Book Read Free

Don't HATE me (Die Don't Love Me-Reihe 2) (German Edition)

Page 35

by Kiefer, Lena


  »Hast du schon mal gemodelt?«, fragte er mich.

  »Nein, noch nie«, antwortete ich.

  »Ich schon. Es ist ätzend. Man muss sich an den Haaren ziehen lassen, irgendwelche bescheuerten Klamotten tragen und dann in den blödsinnigsten Posen stillhalten. Ich habe keinen Bock darauf. Und du auch nicht, glaub mir.«

  Theodora kam wieder herein und wedelte energisch mit der Hand. »Kinder, kommt schon. Jean ist gleich da und die Uhr läuft.«

  Lyall schaute mich an, als wollte er mich an meinen Einsatz erinnern.

  »Dora, hör mal«, sagte ich schnell. »Das ist nichts für mich, glaube ich. Ich habe so was noch nie gemacht. Ich kann das gar nicht.«

  »Ach was, dafür brauchst du keine Erfahrung, du musst nur du selbst sein.« Sie schüttelte den Kopf. »Außerdem hast du fantastische Haut und dann deine Haare … zusammen mit dem dunklen Ton von Lyalls wird das umwerfend aussehen. Also bitte, Herrschaften, einmal ins Fitting.«

  Der energische Ton war eindeutig, also versuchte ich nicht ein weiteres Mal, sie zu überzeugen. Lyall seufzte nur tief und machte dann ein Gesicht, als hätte er sich mit seinem Schicksal abgefunden – und als wäre es nicht das erste Mal, dass so etwas passierte.

  Wir zogen uns eilig an, dann gingen wir ins Haupthaus und lernten Stylistin Jean kennen, die unser beider Haare in geordnete Unordnung brachte und mir ein dezentes Make-up verpasste. Anschließend bekamen wir unsere Klamotten – dunkle Boxershorts für Lyall, die so aussahen wie die, die er eh immer trug, und ein tiefblaues Negligé aus Seide für mich, das wie nichts aussah, das ich jemals in meinem Leben getragen hatte. Aber es war nicht zu tief ausgeschnitten und fühlte sich gut auf der Haut an, deswegen fragte ich nicht nach etwas anderem.

  Als wir in Bademäntel gehüllt zurück in die Villa kamen, schwirrte mir immer noch der Kopf davon, wie ich innerhalb von einer halben Stunde als Model verpflichtet worden war. Aber Zeit, um darüber nachzudenken, bekam ich nicht. Denn längst war der Fotograf mit seiner Crew vor Ort und prüfte das Licht.

  Im Raum hatte jemand Ordnung gemacht, von unserer Nacht war nichts mehr zu sehen. Mir war es unangenehm, dass fremde Leute für uns aufgeräumt hatten, wo das doch eigentlich unser Job gewesen wäre.

  »Okay, ihr seid da, gut.« Der Fotograf, der original so aussah, wie man sich jemanden vorstellte, der den ganzen Tag schöne Dinge ablichtete – stylishes Dandy-Outfit mit passender Frisur – stellte sich als Randy vor und sagte mir, dass er schon seit Jahren mit Theodora zusammenarbeitete. Lyall schien ihn zu kennen, denn als er dazukam, fiel Randys Begrüßung sehr viel weniger förmlich aus. Er war geradezu aus dem Häuschen, Lyall zu sehen. Der hingegen behielt das gesamte Gespräch über einen Gesichtsausdruck bei, als hätte er in eine Zitrone gebissen.

  »Habt ihr eine gemeinsame Vergangenheit?«, fragte ich belustigt, als der Fotograf sich entfernte, um seine beiden Assistenten zu instruieren.

  »Sozusagen«, knurrte Lyall. »Es ist ungefähr zehn Jahre her, da hat Mum uns schon einmal zu so einem Schwachsinn überredet, Edina und mich. Wir sollten für die alljährliche Weihnachtskarte der Henderson Group einen Baum schmücken, Edie als Engel, ich als Elf. Nur dass Randy der Ansicht war, zwei Engel wären doch viel besser, und mich ebenfalls in so ein komisches bauschiges Spitzending und eine blonde Lockenperücke gesteckt hat. Weil mein Gesicht ja so entzückend wäre.«

  »Aww, armer Lyall.« Ich legte einen Arm um ihn und verkniff mir ein Lachen. »Da hat doch tatsächlich jemand festgestellt, wie gut er aussieht. Was für ein Schock.«

  Lyalls Augen verengten sich stark, aber in seinen Mundwinkeln zuckte es. »Verarsch mich noch eine Weile, Miss Bennet, und wir beide werden eine ganz andere Unterhaltung führen.«

  Ich legte den zweiten Arm um ihn. »Du meinst, so eine wie letzte Nacht?«, fragte ich so unschuldig wie möglich. »Dann bin ich einverstanden.«

  Seine Hand fuhr über das Revers meines Bademantels zu dem Band, das in meiner Taille zur Schleife gebunden war, als würde er darüber nachdenken, wie wir schnell hier raus- und irgendwo anders hinkamen, um ungestört zu sein. Aber Randy und Theodora machten uns einen Strich durch die Rechnung.

