Kiss Me Once
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»Ja? Reden Sie ein wenig lauter, meine Liebe. Ich glaube, inzwischen wollen wir alle wissen, welche Weisheiten Sie mit uns teilen wollen.«
»Ich … ich …«
»Wir haben gerade über die Ablösung der klassischen europäischen Literatur gesprochen. Und warum sich die Amerikanische Literatur erst so spät von europäischen Vorbildern gelöst hat. Im Prinzip verdanken wir diese neue Entwicklung Autoren wie Mark Twain, die der Ansicht waren, ihre Americanness unterstreichen zu müssen. Aber bedeutet das nicht auch, dass die Amerikanische Literatur nur deshalb entstanden ist, weil diese Autoren ihren Länderstolz hervorheben und sich von Europa differenzieren wollten?«
Es war mucksmäuschenstill im Raum. Alle starrten mich an und ich bereute … nein, eigentlich bereute ich es nicht, Ivy geholfen zu haben. Immerhin war das mein Job.
Mrs Garcia verengte die Augen. »Ich verstehe, Mr …?«
»MacCain. Ryan MacCain.«
»Schön, Mr MacCain. Den amerikanischen Schriftstellern ging es nicht darum, sich von Europa zu differenzieren. Vielmehr waren sie darin bestrebt, sich Europa ebenbürtig zu stellen. Das taten sie in erster Linie dadurch, dass sie sich von dem klassischen Leitbild lösten und sich stattdessen in der Eigenständigkeit ihrer noch jungen, aber doch stolzen Nation ausdrückten. Ein Bestreben, aus dem sich die Great American Novel herauskristallisiert hat«, klärte sie mich mit harter Stimme auf.
»Das heißt, man könnte diese Autoren als Rebellen bezeichnen?«, hakte ich nach.
Sie schnaubte. »Wenn Sie so wollen, Mr MacCain. Allerdings hat das Abgrenzungsverhalten der USA gegenüber dem Kontinent auch gleichzeitig die politische Stimmung widergespiegelt.«
»Also war die Great American Novel eine Art Propaganda?«
Mrs Garcia neigte den Kopf. »Sie haben eigenartige Ansichten, Mr MacCain. Um das zu klären, müssten wir wohl die gesamte Stunde diskutieren. Aber da Sie dieses Thema so brennend zu interessieren scheint, dürfen Sie mir bis Ende nächster Woche gerne eine Arbeit über dieses Thema abliefern.«
»Was?« Entsetzt starrte ich sie an, doch Mrs Garcia hatte bereits die nächste PowerPoint-Folie an die Wand geworfen.
Seufzend lehnte ich mich zurück. Kacke! Wie sollte ich die Professorin jetzt davon überzeugen, dass ich gar kein Student war, sondern nur das Maul aufgerissen hatte?
Als es endlich zum Ende der Vorlesung klingelte, war ich nicht der Einzige, der erleichtert aufstöhnte. Der gesamte Saal klappte in sich zusammen. Nur Ivy warf mir immer wieder schiefe Blicke zu, während sie ihre Sachen in die Tasche packte.
»Was schaust du so? Habe ich was im Gesicht?«, fragte ich gereizt. Ächzend stand ich auf und streckte mich. Diese Stühle waren so ungemütlich, dass mir alles wehtat.
Ivy zog eine Augenbraue hoch und warf sich die Tasche über die Schulter. »Nicht im Gesicht, sondern im Kopf – und es ist offensichtlich ein Hirn. Woher weißt du das alles?«, fragte sie neugierig. »Ich meine, die Hälfte von dem, was du gesagt hast, habe ich ja nicht mal verstanden.«
Statt zu antworten, zuckte ich nur mit den Schultern.
»Sag schon«, bohrte sie nach, während ich uns einen Weg zwischen den Studenten zur Tür bahnte. Was gar nicht so einfach war. Immer wieder warf ich einen prüfenden Blick durch den Raum.
»Ich habe bereits ein Semester studiert, bevor ich mich für eine Ausbildung als Bodyguard entschieden habe. Das alles ist also nichts Neues für mich«, erklärte ich ihr und drängte mich an ein paar Typen vorbei.
Ivy war dicht neben mir. »Du hast studiert?«, fragte sie neugierig.
