Kiss Me Once
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»Na klar. Was hast du denn gedacht?«
»Keine Ahnung. Nicht so was Nettes?«
Vorsichtig rückte er noch ein Stück näher. »Ich glaube«, flüsterte er mir ins Ohr, »in dieser Sache sitzen wir im gleichen Boot, Miss Bennet. Außerdem reißt mir dein Pitbull bei der kleinsten falschen Berührung die Nase ab. Worauf ich gut und gerne verzichten kann. Die war nämlich teuer.« Er warf einen Blick zu Ryan nach hinten, der genau zwischen uns saß und Alex tatsächlich gerade musterte, als würde er ihm am liebsten ins Gesicht beißen.
Ich knabberte an meiner Unterlippe. »Sorry. Er ist mein … Begleitschutz.«
»Habe ich mir fast gedacht. Du kannst ihn jedenfalls mitnehmen. Aber sag ihm, er soll nicht rumschnüffeln. Mein Zeug ist tabu, klar?«
Ich nickte. »Dann sehen wir uns wirklich bei dir?«
»Ja. Halb acht? Delta Phi. Frag einfach nach uns. Die Jungs bringen euch dann hoch.« Er grinste. »Hey, Jeff!«, sagte er etwas lauter, damit auch Ryan uns verstehen konnte, ohne beim unauffälligen Lauschen quasi auf unserem Schoß sitzen zu müssen. »Ivy kommt heute zum Pizzaessen vorbei. Such schon mal einen Film aus.«
Jeffs Augen leuchteten auf, während Ryan ein entsetztes Gesicht zog.
»Klasse!«, rief Jeff begeistert. »Kennst du schon die Rocky Horror Picture Show?«
Ich nickte und konnte es noch immer nicht ganz glauben, dass Alex mich eingeladen hatte. »Klar. Wer kennt die nicht?«
Jeff stöhnte. »Du hast ja keine Ahnung, wie ungebildet manche Menschen auf diesem Gebiet sind. Aber falls du keine Lust auf Dr. Frank hast, können wir uns auch gerne einen Hitchcock ansehen. Vertigo ist einfach spitze und danach können wir auch …« Wahrscheinlich hätte Jeff nonstop so weitergemacht, wenn in diesem Augenblick nicht der Professor den Raum betreten hätte.
»Entschuldigt die Verspätung, meine Lieben. Mrs Garcia hat mich fast unten im Flur erwischt und ich musste ein waghalsiges Ausweichmanöver durch die Akazien riskieren, um zu euch zu kommen.« Er schnaufte übertrieben laut, was allgemeines Gelächter hervorrief. Ich fand ihn sofort sympathisch.
Während der Professor sein grau meliertes Haar zur Seite strich, den Gürtel zurechtrückte und einen Aktenkoffer auf die Bühne stellte, kehrte im Saal allmählich wieder Ruhe ein.
»Sehr schön, sehr schön«, sagte der Professor, als auch die letzten Gespräche verstummt waren. »Wie ich sehe, sind auch ein paar neue Gesichter unter uns. Das freut mich wirklich sehr. Vor allem nach unserem fundamentalen Erfolg von Cats letztes Jahr.«
Alex lachte leise.
»Aber dieses Jahr …« Ächzend kletterte der Professor auf die Bühne. »Dieses Jahr war Jeff so lieb, mir einen – wie er es nennt – zeitgemäßeren Vorschlag zu unterbreiten. Ich kann mit diesem Zeug ja nicht wirklich viel anfangen. Aber nachdem er mir versichert hat, dass viele von euch Lust hätten, so einen Blödsinn nachzumachen, will ich mich nicht gegen die Kreativität der Jugend stellen. Bitte, Jeff. Klär doch mal alle auf, was wir dieses Jahr vorhaben.«
Sichtlich stolz stand Jeff auf und winkte lächelnd. »Hallo zusammen. Also, ähm, für dieses Jahr haben wir The Walking Dead – das Musical geplant …« Am Schluss brach seine Stimme ein wenig, aber das bekam vermutlich keiner mit, denn der gesamte Raum explodierte vor Begeisterung. Ich selbst eingeschlossen. Einen Zombie bekam ich allemal hin. Vor allem mit dessen anspruchsvollem Text.
Aufgeregt drehte ich mich zu Ryan um, doch der schien von dem Trubel um sich herum rein gar nichts mitzubekommen. Stattdessen starrte er auf sein Handy, als hätte es ihn gerade gebissen. Als er meinen fragenden Blick bemerkte, drückte er den Anrufer weg und schob wortlos das Handy in seine Tasche. Die gesamte restliche Stunde ignorierte er mich.
