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Don't HATE me (Die Don't Love Me-Reihe 2) (German Edition)

Page 12

by Kiefer, Lena


  Alle anderen waren nach dem Abendessen in ihre Zimmer verschwunden, denn heute war es zu kalt, um am Strand zu sitzen. Nicht, dass ich mitgegangen wäre – mir war klar, dass ich Abstand halten musste. Zwar waren die anderen wirklich nett, von Elliott vielleicht abgesehen, aber ich wollte nicht öfter als nötig in Kenzies Nähe sein.

  Dabei war es nicht so schlimm, wenn man es von außen betrachtete. Wir gingen professionell miteinander um, wahrten Distanz, ließen niemanden merken, was zwischen uns gewesen war. Und wir waren meist einer Meinung, wenn es zu Diskussionen kam. Wir machten dem Team so gut etwas vor, dass die neugierigen Blicke schon nach kurzer Zeit weniger geworden waren. Aber in mir sah es anders aus. Es war, als würde mir jetzt in jeder Sekunde vor Augen geführt werden, was hätte sein können – wenn ich nicht ich gewesen wäre und meine Vergangenheit die eines anderen. Wenn ich gut für Kenzie gewesen wäre.

  Das Vibrieren meines Telefons ließ mich den Kopfhörer herunternehmen. Schnell wischte ich mir die klebrigen Finger an einem Tuch ab und nahm den Anruf entgegen.

  »Hi, Fin«, begrüßte ich meinen Cousin.

  »Lyallinator«, schallte es fröhlich von der anderen Seite. »Wie läuft es am Ende der Welt?« Wir hatten seit Chicago nicht mehr miteinander gesprochen. Ich hatte ihm nur eine Nachricht geschrieben, warum ich nach Korfu fliegen würde.

  »Gut. Zumindest, wenn man auf Tapezieren steht.«

  »Hä?«, fragte er.

  »Das heißt Wie bitte , Finlay Sholto Henderson.« Ich imitierte die Stimme unseres Englischlehrers aus Eton und ließ es mir nicht nehmen, auch noch den verhassten Zweitnamen meines Cousins zu erwähnen.

  »Oh Gott, erinnere mich nicht an Mister Hattinger«, stöhnte der. »Weißt du, dass ich ab und zu von ihm träume? Er erinnert mich dann immer an diese Hausaufgabe, die ich nie gemacht habe, das Sonett zum Thema Verzweiflung. Und wenn ich aufwache, suche ich panisch danach, bis ich merke, dass die Schule vorbei ist.« Er holte Luft. »Meine Güte, jetzt wird mir einiges klar, was meine Jugend angeht. Das ist definitiv eine Sache für meinen Therapeuten. Vielleicht erreichen wir damit einen Durchbruch.«

  Ich lachte. »Bei was? Deiner Unfähigkeit, beim Reden Punkt oder Komma zu machen?«

  »Uns ist nur eine begrenzte Zeit auf diesem Planeten gegeben, mein Freund. Ich bin bestrebt, sie sinnvoll zu nutzen.«

  »Wieso rufst du mich dann an?«

  »Weil nichts auf dieser Welt mir wichtiger ist als du, Mann.« Finlays Grinsen war in seiner Stimme zu hören. »Also, sag mir, wieso tapezierst du mitten in der Nacht?« Er war der Einzige, der die Zeitzonen immer draufhatte. Wahrscheinlich gab es dafür eine App.

  »Uns sind die Handwerker davongelaufen, der alte Davidge will Mums Projekt offenbar sabotieren. Also springe ich ein.« Ich berichtete Finlay schnell, was nach der Abreise meiner Mutter passiert war.

  »Das erklärt, warum du tapezierst«, sagte er trocken. »Aber nicht, warum du es nachts tust. Nenn mich altmodisch, aber solltest du nicht schlafen?«

  »Ist überbewertet. Das hier entspannt mich mehr.« Ich machte das jetzt die dritte Nacht in Folge, und meistens schaffte ich es, gegen vier oder fünf Uhr noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen. Das war das Gute an körperlicher Arbeit, sie erschöpfte auf eine Art, wie Kopfarbeit es niemals hinbekam. Ich hatte es erst mit Lernen versucht, aber konnte mich nicht auf die todlangweiligen Bauvorschriften konzentrieren, die regelmäßig vor meinen Augen verschwammen. Dann hatte ich ans Schwimmen gedacht, der Pool war jedoch eine Baustelle, bisher hatte ich es nicht bei Tageslicht ins Meer geschafft – und nachts allein in ein unbekanntes Gewässer zu gehen, war selbst für mich zu leichtsinnig. Also blieb nur die Tapete.

