Kiss Me Once
Page 36
Konstantin schnaubte. »Das ist dein Problem?«
»Hölle, ja! Und das ist ein verdammt großes Problem.«
»Du hast Angst, deinen Job zu verlieren?«
»Ja.«
»Und das ist alles?«
»Nein, sie ist auch einfach mit Maxton abgehauen«, platzte es aus mir heraus. Am liebsten hätte ich mir die Zunge abgebissen.
»Du meinst den anderen Security?«
»Der Typ ist ein absolutes Arschloch. Und sie ist einfach mit ihm abgehauen. Sie hat mich links liegen lassen.«
Mein Bruder kratzte sich den Bart. »Bist du etwa eifersüchtig, dass jemand anderes ihr neuer Security ist?«
»Nein!«
»Klingt aber danach. Harry hat dir doch angeboten, bei der Gala ihr Security zu sein, wenn du bis dahin wieder fit bist. Maxton ist lediglich dein Ersatz. Sobald du den Job wieder übernimmst, ist er weg vom Fenster.«
»Mit meiner Schulter kann ich noch nicht in den Dienst. Das war doch nur ein Mitleidsangebot. Und ich will sie auch gar nicht wiedersehen!«
Konstantin schnaubte ungläubig. »Doch willst du. Du hast Angst, dass sie dich abservieren könnte.«
»Sie kann mich gar nicht abservieren. Dafür müsste man zusammen sein und das waren wir nie.«
»Wegen deines Jobs.«
»Ganz genau.«
»Ein Job, für den du dir eine Kugel eingefangen hast, um sie zu beschützen.«
»Richtig«, fauchte ich. »Und sie war nicht gerade sehr dankbar dafür.«
»Aber was zählt, ist doch, dass du sie beschützt hast, oder?«
Meine Schultern bebten, während ich den Blick abwandte. »Ja, aber ich hätte es früher ahnen sollen. Das alles ist nur passiert, weil ich meinen Job nicht richtig gemacht habe. Ich war zu abgelenkt und am Ende musste Ivy darunter leiden.«
»Also hast du ein schlechtes Gewissen?«, hakte er nach.
»Ach, keine Ahnung«, murmelte ich müde. Plötzlich fühlte ich mich so erschöpft, als hätte ich tagelang nicht geschlafen.
»Ich glaube, du magst sie wirklich.«
Ich stieß ein trockenes Lachen aus. »So fühlt es sich an, jemanden zu mögen?«
»Ja. Liebe ist fürchterlich. Die Hälfte der Zeit willst du nur, dass es aufhört.«
»Und die andere Hälfte?«
»Ist es verdammt noch mal das Beste, was dir je passiert ist.«
»Und seit wann bist du der große Beziehungsexperte?«
»Bin ich nicht. Aber es gibt da jemanden, der mir sehr wichtig ist«, sagte er mit rauer Stimme.
»Oh … seid ihr … zusammen?«, fragte ich verunsichert. Der seltsame Ausdruck im Gesicht meines Bruders verwirrte mich.
Konstantin schluckte und senkte den Blick. »Nein«, sagte er leise und fing an, sein Knie zu massieren. »Ich habe es verbockt. Und ich will nicht, dass du es ebenfalls tust.«
»Und was soll ich jetzt machen?«, murmelte ich schwach.
Konstantin verzog mitleidig das Gesicht. »Das weiß ich auch nicht, aber wenn du gar nichts tust, wirst du es bereuen. Glaub mir.«
Nachdenklich starrte ich ins Leere. Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Meine Gedanken wurden von dem Geschrei der Zwillinge unterbrochen, das bis zu uns ins Wohnzimmer drang. Kurz darauf brüllte meine Mutter quer durch das Haus, wer auf die bescheuerte Idee gekommen war, ihnen das Keksversteck zu verraten.
Konstantin seufzte und stand langsam auf. »Ich sollte ihr beim Kochen helfen. Ich hol dich später. Versuch, bis dahin nicht im Selbstmitleid zu ertrinken, und antworte dem armen Mädchen. Das kann ja keiner mehr mitansehen«, knurrte er und humpelte aus dem Raum.
»Lauf, Forrest, lauf«, rief ich ihm spöttisch hinterher.
Er zeigte mir den Mittelfinger. »Du kannst mich mal, Vollkornweizen!«
Touché.
