Kiss Me Once
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Freeman sah mich nur verbittert an.
»Wenn ja«, sagte ich, »rate ich dir, alle Bilder zu löschen. Sollte auch nur ein einziges davon im Netz auftauchen, bist du deinen Platz an der Uni los.«
»Verpisst euch«, stieß Freeman hervor.
Grinsend ließ ich ihn los, nahm Jeff die Kamera ab und warf sie Freeman zu. Der war so überrascht, dass er sie nicht rechtzeitig auffing. Mit Genugtuung hörte ich, wie etwas zu Bruch ging, als die Kamera auf dem Boden landete. Ich packte Jeff, der Freeman noch einen entschuldigenden Blick zuwarf, an der Schulter und zog ihn zum Wagen.
»Das war aber ganz schön heftig«, murmelte Jeff, als wir in sein Auto gestiegen waren.
»Tja, manchmal ist das die einzige Methode, um noch mehr Probleme zu verhindern«, sagte ich ernst und ließ mich von Jeff zurückfahren.
Obwohl er deswegen wahrscheinlich zu spät zur Arbeit kam, beschwerte er sich mit keinem Wort. Er brachte mich sogar bis direkt vor das Fakultätsgebäude, sodass ich genau zum Ende der Vorlesung ankam.
Ivy
»Na, Ryan, alles klar?«, fragte ich gut gelaunt, nachdem ich gemeinsam mit Alex den Hörsaal verlassen hatte.
Ryan lehnte neben der Tür zum Vorlesungssaal und grummelte, was wohl so viel wie Nein heißen sollte. Oder Verpiss dich. Oder Ich liebe dich, Ivy, und ich will für immer mit dir zusammen sein, scheiß auf den Job. Okay, nein, das war dann wohl doch eher Wunschdenken.
»Gute Neuigkeiten: Die nächsten Vorlesungen fallen aus. Sollen wir ins Wohnheim gehen?«, fragte ich ihn, während Alex auf seinem Smartphone herumtippte.
Ryan nickte und stieß sich ab. »Gute Idee. Ich muss dringend in einem Bett schlafen.«
»Ja, Bett klingt gut«, bestätigte ich, mit den Gedanken völlig woanders. »Danke, Alex. Ich sag dir dann wegen später noch Bescheid, ja?«
»Mach das, und cool, dass du zur Party mitkommst.«
»Klar.« Ich wollte gerade losgehen, als Ryan mich am Arm packte.
»Was für eine Party?«, fragte er.
Verwundert über seinen harten Tonfall, sah ich auf. »Ah, nichts Großes. Bei Alex und Jeff in der Verbindung läuft heute diese Veranstaltung, Hoes before Bros. Da bringen alle Jungs ein Date mit und Alex hat mich gefragt, ob ich ihn begleiten will.«
»Und du willst dahin? Und das nach gestern?«, fragte Ryan ungläubig.
Ich zuckte mit den Schultern. »Vielleicht. Ich habe mich noch nicht entschieden«, sagte ich leise.
Ryan schob seine Sonnenbrille hoch und funkelte mich an. »Nichts da, du lässt die nächsten Wochen die Partys erst mal ausfallen. Ich habe keine Lust, am Ende wieder jemandem drohen zu müssen.«
»Drohen?«, fragte ich irritiert.
Ryan knurrte und sah zu Alex hinüber, der uns aufmerksam musterte. Wir mussten wohl besser als eine Soap sein.
»Nicht hier«, murmelte Ryan, packte mich am Ellenbogen und zog mich weiter.
»Was ist los mit dir, Ryan?«, presste ich hervor und wand mich aus seinem Griff.
»Ich erlaube dir nicht, da heute hinzugehen.«
»Du erlaubst es mir nicht?«
»Genau«, erwiderte Ryan.
Ungläubig schüttelte ich den Kopf und lief zurück zum Wohnheim. Innerlich kochte ich vor Wut, aber ich versuchte, ruhig zu bleiben und Ryan nicht mitten auf dem Campus anzubrüllen. Beim Wohnheim angekommen, stieß ich die Tür auf und rannte praktisch in mein Zimmer hoch. Ryan war mir dabei dicht auf den Fersen und als ich die Tür zuschlagen wollte, trat er sie einfach mit dem Fuß wieder auf und stürmte mir hinterher. Dieser Kerl machte mich so was von fertig!