»Jap.«
»Warum hast du aufgehört?«
Oh. Diesen Blick kannte ich noch gar nicht von ihr. Ihre blauen Augen waren starr auf mich gerichtet, als würde sie jedes kleinste Detail analysieren wollen. Betont gleichgültig zuckte ich erneut mit den Schultern.
»Ich wollte nicht mehr.«
»Du wolltest nicht mehr?«, echote sie ungläubig.
»Sagte ich doch gerade.«
»Warum zum Teufel sollte man das nicht wollen?«, fragte sie und deutete in Richtung des Studententrubels. »Ich meine, das alles ist doch total aufregend. Das ist unser Leben, hier können wir endlich sein, wer wir wollen, und … und …« Sie kam ins Stottern, als sie meinen Gesichtsausdruck bemerkte. »Was?«, fragte sie verunsichert.
Scharf sog ich die Luft ein. Ich atmete tief durch und versuchte ruhig zu bleiben, doch es gelang mir nicht wirklich. »Ich habe mich eben anders entschieden«, sagte ich gereizt. »Nicht alle haben so viel Zeit und Kohle, um auf einen Selbstfindungstrip zu gehen, Ivy. Es gibt Menschen, die wissen bereits, was sie wollen, ohne dabei von zu Hause abhauen zu müssen.«
Als ich merkte, wie Ivy zusammenzuckte, bereute ich es, ihr die Worte so direkt an den Kopf geworfen zu haben. »Ivy, sorry, ich …«
»Nein!« Abwehrend hob sie eine Hand, vermied es jedoch, mich dabei anzusehen. »Vergiss es einfach. Entschuldige, dass ich gefragt habe.«
»Ivy!«
»Lass es, Ryan.«
Na toll. Jetzt war sie wieder sauer auf mich. Und ich konnte es ihr nicht mal vorwerfen. Ich war echt ein Arsch. Aber dieses Thema brachte eine Wut in mir hoch, von der ich dachte, dass ich sie längst unter drei Tonnen Schweiß, Mühsal und Arbeit vergraben hatte.
Wir schwiegen den gesamten Weg bis zur nächsten Vorlesung, die im Gebäude für Naturwissenschaften stattfand. Ohne mich zu beachten, huschte Ivy in den Hörsaal. Gerade als ich hinterherschlüpfen wollte, spürte ich eine Hand auf meiner Schulter. Verwirrt starrte ich auf die manikürten Finger, die sich in mein Shirt gekrallt hatten, und … Mein Blick wanderte nach oben. Oh! Sie gehörten zu einer der Blonden von vorhin.
»Hi Ray!« Sie grinste mich frech an. »Danke wegen des Kaffees vorhin. Sag mal, du hast nicht zufällig Lust auf einen Brunch?«
Als ich nicht sofort reagierte, klimperte sie verführerisch mit den Wimpern. Die waren niemals echt. Zumindest hatte ich noch nie Wimpern gesehen, die bis zum Haaransatz reichten. Wie hieß das Mädchen noch mal? Chanel? Coco? Nein, aber irgendwas mit C.
»Äh …« Schnell machte ich mich von ihr los und deutete auf Ivy. »Sorry, aber ich habe jetzt Bio und muss …«
»Nein, schon gut, du musst gar nichts«, unterbrach mich Ivy. »Viel Spaß euch beiden. Wir sehen uns nach der Vorlesung.« Damit knallte sie die Tür zu und ließ mich einfach stehen. Fuck.
Ivy
Ich sollte nicht so angepisst sein, aber Holy Moly, ich war kurz davor, eine Voodoo-Puppe zu basteln, den Namen Ryan draufzukritzeln und den Schädel mit einem spitzen Bleistift zu malträtieren.
Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich in der irrationalen Erwartung zur Tür sah und darauf hoffte, dass Ryan doch noch hereinspazieren würde. Aber er tat es nicht. Natürlich nicht. Die Tür blieb zu und ich saß ohne ihn in der letzten Reihe. Obwohl ich versuchte, mich auf die Bio-Vorlesung zu konzentrieren, wanderten meine Gedanken immer wieder zu Ryan. Ich war so sauer auf ihn, dass ich nicht mal eine vernünftige Mitschrift zustande brachte. Zumindest keine, die man letztendlich auch lesen konnte.