Ryan
Warum rief er schon wieder an? Erst kam jahrelang kein Anruf, keine Nachricht, nicht mal ein beknacktes Rauchzeichen – und auf einmal rief er innerhalb von zwei Tagen zweimal an. Ich wollte und konnte mich mit dieser Scheiße gerade nicht auseinandersetzen. Zumindest nicht hier und jetzt, in diesem Raum voller fremder Leute. Fuck!
Als ich Ivys fragenden Blick auf mir spürte, drückte ich schnell den Anruf weg und steckte das Handy zurück in meine Hosentasche.
Ivy runzelte die Stirn. Ihr Zopf hatte sich gelöst, sodass ihr das blonde Haar in wilden Locken über die Schultern fiel. Bis eben hatte sie noch unglaublich fröhlich ausgesehen. Sie hatte vor Freude regelrecht gestrahlt, doch jetzt war ein sorgenvoller Ausdruck in ihre Augen getreten.
»Alles okay?«, fragte sie leise, während die anderen Studenten auf die Bühne zuströmten.
Ich ignorierte ihren besorgten Blick und zog mich wortlos in eine dunkle Ecke zurück. Auf dieses Bühnendings stellte ich mich jedenfalls nicht. Oh nein, ohne mich.
Ivy sah mir irritiert nach. Schließlich drehte sie sich um und folgte – mit hängenden Schultern – den anderen auf die Bühne. Sofort kam ich mir wie der größte Arsch auf Erden vor. Nur weil ich schlechte Laune hatte, musste ich ihr nicht gleich den Tag versauen. Das hatte sie nicht verdient. Ich verstand ja selbst nicht, warum ich so gereizt war. Jeff ging mir zwar auf den Sack, aber zumindest war er harmlos. Ganz im Gegensatz zu Mr Alexander – I’m sexy and I know it – Klemmt. Ich mochte ihn nicht. Er verkörperte für mich so ziemlich jede schlechte Meinung und alle Vorurteile, die ich mir von einem Rich Kid gebildet hatte. Er war das beste Beispiel dafür, wie Ivy hätte sein können, es aus irgendeinem unerfindlichen Grund aber doch nicht war. Künstlich, teuer duftend und hohl wie eine Nuss. Die beiden zusammen zu sehen – und vor allem zu bemerken, wie gut sie sich verstanden –, verursachte mir regelrechte Magenschmerzen. Erst recht, wenn ich mir die beiden auf dieser Bühne vorstellte.
Plötzlich vibrierte das Handy in meiner Tasche erneut. Verdammtes Ding! Schnell holte ich es hervor und drückte die Anzeige weg. Der Name Konstantin verschwand vom Display. Ich wollte es gerade wieder zurück in die Hosentasche schieben, als eine Nachricht eintrudelte. Sie war knapp gehalten und kam schneller, als ich den Sperrbutton drücken konnte.
Fyi! Bin back@home.
Ivy
Ich machte mir Sorgen um Ryan. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm.
Nachdem er den Anruf weggedrückt hatte, hatte er sich wortlos in eine Ecke zurückgezogen. Seitdem beobachtete er mit finsterer Miene, wie Alex und ich uns an den Händen hielten und versuchten, uns in eine Wetterlage hineinzuversetzen. Oder sollten wir bereits was anderes machen? Verwirrt starrte ich auf Alex’ Finger, die auf meine Unterarme trommelten.
»Was genau machst du da?«
Er guckte amüsiert. »Der Prof meinte, wir sollten den Regen auf unserer Haut spüren, also mache ich das.«
»Toller Regen.«
Eine seiner Augenbrauen zuckte provokant hoch. »Soll ich dich für den 4D-Effekt noch ein bisschen anspucken? Dann ist es auch noch nass.«
Wir kicherten. Plötzlich lief Jeff an uns vorbei und versuchte, eine Wolke zu sein. Zumindest murmelte er die ganze Zeit »Wolke, Wolke, Wolke, Fluff, Fluff, Fluff!«
»Genau so macht man das, Ladies and Gentlemen«, lobte der Professor Jeff und applaudierte begeistert. »Das Erste, was ihr in meinem Kurs lernt, ist, euch bis auf die Knochen zu blamieren. Danach ist euch nichts mehr peinlich und ihr seid bereit, euch auf eine Bühne zu stellen.«
»Jeff ist voll in seinem Element«, sagte ich und lachte, als Jeff wenig später wie eine Schnecke vorbeikroch.
