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Don't HATE me (Die Don't Love Me-Reihe 2) (German Edition)

Page 13

by Kiefer, Lena


  »Ich bin schon fast fertig mit meinem Entwurf«, verkündete Elliott gewohnt großmäulig.

  »Ja, aber er ist Mist.« Bella lächelte ihn liebenswürdig an. »Du hast so viel Zeug da drin, dass man denken könnte, es wäre ein Möbelgeschäft. Dora hasst überladene Räume, wusstest du das nicht?«

  Elliott pustete die Backen auf. »Es ist nicht überladen! Und was Dora hasst, weißt du doch überhaupt nicht.«

  »Na, dann fragen wir doch jemanden, der es weiß.« Bella sah zum anderen Ende des Tisches. »Lyall, mag deine Mutter überladene Räume?«

  Er sah von dem Laptop auf, der vermutlich den aktuellen Renovierungsplan zeigte. »Meine Mum mag vor allem keinen Kindergartenkram«, sagte er auf Bellas Frage. »Könnten wir uns jetzt bitte auf die Sache konzentrieren? Die Entwürfe für die Villen haben keine Priorität.« Das hatte er schon klargemacht, als uns die Handwerker abhandengekommen waren. Deswegen widersprach auch niemand.

  »Also«, begann er seine Ansprache. »Durch euren Einsatz haben wir es geschafft, den Rückstand bei den Arbeiten immerhin ein kleines bisschen abzufedern.«

  »Er ist so motivierend«, murrte Martha.

  »Ich sage nur die Wahrheit«, korrigierte sie Lyall und wirkte dabei gewohnt souverän – bis er mich ansah und sein Gesichtsausdruck sich plötzlich wandelte. Er war für eine Sekunde schuldbewusst, als hätte er etwas Falsches gesagt, dann verschwand die Regung wieder. »Morgen wird ein Team aus Leuten, mit denen meine Mutter bereits Projekte umgesetzt hat, hier landen. Es sind Freiberufler, vor allem aus Europa und den USA, alles fähige Leute, aber sie sind nicht so viele, wie uns abhandengekommen sind. Das heißt, wir werden weiterhin aushelfen müssen.«

  Elliott und Bella stöhnten synchron – Ersterer, weil er sich nach wie vor zu fein für diese Art Arbeiten war, Bella, weil sie sich schnell langweilte. Lyall sah sie an und der Blick aus seinen dunklen Augen war eisern.

  »Es steht euch vollkommen frei, zu gehen, wenn euch das alles zu anstrengend ist«, sagte er kühl. Mit gerunzelter Stirn beobachtete ich ihn und fragte mich, was passiert war. In den letzten Tagen hatte Lyall nicht den Eindruck gemacht, als würde er den Chef raushängen lassen. Aber es half mir, innerlich auf Distanz zu bleiben. Denn wenn er so schaute, kamen meine Erinnerungen an die Momente zurück, in denen er seine düstere Seite von der Leine gelassen hatte.

  Bella, die sich nie um eine Auseinandersetzung drückte, holte bereits Luft. Ich kam ihr zuvor.

  »Vielleicht sollten wir am Wochenende mal hier raus«, schlug ich vor. Das war in vier Tagen und bis dahin war das neue Handwerkerteam sicherlich im Bilde. »Wir machen einen Ausflug, fahren irgendwohin, sammeln ein paar Eindrücke. Seit fast zwei Wochen sind wir fast nur hier in der Anlage und arbeiten. Kein Wunder, dass wir einen Lagerkoller haben.«

  Lyall sah mich an, aber wie so oft konnte ich seinen Blick nicht deuten, und er sagte auch kein Wort zu meinem Vorschlag. Martha schon.

