Platz, der neben einem Bücherregal stand. Jeder Winkel hier war vollgestopft mit Kram, von Postern über Bücher, Blumen und Foto-Equipment bis zu leeren Kaffeetassen auf dem Schreibtisch, dem Boden und im Regal. Gegen dieses Büro war Wesleys Werkstatt ein Musterbeispiel für Ordnung am Arbeitsplatz gewesen.

  Robyn schenkte uns zwei Gläser Wasser ein und schob mir eins über den Tisch. Dann lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück.

  »In deiner Mail klang es, als wäre es dringend. Was gibt’s?«, fragte sie.

  Verdammt, es war schwieriger, als ich gedacht hatte, darüber zu sprechen. Auch wenn Robyn meine Lieblingsdozentin war und ich das Gefühl hatte, dass ich ehrlich zu ihr sein konnte – ich verstand selbst nicht, was in den letzten paar Wochen mit mir passiert war und wie alles so sehr außer Kontrolle geraten konnte.

  »Ich muss mein Projekt vorzeitig beenden«, fing ich nach einer Weile an.

  Eine kleine, nachdenkliche Falte bildete sich zwischen Robyns Brauen. »Wieso?«

  Ich räusperte mich. »Aus … persönlichen Gründen.« />
  Robyn beugte sich vor und nahm ihr Glas, ohne den Blick von mir zu nehmen. Sie trank einen Schluck. »Es ist aber nicht wegen meines Feedbacks, oder? Das sollte dich nämlich eigentlich dazu animieren, es besser zu machen, statt aufzugeben.«

  Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht aufgegeben.« Im nächsten Moment griff ich nach meinem Rucksack und holte meinen Laptop raus. Ich klappte ihn auf, gab das Passwort ein und öffnete die Fotos, die ich von Isaac und seiner Familie gemacht hatte. Ich drehte den Laptop zu Robyn.

  Ich hatte ein paar der älteren Fotos an den Anfang getan, die Robyn beim letzten Mal gefallen hatten. Dann folgten Fotos von der Geburtstagsparty auf der Farm. Ich hatte Isaac mit seinen Geschwistern fotografiert, Ivy hing an seinem Hals, Levi an einem Arm. Es sah aus, als würde der kleine Junge Klimmzüge an Isaacs Bizeps machen. Anschließend ein Bild von Isaac mit seiner Grandma auf der Tanzfläche, auf dem beide lachten. Dann ein paar von ihm und Gian auf ihrer Couch, eines in Schwarz-Weiß, auf dem er in einem Buch las, während er gleichzeitig am Herd hantierte. Das brachte Robyn zum Grinsen.

  »Das finde ich super«, sagte sie.

  »Es ist so typisch Isaac«, murmelte ich.

  Sie blickte fragend auf, und ich spürte, wie meine Wangen warm wurden. Schon wieder.

  Robyn schob den Laptop zurück zu mir und verschränkte dann die Arme vor der Brust. »Die Bilder sind toll, Sawyer. Bist du dir sicher, dass du sie nicht verwenden willst?«

  Am liebsten hätte ich gesagt: »Doch! Doch, das will ich unbedingt.« Ich liebte diese Fotos. Sie gehörten zu den schönsten, die ich je gemacht hatte. Das gesamte Wochenende hatte ich in meinem Wohnheimzimmer gesessen, sie angestarrt und bewundert, wie viel Seele und Leben in ihnen steckte.

  Jedoch blieb mir keine andere Wahl. Isaac und ich hatten einen Deal gehabt – ich half ihm, und er half mir. Aber ich würde meinen Teil nicht länger einhalten können. Und ich wollte es auch überhaupt nicht. Abgesehen davon, dass diese Bilder auch nicht weiter von der ursprünglichen Idee, die ich für das Projekt hatte, entfernt sein konnten.

  Ich musste das jetzt hinter mich bringen. Es war besser so.

  »Ich bin mir sicher«, sagte ich mit leiser Stimme, auch wenn es wehtat. Ich trank einen Schluck Wasser, weil sich meine Kehle trocken und kratzig anfühlte. Erst danach konnte ich Robyn wieder ansehen. »Ich weiß nicht, was ich jetzt machen soll.«

  Robyn betrachtete mich einen Moment lang still. Verständnis machte sich auf ihren Zügen breit. Sie tippte sich nachdenklich mit einem Finger an die Lippen. Dann drehte sie sich um und streckte sich zu ihrem Schreibtisch, wo sie einen Zettel von einem schmalen Papierstapel nahm. Sie reichte ihn mir. »Meine Freundin und ich eröffnen eine Galerie in der Innenstadt«, erklärte sie. Ich blickte von dem Flyer auf und sah sie verwirrt an. »Es werden einige Bilder ausgestellt, die dir vielleicht ganz gut als Inspiration dienen können.«

  Ich hatte damit gerechnet, dass sie mir sagen würde, wie enttäuscht sie von mir war und wie leichtsinnig ich mich verhielt, wenn ich jetzt noch mal anfing, nach einem neuen Projekt zu suchen. Ich hatte sogar damit gerechnet, dass sie mich durchfallen ließ und ich den Kurs noch mal machen musste. Dass sie mich stattdessen zu der Eröffnung ihrer Galerie einlud, überraschte mich.

