Kiss Me Once
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»Wie auch immer«, sagte meine Mutter, während erneutes Klirren durch den Lautsprecher drang. Sie war also zu den Scotchgläsern weitergewandert. »Ich wollte nur sichergehen, dass du dir zu Thanksgiving ein paar Tage freinimmst.«
»Das haben wir doch bereits besprochen. Ich komme zum Essen, aber ich habe nur drei Tage frei.«
»Papperlapapp«, wiegelte meine Mom ab. »Eine Woche mindestens. Dein Vater und ich planen eine wichtige Sponsoren-Gala und es gibt einige Veranstaltungen, bei denen wir dich dabeihaben wollen.«
»Ach Mom.« Ich seufzte. »Ich weiß, euch ist das wichtig, aber ich werde doch schon Weihnachten zu dem Benefizkonzert kommen. Das sollte doch wirklich reichen.«
»Nichts da. Die Goldbergs werden auch da sein und Benjamin freut sich schon auf dich.«
Ein entnervtes Stöhnen entfuhr mir. »Ich freue mich aber nicht auf Benjamin Goldberg, Mom!«
»Ivy!«
»Mom!«, hielt ich streng dagegen. »Thanksgiving ist schon in knapp zwei Monaten und ich kann mir nicht gleich zu Beginn des Semesters so viel freinehmen.«
»Natürlich kannst du das. In Princeton konnte ich es schließlich auch …«
»Ja, aber …«
»Was aber?«
Beinahe hätte ich gesagt, dass ich mir meinen Platz am College nicht erkauft hatte, doch das wäre nicht ganz fair gewesen. Meine Mutter mochte viel sein, aber dumm war sie nicht. Ihren Doktor in Architektur hatte sie letztendlich nicht, weil ihre Beine so perfekt symmetrisch waren.
»Nichts«, sagte ich seufzend. »Ich komme.« Was blieb mir auch anderes übrig?
»Sehr schön. Chloé wird sich bestimmt auch freuen, dich wiederzusehen. Sie und ihre Eltern sind ebenfalls eingeladen. So, jetzt muss ich Schluss machen. Die Franklins sind jeden Augenblick da. Gott, wie sehr ich Leute hasse, die pünktlich sind.«
»Ich weiß. Genauso wie Leute, die sich an Geschwindigkeitsbegrenzungen halten.«
»Das sind die Schlimmsten!«
»Absolut. Bis bald, Mom.«
»Bye, Schatz.«
Als sie aufgelegt hatte, herrschte eine bedrückende Stille im Wagen. So war das immer mit Sybil Redmond. Sie hatte eine so dominante Ausstrahlung, dass sie mit dem Verlassen eines Raumes oder dem Beenden eines Gesprächs immer ein unbehagliches Schweigen zurückließ.
Ryan räusperte sich. »Klingt nett … deine Mom.«
Ungläubig verzog ich das Gesicht. »Wirklich?«
»Na ja.« Er zuckte verlegen mit den Schultern. »Zumindest wirkte sie sehr … engagiert.« Ja, das Wort engagiert traf meine Mutter wohl sehr gut.
»So!« Ryan öffnete die Tür und stieg aus. Sofort strömte ein Schwung heißer Luft in den Wagen. »Vielleicht kannst du mir jetzt auch noch verraten, warum wir ausgerechnet vor einem Dollar Tree stehen, Miss Millionenschwer?«
Um dich abzulenken, hätte ich am liebsten gesagt. Um dich wieder lächeln zu sehen. Stattdessen griff ich nach meiner Tasche, stieg aus und lief wortlos in Richtung des Ein-Dollar-Shops.
Ryan
»Was machen wir hier, Ivy?«, fragte ich verwirrt, während ich ihr wie ein Hündchen hinterherlief.
»Wonach sieht es denn aus?« Ivys Augen leuchteten, als sie mir eine Jumbopackung Gummibärchen unter die Nase hielt. »Wir kaufen Snacks für den Ausflug.«
»Welchen Ausflug?«
»Den Ivy-zerrt-Ryan-zu-einem-Ausflug-Ausflug!«
Ivy war mit Abstand das durchgeknallteste Mädchen, dem ich jemals begegnet war. Wir waren verdammt noch mal in einem Dollar Tree! Hier stank es nur so nach wertlosem Plastik, die Neonröhren tauchten den Laden in ein so grelles Licht, dass ich meine Sonnenbrille aufsetzen musste, um nicht zu erblinden, und überall lag Zeug herum, das selbst für einen Dollar noch zu teuer war. Und Ivy liebte es.