  »Und wo gehen wir hin?«

  »Ihr könntet nach Kassiopi fahren«, schlug Clea vor. »Das ist eine kleine Hafenstadt im Norden, die echt sehenswert ist. Und dort ist auch außerhalb der Saison etwas los. Wenn es warm genug ist, könnt ihr sogar an den Strand gehen, es ist einer der schönsten auf der Insel.«

  Als sie den Strand erwähnte, strahlte Bella. »Das wäre der Hammer.«

  »Es ist eine echt gute Idee«, nickte Lyall in meine Richtung, aber die ernste Miene blieb. »Wahrscheinlich hätte ich darauf kommen sollen.« Ich erwiderte nichts, sondern sah weg, und er nahm das zum Anlass, den aktuellen Plan auf dem Monitor hinter sich aufzurufen. »Okay, das Wochenende ist frei. Aber vorher gibt es noch einiges zu tun …«

  Als endlich Samstag war, tat mir alles weh. Ich war es zwar gewohnt, körperlich zu arbeiten, aber nachdem Wilbur, Theodoras »Meister der Fliesen«, herausgefunden hatte, dass ich echt gut verfugen konnte, hatte er mich zu seinem persönlichen Lakaien auserkoren. Und so kniete oder hockte ich tagein, tagaus auf Badezimmerfliesen und meine Knochen fühlten sich längst an, als wäre ich eine uralte Frau.

  Am Morgen hatte ich mich noch um die Zierleisten im Speisesaal gekümmert, weil dort sowohl Tapete als auch Boden bereits fertig waren und nächste Woche das Mobiliar kommen sollte. Dann war ich schnell duschen gegangen und hatte mich umgezogen – zum ersten Mal seit Langem normale Kleidung, keine Arbeitssachen, die einen Haufen Flecken hatten und eigentlich immer staubig oder verschwitzt waren. Es fühlte sich gut an, in ein ärmelloses Top, schwarze Shorts und Sandalen zu schlüpfen. Fast wie Urlaub. Denn obwohl wir uns an einem Urlaubsort befanden, war alles außer der Aussicht doch wie jeder andere Job auch.

  Ich trat aus dem Zimmer und stockte, als mein Fuß gegen etwas Hartes stieß. Irritiert sah ich nach unten und entdeckte ein flaches Päckchen, das auf der Matte vor der Tür lag. Was ist das denn?

  Verwundert nahm ich es hoch und entfernte das Papier. Zum Vorschein kam ein Skizzenbuch – in graues Leinen gebunden und mit dicken, schweren Seiten, eindeutig von der hochpreisigen Sorte und sehr viel edler als mein letztes. Woher kam das? Ich drehte es um, öffnete den Deckel, schüttelte die Umverpackung aus, aber es gab keine Karte oder einen anderen Hinweis, wer mir dieses Geschenk gemacht hatte. Vielleicht Theodora? Ich hatte erwähnt, dass mein Buch voll war, bevor sie nach Dubai abgereist war.

  »Clea?«, fragte ich kurz darauf die zukünftige Chefin des Hotels. Sie war dabei, in dem improvisierten Büro neben der Lobby Unterlagen zu sortieren. »Weißt du, wo das hier herkommt? Es lag vor meinem Zimmer.« Ich hielt das Skizzenbuch hoch.

  »Nein, keine Ahnung. Ich dachte, bis Weihnachten dauert es noch eine Weile.« Sie grinste. »Zeig mal her.«

  Ich reichte es ihr über den Tisch und sie drehte es in ihrer Hand, bevor sie die letzte Seite aufschlug. »Sieht so aus, als wäre es aus dem hübschen Papeterie-Geschäft in Korfu-Stadt. Die machen ihre Sachen zum größten Teil selbst. Hier, siehst du? Das ist deren Logo.«

  Ich sah das verschlungene M, aber das erklärte es trotzdem noch nicht. »Hast du mitbekommen, dass es jemand hier abgegeben hat?« Theodora hätte das Buch schließlich nur per Kurier herbringen lassen können.