»Sag, was mit dir los ist, oder ich werf dich aus dem Zimmer«, fauchte ich ihn an. »Ich meine es ernst. Ich bin am College. Hier sind die ganze Zeit Partys. Oder bist du eifersüchtig auf Alex?«
Ryan schnaubte. »Ja, genau. Ich bin eifersüchtig auf Alex. So weit kommt’s noch. Nein, weißt du, wo ich gerade war? Bei Austin fucking Freeman. Ich durfte gerade Dutzende Paparazzifotos von dir löschen. Also nein, du bleibst hier, bis ich weiß, dass der Kerl keinen Ärger mehr macht.«
»Du … du warst bei Freeman?«, stotterte ich. »Da waren Fotos?«
»Viele. Und darum bleibst du auch hier und lässt das Date mit Alex sausen, klar?«
»Ach, darum geht es also? Das ist kein Date!«
»Ist es schon«, sagte Ryan und funkelte mich wütend an.
Sein Blick war so intensiv, dass sich die Härchen an meinen Unterarmen aufstellten.
Ich schluckte. »Du kannst mir nicht verbieten auszugehen, Ryan.«
Er schnaubte. »Doch. Wenn dort draußen ein Irrer herumläuft und Skandalfotos von dir schießen möchte, dann schon«, gab er zurück.
»Tja, Pech, ich lasse mich aber nicht einsperren. Alex ist mein Freund und wenn er mich bittet, ihn zu begleiten, dann tue ich das auch«, sagte ich bestimmt.
»Alex ist nicht dein Freund«, rief Ryan wütend.
»Ach nein, sondern?«
»Alex ist der Typ, der dir an die Wäsche will, weil er Jeff nicht haben kann. Er benutzt dich doch nur als Lückenfüller.«
»Tut er nicht«, fuhr ich ihn an. »Und selbst wenn, würde es dich nichts angehen.«
»Natürlich geht es mich etwas an.«
»Warum?«
»Warum?«, echote er ungläubig. »Du willst wirklich wissen warum?«
»Ja, warum? Was ist plötzlich dein Problem, Ryan? Ich dachte, zwischen uns sei alles geklärt.«
»Das dachte ich auch.«
»Also, was ist dein Problem?«
»Nein, was ist dein Problem?«
»Mein Problem ist, dass ich dich mag«, platzte es ohne jede Vorwarnung aus mir heraus. Oh Gott! Was hatte ich da nur gesagt? Ich … oh nein, so musste sich ein Mensch fühlen, der gerade einen Autounfall baute – nur dass ich hier eher einen Beziehungsunfall verursachte.
»Was?« Ryan starrte mich überrascht an.
Ich seufzte. »Ich mag dich, Ryan MacCain, aber du treibst mich in den Wahnsinn. Du bist ein Idiot und ich mag dich trotzdem so sehr, dass es wehtut.«
Als sich unsere Blicke kreuzten, hatte ich das Gefühl, in mir würde ein Band reißen, das längst überspannt war. Im Nachhinein wusste ich nicht mehr, wer den ersten Schritt gemacht hatte. Wer als Erstes die Hände in die Haare des anderen vergraben hatte. Ob ich zuerst meine Lippen auf Ryans oder er seine auf meine gepresst hatte. Alles, was ich wusste, war, dass mein Körper in Flammen stand. Ich fühlte, schmeckte, roch nichts anderes als Ryan.
Das Piercing in seiner Zunge streifte meinen Mundwinkel und innerhalb der nächsten Sekunde fielen wir ineinander verkeilt auf das Bett. Die Federn in der Matratze gaben ein knarrendes Geräusch von sich, als Ryan mich an sich zog und an meiner Unterlippe knabberte. Ich stieß ein leises Seufzen aus, das sofort von Ryans Mund aufgefangen wurde.
Feste Hände streichelten den Schwung meines Halses. Mein Puls raste, während seine Zunge mit jeder Berührung Schauder über meinen Rücken jagte. Er hörte auf, mich zu küssen. Stattdessen presste er mich so fest, so verzweifelt, so hungrig an sich, dass mir fast der Atem stockte. Das Gefühl, von Ryan gehalten zu werden, seinen Körper so nahe an meinem zu spüren, war das beste Gefühl seit Ewigkeiten.
