Kiss Me Once

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Kiss Me Once Page 34

by Stella Tack


  Erschrocken wandte ich den Kopf zur Seite. »Konstantin?«, stieß ich ungläubig hervor, als ich in ein Paar grüne Augen starrte, die meinen bis auf einen winzigen blauen Fleck im rechten Auge haargenau glichen.

  »Hallo Ryan«, sagte er und lächelte. Er lächelte!

  Ich zuckte zusammen und sog zischend den Atem ein, als der Schmerz in meiner Schulter wieder zunahm. Was zum Teufel war da …? Mein Blick fiel auf einen weißen Verband, der sich um meine Schulter und den Brustkorb spannte.

  »Was ist passiert?«, platzte ich heraus, ohne genau zu wissen, ob ich damit die Bandage oder Konstantins Anwesenheit meinte.

  »Du bist angeschossen worden«, sagte Konstantin leise.

  Ich war was? Verwirrt runzelte ich die Stirn und versuchte, mich zu erinnern. Doch die Anstrengung, meinem vernebelten Gehirn nützliche Informationen entlocken zu wollen, bescherte mir die Kopfschmerzen des Jahrhunderts. Nur sehr langsam kamen bruchstückhafte Bilder hoch: Freeman, eine Waffe, Ivys blasses Gesicht, ein Schuss, gefolgt von … einer tanzenden Eiswaffel, die My Heart will go on sang. Ich blinzelte irritiert. Nein, das musste ein Traum gewesen sein. Ich schüttelte den Kopf, um ein wenig Ordnung in meine Gedanken zu bekommen.

  »Ein wenig«, sagte ich schließlich.

  Verwirrt starrte ich zu Konstantin hoch und musste schlucken. Er hatte sich verändert. Wobei ich zugeben musste, dass in den letzten Jahren die Erinnerung an ihn immer mehr verblasst war. Die Zwillinge konnten sich gar nicht an ihn erinnern. Sie kannten ihren ältesten Bruder nur von den Fotos, die über unserem Sofa hingen. Eine Zeit lang war es fast so, als wäre er gestorben. Zumindest, bis er vor einigen Wochen angerufen hatte.

  Konstantin schien meinen skeptischen Blick zu bemerken, denn er räusperte sich und lächelte verlegen. »Du siehst übrigens scheiße aus, kleiner Bruder.«

  Ich schnaubte. »Und du alt«, gab ich zurück, was ihn das Gesicht verziehen ließ.

  »Touché. Ist ja auch schon eine kleine Weile her.«

  »Ja, zehn Jahre und vier Monate. Aber wer würde das schon zählen?«

  Konstantin rieb sich den Nacken und vermied es, mich anzusehen. »Wir klären das später, Kleiner«, flüsterte er schließlich. »Ich werde es wiedergutmachen.«

  Ich lachte bitter. »Ich bezweifle, dass du das kannst.«

  Konstantin nickte, als hätte er keine andere Antwort erwartet. »Wie fühlst du dich?«, fragte er nur.

  »Beschissen«, gab ich zu und schnaubte unwillig. »Diese blöden Kissen sind viel zu hart.«

  Konstantin grinste. »Alles klar, Prinzessin. Ich lasse dir von Ivy neue holen. Dann kann sie sie dir noch ganz romantisch aufschütteln.«

  Meine Augen weiteten sich, als mir immer mehr Details einfielen. Ivys Schrei. Ivys blaue Augen. Ivys Sommersprossen. Ihr Kuss. Ivy …

  Der Herzmonitor begann hektisch zu piepsen.

  »Wow, was ist denn jetzt lo…«, begann mein Bruder, doch ich ließ ihn gar nicht erst ausreden, sondern setzte mich ruckartig auf, was den Schmerz in meiner Schulter exponentiell nach oben schießen ließ. Ich knirschte mit den Zähnen und hielt schwer atmend still.

  »Wo ist sie?«, stieß ich hervor. »Wo ist Ivy? Geht es ihr gut? Ist sie …«

  »Hey, ganz ruhig. Ivy geht es gut. Sie hat die ganze Nacht bei dir gesessen und ist nur mal kurz raus. Sie kommt gleich wieder«, versicherte Konstantin mir. Der Monitor, auf den mein Bruder nervös schielte, piepste immer noch viel zu schnell. »Komm runter, Ryan. Alles ist gut!«

  »Ivy!«, würgte ich trotzdem noch mal hervor. »Ich muss sie sehen.«

  Mein Bruder nickte und stand auf. Sein Knie knackte vernehmlich und mein Blick zuckte zu dem Stock, auf den er sich schwer stützte. Das Gefühl, das bei diesem Anblick in mir hochkam, war beinahe genauso übel wie der Schmerz in meiner Schulter.