  »Wir fangen im Bett an«, verkündete der Fotograf. »Ich hätte euch gerne ganz natürlich, als würdet ihr morgens aufwachen und glücklich verliebt in den Tag starten. Verstanden? Dann los.«

  Etwas zögernd, weil so viele Leute da waren, zogen wir die Bademäntel aus und stiegen in das Bett, das wir in der letzten Nacht extra gemieden hatten. Ich legte meinen sorgsam durcheinandergebrachten Kopf auf eines der strahlend weißen Kissen. Lyall positionierte sich halb über mir und stützte sich auf einem Arm ab, die andere Hand an meiner Hüfte.

  »Die Hand jetzt bitte etwas höher, oberhalb der Taille. Nein, noch höher.«

  Lyall sah zum Fotografen und verengte seine dunklen Augen. »Niemand würde in der Realität seine Hand dort hinlegen.«

  »Wir sind nicht in der Realität«, wedelte Randy sein Argument weg. »Und wir wollen doch nicht, dass Eltern ihren Kindern die Augen zuhalten müssen, wenn sie sich die Website anschauen, oder?«

  »Da hättet ihr gestern Abend vorbeikommen müssen«, knurrte Lyall so leise, dass nur ich es hören konnte. Ich hoffte, dass die Hitze, die bei der Erinnerung in mir aufstieg, es nicht bis in mein Gesicht schaffte.

  »Bitte noch etwas höher. An Kenzies Seite.«

  Lyall gab sich geschlagen und legte die Hand dorthin, wo er sollte. Ich spürte seinen Körper an meinem und lächelte, als er zu mir heruntersah. »Gibt Schlimmeres, oder?«, fragte ich leise. Wenn ich ehrlich war, gefiel mir dieses Shooting besser als gedacht.

  »Nein, gibt es nicht«, widersprach er. »Neben dir zu liegen und nur so zu tun , als würden wir uns gleich die Klamotten vom Leib reißen, ist pure Folter. Vor allem, wenn du das da trägst.« Er fuhr über die blaue Seide.

  »Wir können die ganze Truppe ja kurz wegschicken«, raunte ich in sein Ohr und spürte an der Stelle, wo unsere Hüften sich berührten, dass meine Worte nicht ohne Folge blieben. Kaum sichtbar bewegte ich mein Becken. »Oder auch etwas länger.«

  »Gott, bitte bring mich nicht um«, stöhnte Lyall, und ich musste lachen. Schnell drückte ich ihm einen Kuss auf die Lippen und hörte die Kamera klicken. Und wieder. Und wieder.

  Doch. Der Job war echt okay.

  Einige Stunden später hatten wir nicht nur zusammen im Bett gelegen, sondern waren auch im Pool geschwommen – deutlich harmloser als gestern – und hatten in modern-lässigen Outfits, wie Theodora es nannte, auf dem Sofa gesessen, um verzückt die Aussicht zu genießen. Als Randy verkündete, dass er alles in der Villa im Kasten hatte, atmeten Lyall und ich erleichtert auf.

  »Gut, dann fehlt nur noch das Hochzeits-Setting«, sagte Theodora.

  »Das … was?«, hustete ich.

  »Na, ich habe vor, hier auch Hochzeiten zu veranstalten.« Sie sah über den Monitor, auf dem sie die Fotos begutachten konnte, hinweg zu uns. »Also brauche ich euch, um das für Interessenten zu visualisieren. Das Kleid dürfte etwas zu lang für dich sein, Kenzie, aber gerade barfuß am Strand sieht das nur noch romantischer aus. Bitte geht und zieht euch um, in Ordnung?«

  Da ich Lyalls Widerwillen gegenüber dem Shooting mittlerweile gut verstand, hätte ich gern abgewinkt. Ich wusste jedoch, dass es sinnlos war, daher fügte ich mich der Bitte ebenso schicksalsergeben wie er.

  »Und, macht es immer noch Spaß?«, neckte er mich auf dem Weg ins Haupthaus.

  »Sei bloß still«, maulte ich. Mir tat jeder Muskel weh von den unmöglichen Posen, die Randy verlangt hatte, die aber dummerweise auf den Bildern total natürlich rüberkamen.

  Lyall fing mich ein und drückte mir einen Kuss auf die Haare. »Okay. Du darfst dir dein Du hattest recht für später aufheben.«

  »Wie großzügig, Euer Gnaden«, grinste ich.