Frustriert blies ich die Backen auf und sah mich um. Hier hatte ich höchstens noch fünf Minuten meine Ruhe, bevor die Zwillinge mich wieder belagerten. Das Buch, das ich zuvor gelesen hatte, war mir letzten Endes auf den Kopf geknallt worden.
Seufzend hob ich es auf und ging langsam in mein Zimmer hoch. Dort angekommen, schloss ich die Tür ab, damit die kleinen Monster nicht hereinplatzen konnten. Müde ließ ich mich vor das Bett sinken, holte den Xbox-Controller heraus und versuchte, mich mit Zocken abzulenken – was überhaupt nicht funktionierte. Frustriert gab ich auf, stellte auf Pause und starrte auf mein Handy, das auf dem Nachtkästchen lag. Es blinkte. Hatte Ivy mir geschrieben? Mit klopfendem Herzen öffnete ich die Nachricht und stellte enttäuscht fest, dass es nur Jeff war. Er meldete sich fast jeden Tag und fragte, wie es mir ging. Und das, obwohl ich ihm nicht antwortete. Ich wusste einfach nicht, was ich sagen sollte. Super beschissen war nicht gerade die salonfähigste Antwort.
Aus Gewohnheit öffnete ich Instagram und scrollte mich einmal quer durch. Ein paar ehemalige Highschool-Mitschüler auf einer Bootstour nach Hawaii. Ein paar Arbeitskollegen, die Bilder von ihrem Job posteten. Meine Mutter hatte ein Bild von einem Basilikumstrauch gepostet – warum auch immer – und auf dem nächsten Bild … Ich hielt den Atem an. Alex van Klemmt hatte vor fünf Minuten ein Bild geteilt. Der Schönling trug einen grauen Anzug, in dem er so unverschämt gut aussah, dass es fast in den Augen wehtat. An seiner Seite stand Ivy. Sie trug ein langes, fließendes Kleid. Ihre schier endlosen Beine steckten in hochhackigen Schuhen. Sie sah so wunderschön aus, dass sich mir sämtliche Nackenhaare aufstellten. Die beiden sahen aus, als wären sie das perfekte Traumpaar. Ich hasste es! Ich hasste alles davon. Wütend schloss ich Instagram und sah dabei eine weitere Nachricht von Jeff auftauchen.
SOS! Du musst mich anrufen! Es geht um Ivy.
Fuck. Wütend warf ich das Handy quer durch den Raum und polterte die Treppen nach unten.
Ivy
»Du willst was machen?« Alex starrte mich an, als hätte ich ihm gerade erzählt, dass ich plante, nächsten Monat auf den Mars zu fliegen.
»Ich werde nach Vancouver gehen«, sagte ich breit lächelnd, weil uns die Kameras vor der Location in Downtown Miami immer noch fotografierten. Seit einer gefühlten Ewigkeit.
Die ganze Aufmerksamkeit der Presse galt eigentlich den Red-Carpet-Sternchen, die mein Vater eingeladen hatte, und wir waren dabei aus Versehen ins Blitzlichtfeuer geraten. Der ganze Rummel hier wurde nur veranstaltet, um der Welt zu demonstrieren, dass RedEnergies zu den Topunternehmen gehörte. Gleichzeitig wollte mein Vater dadurch den immer öfter aufkommenden Verdacht, dass die Firma seit geraumer Zeit rote Zahlen schrieb, widerlegen. Bisher schien es gut zu funktionieren. Mein Vater sah den ganzen Tag schon äußerst zufrieden aus und das Lachen meiner Mutter konnte tatsächlich als ehrlich durchgehen.
»Bist du völlig übergeschnappt?«, fragte Alex fassungslos, als er langsam meine Taille losließ und mir ins Restaurant folgte.
Drinnen strebte ich als Allererstes das Büfett an. Meine Mutter hatte mir die letzten Tage höchstens Tautropfen zum Essen gegeben, damit ich in dieses hässliche Kleid passte. Und ich hatte nun als Akt der Gerechtigkeit vor, das Büfett zu plündern.
»Du klingst schon wie meine Eltern«, schnaubte ich und schnappte mir ein Schokotörtchen, das hübsch mit Blattgold drapiert auf einem Tablett lag.