  »Ich hole sie. Dad ist auch da«, sagte er und humpelte zur Tür, nur um in den Gang zu brüllen, dass ich wach war und mich über die zu harten Kissen beschwerte.

  Erleichtert schloss ich die Augen, als ich kurz darauf Ivys Stimme hörte. Sie war da. Es ging ihr gut. Ihr war nichts passiert. Gott sei Dank. Endlich schaffte ich es, mich zu beruhigen. Doch gleichzeitig breitete sich wieder Panik in mir aus. Ich musste bestimmt scheiße aussehen. Fuck! Trotz der Schmerzen setzte ich mich gerade hin, strich mir die Haare zurück und versuchte, nicht wie jemand auszusehen, der vor Kurzem angeschossen worden war.

  »Junge«, rief mein Vater, der an Konstantin vorbei auf mich zueilte und mich so fest umarmte, dass er mich dabei fast erdrückte. Genauso, wie er es auch früher immer getan hatte. Dieser Mann konnte seine Kraft einfach nicht einschätzen. Das war auch einer der Gründe, warum wir nie Porzellan besessen hatten.

  »Hey Dad, schön, von dir zerquetscht zu werden«, brachte ich erstickt heraus.

  Harry löste sich von mir und lachte. »Dem Himmel sei Dank! Du bist schon wieder frech, dann kann ich den Ärzten ja sagen, dass sie dich postwendend entlassen können.«

  »Klar kannst du das. Und gib mir ein paar Baumstämme, die ich werfen kann.«

  »Wir sind so froh, dass du wach bist. Du hast uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt.« Die Erleichterung war meinem Vater deutlich ins Gesicht geschrieben. Genauso wie die Müdigkeit. Offenbar hatte er nicht besonders viel geschlafen, denn er sah aus, als würde er gleich auf dem einzigen Stuhl kollabieren.

  Wo war Ivy? Ich versuchte, an meinem Vater vorbeizusehen, doch der bewegte sich genauso viel wie ein sturer Maulesel. »Die Zwillinge und deine Mutter kommen später. Ich wollte nicht, dass die Kleinen sich so große Sorgen machen, darum waren wir uns einig, dass deine Mutter bei ihnen bleibt, solange du schläfst.«

  »Die Zwillinge kommen?«, fragte ich erfreut. Himmel, hatte ich die kleinen Monster vermisst.

  Konstantin verzog das Gesicht. »Die zwei sind die absolute Plage. Gestern haben sie Van Helsing gesehen und danach den ganzen Tag versucht, mich mit meinem eigenen Stock zu pfählen.«

  Ich konnte mir das Bild so gut vorstellen, dass ein Lachen aus mir herausbrach, und für einen Moment war es wieder wie früher – als wir noch andere Menschen gewesen waren. Der kurze Augenblick wurde letztlich von einem Arzt und einer Schwester unterbrochen, die sich zu uns ins Zimmer gesellten.

  »Mr MacCain, ich bin Doktor Dawn, Ihr behandelnder Arzt. Wie fühlen Sie sich?«, fragte er und zückte ein sehr kalt aussehendes Stethoskop.

  Dabei erhaschte ich einen Blick hinaus in den Flur und erstarrte. Da stand sie. Mitten in der Tür. Ivy, und hinter ihr … Ich hielt die Luft an. Hinter ihr stand ein großer blonder Typ, den ich nur zu gut kannte. Er hieß Maxton und er hatte ein Jahr vor mir die Ausbildung absolviert. Was machte er hier?

  Maxton sagte etwas zu Ivy. Sie antwortete ihm, sah dabei aber todunglücklich aus. Ivy hob ihren Blick und schaute in meine Richtung. Aber es schien, als würde sie einfach durch mich hindurchsehen. Ihre Augen wurden dunkel wie Sturmwolken und rosafarbene Haarsträhnen fielen ihr vor das Gesicht. Am liebsten wäre ich aufgesprungen und zu ihr geeilt, um sie zu trösten. Die Sehnsucht nach ihr wurde so groß, dass meine Wunde wieder zu pochen anfing. Ich wollte ihr gerade zurufen, als sie sich wortlos umdrehte und ging. Maxton sah noch kurz zu mir zurück und nickte mir spöttisch zu, bevor er ihr folgte.