  »Ja, so bin ich.«

  In ihrem improvisierten Umkleideraum flocht Jean mir einen Teil meiner Haare mit einigen Blumen zu einem Kranz und steckte mich anschließend in ein weich fließendes Vintage-Kleid mit Spitze in einem zarten Elfenbeinton. Ich hatte noch nie ein Hochzeitskleid getragen, u
nd obwohl das hier so schlicht war, dass es fast als normales Kleid durchging, klopfte mein Herz spürbar, als ich hinter dem Paravent hervortrat. Davor wartete Lyall, der eine helle Hose und ein weißes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln trug. Als ich seinen Blick sah, blieb mir die Luft weg. Er schaute mich an, vollkommen hingerissen und sprachlos, so als wäre ich tatsächlich eine Braut und er der Bräutigam am Altar. Und plötzlich war das Klopfen in meiner Brust ein heftiges Pochen, bei dem ich sicher war, man müsste es durch die zarte Spitze sehen.

  »Ich habe keine Ahnung, wie ich ausdrücken soll, was mir gerade durch den Kopf geht«, sagte er leise und lächelte. »Du siehst unglaublich aus.«

  »Danke.« Ich lächelte verlegen. »Du übrigens auch. Das Engelskostüm wäre sicherlich noch schöner gewesen, aber ich nehme, was ich kriegen kann.«

  Wir lachten beide, dann reichte Lyall mir seinen Arm und gemeinsam gingen wir hinunter zum Strand, wo bereits ein Bogen mit Blumen aufgebaut worden war und Theodora offenbar Wilbur als Pfarrer engagiert hatte, der in entsprechender Montur und mit brav gescheiteltem Haar nicht mehr nach dem verrückten Meister der Fliesen aussah, sondern erschreckend seriös.

  Lyall und ich mussten vor dem Bogen das glückliche, zu trauende Paar spielen, was viel einfacher war, nachdem die anfängliche Befangenheit wegen des Settings erst einmal verflogen war. Randy fotografierte uns aus allen Winkeln und mit wachsender Begeisterung, während wir so taten, als würden wir Gelübde sprechen, über einen Witz lachen oder uns nach den erlösenden Worten des Pfarrers endlich küssen – was wir mehr als einmal wiederholen mussten.

  Aber mitten im zwanzigsten Kuss für die Kamera ertönte plötzlich eine herrische Stimme.

  »Ich wusste gar nicht, dass jemand aus dieser Familie heiratet. Ist meine Einladung verloren gegangen?«

  Wir alle fuhren herum – und erstarrten, als wir sahen, zu wem die Stimme gehörte.

  Auf dem Weg, der zum Strand führte, direkt an der Kante, bevor der Sand begann, stand Agatha Henderson. Groß, herrschaftlich, genau wie ich sie von Fotos und aus der Ferne bei der Eröffnung des Grand in Erinnerung hatte. Sie wirkte in ihrer hochgeschlossenen Kleidung wie eine Statue, die ein unfähiger Innendesigner vollkommen falsch für diese Szenerie ausgewählt hatte.

  Theodora war die Erste, die sich wieder regte. »Mutter, was für eine Überraschung.« Sie verließ unser Set und ging durch den Sand auf Agatha Henderson zu. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du kommen würdest?«

  »Weil ich mir ein unvoreingenommenes Bild von deinem Projekt machen wollte. Wenn ich mich angekündigt hätte, wäre das wohl kaum möglich gewesen.« Sie warf Lyall einen messerscharfen Blick zu. »Also, was ist das hier für eine Veranstaltung?«

  An Lyalls Kieferknochen traten die Muskeln hervor. Ich verstärkte den Griff meiner Finger um seine, weil ich wusste, wie sehr er seine Großmutter verabscheute. Aber im nächsten Moment ließ er mich los.

  »Das ist nur ein Fotoshooting für die Werbung«, sagte Theodora, und ihr Lachen klang ein bisschen schrill. »Kenzie und Lyall waren so nett, als Modelle zu dienen.«

  »Wie interessant.« Jetzt traf der prüfende Blick mich und ich fühlte mich an ihre Enkelin Fiona erinnert. Es war die gleiche Herablassung, mit der sie mich immer bedachte hatte. Aber dann sah ich Erkenntnis in Agatha Hendersons Augen. »Moment, Kenzie? Etwa Kenzie Stayton? Aus Kilmore?«

  Verdammt, sie schien ein wirklich gutes Gedächtnis zu haben. Wie sonst konnte sie sich daran erinnern, dass Lyall und ich bereits im letzten Sommer miteinander zu tun gehabt hatten? »Ich stamme nicht aus Kilmore, Mrs Henderson«, beeilte ich mich zu sagen. »Ich war nur für ein Praktikum dort.«