»Ja«, sagte Alex leise und kurz blitzte etwas in seinen Augen auf, was ich nicht richtig deuten konnte. »Jeff kommt nicht oft aus sich heraus, aber wenn er auf der Bühne steht, ist er ein komplett anderer Mensch.«
»Woher kennt ihr euch eigentlich?«, fragte ich, während ich auf Anweisung des Professors dazu überging, mit den Armen zu wackeln, um einen Schmetterling nachzuahmen. Das »Flatter, Flatter, Flatter« verkniff ich mir dann doch.
Alex stellte sich auf ein Bein und ahmte einen Flamingo nach. »Seine Eltern arbeiten für meine. Sein Vater ist unser Hausmeister und seine Mutter war das Kindermädchen. Wir sind zusammen aufgewachsen. Aber
dann hat Jeff ein Jahr Highschool übersprungen und kam früher ans College.«
»Wow! Jeff ist wohl einer von den Extraschlauen, was?«
»Ja, er hat hier ein Stipendium.«
»Mhm, das muss schön sein«, murmelte ich.
Der Professor räusperte sich. »Alles klar, jetzt versetzen wir uns geistig in die Welt des Meeres. Zeigt mir den Spirit der Unterwasserwelt!«
Meeresbewohner? Irritiert hielt ich inne und sah, wie Jeff begeistert … okay, ich hatte keine Ahnung, was er da nachmachte.
Alex legte sich auf den Boden und murmelte: »Seestern, Seestern, Seestern.«
Das klang gut. Ich legte mich dazu und zusammen versuchten wir, einen Seestern zu imitieren.
»Was soll schön sein?«, griff Alex unsere Unterhaltung wieder auf. »Ein Stipendium zu haben?«
»Nein, ich meinte: Es muss schön sein, mit jemandem aufzuwachsen. Ich habe keine Geschwister. Dafür hatte ich eine Menge Dienstmädchen … Maria mochte ich am meisten«, erzählte ich stockend. Obwohl die anderen Studenten sich bereits wieder in etwas anderes hineinversetzten, blieben wir noch liegen und sahen uns an.
Alex wiegte leicht den Kopf. »Ich glaube, für Jeff war das nicht immer so leicht. Er lebte in einem Haus voller Geld, hatte selbst aber kaum genug Taschengeld, um sich das Essen in der Mensa leisten zu können. Er meinte zwar immer, es würde ihn nicht stören, dass ich mehr bekam als er … dass es egal wäre … Und weißt du, ich glaube ihm das sogar. Jeff ist ein toller Mensch. Viel besser als ich. Aber je älter wir wurden, desto größer wurde auch die Kluft, die sich zwischen uns aufgetan hatte. Seine Eltern bekamen zwar wenig Gehalt, aber dafür kamen meine für Jeffs Schulkosten auf. Deshalb waren wir auch zusammen an einer privaten Highschool. Aber im Grunde wussten alle, dass er dort nicht wirklich hingehörte. Keine Ahnung, wie oft seine Nase gebrochen war oder er Schrammen abbekam. Und ich Idiot war zu feige, ihm zu helfen. Ich habe einfach weggesehen und so getan, als wäre es kein großes Ding. Ich … es hat etwas zwischen uns zerbrochen. Jeff und ich sind zwar immer noch befreundet, aber er vertraut mir seitdem nicht mehr – und ich kann ihm das nicht einmal verübeln. Ich hasse die Distanz, die seitdem zwischen uns herrscht. Aber am meisten hasse ich mich selbst dafür, wie ich Jeff behandelt habe.« Er schluckte. »Wenn ich ehrlich bin, weiß ich gar nicht, warum er überhaupt noch mit mir befreundet sein will.«
»Sehr schön, meine Lieben«, unterbrach uns der Professor. »Und jetzt vom Wasser in die Erde. Seid etwas Erdiges!«
Alex und ich setzten uns in den Schneidersitz. Während er mit seinen Armen wackelte und versuchte, einen Baum nachzumachen, murmelte ich: »Vollkornweizen, Vollkornweizen, Vollkornweizen.«
Wir mussten lachen. Nach einer Weile wurde ich wieder ernst. »Bist du deshalb hier an einem öffentlichen College?«, fragte ich leise. »Wegen Jeff?« Ich warf einen Blick zu Jeff, der gerade eine Blume mimte.