Schwer atmend sah Ryan mich an. Sein Blick blieb sehnsüchtig an meinen Lippen hängen und diesmal war es definitiv ich, die den Abstand zwischen uns überbrückte und ihn küsste. Es war meine Zunge, die sich in seinen Mund stahl. Aber es war sein Geschmack, der meine Sinne flutete. Sein Duft, der mich umgab, und seine Berührung, die meine Seele zum Zittern brachte. Ryan zu küssen fühlte sich an wie Achterbahn zu fahren. Erst dieser angsteinflößende Augenblick, wenn man über den Rand des Abgrunds blickte, sich der enormen Höhe bewusst wurde, bevor man in der nächsten Sekunde in die Tiefe stürzte. Das kurze Aussetzen der Schwerkraft, die einem den Atem aus den Lungen drückte, bevor man von der nächsten Kurve aufgefangen wurde. Gefolgt von dem Adrenalin, das durch den gesamten Körper schoss.
Ryans Zunge streichelte meine, während er mich immer noch fest umklammerte. Es war, als würde er sich selbst im freien Fall befinden. Noch nie in meinem Leben hatte sich etwas so … richtig angefühlt. Am liebsten würde ich ihm sagen, dass ich mit ihm zusammen sein wollte. Dass mir die Konsequenzen egal waren. Aber das durfte ich nicht. Ich wusste, wie wichtig ihm sein Job war. Wenn ich meine Gedanken laut aussprach, würde das Leuchten aus seinen Augen verschwinden. Er würde aufhören, mich zu berühren. Und dann gäbe es kein Zurück mehr. Aber vielleicht wollte ich das auch gar nicht. Vielleicht wollte ich nur ihn und mich.
Plötzlich klingelte ein Handy. Meins, um genau zu sein. Die Melodie hallte so laut durch das Zimmer, dass wir erschrocken zusammenzuckten. Ryan löste sich von mir und ich spürte, wie sich seine Muskeln anspannten.
»Willst du nicht rangehen?«, fragte er atemlos, während seine Finger mit meinen rosa Haarspitzen spielten.
Ich schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?«
»Weil ich gerade etwas Besseres zu tun hab«, flüsterte ich und erwiderte Ryans Blick. Seine Augen leuchteten wie sattes Moos, und seine Lippen waren rot und geschwollen von unseren Küssen.
Ryan öffnete den Mund, klappte ihn aber wieder zu, bevor er zitternd seine Stirn gegen meine lehnte. So lagen wir eine gefühlte Ewigkeit da, während das Handy aufhörte zu klingeln, nur um im nächsten Augenblick wieder anzuspringen.
Offenbar rangen wir beide um Worte, die nach oben strebten. Aber weder Ryan noch ich fanden den Mut, sie auszusprechen. Schließlich gab ich mir einen Ruck, doch das Ich liebe dich blieb auf halbem Weg stecken, stattdessen schlüpfte etwas anderes heraus: »Bitte küss mich noch mal.«
Gequält schloss Ryan die Augen. Er vergrub sein Gesicht an meinen Hals und atmete tief durch, sodass ein warmer Lufthauch meine Haut kitzelte. Ich spürte seine Lippen an meinem Puls. Ein hauchzarter Kuss, den ich kaum wahrnahm, bevor sich sein ganzer Körper anspannte.
Das Bett quietschte, als er von mir abrückte und mich alleine zurückließ. Er sah mir nicht in die Augen. Schwer atmend wich er einen Schritt zurück. Dann noch einen. Bei jedem Schritt schien er ein Stück meines Herzens mitzunehmen. Ich fühlte mich plötzlich so schutzlos wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich wartete und wartete, hoffte, dass er doch wieder zu mir kam, doch mit jeder Sekunde, die verstrich, zog sich mein Herz immer mehr zusammen.
Ryan atmete tief durch. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und endlich sah er mich an. Ein verhangener Blick aus zwei müden Augen.
»Wir dürfen das nicht«, sagte er leise und flüchtete aus meinem Zimmer.
Ryan
Kaum war Ivys Tür hinter mir ins Schloss gefallen, stürmte ich aus dem Wohnheim. Raus, ich musste raus! Nach Luft schnappen. Die Enge in meiner Brust loswerden.