»Hast du schon mal so viele Gummibärchen in einer Tüte gesehen, Ryan? Für nur einen Dollar?«, fragte sie und ihre Stimme überschlug sich fast vor Aufregung.
»Ivy.« Lachend nahm ich ihr das Gummizeug aus der Hand. »Das Ablaufdatum ist von 2014!«
»Ach Quatsch. Gummibärchen können gar nicht schlecht werden«, wiegelte sie ab, nahm mir die Packung wieder aus der Hand und ließ sie kurzerhand in ihren Einkaufswagen fallen. »Hier gibt es einfach alles«, schwärmte sie, während sie noch mehr Süßigkeiten in den Wagen warf. »Guck mal, fünf Liter Eistee!«
»Ivy, wir gehen!«, sagte ich streng und dirigierte sie zur Kasse. Den ganzen Weg über warf sie immer wieder scheinbar wahllos Zeug in ihren Einkaufswagen. Ihr Hauptkriterium schien dabei »Hauptsache bunt und mit Zucker« zu sein.
Eine plötzliche Bewegung am Rande meines Blickfeldes irritierte mich. Unwillkürlich checkte ich die Reihen ab, doch ich sah nur einen Studenten in Hawaiihemd, der zu den Steckdosen schlenderte. Er schien uns nicht zu beachten, trotzdem zog ich Ivy entschlossen weiter. Je schneller wir hier rauskamen, desto besser. Ich wollte kein Snob sein, aber einen Dollar Tree betrat man nur, wenn man absolut pleite und verzweifelt war. Oder auch beides.
Während Ivy ihre Einkäufe auf das Band legte, ließ ich meinen Blick immer wieder nervös durch den Laden wandern. Vielleicht übertrieb ich auch, aber ein seltsames Gefühl ließ mich unruhig werden. Als ich wieder den Hawaiihemd-Typen von vorhin sah, der seine Einkäufe – Batterien und Red Bull – hinter uns aufs Band legte, wurde ich misstrauisch. Vor allem, als er Ivy für meinen Geschmack viel zu genau musterte. Nicht so wie Jeff, der hoffnungslos verknallt war, und auch nicht so wie Alex, der eindeutig etwas von Ivy wollte, sondern mit einer kalten Berechnung. Sofort begannen bei mir sämtliche Alarmglocken zu schrillen.
»Hey!«, sagte er schließlich in diesem nervtötenden Surfer-Slang. »Bist du auch an der UCF?«
Er sah dabei Ivy an, nicht mich. Sein Verhalten störte mich immer mehr. Gerade als Ivy sich lächelnd umdrehte, um zu antworten, ging ich abrupt dazwischen. Würgte das Gespräch ab, bevor es überhaupt in Gang kommen konnte.
»Nein, ist sie nicht«, erklärte ich mit kalter Stimme.
»Was?« Ivy starrte mich an. »Natürlich bin ich …«
»Wir sind nur zu Besuch«, unterbrach ich sie und ließ den Typen nicht aus den Augen. »Und du?«
Etwas in seinem Blick flackerte. Es war ihm offensichtlich unangenehm, selbst mit Fragen konfrontiert zu werden. »Yep. Journalismus. Im fünften Semester, Mann.«
»Oh, dann bist du bald fertig?«, erkundigte sich Ivy interessiert. In diesem Augenblick hätte ich ihr am liebsten den Hals umgedreht. Verdammt! Konnte dieses Mädchen nicht einmal still sein?
Der Typ seufzte übertrieben gequält. »Joah, jetzt stehen bald die Abschlussarbeiten an. Ich brauch noch ’ne gute Story, sonst werd ich vom Florida Sun Magazine nicht übernommen.«
»Oh, das tut mir leid, aber ich bin sicher, du findest noch etwas Gutes. Was ist denn dein Spezialgebiet?«, fragte Ivy, die endlich ihre Platinum Card zückte, bezahlte und mir die Einkäufe reichte.
»Politik und Wirtschaftspresse«, erzählte der Typ weiter. Der Blick, mit dem er Ivy dabei musterte, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Wie ein hungriger Wolf, der ein Kaninchen anstarrte. Verdammt.