  Sie schüttelte den Kopf. »Nein, wer immer es dir geschenkt hat, muss es selbst vor deiner Tür abgelegt haben. Aber offenbar war da jemand sehr großzügig. Der Laden ist alles andere als billig.«

  Ich nickte und nahm mein Geschenk wieder an mich, während sich mir ein Gedanke aufdrängte, der nur logisch war: Was, wenn Lyall es dir geschenkt hat? Nein, das würde er nicht tun. Warum sollte er auch, seit unserem Gespräch in der Nacht hatte er ebenso viel Abstand gehalten wie ich. Aber wer außer ihm hätte mir das Skizzenbuch kaufen sollen? Einer meiner Kollegen wohl kaum.

  Ich riss mich aus meinen Grübeleien und vertrieb die nervöse Aufregung, die sie mir beschert hatten. Erst musste ich herausfinden, ob es überhaupt von ihm kam. Dann konnte ich überlegen, wie ich damit umgehen sollte.

  Nur war dafür gerade keine Zeit.

  »Wir fahren jetzt nach Kassiopi«, sagte ich zu Clea. »Kommst du mit?«

  »Nein, ich bleibe hier. Erstens kenne ich es längst und zweitens sind Doras Leute noch weniger in der Lage, mit ihren griechischen Kollegen zu kommunizieren, als ihr.« Clea verdrehte gutmütig die Augen. »Von daher bleibe ich lieber, bevor am Ende die falschen Armaturen in den Bädern eingebaut werden und ich endgültig einen Nervenzusammenbruch bekomme.«

  »Na, dann viel Glück mit der Meute.« Ich bat sie, das Skizzenbuch für mich zu verwahren, damit ich nicht noch einmal zum Bungalow hinunterlaufen musste, und überließ sie wieder ihren Papieren. Die anderen warteten bereits in der Lobby.

  »Gehen wir.« Martha schwenkte den Schlüssel des Kleinbusses, der zum Hotel gehörte. »Ich fahre, dass das klar ist.«

  »Moment mal.« Bella sah sich um. »Wo sind Clea und Lyall?«

  »Kommen beide nicht mit.« Elliott schulterte seinen Rucksack. »Clea kennt Kassiopi schon und Lyall will lieber arbeiten.«

  »Echt?« Martha hob eine Augenbraue. »Hey, Lyall!«, rief sie ihm zu, als er gerade oben an der Terrassentür vorbeilief, eine ganze Beuge Steinfliesen auf dem Arm. Er hört
e sie und kam herein.

  »Was gibt’s?«

  »Wieso kommst du nicht mit? Das ist doch quasi eine Teambuilding-Maßnahme.« Sie deutete auf unsere kleine Reisegruppe.

  Lyall warf mir einen schnellen Blick zu. »Ich habe zu tun«, sagte er nur. »Irgendjemand muss schließlich eure Arbeit machen, während ihr euch amüsiert.« Ein schiefes Lächeln, dann war er wieder weg. Aber dass er gelogen hatte, war ziemlich offensichtlich gewesen. Zumindest für mich.

  Die anderen schienen es ihm trotzdem abzunehmen, denn sie drängten zum Aufbruch, und ich hing meinen Gedanken nach, während wir losfuhren und ich aus dem Fenster auf die griechische Landschaft sah. Wieso bemerkte ich es jetzt, wenn Lyall log, aber nicht im letzten Sommer? Warum hatte ich ihm in Kilmore alles geglaubt? Vielleicht, weil er nur bei dieser einen Sache gelogen hat? Und ihr in dem Moment in deinem Camper so verliebt und glücklich gewesen seid, dass er das einfach nicht kaputtmachen wollte?