»Aber du kannst doch nicht einfach nach Kanada abhauen.« Alex sah mich immer noch vollkommen fassungslos an. »Das ist ein Land, das einem unschuldigen Essen den Namen Poutine gegeben hat!«
Genervt verdrehte ich die Augen und biss in das nächste Kuchenstück. Holy Moly, war das lecker! Ich und mein Magen brummten zufrieden.
»Wie willst du das überhaupt anstellen? Ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Eltern zulassen, dass du Princeton sausen lässt.«
»Werden sie auch nicht«, sagte ich und sah mich nach einer Serviette um. Da ich keine fand, leckte ich mir schnell die Finger ab und schnappte mir einen Champagner. Alkohol war immer gut, um einen Abend wie diesen zu überleben. Und er half auch dabei, nicht ständig an einen gewissen Securit
y zu denken – was ich in letzter Zeit viel zu oft getan hatte.
Alex schnaubte. »Was hast du dann vor?«
»Mich dort anmelden, hinfliegen und meinen Eltern eine Nachricht schreiben. Sie können dann Maxton hinterherschicken.«
Alex kniff sich in die Nasenwurzel. »Also machst du den gleichen Blödsinn wie bei der UCF.«
»So in etwa.«
»Weil das ja auch so gut geklappt hat«, murmelte Alex. »Wirst du dich dann in Maxton verlieben? Oder nimmst du einen kanadischen Typen, der Poutine isst?«
»Hast du etwa was gegen kanadisches Fast Food?«, fragte ich und nahm mir eine Praline.
Alex schüttelte den Kopf. Ob über meine Pläne oder über meinen – zugegebenermaßen exzessiven – Heißhunger auf Süßigkeiten, wusste ich nicht. Aber es war mir auch egal.
»Ivy, im Ernst. Überleg dir das noch mal. Du kannst mich doch nicht einfach mit Jeff und Mrs Garcia alleine lassen.«
Ich verzog das Gesicht und nahm einen Schluck Champagner. »Ich wäre doch ohnehin in Princeton. Und bevor ich mein Leben dort an die Wand fahre, fliege ich lieber nach Kanada. Das klingt zumindest nach Abenteuer.«
»Wenn du von einem Bären gefressen werden als Abenteuer bezeichnen willst, dann stimme ich dir voll und ganz zu.«
Ich stieß ihn in die Seite. »Alex, ich kann das einfach nicht«, sagte ich und sah zu den Paparazzi hinüber, die offenbar gerade einen neuen Star ablichteten. Zumindest dem Gekreische und Gebrüll nach zu urteilen. Seufzend wandte ich mich wieder an Alex. »Ich kann nicht einfach hierbleiben und mein Leben lang bereuen, dass ich nicht ich selbst sein durfte. Und …«
»Oh Ivy, bitte! Ich kenne niemanden, der so sehr er selbst ist wie du«, unterbrach Alex mich streng. »Du brauchst doch keinen Selbstfindungstrip. Du läufst nur vor Ryan davon.«
Ich verengte die Augen zu Schlitzen und schnaubte. »Wie kann man vor jemandem davonlaufen, der gar nicht da ist?«
»Vielleicht kommt er ja noch …«
»Das bezweifle ich. Harry hat mir gesagt, dass er den Job nicht zurückhaben will. Und Maxton ist schließlich auch ein guter Security.«
»Maxton hat einen tollen Arsch«, stimmte Alex mir zu und nahm mir meinen Champagner aus der Hand, den er mit einem großen Schluck leerte. »Aber er ist langweilig wie Brot. Und er sieht deine Mom an, als wäre sie ein Stück Kuchen.«
»Das ist eklig, Alex.«
»Aber es ist so was von wahr. Morgen ist auch noch die große Sponsoren-Gala. Vielleicht kommt Ryan ja doch?«
»Wird er nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil er mich hasst.«
»Verdammt, Ivy. Ruf ihn doch einfach an.«
»Ivy! Oh my god! Ivy! Hier drüben!«, unterbrach uns eine schrille, laute Stimme.
Verwundert blickten wir auf und sahen eine braunhaarige Schönheit auf uns zu stolzieren.
»Wer ist das denn?«, flüsterte Alex.
Ich seufzte und nahm mir ein neues Getränk. Hochprozentig diesmal.
»Chloé Hilton«, stieß ich hervor und sah mich unauffällig nach einem Fluchtweg um. Aber entweder musste ich einen gewagten Kopfsprung in die Punschschüssel machen oder ich versteckte mich hinter Alex, wofür er aber eindeutig zu schmal war.