  »Komm dorthin und schau dir an, was wir so ausstellen. Danach sprechen wir noch mal und schauen, ob wir einen Kompromiss für dein Abschlussprojekt finden«, fuhr sie fort.

  »Vielen Dank«, stammelte ich.

  Sie lächelte. »Dann sehen wir uns am Mittwochabend. Bring gerne jemanden mit, wenn du dich dann wohler fühlst.«

  Sprachlos ergriff ich ihre entgegengestreckte Hand und schüttelte sie.

  Am Montagabend hatten Isaac und ich eine gemeinsame Schicht im Steakhouse. Ich hatte ihn seit Freitag nicht mehr gesehen. Er war wie jedes Wochenende zu seiner Familie gefahren, und ich hatte Samstag und Sonntag größtenteils im Bett verbracht und versucht, an nichts zu denken.

  Nach dem Gespräch mit Robyn hatte ich mir erst einmal einen Smoothie geholt und war vom Campus aus bis zum See gelaufen, wo ich mich auf die Bank gesetzt und mir den restlichen Tag den Kopf darüber zerbrochen hatte, wie ich Isaac beibringen würde, dass ich unser Projekt abbrechen wollte.

  Als ich das Steakhouse betrat – extra etwas früher als nötig – hatte ich mir alles, was ich sagen wollte, genau zurechtgelegt. Ich hatte mich gegen die Enttäuschung in seinem Blick gewappnet, und auch gegen seinen möglichen Zorn. Doch alles, worauf ich mich gedanklich vorbereitet hatte, verschwand aus meinem Kopf, als ich Isaac im Umkleideraum stehen sah.

  Er war gerade dabei, seine Schürze zuzubinden, und für einen Augenblick blieb mir die Luft weg. Er trug ein schwarzes, schlichtes Shirt, seine Brille – oh Gott, diese Brille – und hatte sein Haar ordentlich gestylt, wie er es bei der Arbeit meistens tat.

  Das war doch total verrückt. Isaac band sich bloß seine Schürze um, und dennoch konnte ich meinen Blick nicht von ihm losreißen. »Hey«, unterbrach er meine Gedanken, und ich zuckte ertappt zusammen.

  »Hi.« Ich trat neben ihn an den Spind, um meine Jacke aufzuhängen. »Alles klar?«

  Small Talk. Das bekam ich hin.

  »Alles super. Und selbst?«

  Ich zog eine meiner Schürzen heraus und wollte sie mir gerade umbinden, als ich merkte, wie er hinter mich trat. Ich spürte die Wärme, die von seinem Körper ausging. Er hob die Hände an meine Hüften. Mir wurde heiß, mein Herz schlug schneller.

  »Was machst du da?«, murmelte ich.

  »Ich helfe dir«, sagte er leise. Er trat noch dichter an mich und wickelte die Bänder an meinem Bauch zu einer Schleife. Doch als er fertig war, verschwanden seine Hände nicht. Er hielt mich fest, strich mit den Daumen über meine Seiten und drückte sich der Länge nach gegen mich.

  Er ließ seine Finger an meinem Körper nach unten wandern, über meinen Bauch, hinab zu meiner Leiste, wo ich nach wie vor seine Knutschflecke sehen und spüren konnte. Es schien, als wüsste er genau, an welchen Stellen er zu fest gesaugt und gebissen hatte, denn er fuhr mit den Fingern genau darüber.

  »Isaac«, flüsterte ich.

  »Ja?«, gab er genauso leise zurück. Er beugte sich vor und drückte seine Lippen auf meinen Hals.

  Ich räusperte mich. »Wir wollten reden.«

  »Ich weiß«, murmelte er. Er drehte mich zu sich herum, sein einer Arm noch immer fest um mich geschlungen. Er ließ seine Augen über mein Gesicht wandern, öffnete den Mund, als ob er etwas sagen wollte. Dann holte er tief Luft und … küsste mich.

  Er küsste mich.

  Heiß und innig. Als hätte sich nichts zwischen uns geändert, als befänden wir uns immer noch in jener Nacht, wo sich alles richtig und nichts merkwürdig zwischen uns angefühlt hatte.

