Kiss Me Once
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»Tut mir leid«, murmelte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen.
Er seufzte tief und streckte die Hand nach mir aus. »Du weißt, dass ich für den Rest der Woche in Aberdeen und Edinburgh auf Geschäftsreise bin. Ich muss mich darauf verlassen können, dass du wenigstens so lange nicht auf die Jagd gehst.«
Sorry, Dad. Aber ich war noch lange nicht fertig. Und irgendeine Geschäftsreise war kein Grund, mir das Jagen zu verbieten.
»Tut mir leid, dass ich nicht einfach daheim rumsitzen und diese Mistviecher weiter morden lassen kann. Ich weiß, nach Mums Tod war das genau das, was du dir für mich erhofft hast, als du mir von ihnen erzählt und mich trainiert hast.« Meine Stimme triefte nur so vor Ironie.
Obwohl der Pub mit Leben, Lachen und Musik erfüllt war, herrschte für einige Sekunden eine eisige Stille zwischen uns.
»Du hörst damit auf. Das ist mein letztes Wort.«
»Meins auch.« Ich packte meine Schultasche und stand auf. Wut ballte sich in mir zusammen und ließ meine Hände zittern, aber ich würde jetzt auf keinen Fall klein beigeben. Wozu sollte all das denn gut gewesen sein, wenn er mir nicht erlauben wollte, Jagd auf Elementare zu machen? Wozu das jahrelange Training und die gemeinsamen Ausflüge? Warum weihte er mich in diese Sache ein, wenn er nicht wollte, dass ich etwas dagegen unternahm? So wie er es früher getan hatte – und vielleicht auch heute noch tun würde, wenn die verbliebenen Schmerzen in seinem Bein ihn nicht daran hindern würden.
»Avalee!«, rief er mir nach, aber ich reagierte nicht darauf.
Ich stürmte durch den Pub, ignorierte Neals fragenden Blick von der Bar aus, stieß die Tür auf und lief zum Schulparkplatz zurück, wo ich in meinen Jeep stieg. Ich musste hier weg und kannte genau den richtigen Ort, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Doch vor Dads Worten konnte ich nicht so einfach davonlaufen. Sie hatten sich in meinem Bewusstsein verankert und hallten in meinen Gedanken nach.
Das habe ich getan, um dich zu beschützen! Damit du dich verteidigen kannst.
Denn Mum hatte sich nicht verteidigen können.
Und sie hatten sie getötet.
KAPITEL 3
REID
Hitze knisterte und Flammen tanzten über seine Haut, aber sie verbrannten ihn nicht. Als er die Augen öffnete, zogen sie sich genauso schnell wieder zurück, wie sie aufgetaucht waren. An ihre Stelle trat ein kühler Wind, der den salzigen Geruch des Meeres zu ihm trug. Es war Monate her, seit er zuletzt am Meer – und Jahre, seit er das letzte Mal hier gewesen war. Langsam begann Reid sich umzuschauen. Seine roten Chucks versanken im goldgelben Sand. Ein Rauschen drang an sein Ohr, und als er den Kopf hob, sah er, wie die Wellen kamen und gingen. Nicht allzu weit entfernt brachen sie sich an den Klippen und Gischt spritzte meterhoch in die Luft.
Obwohl es über ein Jahrzehnt her war, seit er diesen Ort besucht hatte, erkannte er ihn sofort wieder. Skye hatte etwas an sich, was man nur schwer vergaß. Selbst wenn man von der Insel nur einen Strand und ein paar Klippen kennengelernt hatte. Auch wenn er damals noch ein Kind gewesen war – gerade einmal sechs Jahre alt – hatte sich dieser abgelegene Platz in sein Gedächtnis eingebrannt. Zusammen mit dem Mädchen, das er an jenem Tag entdeckt hatte – leblos, blass und inmitten der stürmischen See, bevor er es herausgezogen hatte.
Er drehte sich zu der Stadt um, die sich hinter ihm erhob, obwohl man diese kleine Ansammlung von Häusern kaum als solche bezeichnen konnte. Seine Heimat Glasgow war eine Stadt mit unendlich vielen Facetten und groß genug, um sich darin zu verlieren. Aber hier kannte bestimmt jeder jeden. Und auch er war kein Unbekannter. Zumindest die Mitglieder der fünf großen Clans wussten, wer er war. Reid verzog das Gesicht. Die Clans waren auch der Grund für seinen Besuch. Genauer gesagt sein Vater, der ihn hierher geschickt hatte, um ein weiteres Mal mit den verbliebenen MacLeods in Verhandlungen zu treten. Wie immer ging es um Ländereien und Politik.