Das Einzige, was ich im Moment wahrnahm, waren meine schnellen Schritte auf dem Asphalt, der unter mir nur so dahinflog. Ich hatte keine Ahnung, wohin ich rannte. Hauptsache weg. Keuchend lief ich weiter, obwohl ich am liebsten sofort wieder umdrehen würde. Zu Ivy zurückgehen und mich bei ihr entschuldigen. Sie in die Arme nehmen und sie nie wieder loslassen. Aber ich konnte nicht. Ich konnte nicht. Ich konnte nicht. Jeder Tritt auf den Boden war wie ein Mantra. Jeder Schritt, den ich mich von ihr entfernte, war Teil meiner Entscheidung – und die brachte mich fast um.
In diesem Augenblick hasste ich mich selbst. Ich hasste die gesamte Welt. Meinen Bruder. Meine Entscheidungen. Meinen Job. Und ein Teil von mir hasste sogar Ivy. Ein kleiner Teil, der das wahrscheinlich nur tat, um mich vor dem großen Rest zu schützen, der Ivy hoffnungslos verfallen war. Als sie mich vorhin angesehen hatte, da war mir klar geworden: Ich liebte Ivy Redmond. Es hatte keinen Sinn mehr, es zu leugnen. Und wenn ich ehrlich war, hatte ich das auch nie getan. Ich hatte es höchstens verdrängt.
Ich konnte nicht aufhören, an Ivy zu denken. Wie sie mich angesehen hatte … Ihre Augen hatten noch nie blauer gestrahlt. Ihre Haut hatte in dem sanften Licht geleuchtet wie Perlmutt und ich konnte immer noch ihre Stimme hören. Bitte küss mich noch mal.
Ich lief noch schneller, während ich in Gedanken jedes Bitte mit einem Wir dürfen nicht beantwortete. Irgendwann blieb ich stehen. Keine Ahnung, wann oder wo. Meine Beine brannten und ich schmeckte Blut in meinem Mund. Keuchend lehnte ich mich gegen einen Baum.
Frustriert holte ich aus und schlug mit der Faust gegen den Stamm. Ein stechender Schmerz zog sich durch meinen Unterarm. »Es tut mir so leid«, flüsterte ich gequält und ignorierte die schiefen Blicke, die mir von ein paar Studenten zugeworfen wurden.
Völlig fertig mit den Nerven ließ ich mich ins Gras fallen. Ich winkelte die Beine an und lehnte mein Kinn gegen die Knie. Irgendwo lachte jemand leise. Der Wind wehte einen salzigen Geruch in meine Richtung. Aus irgendeinem Grund musste ich sofort ans Meer denken, und daran, wie gerne ich mit Ivy an den Strand fahren würde. Mit ihr in der prallen Sonne an der Küste entlang spazieren, die kalten Wellen an den nackten Zehen genießen und ihre Hand in meiner halten, während ich sie so lange küsste, wie ich wollte … Aber dieses Szenario würde es niemals geben. Denn dafür müsste ich alles aufgeben. Sogar mich selbst.
Verzweifelt lehnte ich den Kopf gegen den Baum und schluckte, als ich plötzlich ein Brummen in meiner Hosentasche hörte. Mit steifen Fingern holte ich das Handy heraus und als ich den Namen auf dem Display sah, spürte ich, wie sich mein Herzschlag beschleunigte.
»Ja, Mr Redmond?«, meldete ich mich und hoffte, dass ich dabei nicht ganz so fertig klang, wie ich mich fühlte.
»Wo ist meine Tochter, MacCain?«, fragte er gereizt, ohne sich großartig mit Begrüßungsfloskeln aufzuhalten.
Ich unterdrückte ein Seufzen. »Im Wohnheim, Mr Redmond. Warum? Gibt es ein Problem?«, erkundigte ich mich höflich.
»Ob es ein Problem gibt?«, brüllte Carl Redmond. »Ich versuche schon den ganzen Tag erfolglos, meine Tochter zu erreichen. Mich hat heute morgen die Bank angerufen. Anscheinend hat meine Tochter vor knapp einem Jahr einen Dauerauftrag eingerichtet. Es werden monatlich 2000 Dollar auf ein Bankkonto in Mexiko überwiesen. Ich will wissen, was da vor sich geht!« Carl Redmond schrie inzwischen so laut, dass ich das Handy kurz vom Ohr weghalten musste.
»Ich weiß es nicht«, gab ich stockend zu. »Davon höre ich zum ersten Mal. Sind Sie sicher, dass das Geld nach Mexiko geht?«
»Natürlich bin ich mir sicher«, blaffte er mich an. »Wären Sie so nett, mich an meine Tochter durchzustellen? Es wird Zeit, dass sie mir hier einige Dinge erklärt. Vor allem, wer Austin Freeman ist.«
Ich richtete mich so schnell auf, dass mein Nacken knackte. »Haben Sie gerade Freeman gesagt?«, fragte ich alarmiert.