  Ivy verließ mich! Einfach so. Ohne ein einziges Wort zu sagen. Offensichtlich hatte sie mich bereits aussortiert. Ich war für sie nichts weiter als eine kaputte Ware, die sie sofort durch ein neues, besseres, blonderes Arschloch ersetzt hatte. Sie ging, ließ mich alleine zurück und drehte sich kein einziges Mal nach mir um. Der Herzmonitor setzte für einen Augenblick aus. Offensichtlich konnte man ein gebrochenes Herz auch messen.

  Ivy

  VIER WOCHEN UND 62 GATORADES SPÄTER …

  »Sind Sie bereit zu fahren, Miss Redmond?«

  Ich sah von meinem Handy auf und wischte die Nachricht weg. »Ja«, sagte ich und lächelte gezwungen, als ich meinem Security die Reisetasche reichte. »Danke, Maxton.«

  »Haben Sie auch nichts ver
gessen? Führerschein? Ausweis?«

  »Nein, ich denke, ich habe alles.« Ich ließ meinen Blick noch mal durch das kleine Zimmer wandern. Dabei sah ich den Kalender neben meinem Schreibtisch, in dem der morgige Tag rot angestrichen war.

  Wir hatten November. Thanksgiving stand vor der Tür und ich würde nach Hause zurückfahren. Am liebsten wäre ich hiergeblieben. Nicht, dass ich außerhalb meiner Vorlesungen sonderlich viel Zeit in diesem engen Zimmer verbracht hätte, aber alles war besser, als nach Hause zurückzugehen.

  Die Tage nach Ryans Unfall hatten mir gereicht. Noch jetzt schrillte mir die Stimme meiner Mutter in den Ohren, als sie mich angeschrien hatte. Mein Vater hatte während der Auseinandersetzung die ganze Zeit geschwiegen. Was beinahe noch grusliger gewesen war als der Nervenzusammenbruch meiner Mutter. Aber schließlich war ihr die Puste und meinem Vater der Brandy ausgegangen. Wortlos hatten sie mir den Exmatrikulationsvertrag der UCF vor die Nase gelegt. Ich sollte ab nächstem Semester in Princeton studieren. Sie hatten schon alles geregelt. Auch, dass ich mitten im Semester aufhörte. Ab heute war ich also offiziell keine Studentin mehr an dieser Universität und dieses Zimmer würde ab nächstem Semester jemand anderem gehören. Ich ließ beinahe alles zurück. Das meiste konnte ich weder zu Hause noch in Princeton gebrauchen.

  Eigentlich hätte ich mich gegen diese Entscheidung wehren sollen. Meine eigenen Interessen durchsetzen und für mein Recht, selbstständig über meine Zukunft bestimmen zu können, kämpfen sollen. Aber mir hatte schlicht und einfach die Energie dazu gefehlt. Ich war schon dankbar gewesen, zumindest noch bis zu den ersten Prüfungen an die UCF zurückkehren zu können, damit ich in Princeton daran anschließen konnte.

  Meine restliche Zeit an der UCF war zwar kurz gewesen, aber es war besser als nichts. Maxton hatte die ganze Zeit in Ryans Zimmer gewohnt. Er hatte mich in die Uni begleitet, war dabei höflich und zuvorkommend geblieben, war mir niemals auf die Nerven gegangen und hatte auch nie meinen beinahe schon exzessiven Gatorade-Verschleiß kritisiert. Ich hatte es gehasst. Nicht Maxton persönlich. Er konnte schließlich nichts dafür, aber ich hasste mich selbst. Dafür, wie die Sache mit Ryan ausgegangen war. Diese gesamte Situation war meine Schuld gewesen.

  Der Vorfall mit Freeman war natürlich nicht unbemerkt geblieben. Als ich an die UCF zurückgekehrt war, hatte jeder gewusst, wer ich war. Die Mädchen hatten mich neidisch angesehen und die Jungs hatten ständig meine Nähe gesucht, mit mir geflirtet, mich zu Partys eingeladen …

  Irgendwann hatte ich es nicht mehr ausgehalten und Maxton gebeten, sie mir vom Hals zu halten.

  Ich stieß einen tiefen Seufzer aus und sah wieder auf mein Handy. Zum wiederholten Mal starrte ich auf eine der vielen unbeantworteten Nachrichten, die ich Ryan geschrieben hatte.