»Komm, wir gehen, Haidi!« Ich sprach sie betont mit ihrem zweiten Vornamen an. Sie guckte verdutzt. Und bevor sie noch etwas Dummes tun konnte, wie etwa zu protestieren, schnappte ich mir ihre Hand und zerrte sie zum Ausgang.
»Tja, viel Glück noch!«, rief Ivy verwirrt hinter sich. Am liebsten hätte ich sie geschüttelt.
Der Typ winkte. »Danke, werd ich haben.«
Draußen zog ich Ivy einfach weiter. Vor dem Auto ließ ich sie los und wackelte mit den Fingern. »Schlüssel her, Ivy!«
»Was? Nein, das ist mein Auto! Was ist …«
»Ivy, gib den scheiß Schlüssel her«, fuhr ich sie an.
Ivy starrte mich schockiert an. Ihr Kinn schob sich trotzig vor, trotzdem kramte sie in ihrer Tasche herum und warf mir das klimpernde Ding zu. Sie war sichtlich beleidigt. Bevor ich auch noch ein schlechtes Gewissen bekommen konnte, sch
ubste ich sie auf den Beifahrersitz. Als kurz darauf die Tüten auf ihrem Schoß landeten, schnappte sie erschrocken nach Luft.
»Was ist denn los?«, rief sie verwirrt.
»Verdammt, Ivy«, fluchte ich, während ich ebenfalls einstieg, den Sitz zurückstellte, den Wagen startete und losfuhr. Im Rückspiegel konnte ich den Typen sehen, der uns hinterherstarrte. Mist, er starrte auf das Nummernschild. Nicht gut. Gar nicht gut.
Ich fuhr vom Parkplatz und nahm die Abzweigung weg vom Campus – nur für den Fall, dass der Typ auf die Idee kommen sollte, uns zu folgen. Mit angespannten Schultern warf ich immer wieder prüfende Blicke in den Rückspiegel. Erst als ich mir sicher war, dass er uns zumindest nicht unmittelbar an der Stoßstange klebte, entspannte ich mich ein wenig.
Gerade als ich die Abzweigung zurück zur Uni nehmen wollte, kreischte Ivy mir ins Ohr: »Falsche Richtung!«
Fluchend trat ich auf die Bremse und bog in die andere Richtung ab. »Wo zum Teufel willst du denn hin?«
»Bleib mal stehen«, fauchte sie.
Genervt setzte ich den Blinker, um am Straßenrand stehen zu bleiben.
»Ryan, was soll das?«, fragte Ivy wütend und gleichzeitig besorgt.
Ich warf ihr einen finsteren Blick zu. »Im Ernst? Ivy, das war gerade ein Wirtschaftsjournalist, der eine Abschlussstory sucht. Dein Gesicht sieht man vielleicht nicht jeden Tag in der Florida Gazette, aber wenn er auch nur ein bisschen Ahnung hat, weiß er, wer du bist. Und wahrscheinlich wittert er gerade die große Story.«
»Meinst du?«, fragte Ivy verunsichert.
»Ja, meine ich. Er wird das Auto bestimmt auf dem Campus suchen. Wir müssen das Nummernschild austauschen lassen.«
Ivy schnaubte. »Jetzt übertreibst du aber.«
»Glaubst du?«
»Ja! Und du musst in Richtung der FL-417 fahren!«
»Warum?«
»Hast du den Ausflug schon vergessen?« Sie schien fest entschlossen zu sein.
Ich seufzte. »Richtig, der Ausflug. Wie weit ist es?«
»Nicht weit«, winkte Ivy ab und tippte etwas in ihr Handy ein. »Laut Maps etwa eine halbe Stunde.«
»Wohin?«
»Ist eine Überraschung«, sagte sie nur und deutete nach rechts. »Fahr da lang.«
»Na gut«, murmelte ich und fuhr zur State Road hinaus.
Ivy wirkte ausgesprochen zufrieden mit sich selbst. Gut gelaunt machte sie das Radio an und gab mir immer wieder Anweisungen, wohin ich fahren sollte. Die karge Landschaft Floridas glitt an uns vorbei. Alles unweit der Küste war meist staubiges Grasland, nur ab und zu sah man einen Cracker Barrel Country Store oder eine der vielen Wendy’s-Filialen.