Seufzend machte Reid sich auf den Weg, schließlich war er nicht zum Vergnügen hier. Wahrscheinlich empfand sein Dad irgendeine perfide Freude daran, seinen ältesten Sohn auf diese Weise zu bestrafen. Dabei hatte er gar nicht vorgehabt, den Stall anzuzünden. Er hatte nur Willa, diese unfassbar attraktive und freche junge Frau beeindrucken wollen, nachdem sie ihn förmlich dazu herausgefordert hatte. Es hatte ja keiner ahnen können, dass sich das Ganze zu einem Häuserbrand entwickeln würde, der sogar die Feuerwehr auf den Plan rief. Glücklicherweise waren alle Pferde bereits auf der Weide gewesen und niemand war verletzt worden, aber die wütende Stimme seines Vaters hallte noch immer in Reids Ohren nach.
Mit jedem Schritt versanken seine Schuhe im Sand und er fragte sich unwillkürlich, warum er ausgerechnet hier gelandet war, als er in Gedanken die Insel angepeilt hatte. Vielleicht, weil dieser Strand die stärksten Erinnerungen barg, die er von Skye in sich trug. Und von dem Mädchen … Ein letztes Mal drehte er sich um, aber der Strand war noch immer menschenleer. Doch als er sich abwenden wollte, blieb sein Blick an den Klippen hängen. Hoch oben erkannte er einen dunklen Wagen, der vor wenigen Sekunden noch nicht da gewesen war. Wer fuhr freiwillig bis an den Rand der Klippen hinauf? Niemand – außer diese Person hatte eine ganz bestimmte Absicht.
Reid wartete. Zögerte. Sein impulsives Handeln und seine schnell gefällten Entscheidungen hatten ihm schon mehr als einmal Ärger eingebracht. Bestimmt malte er sich gerade nur das Schlimmste aus, und das auch nur, weil er auf dieser Insel schon einmal jemanden gerettet hatte. Doch dann tauchte eine schmale Gestalt am äußersten Rand der Klippe auf – und er dachte nicht länger nach. Er handelte.
Wieder züngelte Feuer über seine Haut und schloss ihn in eine wärmende Umarmung, ohne ihn zu verbrennen, denn er war das Feuer. Für den Bruchteil einer Sekunde bestand er nur noch aus Hitze und zerstörerischer Gewalt. Als er die Augen öffnete, war es vorbei und er stand hinter der Gestalt auf den Klippen. Wie sich nun herausstellte, handelte es sich um ein Mädchen in seinem Alter.
»Das ist eine ganz miese Idee.«
Sie drehte sich zu ihm um – und für einen Moment stockte ihm der Atem. Der Wind peitschte ihr das rötlich schimmernde Haar ins Gesicht. Sie hatte einen so intensiven Blick, dass er fast einen halben Schritt zurückgewichen wäre. Aber da war noch mehr. Etwas, das ihm erschreckend vertraut vorkam. Die Schuluniform konnte es nicht sein, denn die war ihm fremd. Sie musste von der Insel stammen. Aber dieses Gesicht … diese stürmischen Augen …
»Was ist eine miese Idee?«, fragte sie.
»Zu springen.« Er sah zum Wasser hin. Viel konnte er von hier aus nicht erkennen, aber er wusste sehr genau um die Kraft des Meeres und die spitzen Steine da unten. Mit sehr viel Glück würde sie den Sprung überleben, sich dabei aber sämtliche Knochen brechen. Und er wusste, wovon er sprach, da er vor ein paar Jahren bei einer Mutprobe von einer Klippe gesprungen war und den restlichen Sommer im Krankenhaus hatte verbringen müssen.