  Ryan, es tut mir leid. Ich musste leider gehen. Hoffe, dir geht es gut. xo Ivy

  Ich wusste, dass Ryan meine Nachrichten gelesen hatte, aber er hatte keine einzige beantwortet. Die letzten vier Wochen hatte er mich vollkommen ignoriert. Dabei vermisste ich ihn so sehr, dass ich nachts nicht schlafen konnte. Um mich zumindest ein wenig abzulenken, traf ich mich oft mit Alex oder Jeff. Entweder, oder. Beide zusammen waren in etwa so angenehm, wie Katz und Hund in ein Zimmer zu sperren. Spätestens nach drei Minuten gingen sie sich gegenseitig an die Gurgel. Und im besten Fall schwiegen sie sich an.

  Alex hatte einmal bei einem Poker- und Tequila-Abend Jeff gebeten, an Thanksgiving mit uns mitzukommen. Da Alex und ich zu denselben Veranstaltungen mussten, hätten wir uns zu dritt eine schöne Zeit machen können. Doch Jeff hatte ihm nur den Stinkefinger gezeigt. Die ganze Situation war mehr als nur anstrengend. Für uns alle. Jeff wollte nicht mit Alex reden, Alex nicht mehr mit Jeff und ich wollte mit der gesamten Welt nichts mehr zu tun haben. Wir waren echt ein tolles Trio.

  Mit einem Seufzen steckte ich das Handy in meine Tasche und folgte Maxton aus dem Zimmer. Dabei stieß ich gegen die Kommode und etwas kleines Quadratisches rutschte hervor. Irritiert hob ich es auf. Es war ein Foto. Mein Atem beschleunigte sich, als ich das Polaroid-Bild erkannte, das Ryan und mich vor dem Springbrunnen zeigte. Ryan lachte und ich sah fasziniert zu ihm auf. Mit zittrigen Fingern steckte ich das Polaroid in meine Handtasche und verließ das Zimmer.

  Gemeinsam mit Maxton ging ich nach draußen. Vor dem Wohnheim wartete bereits ein Wagen meines Vaters, der uns nach Hause bringen würde. Meinen blauen Mini hatte gestern jemand abgeholt. Alleine fahren durfte ich nicht.

  »Hey Ivy, alles klar?«

  Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch und sah Alex und Jeff, die sich keines Blickes würdigten. Aber wenigstens brüllten sie sich nicht an.

  »Ja.« Ich gab Maxton ein Zeichen, dass er schon mal vorgehen sollte. »Hier sind die Schlüsselkarten«, sagte ich zu Libby, die gerade aus der Verwaltung rauskam.

  »Danke, Süße«, sagte Libby und nahm mir die Karten ab, bevor sie mich in eine weiche, mütterliche Umarmung zog. »Mach es gut in Princeton. Wir werden dich sehr vermissen. Wirklich sehr«, flüsterte sie mir ins Ohr und tätschelte mir den Rücken.

  Ich drückte sie kurz. »Das ist lieb, danke.«

  Sie lächelte mich an, drehte sich um und ging wieder zurück in ihr Büro. Alex und Jeff begleiteten mich noch zu dem Wagen, der bereits mit laufendem Motor auf mich wartete. Maxton saß neben dem Chauffeur vorn, sodass ich die gesamte Rückbank für mich alleine hatte.

  »Willst du wirklich nicht mitkommen, Jeff?«, fragte ich hoffnungsvoll.

  Er lächelte gequält und schüttelte den Kopf. Seine Haare waren deutlich länger als vorher. Alex behauptete, dass er Ryan nachahmen wollte und kläglich daran scheiterte, aber nur zu stur war, das auch zuzugeben. Ich selbst vermutete eher, dass Jeff einfach nicht sonderlich auf sein Äußeres achtete, weil er mit etwas ganz anderem beschäftigt war.

  »Nein, tut mir leid. Ich bleibe. Aber Alex …«, er warf ihm einen giftigen Blick zu, »… wird hoffentlich gut auf dich aufpassen. Und ich komme dich dafür in den Winterferien besuchen.«

  »Versprochen?«

  »Versprochen!«, sagte er und drückte mich fest an sich.

  Kurz schloss ich die Augen und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. »Kannst du das mit Alex nicht einfach klären?«, flüsterte ich, obwohl wir dieses Thema bereits x-mal durchgekaut hatten.

  »Nein, ich denke nicht«, sagte er genauso leise und drückte mich ein letztes Mal.