Die Sorge um den Hawaiihemd-Typen nagte auch weiterhin an mir, und ich ertappte mich dabei, wie ich immer wieder prüfende Blicke in den Rückspiegel warf. Doch niemand schien uns zu verfolgen, nichts wirkte verdächtig. Trotzdem würde ich auf dem Rückweg meinen Dad anrufen und ihn bitten, zumindest das Nummernschild tauschen zu lassen. Irgendetwas an der Art und Weise, wie der Typ Ivy angesehen hatte, hatte mir nicht gefallen, da konnte Ivy behaupten, was sie wollte. Auf meine Instinkte war Verlass – was man von meinen Hormonen im Augenblick leider nicht behaupten konnte.
Krampfhaft versuchte ich, mich auf die Straße zu konzentrieren und nicht ständig zu Ivy hinüberzusehen. Sie hatte das Fenster ein Stück heruntergelassen und der Wind zerrte an ihren hellen Haaren, die in der Nachmittagssonne beinahe golden glänzten. Ihr süßer Geruch kitzelte in meiner Nase.
»Hier abbiegen, Ryan«, rief Ivy plötzlich.
Hektisch setzte ich den Blinker und bog scharf ab. Hinter uns hupte jemand, was ihm aber nur meinen Mittelfinger einbrachte. Ivy sog scharf die Luft ein und hielt sich an ihrem Gurt fest.
»Was war das denn?«, fragte sie vorwurfsvoll.
Ich stöhnte. »Nächstes Mal sagst du bitte früher Bescheid, wenn wir abbiegen müssen.«
Die nächsten zehn Minuten fuhren wir auf einer abgelegenen Straße weiter, an der sich hohes Schilf entlangzuziehen begann.
»Wir fahren zum Lake Jesup?«, fragte ich skeptisch, als ich das Schild sah, das auf den See in einem Kilometer Entfernung hinwies. »Was wollen wir denn da, Ivy? Das Ding ist doch allerhöchstens eine etwas zu groß geratene Pfütze.«
»Ist es gar nicht«, verteidigte Ivy den See. »Außerdem fahren wir nicht direkt zum Lake Jesup. Hier bitte links.«
Ich schnaubte, bog jedoch wie befohlen in einen kleinen Feldweg ein. Vor uns tauchte ein uraltes Schild auf: Willkommen im Lake Jesup Park.
»Ein Naturpark?«, fragte ich irritiert und fuhr auf den angezeigten Parkplatz.
Ivy nickte. »Ich war hier früher schon mal mit Maria, einer Hausangestellten«, sagte sie. Ich hatte den Motor noch nicht mal ausgestellt, als Ivy auch schon aus dem Wagen hüpfte.
»Und was genau wollen wir hier? Wandern?«, fragte ich und stieg ebenfalls aus.
»Nein, Gummibärchen essen. Komm schon, Ryan«, sagte sie. Ivy klang dabei so entschlossen, dass ich mir einen weiteren Kommentar verkniff und ihr folgte.
Der Park schien seit seiner Öffnung weder saniert noch wirklich gepflegt worden zu sein. Zumindest sah es von außen so aus. Das ursprünglich minzgrüne Kassenhäuschen hatte einen gräulichen Stich bekommen. Es war so krumm und schief, dass ich Angst hatte, es würde jeden Augenblick über uns zusammenbrechen.
Ivy ging schnurstracks auf das Häuschen zu und kaufte nicht nur die Eintrittskarten – die mit fünf Dollar pro Person eigentlich viel zu teuer waren –, sondern auch gleich zwei Packungen Vogelfutter, die sie in ihre hintere Hosentasche schob, ehe sie durch das Drehkreuz eilte. Himmel, konnte die schnell sein, wenn sie wollte.
Ich beeilte mich, ihr hinterherzukommen. Verblüfft blieb ich stehen, als wir auf einen schmalen Weg traten, der links und rechts von solch dicken Bäumen umwachsen war, dass man sich ein wenig wie im Dschungel fühlte. Die Wurzeln der Bäume hatten sich zum Teil so weit aus dem Boden gebohrt, dass man darunter durchgehen konnte wie unter einem Tor.
»Wow«, sagte ich beeindruckt und legte den Kopf in den Nacken. Die Bäume waren so hoch, dass das Sonnenlicht nur schwach durch das Blätterdach drang. Kleine Lichtflecken tanzten über den Boden.