  »Wenn du das sagst.« Finlay klang nicht, als wäre er überzeugt. »Hast du eigentlich etwas über deinen ominösen Verfolger in Chicago herausfinden können?«

  Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Du?« Finlay war besser vernetzt als ich und kannte im Prinzip überall irgendwen. Auch in etwas dubioseren Kreisen.

  »Noch nicht, die Spur ist ziemlich kalt. Hast du den Typen denn danach noch mal gesehen? Oder sonst jemanden, der dir verdächtig vorkam?«

  »Seit dieser Nacht nicht mehr.« Ich hatte extra darauf geachtet, wenn ich aus dem Haus gegangen war.

  »Dann entspann dich«, riet mir Finlay. »Wahrscheinlich war es nur jemand von Grandmas Leuten, der checken sollte, ob das mit dieser Sophia glatt geht.«

  »Ja. Wahrscheinlich hast du recht.« Ich atmete aus. »Da ist übrigens noch etwas –«

  »Lass mich raten«, unterbrach mich mein Cousin. »Du hast eine umwerfende Griechin kennengelernt, und sie hat eine wunderschöne Schwester, die nur auf mich wartet?«

  Ich schnaubte und sparte es mir, ihn ausgerechnet jetzt auf Edina anzusprechen. Wir hatten nach der Eröffnung in Kilmore darüber geredet, und da es keine neue Lösung für das Problem gab, schwiegen wir es seitdem alle tot.

  »Nein«, sagte ich. »Kenzie ist hier.«

  »Kenzie? Deine Kenzie? Oh, fuck. Wie konnte das passieren?«

  »Mum«, seufzte ich.

  »Verstehe.« Das war nicht nur so dahingesagt, Finlay verstand es wirklich. Denn während meine Mutter in ihrer Übergriffigkeit immerhin noch liebevoll war, hatte seine eigene die Warmherzigkeit einer Parkuhr und zog dennoch die Fäden. Das taten sie alle. »Und, wie ist es zwischen euch?«

  Ich lehnte mich gegen den Tapeziertisch. »Keine Ahnung, vor allem distanziert. Sie sieht mich nur sehr selten an, aber ich erkenne trotzdem, was sie über mich denkt – dass ich ein Lügner bin, ein Psychopath, und mit Sicherheit ein schlechter Mensch.«

  »Was Schwachsinn ist.«

  »Nicht alles davon.«

  Finlay seufzte. »Das mit Ada ist echt lange her, Lye. Und es gab Gründe, warum du so reagiert hast. Ja, es war scheiße, aber keiner konnte ahnen, wie sich das Ganze entwickelt. Deswegen bist du kein schlechter Mensch.«

  »Ein guter aber auch nicht.« Ich atmete aus. »Na ja, was soll’s. Ich bringe das hier hinter mich, so gut es geht, dann habe ich wenigstens Mum einen Gefallen getan, den ich irgendwann zurückfordern kann.«

  »Klar. Und es hat rein gar nichts damit zu tun, dass du dich gerne selbst geißelst und es deswegen genießt, in Kenzies Nähe zu sein?« Ich schwieg, weil ich das nicht verneinen konnte. Finlay kannte mich einfach zu gut. Aber da er mein bester Freund war, forderte er keine Antwort von mir. »Es ist nicht so, dass ich dich nicht verstehe – aussichtslose Liebe ist mein Spezialgebiet, wie du weißt. Ich will nur, dass du auf dich aufpasst, okay?«

  »Okay«, sagte ich.

  »Gut, dann ist das geklärt. Und nun erzähl mir von Korfu. Ich brauche dringend ein bisschen virtuelle Sonne, New York versinkt in Eis und Kälte.«

  »Ich kann dir morgen ein paar Bilder schicken, sobald es hell wird.« Ein Geräusch ließ mich innehalten. Ich fuhr herum – und schaute direkt in Kenzies Gesicht. Sie stand in der Tür und wirkte überrascht, mich hier zu sehen.

  »Fin? Ich rufe dich wieder an.« Schnell legte ich auf. »Hey.« Was machte sie hier? Es war mitten in der Nacht und sie trug ihre Arbeitssachen – fleckige Jeans und ein ausgewaschenes Top. Ihre Haare waren jedoch offen und fielen ihr über die Schultern. Ich erinnerte mich, wie sie sich unter meinen Fingern angefühlt hatten, und spürte, wie mir warm wurde.