  Seufzend machte ich mich von ihm los und wandte mich an Alex. »Du bist bei dem Dinner dabei?«

  Er nickte. »Und bei der Gala auch. Keine Sorge, ich gehe dir mehr als genug auf den Sack und werde dich mit meiner strahlenden Präsenz beglücken.«

  »Okay«, sagte ich schwach und umarmte auch ihn zum Abschied.

  »Schreib mir, wenn du zu Hause angekommen bist. Und falls deine Eltern Stress machen, kannst du jederzeit zu mir kommen, ja?«, raunte er mir ins Ohr.

  Ich nickte, ließ ihn los und stieg ins Auto. Durch die verdunkelte Scheibe konnte ich Jeff und Alex nur schwach erkennen. Sie waren nicht mehr als zwei Schemen, die übertrieben viel Abstand voneinander hielten. Diese Idioten.

  »Kann es losgehen, Miss Redmond?«, fragte mich der Chauffeur.

  »Ja, bitte.«

  Als wir die UCF hinter uns gelassen hatten, zog ich mein Handy aus der Tasche und starrte auf das Display. Eine neue Nachricht war eingegangen. Eine WhatsApp-Nachricht samt Bild. Das Ganze war ein wenig verwackelt, aber man konnte klar und deutlich Ryans dunklen Haarschopf erkennen. Er lag lachend auf einer Wiese, während zwei kleine Kinder entweder versuchten, ihn mit einem Seil zu erwürgen, oder versucht hatten, Seil zu springen. Beides schien nicht ganz geklappt zu haben.

  Es geht ihm besser. Zumindest körperlich. Seine Schulter sollte in zwei Monaten wieder voll funktionstüchtig sein. Ich melde mich, falls es etwas Neues gibt. LG, Konstantin

  Ich senkte das Handy und verdrängte mein schlechtes Gewissen. An miesen Tagen – und die waren in letzter Zeit ziemlich oft – kam ich mir wie eine Stalkerin vor. Aber ich konnte nicht anders. Die Sorge u
m Ryan hatte mich einfach nicht schlafen lassen.

  Ich tippte den Chatverlauf mit Ryan an und die Nachrichten, die ich ihm bisher geschrieben hatte, ploppten allesamt auf.

  Wie geht es dir? Melde dich doch bei mir. xo Ivy

  Harry hat mich angerufen und mir gesagt, dass deine Schulter wieder ganz wird. Glückwunsch! xo Ivy

  Ich vermisse dich …

  Die letzte Nachricht war von vor über zwei Wochen und er hatte sie nicht einmal gelesen. Die beiden Häkchen waren grau:

  Ich werde nach Princeton gehen.

  Nichts. Keine Reaktion. Keine Antwort. Ich hatte kurz überlegt, ihn einfach anzurufen, aber das habe ich mich letzten Endes doch nicht getraut. Zu groß war die Angst gewesen, dass er einfach auflegen würde. Und wer konnte es ihm verübeln? Er war wegen mir angeschossen worden. Wegen mir hatte er Schmerzen. Ich hasste mich dafür wohl mehr, als er es gerade tat. Dass er nicht zurückschrieb, hatte ich eindeutig verdient. Trotzdem fühlte es sich an, als würde mir eine Faust das Herz zusammendrücken.

  Deshalb hatte ich Konstantin gebeten, mich über seinen Zustand auf dem Laufenden zu halten. Und das tat er. Beinahe jeden Tag. Manchmal schickte er auch Fotos von Ryan. Ich hatte eines, auf dem er auf dem Sofa saß und ein Buch las. Auf einem anderen sah er sich gerade einen Film an. Und einmal hatte ich sogar ein Bild bekommen, auf dem er sich eine Pommes in die Nase schob. Das Foto war jetzt mein neues Hintergrundbild.

  Meistens schickte Konstantin allerdings nur kurze Nachrichten, in denen er mir sagte, ob es Ryan gut ging oder nicht. Ryan schien jedes Mal große Schmerzen zu haben, wenn es regnete. Da es aber bisher kein einziges Mal geregnet hatte, nahm ich an, dass es ein Scherz gewesen sein sollte. Ryans Wunde verheilte ziemlich gut und die Ärzte hatten ihm – bis auf leichte Schmerzen beim Heben des Armes – eine volle Genesung versprochen. Er würde wieder als Bodyguard arbeiten können. Angeblich hatte er bei Harry bereits nach einem neuen Auftrag verlangt. Es würde ihm also wieder gut gehen und das war für mich das Wichtigste.

 

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