Die Fremde schnaubte nur. »Ich will nicht springen. Ich brauche auch keinen Retter und auch niemanden, der mir sagt, was ich tun oder lassen soll. Davon habe ich schon mehr als genug.«
Vorsichtig trat er neben sie. Das Land endete nur wenige Zentimeter vor seinen Füßen und fiel abrupt ab. Zornig krachten die Wellen gegen das Gestein und die Gischt spritzte so hoch auf, dass er das Salz fast schmecken konnte. Dazu die wilden Böen, die an Haaren und Kleidung zerrten. Langsam drehte er den Kopf wieder zu der Fremden.
Sie war ziemlich groß, nur ein paar Zentimeter kleiner als er selbst, und zeigte nicht die geringste Spur von Furcht. Sie zitterte nicht, und wenn sie angespannt war, dann nur, um sich gegen den Wind zu stemmen, der hier oben toste. Für einen Moment konnte er seinen Blick nicht von ihren vollen Lippen lösen. Dann sah er auf.
Sie musterte ihn misstrauisch, bis sich ihr Gesichtsausdruck auf einmal veränderte. Von abwehrend zu ungläubig – und verwirrt.
»Ich kenne dich …«, stieß sie hervor und ihre Augen weiteten sich.
Und plötzlich erinnerte auch er sich. Diese riesigen Augen, so blau wie der Atlantik, d
er sie mit all seiner Macht an den Strand gespült hatte, nur um sie gleich darauf wieder mit sich fortzureißen.
Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem angedeuteten Lächeln, obwohl sein Puls zu rasen begann. »Ziemlich lange her, was?«
Damals waren sie beide Kinder gewesen. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass er sie bei seinem zweiten Besuch auf der Insel wieder treffen würde? Und dann auch noch am Meer? Nicht weit von der Stelle ...
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Als Ravensburger E-Book erschienen 2019
Die Print-Ausgabe erscheint im Ravensburger Buchverlag Otto Maier GmbH
© 2019 Ravensburger Buchverlag
Text © 2018 by Julia K. Stein
Dieses Werk wurde vermittelt durch Agentur Brauer.
Lektorat: Christina Rees
Umschlaggestaltung: Anna Rohner und Carolin Liepins unter Verwendung von Fotos von LittleBee80/iStock, Andrekart Photography/ Shutterstock, Mut Hardman/Shutterstock, SeDmi/Shutterstock, Zapolzun/Shutterstock und Polygraphus/Shutterstock
Alle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Buchverlag Otto Maier GmbH, Postfach 1860, D-88188 Ravensburg.
ISBN 978-3-473-47956-6
www.ravensburger.de
Eins
»Ich habe mir so oft gewünscht, dass alles wieder so wird, wie es war.«
Meine Freundin Jen und ich lagen auf den weichen Matratzen am Pool vor dem Haus meines Vaters. Der Sommerhimmel über Long Island war riesig, hellblau und so hell, dass er schimmerte. Er erschien höher als in Deutschland, auch wenn das natürlich unmöglich war. Wir blickten in diesen perfekten Himmel und hörten eine Playlist mit dem Namen Simply Love. Der Sommer breitete sich so endlos vor uns aus wie das Meer, das nicht weit hinter dem Garten lag. Ich würde wohl nie verstehen, warum meine Mutter das alles zurückgelassen hatte. Okay, das Haus hatte es damals noch nicht gegeben, aber trotzdem.
»Ich freue mich auch mega, dass du zurück bist, Emma«, seufzte Jen und knabberte an ihrem Strohhalm, der in einem Erdbeer-Milchshake steckte, den sie auf dem Weg gekauft hatte. Mir hatte sie einen Mango-Shake mitgebracht. Es machte mich total glücklich, dass sie sich daran erinnert hatte, dass ich Mangos liebte.
»Aber ich bin ziemlich froh, dass sich ein paar Dinge verändert haben. Meine Oberweite zum Beispiel. Ich dachte damals schon, da passiert nie etwas«, sagte Jen.
Ich kicherte. »Die Angst war wohl überflüssig«, erwiderte ich mit Blick auf ihren zwar nicht großen, aber vorhandenen Busen, der bei unserem letzten Treffen definitiv noch nicht da gewesen war.
Ich fischte einen Eiswürfel aus meinem Shake und ließ ihn in meinem Mund schmelzen. Vielleicht würde mich das zumindest innerlich abkühlen. In den Hamptons gab es seit einer Woche eine Hitzewelle. Kein Tag unter dreißig Grad.
