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Kiss Me Once

Page 5

by Stella Tack


  Die Frau seufzte tief und warf dem Drucker einen weiteren giftigen Blick zu, bevor sie sich in ihren Bürostuhl fallen ließ.

  »Alles klar, Mädchen, komm her. Nicht schüchtern sein.« Ungeduldig winkte sie mich näher. »Ich bin Libby. Was kann ich für dich tun?«

  Zögernd trat ich nach vorn an den Tresen. »Ich bin gerade angekommen. Übermorgen startet mein erstes Semester und ich habe leider meine Anmeldezettel für das Wohnheim … vergessen.« Ein wenig geflunkert, aber es schien mir einleuchtender, als erklären zu müssen, warum meine Zettel völlig durchnässt waren und teilweise in Rays Gesicht klebten.

  »Alles klar, kein Problem, Schätzchen, das haben wir gleich«, murmelte Libby, die mit flinken Fingern etwas in ihren Computer eintippte. »Ivy Bennet, wohnhaft in 33109 Miami Beach, ist das korrekt?«

  Ich nickte und sah, wie sich eine Falte zwischen Libbys Brauen bildete.

  »Hier steht … oh …« Sie warf mir einen schnellen Blick zu. Ein leicht nervöser Zug bildete sich um ihre Mundwinkel, während sie sich räuspernd ein wenig gerader hinsetzte.

  Oh, oh. Ich ahnte, was sie gerade über mich gelesen haben musste.

  »Miss Redmond …«

  Jap, sie wusste es. Kein Schätzchen oder Mäuschen mehr. Kein Miss Bennet.

  »Hier steht, dass Sie erst übermorgen anreisen. Ist das ein Fehler?«

  »Nein, nein, das ist korrekt. Aber ich bin nun doch schon ein wenig früher angereist. Das ist hoffentlich kein Problem?« Ich schenkte ihr mein freundlichstes Lächeln. Ruhig bleiben. Alles würde gut werden. Ich versuchte, optimistisch zu bleiben, obwohl ich innerlich das genaue Gegenteil fühlte. Mein ganzer Körper verkrampfte sich.

  »Miss Redmond …« Libby zögerte und musterte mich wieder verhalten. »Hier sind strenge Verfahrensvorschriften angeführt, was Ihre Person betrifft. Zum einen ist Ihr Zimmer noch nicht bezugsfertig. Zum anderen steht hier, dass Sie sich ohne ausgewiesenes Begleitschutzpersonal gar nicht auf dem Campus befinden dürfen. Ist denn Ihr Vater oder eine andere erziehungsberechtigte Person bei Ihnen, mit der ich mich deswegen absprechen könnte?«

  Meine Lippe zitterte leicht, als ich hineinbiss und zögernd den Kopf schüttelte. So viel zu meinem Plan der wilden Freiheit. Ich hätte wissen müssen, dass mein Vater mir schon im Voraus genug Steine in den Weg legen würde, um mir meinen ersten Tag zu vermiesen. Vielleicht klang ich jetzt kleinlich, aber manchmal hasste ich es, eine Redmond zu sein.

  »Nein, ich bin alleine hier«, erklärte ich Libby so ruhig und entschlossen wie möglich, während ich stolz das Kinn hob. »Mein Security sollte aber bald eintreffen. Ich würde nur gern mein Zimmer zugeteilt bekommen, damit ich schon mal einziehen und auspacken kann.«

  Libbys Lippen wurden noch eine Spur schmaler, als sie unruhig auf der Tastatur herumtippte. »So leid es mir tut, Miss Redmond …«

  »Ivy.«

  »Wie bitte?«

  »Bitte nennen Sie mich ruhig Ivy«, bat ich sie sanft.

  Augenblicklich entspannten sich Libbys Schultern ein wenig. Jeese! Was hatte Harry denen über mich erzählt? Bestimmt hatte er wieder völlig übertrieben und eine ganze Reihe unnötiger Vorschriften aufgelistet.