»Chloé Hilton?«, echote Alex beeindruckt. »Die Hilton?«
Ich konnte gerade noch grimmig nicken, als ich auch schon in eine Umarmung gezogen wurde, die nach Chanel und Boshaftigkeit roch.
»Ivy! Du bist von der Uni zurück? Warum hast du denn nichts gesagt? Ich freue mich so, dich zu sehen! Lass dich ansehen. Du siehst einfach fabelhaft aus. Hat deine Mutter das Kleid ausgesucht? Ihr Geschmack ist einfach nur göttlich und ….«
»Hi Chloé«, unterbrach ich ihren Redefluss, wand mich aus ihrem Griff und zwang mich zu einem Lächeln. »Was machst du hier?«
»Was ich hier mache?« Sie lachte, als hätte ich gerade einen Witz erzählt. »Dieses Event steht seit Anfang des Jahres auf meiner Agenda. Und – Holy Shit, wer ist denn der heiße Typ neben dir?«
Sie lächelte Alex an, der prompt zurückgrinste. Ich konnte es ihm nicht mal übel nehmen. Wie sehr hatte ich Chloé früher bewundert. Ihre Aufmerksamkeit hatte mir jedes Mal das Gefühl gegeben, jemand Besonderes zu sein. Zumindest bis ich herausgefunden hatte, dass ihr Lächeln genauso falsch war wie das meiner Mutter.
»Alexander van Klemmt«, sagte Alex zwinkernd und streckte Chloé die Hand entgegen. »Freut mich, dich kennenzulernen.«
»Chloé Hilton«, stellte sie sich vor und zog Alex näher zu sich. »Van Klemmt? Kommst du aus Europa?«
»Meine Familie stammt aus den Niederlanden.«
Ach echt? Das war mir neu.
»Ja, er kommt aus den Niederlanden und er hat einen Freund«, ergänzte ich.
Alex kniff die Lippen zusammen, während Chloés flirtender Blick in Desinteresse abdriftete. »Oh, tatsächlich?«
»Nur montags, mittwochs und gelegentlich am 4. Juli.« Alex grinste. »Den Rest der Woche würde ich mich als experimentierfreudig und allzeit bereit bezeichnen.«
»Allzeit bereit gefällt mir. Ivy hat mir gar nicht erzählt, dass sie mit einem so süßen Kerl studiert.«
»Von einer so umwerfenden Freundin wie dir hat sie auch nichts gesagt.«
Beide sahen mich vorwurfsvoll an. Ich knirschte mit den Zähnen und stellte den Drink ab.
»Tut mir leid, mein Fehler. Muss mir entfallen sein, als ich mit deinem Freund telefoniert habe, der mir übrigens jede Nacht wegen dir die Ohren vollheult.«
Alex funkelte mich böse an. »Er ist nicht mein Freund.«
»Ja, weil du alles versaust.«
»Entschuldige uns für einen Augenblick, Chloé«, knurrte Alex und griff unvermittelt nach meinem Arm. Dann schleifte er mich quer durch den Saal in eine stille Ecke. Genau hinter eine nackte Frauenbüste.
»Sag mal, was ist denn los mit dir?«, fragte er mich gereizt, sobald er sich versichert hatte, dass uns niemand zuhörte.
»Was mit mir los ist?«, sagte ich und stach ihm meinen Zeigefinger in die Brust. »Was sollte das gerade?«
»Ähm … es nennt sich flirten?«
»Hör sofort auf damit! Sie ist der Teufel höchstpersönlich.«
»Warum sollte ich? Jeff will doch sowieso nichts von mir wissen. Da kann ich mich genauso gut ablenken, oder nicht?«, fragte er aufgebracht.
»Hast du schon mal überlegt, ob vielleicht genau diese Einstellung der Grund ist, warum Jeff keine Beziehung mit dir haben will?«
Alex klappte der Mund auf, doch bevor er etwas sagen konnte, fuhr ich fort: »Wie soll er dir jemals als Partner vertrauen können, wenn du jedem Rock hinterherläufst und dich für ihn schämst?«
»Ich würde mich niemals für Jeff schämen!«
»Ach nein?«, zischte ich. »Aber egal, ich will dich nur vor ihr beschützen.«
»Ist sie denn so schlimm?«, fragte er verwundert.