»Die letzten Jahre in Deutschland waren … nicht so gut.«
»Was macht man denn so in Düsseldorf?«, fragte Jen und sprach Düsseldorf dabei ziemlich verunstaltet aus.
Ich zuckte mit den Schultern. »Ich wohne ja noch nicht mal in Düsseldorf. Ich wohne in einer Kleinstadt außerhalb. Meine Mutter arbeitet da an der Schule. Den Ort würdest du ohnehin nicht kennen. Gibt’s glaube ich noch nicht mal auf einer Landkarte.« Das war übertrieben. Ratingen stand auf einer Landkarte. Jedenfalls auf einer mit großem Maßstab.
»Und was macht man dort am Wochenende?« Jen stellte den Shake ab und knotete ihre blond gesträhnten Haare auf dem Oberkopf zusammen. Dann griff sie nach der Sonnencreme und malte schwungvoll eine weiße Spur auf ihren Bauch und die schmalen Oberschenkel.
»Ich war oft auf Taekwondo-Wettkämpfen«, wich ich aus. Sie meinte natürlich das Partyleben, aber dazu konnte ich wenig sagen.
Jen hielt beim Verteilen der Creme inne. »Echt? Du hast Taekwondo weitergemacht?« Ihre grauen Augen waren vor Überraschung aufgerissen. »Weiter als der gelbe Gürtel von damals?«
»Sogar bis zum schwarzen Gürtel. Wobei es da ja verschiedene Stufen gibt. Hört sich nach mehr an, als es ist«, erklärte ich. Es war mir ein wenig unangenehm, wie besessen ich trainiert hatte.
»Wahnsinn. Ich habe sofort aufgehört, als du weggegangen bist. Das Training war mir alleine zu anstrengend. Und für die College-Bewerbungen war Tennis auch in Ordnung. Aber Respekt! Schwarzer Gürtel ist beeindruckend, du bist echt zu bescheiden. Daher hast du die Bauchmuskeln. Und deine Arme sehen auch trainiert aus.« Sie verglich ihren Arm mit meinem. Ihr Arm war in der Tat sehr schmal, sogar der linke, mit dem sie als Linkshänderin Tennis spielte.
»Dafür hätte ich auch gerne weiter Tennis gespielt.« Leider wären Tennisstunden viel zu teuer gewesen. Der Taekwondo-Verein hatte viel weniger gekostet. Außerdem mochte ich die Ordnung und Disziplin bei dem Sport. Zumindest dort gab es klare Verhältnisse.
»Und wie war’s so zum Ausgehen in Deutschland?«
»Es gibt eine Bar, wo alle am Wochenende hingehen und sich treffen.« Ich konnte sie dabei nicht anschauen, denn schließlich war ich nur selten mitgegangen. Meistens hatte ich in einer Pizzeria in der Nähe gearbeitet oder war beim Training gewesen.
»Man läuft durch die Stadt. Geht in die Eisdiele, ins Kino und danach zu McDonalds. Man freundet sich mit jemandem an, der Führerschein und Auto hat, um am Wochenende nach Düsseldorf zu fahren.« Ich nahm noch einen Eiswürfel. Ich wollte nicht, dass sie mich für einen totalen Loser hielt. Aber es gab wirklich kaum etwas zu berichten. Vor allem nicht jemandem, der seine Jugend an der Upper East Side in New York verbracht hatte. Ansonsten hatte ich noch fürs Abi gelernt, um am College in den USA angenommen zu werden. Das war mein Leben.
»McDonalds? Das ist nicht dein Ernst«, fragte Jen entgeistert. »Gott, man könnte behaupten, dass wir dich vor der sozialen Verwahrlosung retten müssen.«
»Das könnte man behaupten«, nuschelte ich mit vollem Mund. Der Eiswürfel verursachte ein scharfes Ziehen hinter meiner Stirn. Ich unterdrückte die Bemerkung, dass McDonalds in Deutschland schöner war als in Amerika. In den USA waren viele Filialen ziemlich heruntergekommen. Aber nach Jens Maßstäben wäre auch eine deutsche McDonalds-Filiale heruntergekommen. Sie konnte sich mein Leben gar nicht vorstellen.