  »Ivy …« Libby lächelte mich freundlich an und diesmal erreichte es auch ihre Augen. »Ihr Fall ist ein wenig … ungewöhnlich. Die UCF ist ein öffentliches College. Eigentlich sind wir nicht für solche Fälle wie den Ihren vorbereitet. Wären Sie eine normale Studentin, würde ich Sie erst ab dem Zeitpunkt, ab dem Sie sich angemeldet haben, Ihr Zimmer beziehen lassen. Da ich Sie aber nicht frei auf dem Campus herumlaufen lassen kann, werde ich wohl Ihren Vater kontaktieren müssen.«

  »Das ist nicht nötig. Er weiß, dass ich hier bin«, unterbrach ich sie freundlich, aber bestimmt. »Gibt es denn wirklich keine Möglichkeit, dass ich mein Zimmer heute schon beziehen kann?«

  Libby seufzte und klickte sich wild durch ein paar Dateien. »Sie haben ein Zimmer im angrenzenden Wohnheim. Dorm zwei, also hier …« Sie reichte mir eine Broschüre über den Tresen, klappte eine Doppelseite mit dem Campusplan auf und markierte mit einem Kuli das Y-Gebäude. Daneben war das Foto einer hübschen Latina abgebildet, über deren Kopf das Logo der UCF hing. Darunter stichpunktartig die wichtigsten Regeln des Wohnheims.

  »Im ersten Semester haben Sie lediglich Orientierungskurse, unter anderem Literatur, Biologie und Geografie. Zusätzlich können Sie sich aber auch zu Wahlfächern wie Kunst oder Schauspiel anmelden. Ihre Pflichtkurse sind allesamt in der Nähe. Hier, hier und hier.« Bei jedem Hier zeichnete Libby weitere Kreise auf dem Plan ein. »Ihr Vater hat neben der Zuweisung Ihres Geleitschutzes auch um regelmäßige Kontrollen vonseiten der Hausverwaltung gebeten«, fuhr Libby fort und sah mich dabei mit einer Spur Bedauern an.

  Ich weiß! Es war einfach nicht fair. Ich war achtzehn und mein Dad hetzte mir sogar am College ein ganzes Rudel Aufpasser hinterher.

  »Soweit ich weiß, ist Ihr Security …« – sie guckte auf ihren Computerbildschirm – »… ein gewisser Ryan MacCain. Ah, und er ist auch bereits angereist. Ihm wurde das Zimmer neben dem Ihren zugeteilt. Ich werde ihn gleich anrufen und Bescheid geben, dass Sie hier sind und er Sie abholen soll. Danach werde ich mich mit Mr Redmond in Verbindung setzen.«

  Mein Magen zog sich bei ihren Worten zusammen. Ich atmete ein paarmal tief ein und aus, um mich zu beruhigen. »Wie meinen Sie das, mein Security hat das Zimmer neben meinem?«, bohrte ich nach. Meine Stimme zitterte vor Wut.

  Libby sah mich wieder entschuldigend an. »Unsere Zimmer und Sanitäreinrichtungen sind zwar geschlechtergetrennt, aber das Wohnheim selbst ist es nicht. Ihr Vater hat explizit darum gebeten, dass Ihre Begleitung aus Sicherheitsgründen das Zimmer neben dem Ihren beziehen kann. Außerdem wurde um ein Einzelzimmer gebeten.«

  »Ein … Einzelzimmer?«, fragte ich und klammerte mich hilflos an den Tresen. »Nein! Das kann nicht sein. Ich habe doch sämtliche Anmeldungen selbst ausgefüllt und mich dabei für ein normales Zimmer samt Mitbewohnerin angemeldet.« Ich hatte mich schon so auf eine Mitbewohnerin gefreut. Fast genauso sehr wie auf die Kurse.

  Libby räusperte sich. Ihr war deutlich anzusehen, dass ihr die gesamte Situation unangenehm war. Sie tat mir natürlich auch leid, aber meine Träume stürzten hier gerade ein. Einer nach dem anderen.

  »Ich kann leider nur weitergeben, was ich hier in den Dokumenten lese, Miss … Ivy. Ihr Vater zahlt der UCF und der Betreuung dieses Wohnheims eine beachtliche Summe für diese kleinen Extras.« Libby verstummte, als sie meinen Blick einfing. Ich war kurz davor, jemanden umzubringen! Und mit meinem Vater würde ich anfangen.

  »Er muss kein Geld zahlen …« presste ich hervor. »Ich habe ein Leistungsstipendium bekommen.« Das Stipendium hätte meine Karte in die Freiheit sein sollen. Ich war zwar kein Genie wie meine Mutter – was sie mir oft genug unter die Nase gerieben hatte –, aber ich hatte trotzdem so lange gebüffelt, bis ich an jedes College meiner Wahl hätte gehen können. Es war mir wichtig gewesen, finanziell unabhängig zu sein, denn das Geld meines Vaters brachte nur Ärger mit sich. Durch das Stipendium hatte ich mir ein Mindestmaß an Freiheit erarbeitet. Die Freiheit zu wählen, an welches College ich gehen wollte, und das war nicht Princeton! Mein Vater hätte sich nicht einmischen dürfen – aber er hatte es dennoch getan.