Carl Redmond schnaubte. »Zumindest habe ich von einem Austin Freeman eine E-Mail bekommen, in der er mir droht, Dinge an gewisse Leute weiterzugeben, von denen ich nicht möchte, dass sie sie bekommen, sollte ich nicht meinen durchgedrehten Security zurückziehen. Ich nehme mal an, damit sind Sie gemeint.«
»Kann sein. Welche Dinge?«, hakte ich nach.
Redmond zögerte kurz, bevor er ein wenig zu emotionslos behauptete: »Ich weiß es nicht. Ich habe bereits mit Harry über diese Sache gesprochen. Er war mit dem Namen offensichtlich vertraut und meinte, der Junge mache seit geraumer Zeit Probleme. Welche Art von Problemen?«
Ich räusperte mich und stand auf. »Keine großen«, log ich aalglatt und begann, zum Wohnheim zurückzujoggen. »Ich nehme an, Sie wollen Ivy gleich sprechen und nicht erst morgen?«
Redmond schnaubte. »Wenn es keine Umstände macht«, sagte er ironisch.
»Nein, gar nicht, ich war nur gerade eine Runde joggen und muss erst ins Wohnheim zurückgehen.«
»Was?«, rief er. »Sie sollten doch in der Nähe meiner Tochter bleiben!«
Wenn er wüsste, wie nah seine Tochter und ich uns bis vor Kurzem noch gewesen waren … Ich schluckte. »Nein, gerade nicht.«
»War nicht abgemacht, dass Sie vierundzwanzig Stunden am Tag auf Ivy aufpassen?«, brüllte Redmond.
Da hatte aber jemand sch
lechte Laune. Nur leider traf er damit gerade genau den Falschen. Meine Nerven lagen blank und meine Stimmung war inzwischen auf den Nullpunkt gesunken. »Bei allem Respekt, Mr Redmond, Ihre Tochter ist eine erwachsene Frau und kann auch fünf Minuten auf sich selbst aufpassen, ohne sich dabei das Genick zu brechen. So viel sollten Sie ihr zumindest zutrauen, sonst brauchen Sie keinen Security, sondern einen Babysitter.«
»Sie sind der Babysitter, MacCain«, sagte Redmond kühl. »Und ich kann Sie genauso schnell feuern, wie ich Sie eingestellt habe, nur damit Ihnen das klar ist. Ich halte sehr große Stücke auf Harry und sein Vertrauen in Sie. Ich investiere auch gerne in Ihre Zukunft, allerdings haben Sie dafür auch Ihren Job zu machen – und der ist es, meine Tochter keine einzige Sekunde aus den Augen zu lassen.«
»Ich melde mich, wenn ich bei ihr bin«, sagte ich gepresst.
»Gut«, knurrte Redmond und legte einfach auf.
Fluchend steckte ich das Handy in meine Hosentasche und eilte zurück ins Wohnheim. Mein Puls raste und die einsetzende Angst war wie eine Faust, die mein Herz packte und zudrückte. Ohne stehen zu bleiben, stürmte ich die Treppen hoch, vorbei an ein paar Studenten, die mich verdutzt anschauten, bis zu Ivys Zimmer. Dort angekommen ließ ich meine Faust gegen die Tür krachen.
Eisiges Schweigen antwortete mir.
Leider hatte ich dafür keine Zeit. Ich war nämlich gerade dabei, meinen Job zu verlieren. Allein der Gedanke daran versetzte mich noch mehr in Panik.
»Ivy«, brüllte ich, »dein Vater will dich sprechen. Ruf ihn an. Jetzt!«
Mein Herz raste und als ich mit der flachen Hand verzweifelt und am Ende meiner Nerven gegen die Tür schlug, hinterließ ich nasse Flecken auf dem Holz. Als Ivy immer noch nicht reagierte, nahm ich schwer atmend ihre Schlüsselkarte aus meiner Hosentasche und stieß die Tür auf.
»Ivy, du musst …«
Stockend hielt ich inne. Das Zimmer war leer. Das Bettzeug noch genauso zerwühlt wie in dem Augenblick, als ich sie zurückgelassen hatte. Fuck!