»Mein Leben war ein bisschen weniger glamourös, wir hatten ja auch kein Geld mehr.«
»Klar, sorry, Emma, ich wollte nicht total unsensibel rüberkommen.«
»Quatsch«, erwiderte ich. Mitleid wollte ich auch nicht. Und wie hätte sie es sich auch vorstellen können. Jens Leben war so weitergegangen wie damals: Geburtstagsfeiern mit Hüpfburgen und extra angelieferten Ponys. Am Wochenende Mary-Poppins-Musicals am Broadway, Friseure, bei denen man auf niedlichen Elefanten saß und Tierfilme schaute. Und in den letzten Jahren zunehmend aufwendige Privatpartys, wie ich herausgehört hatte. Früher hatte ich mich in New York so zu Hause gefühlt. Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, dass ich irgendwann nicht mehr dazugehören könnte.
»Weißt du noch, wie wir Ken hat eine Affäre mit den alten Barbies von deiner Mutter gespielt haben?«
»O Gott, ja«, sagte Jen und prustete beinahe ihren Shake auf die Terrasse.
»Ich habe erst später verstanden, dass wir deine Eltern nachgespielt haben.«
Jen zuckte mit den Schultern. »Oder das Leben der meisten Eltern hier.« Sie klang nicht traurig, eher sachlich. Hatte ich eigentlich geglaubt, dass ich zurückkomme, Jen anrufe, wir unsere Barbies auspacken und da weitermachten, wo wir aufgehört hatten? Das Leben von Zwölfjährigen unterschied sich stark von dem von Siebzehnjährigen. Sie war mir genauso vertraut, wie sie mir plötzlich fremd war.
»Vermisst deine Mutter ihr Leben hier gar nicht? Ich habe nie verstanden, warum sie deinen Vater eigentlich verlassen hat«, sagte Jen. Sie hatte eine kleine Flasche ausgepackt und verteilte jetzt ein teuer aussehendes Produkt auf ihrem Kopf, das ihre Haare glänzender machen würde, wenn es getrocknet war. »Ich erinnere mich noch, dass sie krass gut aussah. Sie war selbst eine Art dunkelhaarige Barbie.«
Ic
h warf ihr einen prüfenden Blick zu, aber ihre Augen waren hinter der Sonnenbrille nicht zu erkennen. Wahrscheinlich wusste sie wirklich nichts Genaues von meiner Mutter. Mums schlimmste depressive Phasen waren ja erst später gekommen. Die kannte nicht einmal mein Vater. Und meine Mutter konnte sich in ihrem Tablettendelirium später selbst kaum erinnern. Eigentlich war ich die Einzige, die alles noch genau wusste, die sich mit dem klaren Geist einer Dreizehnjährigen jeden dahingeworfenen Satz zu Herzen genommen hatte. »Sie sagt immer, sie hätten sich auseinandergelebt und mein Vater hätte eben andere Ideale. Ihm ginge es nur um Karriere und ihr hätte das irgendwann nicht mehr so viel bedeutet. Sie tut alles, um New York zu vergessen, hat auch zu niemandem mehr Kontakt. Am liebsten würde sie mich in Deutschland behalten. Du würdest sie nicht wiedererkennen. Sie sagt, dass sich hier alles nur um Geld dreht, um Besitz und um Äußerlichkeiten.« Mom meinte natürlich eigentlich nicht nur New York, sondern vor allem meinen Vater.
Jen blickte zu mir. »Sie ist klug. Genauso ist es. Das ist ja das Gute daran.«
Ich schlug meine Beine neu übereinander und rückte auf der Liege zur Seite, weil ich nicht wusste, was ich darauf erwidern sollte.
»Das ist natürlich ironisch gemeint«, fügte Jen nach einem Moment hinzu. »Hey, du weißt doch noch, dass du nicht alles ernst nehmen darfst, was ich sage. Aber man muss nicht alles schlecht machen. Deine Mutter hat Vorurteile. Ist es denn so unangenehm hier zu liegen? Ich glaube, sie ist traurig, weil sie eben nicht mehr hier ist. Wobei sie bestimmt schnell einen anderen reichen Typen gefunden hätte. Außerdem hat sie doch mit ihrem Model-Job selbst gut verdient.« Ich schwieg und Jen schob ihre Brille auf den Kopf zurück, um mich zu mustern. »Sorry, Emma, aber so ist es ja nun mal. Die beiden waren schließlich auch noch sehr jung. Manchmal klappt es eben nicht.«