Alex seufzte. »Ja, das bin ich ihm schuldig. Er war viel zu lange in meiner Welt. Sie war nicht gut für ihn. Also folge ich ihm jetzt in seine. Klingt komisch, oder?«
»Nein«, flüsterte ich und schluckte. »Ich verstehe das.«
Alex lächelte wehmütig. »Du bist wahrscheinlich die Einzige hier, die das wirklich nachvollziehen kann.«
»Okay, meine Herrschaften, Schluss für heute! Das war wundervoll, einfach wundervoll. Wir sehen uns am Freitag wieder.« Der Professor klatschte in seine Hände und erlöste uns endlich von seinen seltsamen Lockerungsübungen.
Ächzend streckte ich meine Beine und ließ mich dann dankbar von Alex hochziehen.
»Und?« Sofort stand Jeff neben mir und grinste breit. »Wie hat es euch gefallen?«
»War lustig«, sagte ich grinsend. Und das war es wirklich. »Ich werde mich gleich für den Kurs einschreiben.«
»Echt?«
»Absolut. Du doch auch, Alex, oder?« Ich stieß ihm leicht in die Seite.
»Na klar. Ich fand mich selbst irre gut als Seestern. Du hättest mich sehen sollen. Ivy war dagegen nur lahmes Seegras.«
»Hey, gar nicht wahr!«, rief ich empört. Plötzlich spürte ich eine leichte Berührung an meinem Ellenbogen.
»Ivy, können wir los?«
Ryan stand hinter mir und sah mich ungeduldig an. Er schien immer noch schlecht gelaunt zu sein. Sofort war die Sorge um ihn wieder da und etwas zog sich in mir zusammen. Gleichzeitig bekam ich ein schlechtes Gewissen. Ich hatte die ganze Stunde so viel Spaß gehabt, dass ich glatt vergessen hatte, dass es Ryan nicht gut ging.
»Klar. Ich hole nur noch schnell meine Tasche. Geh schon mal vor«, sagte ich leise. Ryan nickte knapp und verschwand ohne ein weiteres Wort aus dem Raum.
»Alles okay bei ihm?«, erkundigte sich Jeff. Obwohl er vom Schauspielunterricht immer noch ganz aufgeregt war, schien er bemerkt zu haben, dass Ryan irgendwie mitgenommen aussah.
»Ich weiß es nicht«, gab ich zu und schulterte meine Tasche. »Wäre es okay, wenn wir den Filmabend verschieben?« Unsicher sah ich zu den beiden Jungs und betete innerlich, mir nicht gerade die einzige Chance auf eine neue Freundschaft zu versauen.
»Was? Warum?« Jeff verzog enttäuscht das Gesicht, doch Alex schenkte mir nur ein wissendes Lächeln.
»Kein Problem. Kümmere dich um deinen Pitbull.«
»Danke.« Erleichtert atmete ich auf. »Bis morgen!«, rief ich über die Schulter zurück, während ich aus dem Raum eilte.
Ryan wartete neben der Tür auf mich, die Arme vor der Brust verschränkt. Die Frage, was mit ihm los war, brannte mir auf der Zunge, doch nur ein einziger Blick in seine grünen Augen, die noch dunkelgrüner als sonst schimmerten, machte klar, welche Antwort ich bekommen würde. Nämlich gar keine.
»Komm mit.« Wie selbstverständlich nahm ich Ryans Hand, ignorierte das Flattern in meinem Bauch und zog ihn hinter mir her. Er war so überrumpelt, dass er mir einfach folgte.
»Was? Wohin?«
»Raus! Wir machen eine kleine Spritztour.«
»Was?«, rief er und blieb abrupt stehen. Er löste seine Finger von meinen und sah mich beinahe schockiert an.
Ich ignorierte seinen Blick und ging einfach weiter. Folgen musste er mir ja so oder so.
»Ivy, wir können doch nicht einfach abhauen. Du musst morgen wieder in die Uni, außerdem hast du eine Verabredung.«
»Die habe ich verschoben«, klärte ich ihn auf, während wir das Uni-Gebäude verließen und durch das kurze Parkstück zu meinem Auto gingen. Zum Glück war der Parkplatz ganz in der Nähe.
»Warum sagst du deine Verabredung ab?« Ryan starrte mich verwirrt an.