  Nein, das war nicht die Wahrheit. Es konnte nicht die Wahrheit sein. Verdammt. Ich würde doch jetzt nicht alles hinterfragen, nur weil Lyall einmal eine Ausrede schlecht verpackt hatte. Es machte nichts besser, wenn jemand gute Gründe hatte, um zu lügen. Eigentlich machte es das sogar schlimmer. Denn falls er wirklich so für mich empfunden hatte, hätte er mir erst recht vertrauen und alles über Ada erzählen müssen.

  »Hey, Kenzie«, rief da Martha von vorne. »Wehe, du denkst jetzt an die Arbeit, dann gibt es Ärger.«

  Ich lachte. »Habe ich nicht, keine Sorge.« Das war nicht gelogen.

  Mein Bedarf an Lügen war schließlich für die nächsten hundert Jahre gedeckt.

  17

  Lyall

  »Was, wenn wir den Pool erst machen lassen, wenn alles andere fertig ist?« Clea sah mich über den Besprechungstisch hinweg an. »Das Team, das jetzt die Bäder macht, ist doch sicher in der Lage, das Ding neu zu verspachteln.«

  »Bestimmt.« Ich verzog das Gesicht. »Aber das Problem ist nicht in erster Linie der Pool, sondern die Bar in der Mitte. Sie muss komplett abgerissen werden, und es gibt einfach keinen Betrieb, der das in den nächsten zwei Wochen macht. Und bevor das wiederum nicht erledigt ist, können die Pflasterarbeiten am Pool nicht erledigt werden, weil sie einheitlich über die ganze Fläche gehen sollen. Das kriegen wir nicht hin, wenn der Abriss erst so spät passiert.«

  Clea seufzte und strich sich die Haare zurück. »Das ist wirklich wie eine sehr komplizierte Schachpartie. Mein Vater behauptet die ganze Zeit, es wäre ein Kinderspiel gewesen, als er das Hotel damals gebaut hat. Ich glaube ihm mittlerweile kein Wort mehr.«

  Ich lachte. »Soweit ich weiß, sind diese Projekte immer ein Chaos. Aber am Ende wird doch alles irgendwie fertig. Meistens zumindest.«

  »Hoffen wir es«, sagte sie und griff hinter sich, um einen Ordner hervorzuholen. Dabei fiel mein Blick auf das Skizzenbuch, das dort auf dem Regal lag. Plötzlich fühlte sich mein Magen zehn Kilo schwerer an.

  »Wieso liegt das hier?«, fragte ich Clea. Sie folgte meinem Blick.

  »Ah, das Buch meinst du? Kenzie hat es mir zur Aufbewahrung gegeben, damit sie nicht noch einmal ins Zimmer muss. Sie wollte von mir wissen, ob ich weiß, wer es ihr geschenkt hat. Ich habe gesagt, ich hätte keine Ahnung.« Sie musterte mich. »Also ist es von dir?«

  Ich nickte. Nachdem Kenzie erwähnt hatte, dass ihr Buch voll war, war ich bei meiner Besorgungstour vor zwei Tagen in Korfu-Stadt zufällig an diesem Laden vorbeigekommen und hatte es ihr spontan gekauft. Danach war mir allerdings aufgefallen, dass ich es ihr auf keinen Fall persönlich geben konnte. Deswegen hatte ich es ohne Hinweis vor ihre Tür gelegt.

  »Warum hast du es ihr nicht selbst gebracht?«, fragte Clea. »Ich habe gemerkt, wie sie sich darüber gefreut hat.«

  Ich zog die Schultern hoch. »Sie hätte sich nicht gefreut, wenn sie gewusst hätte, dass es von mir ist. Wir … haben eine komplizierte Vergangenheit miteinander.«

  »Ach, echt?«, fragte Clea trocken. »Wäre mir nie aufgefallen.«

  Ich grinste schief. »So offensichtlich, ja?«

  »Nein, nicht so sehr. Ihr seid ganz gut darin, es zu verstecken. Aber ich habe zwei kleinere Geschwister und sämtliche Dramen mit ihnen mitgemacht. Da merkt man so etwas eher.« Sie sah mich an. »Was ist denn passiert?«