»Es sieht noch genauso aus wie damals«, sagte Ivy und strich mit der Hand über eine Wurzel, an der langes weißes Moos hing. »Hier fühlt man sich wie in einer anderen Welt.«
»Und du warst hier mit einem Dienstmädchen?«, fragte ich. Neugierig folgte ich ihr den schmalen Weg entlang. Offenbar hatte sie ein Ziel vor Augen, denn Ivy lief ohne zu zögern durch den Park.
»Ja, mit Maria«, sagte Ivy und stieg über eine Wurzel hinweg. »Sie hat einige Jahre für uns gearbeitet. Und sie hat immer auf mich aufgepasst, wenn meine Eltern nicht zu Hause waren. Wir waren früher öfter hier, da ein Vetter von Maria im Park gearbeitet hat. Deshalb mussten wir auch nie Eintritt zahlen.« Sie grinste schief.
»Hier arbeiten Leute?«, fragte ich skeptisch und sah mich im Unterholz um.
»Du wirst schon sehen«, sagte Ivy verschwörerisch und drehte sich zu mir um. Dabei übersah sie eine Wurzel und kam prompt ins Straucheln. Blitzschnell sprang ich nach vorn, packte sie um die Taille und zog sie wieder hoch.
»Aufpassen, Ivy.«
»Ich … ja … danke, ich sag’s der Wurzel«, stotterte sie und sah mich mit großen Augen an.
Wir waren uns so nahe, dass ihr Atem meinen Hals streifte. Meine Nackenhaare stellten sich auf und ich ließ sie so abrupt los, dass sie einen Schritt zurücktaumelte.
Ivy räusperte sich und sah sich ein wenig desorientiert um. »Wo wollte ich noch mal … ah ja«, murmelte sie und ging weiter. Prompt blieb sie wieder mit ihren Flipflops hängen und ruderte mit den Armen. Schnell packte ich ihre Hand und zog sie zurück auf die Füße.
»Ich halte dich lieber mal fest«, sagte ich spöttisch und verschränkte meine Finger mit ihren. »Sonst brichst du dir noch den Hals und das wollen wir doch nicht, oder?«
Ivy schluckte.
»Nein, das wollen wir nicht.«
Ihre Wangen leuchteten in einem verräterischen Rot. Sie warf mir einen schüchternen Blick zu, öffnete den Mund, zögerte, schloss ihn wieder und sah ruckartig weg. Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, während wir schweigend weiterliefen. Schon bald lichtete sich der Weg und machte einer großen Lichtung Platz. Dahinter lag auch der Jesup-See und warf ruhige Wellen. Die für Florida typischen Kraniche staksten am Ufer entlang, wo auch mehrere kleine Pavillons standen.
Ivy räusperte sich und deutete nach links, wo ein modernes Backsteingebäude zu sehen war. »Dort hinten gibt es ein Alligatorengehege«, erklärte sie und ließ meine Hand los.
Am liebsten hätte ich sofort wieder nach ihr gegriffen und sie an mich gezogen. Angestrengt unterdrückte ich den Impuls und sah mich um.
»Dort werden verletzte Alligatoren gepflegt und danach wieder in die Freiheit entlassen.«
»Also sollten wir lieber nicht im See schwimmen, was?«, witzelte ich.
Ivy schauderte. »Warst du schon mal in einem See, in dem man tatsächlich schwimmen konnte, ohne Gefahr zu laufen, von etwas gefressen zu werden?«
»Nein«, gab ich zu und musste schmunzeln, als ich an mein Zuhause in Miami dachte. »Unser Haus steht direkt am Miami River«, erklärte ich, während wir auf einen Steg zusteuerten, der ein Stück ins Wasser ragte. »Früher konnte ich sogar mit dem Kanu in die Highschool fahren. War ganz praktisch, besonders, als ich den Führerschein noch nicht hatte. Andererseits hatten wir auch beinahe jede Woche ein bis zwei Alligatoren im Garten sitzen, einmal sogar im Pool.« Ich lachte bei der Erinnerung daran, wie begeistert die Zwillinge gewesen waren, als ein zwei Meter großer Alligator in unserem Pool gesessen hatte.
»Wirklich?« Ivy schmunzelte.
Vorsichtig gingen wir über den Holzsteg. Das Holz war alt und große Teile davon so mit Wasser vollgesogen, dass es so gut wie unmöglich war, mit den rutschigen Sohlen einen guten Halt zu bekommen. Prompt rutschte Ivy aus und ich konnte sie gerade noch auffangen, bevor sie ins Wasser fiel.