Wegen dir, du Blödmann!, hätte ich am liebsten geantwortet, aber das traute ich mich dann doch nicht. »Mir ist eingefallen, dass ich noch ein paar Sachen einkaufen muss«, sagte ich ausweichend. »Das hat Vorrang.«
Ryan guckte mich schief an. »Hä?«, brachte er schließlich nur heraus.
Ich winkte ab, schloss mein Cabrio auf, setzte mich hinters Steuer und öffnete das Verdeck. »Komm schon, steig ein …« Einladend klopfte ich auf den Beifahrersitz neben mir.
Ryan starrte gequält auf das Auto. »Muss ich wirklich?«
»Wenn du nicht laufen willst, dann ja.« Während er überlegte, startete ich den Motor. »Jetzt oder nie, Ryan. Wenn du nicht mitkommen willst, tut es Alex ganz bestimmt.«
Er schnaubte kurz. Doch dann ging er um den Wagen herum und kletterte ächzend auf den Beifahrersitz. Na also, ging doch.
In mich hineingrinsend fuhr ich langsam vom Campus. Dabei musste ich immer wieder stehen bleiben und Studenten ausweichen, die plötzlich überall herumliefen. Schließlich wollte ich niemanden überfahren. Gerade als ich vom Gelände fuhr, klingelte mein Handy.
»Kannst du mal auf Lautsprecher stellen?«, bat ich Ryan und setzte den Blinker. »Das Handy ist in meiner Tasche«, fügte ich hinzu, während ich abbog.
»Klar.« Ryan nahm das Handy raus, stellte die Bluetooth-Verbindung her und flippte den Anruf auf die Anzeige des Autos.
»Ivy?«, hörte
ich es Sekunden später.
Holy Shrimp! Das hatte mir gerade noch gefehlt. »Hallo Mom«, rief ich.
»Ivy? Ich kann dich kaum verstehen, rennst du gerade?«
»Nein, Mom, ich fahre mit dem Auto. Warte kurz, ich lasse das Verdeck hoch.« Ich seufzte. Am liebsten hätte ich eine Empfangsstörung vorgetäuscht. Aber leider ließ sich Sybil Redmond von so was nicht aufhalten. Zumindest nicht auf Dauer. Notfalls würde sie Brieftauben losschicken. Es war also egal, was ich tat. Diesem Gespräch würde ich nicht ausweichen können.
Das helle Verdeck des Cabrios surrte zu und schloss den Fahrtwind aus. »Verstehst du mich jetzt besser, Mom?«, erkundigte ich mich.
»Nein. Aber das liegt wahrscheinlich daran, dass du wieder nuschelst, Ivy«, sagte meine Mom mit strenger Stimme.
Ich verdrehte die Augen. »Ich nuschle nicht, Mom. Was kann ich für dich tun?«
»Was du für mich tun kannst? Ich bin deine Mutter. Kann ich meine einzige Tochter nicht anrufen und fragen, wie es ihr geht? Du hast dich schließlich drei Tage lang nicht gemeldet.«
Was für ein Unsinn. Wir wohnten in einem so großen Haus, dass ich es schon mal geschafft hatte, ihr eine ganze Woche nicht zu begegnen. Da hatte sie auch nicht angerufen und gefragt, ob ich zufällig im Westflügel verschollen war. Ich atmete ein paarmal tief durch. »Natürlich kannst du das, Mom. Mir geht es übrigens gut. Und euch?«
»Alles bestens, wie immer eigentlich. Du kennst uns ja. Dein Vater hat im Moment viel zu tun, weshalb ich mich um alles alleine kümmern muss.« Meine Mom seufzte. Im Hintergrund konnte ich ein leises Klirren hören. Wahrscheinlich stand sie gerade an der Bar und untersuchte die Champagnergläser auf Wasserflecken.
»Das tut mir leid«, sagte ich etwas sanfter, weil ich wusste, dass meine Mutter wirklich viel Zeit alleine verbrachte. Genau wie ich. Noch nie hatte ich mit einem Menschen so viel Zeit an einem Stück verbracht wie mit Ryan.
Ich folgte der Beschilderung, setzte den Blinker und bog in den Gemini Boulevard ab. Kurz darauf tauchte auch schon das für Florida typische Flachgebäude vor uns auf und ich fuhr auf den Besucherparkplatz, auf dem so gut wie nichts los war. Ich hatte den Laden bereits auf der Fahrt zum College entdeckt und mir fest vorgenommen, in den nächsten Tagen mal hier shoppen zu gehen. Zum Glück hatte ich ihn jetzt problemlos und ohne mich zu verfahren wiedergefunden.