  Hilflos zuckte ich mit den Achseln. »Ich habe ihr bei einer wichtigen Sache nicht die Wahrheit gesagt und sie hat es herausgefunden. Und jetzt hat sie eine dementsprechende Meinung von mir.«

  Clea nickte. »Verstehe. Der Klassiker. Aber weißt du, die Griechen haben ein Sprichwort: Das Schwierige ist schön .«

  »Was soll das bedeuten?«

  »Ich habe es immer so interpretiert, dass man nicht gleich aufgeben soll, wenn es mal anstrengend wird. Meistens sind die Dinge, die wirklich kompliziert sind, auch die, aus denen das Beste werden kann.«

  Ihre Worte klangen gut – für einen Motivationspost auf Instagram oder so etwas. Nur war das zwischen Kenzie und mir keine kleine Streitigkeit, die man aus dem Weg räumen konnte. Also schüttelte ich bedauernd den Kopf. »Nicht bei dieser Sache.«

  »Wer weiß.« Sie nahm das Skizzenbuch und hielt es mir hin. »Gib es ihr selbst, und du wirst sehen, sie freut sich. Vertrau mir.«

  »Nein, lieber nicht. Das wird nur unangenehm für uns beide.« Ich stand auf. »Ich glaube, ich gehe mal schwimmen.« Das half mir schließlich immer, meinen Kopf freizukriegen. Außerdem konnten wir heute eh nicht mehr viel tun, weil das zusätzliche Material erst am Montag kam. Später würde ich mit meiner Mutter telefonieren und dann einen meiner Kommilitonen noch um Unterlagen wegen der Denkmal-Klausur bitten müssen. Immerhin hatte ich so kaum Gelegenheit, über Kenzie nachzudenken. Denn jedes Mal, wenn ich an sie dachte, war es, als würde jemand gleichzeitig meinen Körper auf hundert Grad aufheizen und mit eiserner Kraft zusammendrücken. Weil ich, weil alles in mir sie wollte – und ich wusste, ich musste das in Schach halten. Nicht nur, weil ich sie angelogen hatte und sie mir das nicht verzeihen würde. Sondern auch, weil ich einfach nicht gut für sie war.

  Mein Bungalow lag ganz am Rande der Anlage und der Weg von dort zum Meer führte an dem langsam vor sich hinrottenden Tennisplatz vorbei. Es war noch nicht entschieden, ob er einfach abgerissen oder erneuert werden sollte – Tennis war in den letzten Jahren in der Hitliste der beliebtesten Sportarten dramatisch nach unten gerutscht. Ich lief den Pfad hinunter zum Wasser, zog meine Klamotten bis auf die Badehose aus und ging dann ins Meer. Es war das erste Mal, dass ich dazu die Gelegenheit hatte, seit ich hier war, und das Schwimmen hatte den gleichen Effekt wie eine Woche Wellnessbehandlungen. Als ich nach einer Stunde wieder herauskam, das Meerwasser aus den Haaren schüttelte und mich abtrocknete, fühlte ich mich entspannt und auf die beste Art erschöpft.

  Zumindest, bis ich diese Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm.

  Ich fuhr herum und scannte die Umgebung. Niemand war da. Aber das Gefühl blieb. Der Strand war mit einer Baumreihe gesäumt, dahinter gab es viele Büsche, es wäre leicht gewesen, sich hier zu verstecken. Also zog ich mir mein Shirt über, schlüpfte in meine Schuhe und lief die Wasserlinie in Richtung Grundstücksgrenze entlang. Die Handwerker waren nie hier unten und die Gartencrew momentan am Haupthaus beschäftigt, wenn jemand also hier herumlief, dann durfte er demnach nicht hier sein. Die Hotelanlage war nämlich durch einen Zaun geschützt, auf dem man in regelmäßigen Abständen »Privatbesitz«-Schilder angebracht hatte.