  »Das ist zwar richtig«, fuhr Libby mit ruhiger Stimme fort, »trotzdem kommt Ihr Vater für das Zimmer auf. Ihr Stipendium deckt nur die Gebühren für Ihre Kurse und die dazugehörigen Materialien ab.«

  Ich knirschte mit den Zähnen, kniff die Augen zusammen und atmete ein paarmal tief durch. Schnaufend lehnte ich meine Stirn gegen die klebrige Resopalplatte des Tisches. »Ich bring ihn um«, murmelte ich.

  »Ach, Liebchen, Kopf hoch. Es ist alles nur halb so schlimm«, flötete Libby, während sie mir unbeholfen und sichtlich peinlich berührt den Kopf tätschelte.

  Nur halb so schlimm?! Ich war mir ziemlich sicher, dass es sogar doppelt so schlimm war. Libby war vermutlich nur so taktvoll gewesen, mir nur die halb so schlimmen Dinge zu erzählen. I
ch wollte gar nicht wissen, was mein Vater sonst noch so alles hinter meinem Rücken arrangiert hatte. Ich wusste, er wollte mich nur beschützen. Aber – damn it – es war mein Leben! Unser Deal beinhaltete weder, dass er mich ständig kontrollieren ließ, noch dass er sich in meine Wohnheimanmeldung einmischte. Tja, du hast eben ein Schlupfloch offengelassen. Selbst schuld, wenn du glaubst, einen der besten Geschäftsmänner Amerikas ausstechen zu können. Argh. Manchmal hasste ich mich selbst.

  Ich atmete noch einmal tief ein, bevor ich flehend zu Libby hochsah. »Bitte rufen Sie meinen Vater nicht an. Es hat ohnehin keinen Sinn. Wenn mein Security schon da ist, sollte es reichen, wenn er mich begleitet. Ich werde einfach den Campus erkunden, bis ich mein Zimmer beziehen kann.«

  Libby schien mit sich zu kämpfen. Kurz überlegte ich, sie mehr oder weniger unauffällig zu bestechen. Das war zwar keine feine Methode, aber erstaunlich effektiv.

  Doch plötzlich nickte sie. »Also schön, Mäuschen. Aber du wanderst nicht auf dem Campus herum, solange deine Begleitung nicht hier ist. Sollte dir unter meiner Aufsicht etwas passieren, bin ich meinen Job los.«

  »Okay«, stieß ich dankbar hervor.

  Libby nickte noch mal, griff nach dem Telefonhörer, an dem tatsächlich noch eine Schnur hing, und begann eine Nummer einzutippen. Ich hörte es tuten. Einmal, zweimal, dreimal, dann sprang die Mailbox an. Unzufrieden knallte Libby den Hörer wieder auf, nur um gleich noch mal zu wählen. Wieder kam nur die Mailbox. Während Libby weiterhin versuchte, meinen Security zu erreichen, spielte ich wütend an dem eingerissenen Leder meiner Tasche herum. Je länger ich wartete, desto ungeduldiger wurde ich. Nicht, dass ich scharf darauf war, einen Babysitter an die Hacken geklebt zu bekommen. Trotzdem konnte sich der Kerl doch zumindest melden. Immerhin war das sein Job. Meine Träume von Freiheit und Selbstbestimmtheit konnte ich jetzt wohl endgültig in die Tonne werfen.

  Libby schien ebenfalls immer ungeduldiger zu werden. Sie stieß ein frustriertes Schnauben aus und wählte erneut. »Sei doch so lieb und geh ihn suchen, Ivy«, sagte sie plötzlich zu mir, während sie weiterhin darauf wartete, dass mein Security endlich an sein Handy ging. »Dritter Stock, Tür B12.«

  »Ich soll ihn holen?«, fragte ich perplex und wenig erfreut.

  Sie warf mir einen dieser typisch mütterlichen Blicke zu, die jede weitere Diskussion im Keim erstickten. »Ich kann hier leider nicht weg, Engelchen. Aber ich werde ihn weiter anrufen. Falls er nicht in seinem Zimmer ist, kommst du einfach wieder zu mir runter, okay?«

  Nein! Nichts war okay. Trotzdem drehte ich mich um und ging zur Tür. Ich wollte gerade das Büro verlassen, als Libby mir erneut hektisch zuwinkte. Kurz brandete Hoffnung in mir auf, dass sie ihre Meinung spontan geändert hatte. Dass sie einfach beide Augen zudrücken und diese ganze Situation vergessen würde. Doch sie deutete nur auf eine zweite Tür, von der ich dachte, dass sie nur in einen Nebenraum führte. »Nimm den Weg hier, Sweetypie. Da geht es gleich ins Wohnheim, dann musst du nicht außen herum gehen.«

  Ivys Träume. Papierkorb. Löschen.