  »Hey«, sagte sie in diesem neutralen Ton, den sie mir gegenüber neuerdings anschlug. »Ich wusste nicht, dass noch jemand hier oben ist.«

  »Ich versuche, ein bisschen was aufzuholen.« Flüchtig zeigte ich in Richtung des Tapeziertisches, wo der Kleister auf der Bahn längst hart geworden war. Die konnte ich auf jeden Fall wegwerfen.

  »Ja, das wollte ich auch.« Sie schob die Hände in die Hosentaschen und deutete zum Flur. »Aber dann überlasse ich dir für heute das Feld.«

  Sie wandte sich ab und war schon fast zur Tür raus, als ich sie aufhielt. »Wieso hast du meiner Mum eigentlich nicht gesagt, wieso wir uns getrennt haben? Bevor ich hier aufgetaucht bin, meine ich.« Ich wusste nicht, warum ich sie das fragte. Vielleicht, weil ich noch nicht wollte, dass sie ging – und mir nichts Besseres eingefallen war.

 
; Kenzies Schultern wurden hart, und als sie sich umdrehte, sah ich, dass sie die Lippen wütend aufeinandergepresst hatte. »Es gab keinen Grund dafür, es ihr zu sagen. Auch wenn es im Gegensatz zu dir nicht mein Ding ist, andere Menschen anzulügen.«

  Okay, das hatte ich verdient. Was fragte ich auch so dämlich nach, wo ich doch genau wusste, was sie von mir hielt. Sie hatte jedes Recht dazu, wütend zu sein und mir diese Sachen an den Kopf zu werfen. Und trotzdem antwortete ich ihr.

  »Manchmal lügt man nicht, um jemandem wehzutun«, sagte ich, obwohl ich ahnte, dass es nichts ändern würde. »Sondern um etwas zu schützen.«

  »Klar«, raunzte sie mich an. »Willst du mir etwa erzählen, dass deine Lügen mich schützen sollten?«

  Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Sie sollten mich schützen. Und das zwischen uns. Was du genau weißt, sonst würdest du mich nicht so ansehen.«

  »Wie sehe ich dich denn an?«, fragte sie hart.

  »Wie jemanden, den du hasst.«

  »Ach, und du denkst, dass du das nicht verdient hättest? Nach allem, was du getan hast?« Ihre Worte waren wie ein Faustschlag in mein Gesicht, und obwohl ich damit hätte rechnen müssen, dass so etwas früher oder später passieren würde, traf es mich eiskalt.

  »Kenzie, ich habe nicht gewollt, dass –«, begann ich.

  »Ach, hast du nicht?«, unterbrach sie mich. »Was hast du denn gewollt, als du mich ohne Skrupel angelogen hast? Hast du gehofft, dass es nicht ans Licht kommen würde?« Sie schnaubte. »Und als ich dann doch davon erfahren habe, hast du noch nicht einmal versucht , es mir zu erklären. Nicht auf der Straße oder später. Du hast mich nicht angerufen, mir keine Nachricht geschickt, dich nicht ein einziges Mal seitdem gemeldet. Wie kann dir überhaupt etwas an mir gelegen haben, wenn du nicht einmal dazu in der Lage warst?«

  Ich schwieg, obwohl es Antworten gegeben hätte. Ich hatte Angst, dich zu verlieren. Ich hatte Angst, was du von mir denkst, wenn du es erfährst. Und danach dachte ich, es wäre das Beste, mich von dir fernzuhalten. All das drehte sich in meinem Kopf, aber ich sprach nichts davon aus.

  »Es stimmt, du hast recht«, sagte ich stattdessen. »Und es gibt keine Entschuldigung dafür, auch wenn es mir unendlich leidtut.«

  Sie schnaubte erneut. »Das glaube ich dir nicht. Für dich war das irgendein beschissenes Spiel, dessen Regeln nur du kanntest. Und es ging auf meine Kosten.«

  »Das ist nicht wahr«, presste ich hervor. »Es war kein Spiel für mich.«

  »Was war es dann? Etwa echt?«

  »Ja, verflucht!«, rief ich. »Natürlich war es echt!«

  Kenzies Blick flackerte. Zu der Wut in ihren Augen kam Schmerz hinzu. »Wie konntest du mir das dann verschweigen?! Dachtest du ernsthaft, wir könnten auf diese Art glücklich sein?« Sie sah mich an, und ich erkannte, sie war genauso wenig mit dieser Sache durch wie ich. Ich spürte jedoch keine Genugtuung darüber. »Sei wenigstens einmal ehrlich zu mir, Lyall: Hättest du mir jemals die Wahrheit gesagt?«