  Ich vergaß, was ich hatte sagen wollen. Jedes einzelne Wort. In mir war nur noch Platz für das Kribbeln, das er in mir auslöste. Hilflos hielt ich mich an ihm fest, als wir rückwärts taumelten und gegen die Spinde knallten. Ich zuckte zusammen, als sich einer der Griffe in meinen Rücken bohrte, aber Isaac entschuldigte sich nicht, sondern schob lediglich eine Hand zwischen mich und die Schranktür und küsste mich weiter. Immer weiter. Es war wahnsinnig. Ich zog seine sorgfältig gebundene Schleife auf, und die Schürze glitt zu Boden, er fuhr mit den Händen unter mein Shirt und umfasste meine Brüste. Wir waren wieder genau da, wo das ganze Problem erst angefangen hatte. Aber ich konnte nicht aufhören. Er konnte nicht aufhören. Wir waren viel zu leichtsinnig und steuerten unaufhaltsam auf eine grandiose Katastrophe zu.

  Aber der freie Fall fühlte sich einfach überwältigend an.

  KAPITEL 26

  Am Mittwoch ging ich mit Dawn zu Robyns Galerie. Sie lag im Stadtzentrum von Woodshill, in einer Einkaufspassage direkt neben dem Jugendzentrum. Wir fanden den Eingang erst beim dritten Versuch, weil er ein bisschen versteckt lag und wir zu viel geredet hatten, anstatt auf die handgeschriebenen Schilder zu achten, die provisorisch aufgehängt worden waren.

  Auf der unteren Etage des alten
Backsteingebäudes befand sich eine heruntergekommene Bar, von daher war ich skeptisch, als wir hinter einer Gruppe älterer Leuten die Treppe zur Galerie hinaufstiegen. Doch oben angekommen klappte mein Mund auf.

  Die Fläche war weitläufig und hell mit hohen, weißen Decken. Weiße Wände standen sowohl mitten im Raum als auch an der Seite, und überall waren Fotografien auf großen Leinwänden aufgestellt, die von Strahlern beleuchtet wurden. Aus Boxen ertönte ruhige, leise Musik, die ich neben den gemurmelten Gesprächen der Besucher nur leicht wahrnahm.

  »Sawyer!«, erklang plötzlich Robyns Stimme. Weiter hinten im Raum sah ich ihren erhobenen Arm. Ich winkte zurück, und sie machte eine Bleib-wo-du-bist-ich-komme-gleich-Bewegung mit ihrer Hand.

  Wenig später hatte sie sich durch die Besucher zu uns durchgeschlängelt. »Du hast es geschafft«, begrüßte sie mich erfreut und reichte mir die Hand.

  »Ja.« Ich deutete auf Dawn. »Ich habe meine Freundin Dawn mitgebracht.«

  »Ah, ich erinnere mich. Von der Bilderreihe, die Sawyer letztes Semester gemacht hat, stimmt’s? Freut mich«, sagte Robyn und ergriff auch Dawns Hand. »Außerdem spricht Nolan viel über dich. Hast du nicht kürzlich erst einen Verlagsvertrag für ein Buch bekommen?«

  Dawn lief rot an. »Äh, ja. Genau. Ich wusste nicht, dass …« Sie unterbrach sich selbst.

  »Nolan und ich sind befreundet«, sagte Robyn lächelnd. »Deshalb tauschen wir uns manchmal über unsere Studenten aus. Er ist auch hier.« Robyn warf einen Blick über die Schulter. »Da hinten irgendwo. Naja, egal. Habt ihr euch schon ein bisschen umgucken können?«

  »Ein bisschen nur«, antwortete ich ehrlich. »Mir gefallen diese vielen kleinen Leinwände, die da hinten an der Wand hängen. Die, von denen ein paar exakt wie Backsteine aussehen und ein paar voller Farbflecken sind. Ich mag, wie es aussieht, als würden sich die Bilder in die Wand einfügen.«

  Neben mir nickte Dawn energisch, und Robyn strahlte. »Ja, eine tolle Inszenierung. Ich bin echt froh, dass wir alles zeitlich einigermaßen hinbekommen haben. Zwischendurch dachte ich, es wird nichts.« Sie zog eine Grimasse. »Ihr seid bestimmt auch erst dreimal um das Gebäude gelaufen, bevor ihr den Eingang gefunden habt, so wie jeder hier. In den nächsten Wochen bringen wir noch richtige Schilder an, auch weiter vorne. Wir haben uns schon mit den Eigentümern der Bar abgesprochen und geben gemeinsam welche in Auftrag. Aber bis man sich da mal auf ein Material geeinigt und Angebote verglichen hat …« Sie holte tief Luft, und im selben Moment trat eine schwarzhaarige Frau neben sie und legte einen Arm um ihre Schultern.

 

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