  Die Wege waren von hohem Gestrüpp überwuchert und mehr als einmal blieb ich mit den Ärmeln und dem Saum meines Shirts daran hängen. Trotzdem drehte ich nicht um, denn mein Instinkt sagte mir, dass nicht allein meine Paranoia mich die Treppen hinaufschickte. Sicher, dass du dir das nicht eingebildet hast? Du schläfst schließlich schon seit Monaten beschissen.

  Ich ignorierte die Stimme, ging weiter, lief schneller. Dann hörte ich ein Rascheln vor mir, legte noch einmal an Tempo zu – und da sah ich ihn, einen Typen mit Kapuzenpullover. Er war ein paar Meter vor mir und steuerte auf direktem Weg den Zaun an.

  »Hey!«, rief ich laut.

  Der Typ fuhr erschrocken zusammen, aber dann beschleunigte er und
versuchte, sich durch ein Loch im Zaun zu quetschen. Ich war schneller. Mit drei Schritten war ich bei ihm, packte ihn mit festem Griff und riss ihn ruckartig zu Boden. Mit einem dumpfen Aufschlag landete er im Dreck und die Kapuze rutschte ihm vom Kopf. Er war jung, kaum älter als ich, mit hellen Haaren und einem kantigen Gesicht, eindeutig kein Grieche, eher jemand aus Osteuropa. Ich hatte meinen Verfolger in Chicago nicht richtig gesehen und wusste nicht genau, ob es derselbe Kerl war.

  »Was machst du hier?«, schnauzte ich ihn an. »Was willst du von mir?!«

  »Von dir?« Er rappelte sich auf. »Gar nichts!«

  »Lüg mich nicht an!« Ich packte ihn am Pullover und drückte ihn grob gegen den Zaun. »Wer hat dich hergeschickt?«

  Er machte sich blitzschnell los und holte aus, traf mich direkt am Unterkiefer. Der Schmerz blendete für den Bruchteil einer Sekunde alles aus, dann reagierte ich. Mein Treffer landete an seiner Schläfe, aber das hielt ihn nicht davon ab, sich auf mich zu stürzen. Er riss mich zu Boden, nagelte mich unter sich fest und schlug mir erneut ins Gesicht. Ich kämpfte mich mit einem kräftigen Tritt frei und sprang wieder auf die Füße, genau wie er. Seinen nächsten Hieb lenkte ich ab, stieß ihn heftig gegen den Zaun. Er prallte ab und fiel bäuchlings hin. Blitzschnell war ich über ihm, verdrehte ihm die Arme auf den Rücken und drückte ihm mein Knie zwischen die Schulterblätter. Er wehrte sich verzweifelt, aber aus dieser Position hatte er keine Chance.

  »Zum letzten Mal – wieso beschattest du mich?«, knurrte ich ihn an.

  »Ich beschatte dich nicht!« Es folgte ein Fluch, den ich nicht verstand.

  »Wieso bist du dann hier? Um einen kleinen Spaziergang zu machen?« Ich verstärkte den Druck meines Knies, bis mein Gegner vor Schmerzen aufstöhnte. »Los! Rede! Wer schickt dich?«

  »Nel… Nelson Davidge«, stieß er aus und der Sand vor ihm staubte. »Ich sollte herausfinden, wie weit ihr hier seid. Dich kenne ich überhaupt nicht!«

  Ich überlegte, ob es sinnvoll war, die Polizei zu rufen. Eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch war auf jeden Fall drin. Aber was brachte das schon? Typen wie Davidge waren wie Seife: schmierig und rutschten einem immer durch die Finger. Selbst wenn sein Handlanger zu einer Strafe verurteilt wurde, nützte uns das nichts. Und wenn ich ehrlich sein sollte: Ich war erleichtert, dass der Typ nicht hinter mir her war.

 

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