  Es wäre so leicht gewesen, das zu beteuern, aber ich wollte nicht schon wieder lügen. Denn Fakt war, ich wusste nicht, ob und wie ich ihr hätte sagen wollen, dass ich für den Tod eines anderen Menschen verantwortlich war. Ob ich, wenn das mit uns ernster geworden wäre, noch den Mut gefunden hätte, alles aufs Spiel zu setzen – wo ich es doch vorher schon nicht geschafft hatte. Und deswegen gab es auf diese Frage nur eine ehrliche Antwort.

  »Ich weiß es nicht«, sagte ich in die Stille hinein.

  Kenzie atmete zitternd ein. »Dann rede nie wieder davon, dass es echt gewesen wäre.« Es klang traurig und enttäuscht. Fast hätte ich mir gewünscht, dass sie laut wurde, mich anbrüllte. Damit diese Mauer zwischen uns verschwand. Aber sie tat es nicht. Und als Kenzie sich abwandte und ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer ging, spürte ich die Leere der letzten Monate in mir und wusste genau:

  Die Mauer war höher denn je.

  Und sie würde niemals fallen.

  16

  Kenzie

  »Und dann habe ich ihm gesagt, dass er mich mal kreuzweise kann. Ich meine, im Ernst – welcher Kerl schmeißt eine Frau in der ersten Nacht raus, weil er alleine besser schläft ?« Martha schüttelte den Kopf, und das Bandana, mit dem sie ihre blonden Haare vor Dreck schützte, rutschte ein Stück herunter. »Dabei war der Sex echt der Hammer und der Typ war nett, schlau, gebildet … eine Schande. Ich bin ja nicht unbedingt auf Kuscheln aus, aber nachts durch die halbe Stadt fahren, weil der feine Herr Angst hat, ich verhindere seinen Schönheitsschlaf? Echt nicht.«

  »Was für ein Idiot«, kommentierte ich den Redeschwall meiner Kollegin und nahm einen neuen Stapel Teppichfliesen von der Fuhre im Flur. Eigentlich lag in allen Zimmern mediterraner Natursteinboden, aber Theodora hatte für die Schlafzimmer in den Suiten Sisalboden vorgesehen, also waren wir gerade daran, ihn zu verlegen. Wobei eigentlich ich ihn verlegte und Martha mehr redete anstatt zu arbeiten. Sie verfügte allerdings auch über ein unendliches Repertoire an Männergeschichten aus den Kategorien Kurios bis Abturner Deluxe .

  »Wie ist denn dein Freund eigentlich so?«, fragte sie mich jetzt.

  »Ich habe momentan keinen Freund.« Ich sortierte die Teppichquadrate auf zwei Haufen, damit wir von außen nach innen arbeiten konnten.

  »Nicht?« Martha nahm mir welche ab. »Aber auf deinem Handy war doch gestern dieser hübsche Kerl, der dich angerufen hat.«

  Ach, das. Ich hatte schon längst vergessen, dass Miles und ich telefoniert hatten. Irgendwie brachte ich es nicht fertig, ihn endgültig abzuservieren, obwohl es das Beste gewesen wäre. »Das war nur mein Ex. Wir haben wieder etwas miteinander angefangen, und jetzt ist es so ein halb garer Mist, der keinem guttut.«

  »Na, du hast ja eine illustre Runde an Ex-Freunden.« Martha ließ die Augenbrauen wackeln. »Jeder hier würde verdammt gern wissen, was zwischen dir und dem schönen Lyall lief.«

  Ich lachte dünn. »Ja, das kann ich mir vorstellen.« Dann nahm ich meinen Stapel Fliesen und ging auf die Knie, um in der Ecke die erste Reihe zu beginnen.

  »Du willst mir doch nicht sagen, dass diese Sache nichts bedeutet hat? Ich sehe dir an, dass das gelogen ist.«

  »Lass gut sein, Martha, okay?«, murrte ich. »Ich will nicht drüber reden.«

  »Okay.« Sie hob die Hände und deutete zur Tür. »Ich hole mir noch einen Kaffee, bevor wir hier weitermachen. Willst du auch einen?«

  »Ja, das wäre super.« Ich rang mir ein Lächeln ab und lehnte mich, kaum war sie weg, gegen die Wand. Mann, war ich grauenhaft müde. Kein Wunder, wenn man nicht schlief.