»Unterschätz sie nicht. Sie ist kein guter Mensch.«
Alex musterte mich nachdenklich. »Das sind wir doch alle nicht«, murmelte er dann.
»Glaub mir. Mit ihr handelst du dir nur Schwierigkeiten ein. Sie ist das Produkt von Pest, Cholera und einem Schuss Wahnsinn, der nach Chanel riecht.«
Alex lachte und fuhr sich durchs Haar. »So schlimm? Was hat sie denn gemacht?«
Ich hatte befürchtet, dass er das fragen würde. Angestrengt schluckte ich. Ein ganzes Jahr hatte ich mit niemandem über diese Sache gesprochen. Mit wem auch? Chloé war damals meine einzige Freundin gewesen und sie war daran schuld, dass Maria … Als ich merkte, wie mir die Tränen in die Augen schossen, räusperte ich mich schnell.
»Wegen Chloé habe ich den einzigen Menschen verloren, der mich immer bedingungslos geliebt hat«, sagte ich leise und biss mir auf die Lippe. Jetzt nur nicht heulen! Tränen konnten an der Situation nichts mehr ändern. Und Maria ging es gut. Zumindest dafür hatte ich sorgen können.
Alex sah mich mitleidig an. Plö
tzlich zog er mich an sich und legte sein Kinn auf meinem Kopf ab. Langsam begann er, mich im Takt der Musik zu wiegen, die von einer Big Band zu uns herüberschallte.
»Was ist passiert?«, murmelte er in mein Haar.
»Wir hatten eine Haushälterin, ungefähr zehn Jahre lang. Ihr Name war Maria«, begann ich zögerlich.
Alex streichelte sanft meinen Rücken und nickte nur ermutigend, während wir uns weiterhin zur Musik bewegten.
»Sie arbeitete sechs Tage die Woche bei meiner Familie und schickte den Großteil ihres Gehalts nach Mexiko zu ihrer Familie«, fuhr ich fort. »Ich glaube, wir waren beide einsam in diesem großen Haus. Ihre Tochter muss in etwa in meinem Alter sein, denn Maria fand in mir einen Tochter- und ich in ihr einen Mutterersatz. Sie war immer für mich da. Sie machte das Frühstück, backte mir Kekse nach dem Unterricht … Dank ihr roch es immer nach Essen. Ihre Tapas waren göttlich. Wenn ich Mist baute, hat sie mich auf Spanisch geschimpft und mich am Ohr gezogen, bis ich mich entschuldigte. Und wenn ich eine gute Note bekam, hat sie mich auf den Scheitel geküsst und mir einen Kuchen gebacken.« Ich lächelte traurig. »Sie war es, die mir am Abend eine Geschichte vorgelesen hat. Sie war es, zu der ich ins Bett geschlüpft bin, wenn ich einen schlechten Traum gehabt hatte. Maria hat mich auch immer mit zum Einkaufen genommen, wenn sie der Meinung war, dass ich sonst den Kontakt zur ›realen Welt‹ verlieren würde. Sie war der einzige Mensch, der mir im Leben mehr zugetraut hat als, na ja, das hier …« Ich deutete um uns herum.
Alex nickte langsam. »Maria war dein Jeff«, sagte er leise und brachte es damit auf den Punkt.
»Ja, Maria war mein Jeff. Außer ihr hatte ich eigentlich nur eine weitere gute Freundin: Chloé. Sie kam oft zu uns zu Besuch. Aber Maria mochte sie nicht. Sie nannte sie immer eine maldita rata – eine verdammte Ratte. Am Anfang wusste ich nicht, was sie damit meinte, bis ich … bis ich Chloé eines Tages dabei erwischte, wie sie das Hochzeitscollier meiner Mutter stehlen wollte.« Ich schauderte bei der Erinnerung.
»Oh, nicht gut«, brummte Alex.
»Nein«, sagte ich leise. »Keine Ahnung, wie zwanghaft ihre Kleptomanie ist, aber Maria muss sie früher schon ein paarmal erwischt haben und hat ihr den Schmuck rechtzeitig abgenommen. Aber diesmal war ich schneller gewesen. Und weil ich mich nicht getraut habe, nach oben zu gehen und die Juwelen zurückzulegen, hat Maria das für mich gemacht. Dabei hat meine Mom sie dann erwischt.«