  »Okay. Danke«, murmelte ich und öffnete die knarrende Tür. Sofort wurde ich von einer Aircondition getroffen, die mir das Haar aus dem Gesicht pustete. Herrlich. Meine Flipflops quietschten auf dem weißen Linoleum, während ich durch einen kurzen Verbindungsgang das Wohnheim betrat.

  Neugierig sah ich mich um. Das Wohnheim stammte wahrscheinlich ebenfalls aus den Siebzigern, aber im Vergleich zum Anbau war es deutlich besser in Schuss gehalten. Statt Braun regierten hier Beigetöne, die wohl mal ein Weiß gewesen sein mussten. Der Eingangsbereich war relativ schmal und es roch ziemlich stark nach Zitronenreiniger und alten Turnschuhen. Von hier aus führte eine schmale Treppe nach oben zu den Zimmern und Gemeinschaftsduschen. Im Eingangsbereich selbst gab es abgesehen von einem summenden Getränkeautomaten nur eine staubige Topfpflanze, die in etwa so echt war wie die Nase meiner Mutter. Doch hinter einer Milchglastür konnte ich ein paar Sofas ausmachen. Vermutlich lag dort der Gemeinschaftsraum.

  Kurz überlegte ich, mir noch in Ruhe alles anzusehen, bevor ich meinen Security suchte. Ein Teil von mir konnte es trotz des Dämpfers, den mir Libby gerade verpasst hatte, immer noch kaum erwarten, ein echtes Wohnheimzimmer zu sehen. Ein Wohnheimzimmer, das für die nächsten Monate mein Zuhause sein würde. Bis ich mein Zimmer endlich beziehen konnte, könnte ich die Zeit nutzen und schon mal die Gemeinschaftsduschen erkunden. Ich würde dort duschen, wo es Dutzende andere Mädchen auch taten! Zähne putzen, wo es andere auch taten. Allein schon der Gedanke war so aufregend neu und anders, dass ich eine Gänsehaut bekam. Oder ich könnte schon mal den Partykeller suchen. In den Serien gab es immer einen eigenen Raum für Partys. So etwas würde es hier also bestimmt auch geben.

  Ein anderer Teil von mir spielte mit dem Gedanken, einfach abzuhauen. Ich könnte diesen MacCain einfach in seinem Zimmer hocken lassen, den restlichen Tag in gestohlener Freiheit genießen und …

  Seufzend schob ich mir eine lose Haarsträhne hinters Ohr. Leider war das nur Wunschdenken. Wenn ich jetzt einfach verschwand, war das vermutlich nicht nur dumm, sondern würde auch Libby in Schwierigkeiten bringen, sollte tatsächlich etwas passieren. Das war zwar eher unwahrscheinlich – die kleine Panikattacke vorhin zählte nicht –, aber man konnte schließlich nie wissen. Und so ungern ich es auch zugab, der Security konnte schließlich auch nichts dafür, dass ich mit ihm hier festsaß. Oder er mit mir. Je nachdem, aus welcher Perspektive man es betrachtete. Er war sicherlich auch nicht gerade begeistert davon, monatelang mit einem verwöhnten Mädchen auf einem Collegecampus festzusitzen. Ich sollte also zumindest so viel Anstand zeigen, den Menschen in meinem Umfeld das Leben nicht unnötig schwer zu machen. Denn das hatten sie es mit mir als einer Redmond ohnehin schon genug.

  Ich atmete noch mal tief durch, dann setzte ich mich in Bewegung und rannte die Treppe nach oben. Hoffentlich machte mich Ryan MacCain nicht genauso nervös wie Ray.

  Ryan

  Ich hasste Gemeinschaftsduschen. Das ganze Gruppenduschen war mir einfach unangenehm. Nicht weil ich ein homophober Idiot war, der dachte, mir würde einer der anderen Typen etwas weggucken, sondern weil ich es absolut eklig fand, die Haare meines Vorduschers vorzufinden. Wenn ich nicht so verschwitzt gewesen wäre, hätte ich mir wohl zuerst noch Badezimmerreiniger und Stahlbürste besorgt. Mein Bedürfnis nach einer kalten Dusche hatte jedoch meinen Ekel besiegt. Vor allem nach der Begegnung mit Haidi. Es hatte geschlagene fünf Minuten gedauert, bis das Engegefühl in meiner Hose nachgelassen hatte.