  Auch jetzt, bei strahlendem Sonnenschein und 20 Grad, fröstelte ich noch bei der Erinnerung an meine Begegnung mit Lyall in der letzten Nacht. Eigentlich waren wir ganz gut miteinander ausgekommen in den Tagen davor. Wir hatten es vermieden, allein zu sein, und nur selten direkt das Wort aneinander gerichtet. Das war ein Weg gewesen, der mich hatte hoffen lassen, wir würden diese Zeit irgendwie überstehen. Zumindest bis gestern Nacht.

  Ich hatte wach gelegen, weil meine Gedanken mich nicht in Ruhe ließen. Und irgendwann um 2 Uhr war es mir zu blöd geworden und ich hatte nach Ablenkung gesucht. Aber mein Skizzenbuch war voll und ich hatte noch kein neues besorgen können, also blieb nur die Arbeit im Haupthaus. Wenn ich schon keinen Schlaf fand, wollte ich die Zeit wenigstens produktiv nutzen.

  Ich war so in Gedanken versunken gewesen, dass ich auf der Suche nach Tapetenbahnen zu dem einzigen Zimmer gegangen war, in dem Licht brannte. Vielleicht hatte ich geglaubt, dass die Handwerker vergessen hatten, es auszuschalten, aber ein paar Meter davor war mir klar geworden, dass jemand drin war – und wer. Da war es nur längst zu spät gewesen, um umzukehren. Zu spät, um dieses Gespräch abzuwenden, das mich so aufgewühlt hatte, dass auch danach nicht an Schlaf zu denken gewesen war.

  Mehr Abstand. Das war jetzt mein neues Mantra. Es hätte mir egal sein sollen, dass Lyall so offen zugegeben hatte, seine Lügen mir gegenüber wären egoistisch gewesen. Dass er das zwischen uns hatte schützen wollen und seine Gefühle echt gewesen waren. Aber es war mir nicht egal, im Gegenteil. Es verwirrte mich, brachte mich ins Nachdenken. Ich musste mich be
sser abschotten, um nichts davon zuzulassen.

  »Kenzie?«

  Wenn man vom Teufel spricht. Ich wappnete mich und drehte mich dann in der Hocke um.

  »Ja?« Ich schaute Lyall an, was jedes Mal wehtat, nach letzter Nacht nicht weniger. Immerhin war ich gut darin, es zu verbergen – ihm nicht zu zeigen, was in mir vorging. Oder dass bei seinem Anblick ganz simples körperliches Verlangen in mir aufstieg, weil er auch in verdrecktem Shirt und Arbeitshosen zu gut aussah, um wahr zu sein.

  »Team-Besprechung in zehn Minuten unten im Büro«, sagte er und strich sich zu allem Überfluss die Haare zurück. »Mum hat ein paar Handwerker besorgt, die morgen hier auf der Insel ankommen. Wir müssen klären, wie wir die Aufgaben neu verteilen.«

  »In Ordnung«, nickte ich, und für einen Moment glaubte ich, Lyall wollte noch etwas sagen. Aber er erwiderte mein Nicken nur und ging. Ich legte den Kopf in den Nacken und atmete aus. Dann ließ ich meinen Teppichstapel Stapel sein und stand auf, um auf den Balkon der Suite zu gehen.

  Die Aussicht war immer noch jeden Blick wert – vor allem, weil der griechische Sommer schon fast spürbar war und das Wasser mit jedem Tag blauer wurde. Ich konnte mir gut vorstellen, wie alles aussehen würde, wenn es fertig war und sich hier die ersten Gäste erholten, inmitten der Natur und mit der Bucht direkt vor der Tür. Für einen Moment schloss ich die Augen und hielt mein Gesicht in die Sonne, um ein bisschen Kraft zu tanken. Dann machte ich mich auf den Weg nach unten.

  »Hast du eigentlich schon mit deinem Entwurf angefangen?«, fragte mich Bella, als ich mich an den großen Tisch setzte, wie immer so weit wie möglich von Lyall entfernt.

  »Nur im Kopf«, antwortete ich. »Mein Skizzenbuch ist doch voll und ich habe noch kein neues.« Meine Abreise war so abrupt gewesen, dass ich nicht bemerkt hatte, wie wenig leere Seiten in meinem Buch übrig waren. Und in die Stadt hatte ich es wegen der Arbeit bisher nicht geschafft. Wahrscheinlich war es das Beste, eins im Internet zu bestellen.

 

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