Zu Beginn der Vorlesung hatte ich auch ein-, zweimal nach dem hübschen Studenten, den Ryan vorhin so unfreundlich vertrieben hatte, Ausschau gehalten. Aber er war nicht aufgetaucht. Wahrscheinlich besuchte er gerade einen anderen Kurs. Oder er wollte sich nicht noch mal in einen vollkommen überfüllten Hörsaal setzen. Die Studenten vor mir hatten sich auch kurz darüber unterhalten, ob sie die nächsten Tage nicht einfach blaumachen sollten. Spätestens ab der zweiten Woche würde sich dann auch der Andrang soweit gelegt haben, dass man vernünftig sitzen konnte.
Seufzend pustete ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und konzentrierte mich wieder auf den Vortrag über Zellteilung. Oder zumindest darauf, so mitzuschreiben, dass ich meine Notizen später auch noch entziffern konnte. Dass Ryan vorhin mein unleserliches Gekritzel gesehen hatte, war mir immer noch total peinlich.
Eigentlich sollte ich erleichtert sein, dass Ryan nicht hier war. So konnte
er mir wenigstens nicht auf die Nerven gehen. Oder mich ablenken. Aber irgendwie fühlte ich mich seltsam beklommen ohne ihn. Beinahe schüchtern.
Ich hatte ein paarmal versucht, mit dem Typ neben mir zu reden. Doch jedes Mal, wenn ich mich dazu überwunden hatte, ihn anzusprechen, hatte er mit seiner anderen Banknachbarin gequatscht und ihr ziemlich auffällig auf die Brüste gestarrt. Als sie ihn dann ernsthaft gefragt hatte, wo sich die linke Gehirnhälfte befand – und seine Antwort »Öh … glaube links?« lautete –, war mir endgültig die Lust vergangen, mich mit jemandem unterhalten zu wollen.
Als Dr. Preus, unser Biologiedozent, endlich die Stunde für beendet erklärte und den Raum verließ, blieb ich einfach sitzen und überlegte, was ich jetzt tun sollte. Und vor allem, wie ich mich in Ryans Gegenwart verhalten sollte. Denn wenn ich ehrlich zu mir selbst war, gab es keinen triftigen Grund, wütend auf ihn zu sein. Außer vielleicht den, dass Ryan mir grundsätzlich auf die Nerven ging und ich tatsächlich … eifersüchtig war. Oh Shrimp. Verzweifelt vergrub ich das Gesicht in den Händen und stöhnte. Hatte ich denn sonst kein Leben, mit dem ich mich beschäftigen konnte? Ich musste dringend mal meine Prioritäten klären.
»Hey. Willst du so lange hier sitzen bleiben, bis die Putzkolonne dich aufwischt?« Es klackte und eine blaue Flasche Gatorade landete auf meinem Tisch.
Verwirrt starrte ich von dem blauen Getränk zu Ryan, der sich geschmeidig neben mir in den nächsten Stuhl fallen ließ und dabei ziemlich unsexy ächzte. »Hölle, sind diese Dinger unbequem. Warum bleibst du bei diesen Folterinstrumenten freiwillig sitzen?«
Ich seufzte tief. »Keine Ahnung«, murmelte ich und zog das Friedensangebot in Form von blauem Sportwasser an mich. »Ich denke nach …«
»Über?«
Dich, mich … die Welt. Keine Ahnung. Aber das konnte ich natürlich nicht laut sagen. Hilflos zuckte ich mit den Schultern.
»Denkst du gerade sehr langsam oder sehr leise?«, fragte er mich, während er mich mit hochgezogener Augenbraue ansah.
»Ach, verpiss dich.«
»Wie du meinst. Deine Sache.«
Ryan verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich ernst an. Seine grünen Augen waren dumpf und seine Haare sahen ein wenig zerstört aus. Wahrscheinlich hatte das blonde Mädchen ordentlich darin herumgewühlt.
Aah! Ich musste damit aufhören!
Schnell senkte ich den Blick und zog das Haargummi heraus, sodass meine Haare wie ein Vorhang mein Gesicht verdeckten. Ich versteckte mich. Vor ihm, vor mir, vor dem, was in meinem Herzen nistete und hervorbrechen wollte.