  Seufzend schrubbte ich mir das schaumige Shampoo aus den Haaren, stellte den kalten Strahl ab und schlang mir das bereitgelegte Handtuch um die Hüften. Mit einem zweiten rubbelte ich mir über die Haare und musterte mich im Spiegel gegenüber. Das neue Tattoo an meiner rechten Schulter tat immer noch ein wenig weh, aber der keltische Lebensbaum sah unglaublich gut aus. Die Äste verzweigten sich und verwoben sich kunstvoll mit den anderen Zeichen, die sich bereits meinen Unterarm hinabzogen. Steve hatte ganze Arbeit geleistet. Gedankenversunken sog ich den Ring in meiner Unterlippe ein und merkte, dass sich die kleine Kugel am Ende gelockert hatte. Gerade als ich sie schnell wieder festschraubte, drang ein schnarrendes Geräusch aus einer der anderen Duschen. Jemand spuckte geräuschvoll in den Ausfluss und kurz darauf wankte ein Typ heraus, der meinem Spiegelbild nur ein kurzes Nicken schenkte, bevor er aus dem Bad verschwand.

  Jeese! Welcher Trottel war auf die Idee gekommen, Spiegel und Waschbecken gleich gegenüber von offenen Duschen zu installieren? Wenn ich wollte, könnte ich jedem hier auf den nassen Hintern glotzen. Einmal rundum. Zum Glück war ich bis auf den Typen von gerade eben allein. Mein Nervenkostüm war seit meiner Ankunft heute Morgen ohnehin nicht das beste. Und das lag nicht nur daran, dass mir ständig Bilder von Haidis schlanken Beinen und ihren Sommersprossen im Kopf herumschwirrten. Oder von ihren großen blauen Augen. Die Kleine sah aus wie aus einem Manga! Und sie hatte die verdammt noch mal hübschesten Brüste, die jemals versucht hatten, mich zu überfahren. Also deren Besitzerin.

  Verdammt! Ich klamme
rte mich am Waschbecken fest, bis meine Fingerknöchel weiß hervortraten. Reiß dich zusammen, Ryan. Ich atmete tief durch. Ja, die Kleine war süß, da gab es nichts zu leugnen. Aber ich hatte einfach keine Zeit, mich zu verlieben. Ich hatte hier einen Scheißjob zu erledigen und bei meinem Glück würde ich Tag und Nacht auf Ivy Redmond aufpassen müssen. Ergo hätte ich auch gar keine Zeit für eine Freundin.

  Meine Laune sank noch mehr. Schnell klatschte ich mir das Antitranspirant unter die Achseln und fuhr mir probehalber über das Kinn. Aber da mein Bartwuchs allerhöchstens als spärlich bezeichnet werden konnte, beließ ich es bei einer Grimasse im Spiegel und verließ den dampfenden Duschraum.

  Das Zimmer, das man mir direkt neben dem von Ivy Redmond zugewiesen hatte, lag am anderen Ende des Ganges, gleich neben dem Notausgang. Harry hatte sich wirklich um alles gekümmert. Strategisch war es genial, nur leider fror ich mir bei dem Weg den Arsch ab. So heiß es draußen auch sein mochte, hier drinnen pustete die Aircondition 24/7. In einer Kälte, die schon fast ungemütlich war. Man hatte also die Wahl zwischen Hitzschlag oder Eiszapfen. Da ich auf beides nicht scharf war, durchquerte ich schnell den Flur.

  Beinahe wäre ich über meine eigenen Füße gestolpert, als ich vor meiner Tür einen rosa Haarschopf entdeckte. Heilige Scheiße! Da stand tatsächlich Haidi vor meinem Zimmer und sah stirnrunzelnd auf die Zahlen an der schäbigen Tür. B11. Eigentlich hätte ich B12 beziehen sollen, doch Harry hatte kurzfristig beschlossen, dass es besser war, wenn meine Klientin näher am Notausgang wohnte.

  Aber warum wartete Haidi jetzt vor meiner Tür? Ein vollkommen irrationales Grinsen begann sich in meinem Gesicht auszubreiten. Ich sollte lieber umdrehen und erst wiederkommen, wenn sie weg war. Aber verflucht! Ich wollte mit ihr reden. Die Neugier, herauszufinden, warum sie vor meinem ursprünglichen Zimmer stand, war groß. Leise schlich ich mich an sie heran und stützte mich neben ihr an der Wand ab. Es war erstaunlich, aber noch hatte sie mich nicht bemerkt. Sie war offenbar von der Tagträumerfraktion. Aber irgendwie fand ich das süß. Wie eigentlich alles an ihr.

 

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