Mein Herz schlug unnatürlich schnell, während ich auf eine Reaktion von ihm wartete. Einen Kommentar, einen Scherz, egal was. Aber alles, was mir entgegenschlug, war eine gähnende Stille, die viel zu laut gegen meine Ohren drückte. Der Stuhl knackte, als ich mein Gewicht verlagerte und schließlich die Haare aus dem Gesicht strich und Ryan ansah.
Er beobachtete mich.
Zögernd öffnete ich den Mund, doch ich brachte keinen Ton heraus. Etwas in meiner Brust zog sich zusammen und mein Herz raste. Ich wollte etwas sagen. Etwas tun, was diese Situation weniger unangenehm machte. Was die Stille zwischen uns wieder füllen würde, ohne neue Probleme zu verursachen. Stattdessen spürte ich, wie meine Augen nass wurden. Oh nein!
»Ivy …« Seufzend rutschte Ryan näher zu mir heran und schien nicht genau zu wissen, wie er mich am besten trösten sollte. Zögernd nahm er meine blassen Hände in seine und begann, mit dem Daumen über meine Knöchel zu streicheln. »Ivy, sieh mich an«, bat er.
Ich atmete ein paarmal tief durch und versuchte krampfhaft, die Tränen zurückzuhalten. So recht schien es mir aber nicht zu gelingen, denn Ryan zog irgendwo ein Taschentuch hervor und reichte es mir.
Dankbar griff ich danach und putzte mir die Nase. »Tut mir leid. Ich weiß gar nicht, was mit mir los ist.«
Ryan ließ meine Hand los und strich langsam über meine Knie. »Gib dir selbst ein wenig Zeit, dich einzugewöhnen, Ivy«, sagte er ruhig. »Ich weiß, du willst hier durchstarten und endlich du selbst sein. Aber gib dir Zeit. Und dafür, dass du erst ein paar Tage hier bist, machst du das bereits fantastisch.« Er lächelte und etwas in meiner Brust ächzte. Schnell wich ich seinem Blick aus, doch Ryan hob mein Kinn an und zwang mich, ihn wieder anzusehen. »Schau mich an, Ivy.«
»Was?« murrte ich.
Die Stelle, an der er mich berührte, prickelte wie verrückt. Als würden Tausende Volt durch meine Haut jagen. Ryans Finger zuckten.
Seine Lippen öffneten sich und ein warmer Glanz lag in seinen Augen, der aber schon mit dem nächsten Wimpernschlag durch einen spöttischen Ausdruck ersetzt wurde. »Du hast da übrigens was an der Backe. Das wollte ich dir schon die ganze Zeit sagen.« Er deutete auf meine linke Wange.
Hektisch rubbelte ich mir über die Haut. »Ist es weg?«
»Nein … hier noch.« Ryan zeigte auf meine andere Wange.
Fest rieb ich auch darüber. »Jetzt?«
»An der Nase noch.«
»An der Nase?«
»Ja. Du weißt schon, dieses Ding, das aus deinem Gesicht schaut.«
»Sag mal, verarschst du mich?«, rief ich.
Er grinste und lehnte sich zufrieden zurück. »Nur ein bisschen.«
»Ryan!«
»Was denn? Wenigstens hast du jetzt wieder ein bisschen Farbe im Gesicht. Wir sind in Florida, da sollte niemand so blass sein.«
»Und niemand sollte so ein Kotzbrocken sein«, ätzte ich.
Er lachte. »Selbsterkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung. Ich weiß, dass ich ein Arsch sein kann. Aber ich komme bestens damit klar.« Seine Stimme wurde sanfter. »Du hingegen solltest vielleicht darüber nachdenken, wer du bist und wer du letzten Endes sein willst.«
Etwas zog sich in meiner Brust zusammen. »Danke für den Rat, Dr. MacCain, ich werde morgen darüber meditieren. Soll ich auch ein Traumtagebuch führen und Ihnen bei der nächsten Sitzung daraus vorlesen?«
»Alles klar, du wirst wieder frech. Dir geht’s also besser.«
Gerade als er aufstehen wollte, fasste ich blitzschnell nach seiner Hand und hielt ihn zurück. Ich räusperte mich. »Weißt du denn wirklich, wer du bist?«, flüsterte ich. Dabei vermied ich es – wie der Feigling, der ich war –, ihn anzusehen.
Ryan überlegte kurz. »Ich weiß, wer ich sein möchte«, sagte er schließlich. »Aber ich selbst zu sein, kann ich mir nicht leisten.«
»Das ist eine ziemlich verkorkste Antwort«, murmelte ich.
Ryan drückte noch mal meine Hand und löste sich dann aus meinem Griff. »Ich bin auch ziemlich verkorkst.«
So wie ich. Aber das auszusprechen, fühlte sich beinahe zu intim an. Als würden wir uns etwas teilen, das wir nicht teilen sollten.
Ich hob den Kopf und unsere Blicke trafen sich. Plötzlich lag eine Spannung in der Luft, die mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Mein Atem stockte.
Ryan war auf einmal viel zu nahe. Und trotzdem wünschte ich mir, er würde auch die letzten Zentimeter noch überbrücken. Der Stuhl knackte unter mir, als ich mich nach vorn lehnte. Ryan kam mir entgegen und …
»Hey, habt ihr zufällig mein Handy gesehen?«
Abrupt fuhren wir auseinander.
Oh Gott!
»Was ist?«, blaffte Ryan. Es klang fast wie ein Knurren.
Der Student, der uns gerade unterbrochen hatte, stand immer noch in der Tür und sah uns ein wenig verlegen an. Irgendwas an ihm kam mir trotz der unangenehmen Situation seltsam bekannt vor. Er hatte schwarze Haare, die sich leicht kringelten, und sein Hals wirkte ein wenig zu lang für den Rest des Körpers.
»Sorry.« Der Typ schluckte. »Ich wollte euch nicht stören. Ich … äh, geh dann mal wieder …«
»Hey, du bist doch der 7-Eleven-Typ!«, rief ich, als mir endlich einfiel, woher ich ihn kannte.
Überrascht sah er zu mir zurück. Langsam verschwand der verlegene Gesichtsausdruck und wich einem dämmernden Wiedererkennen. Ein Grinsen breit
ete sich auf seinen Lippen aus. »Ah, das Gatorade-Mädchen. Hey! Hätte nicht gedacht, dich wiederzusehen.«
»Gatorade-Mädchen?«, echote Ryan.
»Na?« Der Junge grinste verschmitzt und schob schüchtern die Hände in die Hosentaschen. »Hattest du schon Grusilla Garcia? Denkst du bereits darüber nach, das Land zu wechseln? Keine Sorge, so ging es uns allen am Anfang.«
Ich musste ebenfalls grinsen und fühlte, wie sich mein Puls endlich wieder normalisierte. »Ja. Heute früh in Klassische Literatur – und es war furchtbar«, sagte ich. »Sie hat uns beim Tuscheln erwischt.« Ich deutete mit dem Daumen auf Ryan und mich.
»Autsch.« Der Typ verzog das Gesicht. »Aber mach dir nichts draus. An meinem ersten Tag hat sie einen Typen zum Heulen gebracht. Und ich tue jetzt einfach mal so, als wäre es nicht ich gewesen.«
Wir kicherten beide, während Ryan nur gequält das Gesicht verzog.
»Wir waren auch kurz davor«, gab ich zu.
»Waren wir gar nicht«, widersprach mir Ryan.
»Keine Sorge.« Der Junge grinste breit. Genau wie Ryan hatte auch er zwei sehr niedliche Grübchen in der Wange. »Die ersten Wochen sind immer am härtesten. Danach hat sie dich entweder als hoffnungslosen Fall abgestempelt und ignoriert dich bis ans Ende des Semesters, oder sie will deine verdorbene Seele zur Literatur bekehren und drückt dir eine Sonderaufgabe nach der anderen aufs Auge.«
Ich prustete los. »Wie bei Ryan.«
Der Typ sah Ryan mitleidig an. »Möge das Licht mit dir sein, mein Sohn.«
»Das Licht ist einen Scheiß mit mir. Wer bist du überhaupt? Und woher kennt ihr euch?«
Verdutzt guckte ich ihn an. Warum war er auf einmal so unfreundlich? Unauffällig stieß ich ihm meinen Ellenbogen in die Seite. »Das ist …« Schuldbewusst kam ich ins Stocken. »Sorry, wie war noch mal dein Name?«
Er lachte. »Jeff«, sagte er und zwinkerte mir verschwörerisch zu.
»Genau, Jeff! Wir haben uns auf dem Weg hierher kennengelernt. Er war so heldenhaft, meine ersten Gatorades in Freiheit abzukassieren.«