  Sie fixierte mich eisern. »Und nun sind Sie nur für ein Praktikum hier? Oder eher, um mit meinem Enkel Hochzeit zu spielen?«

  Theodora sah ebenfalls zu mir. »Kenzie ist eine sehr talentierte junge Innendesignerin, Mutter. Ich habe sie persönlich hierher eingeladen, um mir bei dem Projekt zu helfen.«

  Ich hatte Theodora noch nie so gehört. Sie klang trotz des Kompliments an mich beinahe unterwürfig, so als wollte sie meine Anwesenheit rechtfertigen. Es löste in mir das Gefühl aus, als wäre es nicht in Ordnung, dass ich hier war. Als wäre ich ein Ärgernis, das man vor Agatha Henderson entschuldigen musste. Plötzlich fühlte ich mich unwohl.

  Aber im nächsten Moment schob Lyall seine Finger wieder zwischen meine, und sein Lächeln verschwand, als er von mir zu seiner Großmutter sah.

  »Kenzie und ich sind seit zwei Wochen zusammen«, sagte er, und jedes dieser Worte kam so deutlich aus seinem Mund, als wollte er ihnen besonderes Gewicht verleihen. »Es ist nicht nötig, so zu tun, als wären wir nur zum Arbeiten hier.«

  »Ach ja?« Agatha Henderson verengte die Augen. »Und warum sagst du mir das? Du informierst mich doch sonst nicht über deine wechselnden Bekanntschaften, die nur demonstrieren, wie wenig auf dein Gespür für Klasse und den richtigen Umgang zu geben ist.« Sie ließ den Blick an mir herunter- und wieder hochgleiten, und mir blieb die Luft weg, weil es nicht abfälliger hätte sein können, wie sie mich ansah.

  Lyalls Griff um meine Hand wurde etwas fester.

  »Weil Kenzie keine wechselnde Bekanntschaft ist«, sagte er hart. »Geschweige denn alles andere, was du über sie denkst.«

  Seine Großmutter schnaubte. »Ich bitte dich, Lyall. Was sollte sie denn wohl sonst sein als ein halbwegs passabler Zeitvertreib?«

  Ich war immer noch starr vor so viel Boshaftigkeit.

  Lyall holte Luft. »Sie ist die Frau, mit der ich zusammen sein will. Für immer, sofern sie mich lässt.«

  Mir wurde warm bei seinen Worten, aber es hielt nicht lange vor. Denn der Blick seiner Großmutter war nun so wachsam, als befände sie sich mitten unter Feinden. »Heißt das, du willst eine offizielle Anfrage an den Rat stellen?«, fragte sie Lyall in strengem Ton.

  Eine offizielle Anfrage? Überrascht schaute ich ihn an. Ich dachte, dass das nur nötig wäre, wenn man plante, zu heiraten. Und dass es erst nach Jahren Thema sein würde, nicht nach Wochen. Nicht jetzt .

  »Ja.« Lyall straffte die Schultern und wirkte noch ein Stück größer als sonst – und sehr viel erwachsener als ohnehin schon. »Das möchte ich.«

  Ich hörte seine Worte und augenblicklich kämpften zwei Mächte in meinem Innern um die Vorherrschaft: Liebe und Panik. Liebe, weil ich wusste, dass er längst entschieden hatte, wie viel ich ihm bedeutete. Und Panik, weil ich wusste, was hier auf dem Spiel stand. Dass alles auf dem Spiel stand.

  »Nun gut.« Agatha Henderson neigte leicht den Kopf – kein Nicken, eher die Annahme einer Kriegserklärung. Dann schaute sie mich an. »Miss Stayton? Können wir uns einen Moment allein unterhalten?«

  Ich blieb, wo ich war, Lyalls Hand immer noch in meiner. »Allein?«, fragte er seine Großmutter. »Gemäß den Regeln für diese Art von Anfrage sollte ich dabei sein.«

  »Nun, wenn du dich nicht an die Regeln hältst, mich mit angemessenem Vorlauf über deine Pläne zu informieren, muss ich das wohl auch nicht. Also, Miss Stayton, kommen Sie nun oder nicht?«

  Schnell wechselte ich einen Blick mit Lyall, aber er sah mich nur auf eine Weise an, die Deine Entscheidung zu sagen schien.

  »Ja, natürlich.« Ich nickte, obwohl ich keine Ahnung hatte, was ich hier tat.

  Als sich seine Großmutter kommentarlos in Richtung Haupthaus umdrehte und dann in Bewegung setzte, drückte Lyall mir einen eiligen, heftigen Kuss auf den Mund.

  »Alles wird gut, okay? Lass dich von ihr nicht einschüchtern.«

  »Nicht einschüchtern?«, fragte ich. »Hast du gesehen, wie sie mich angeschaut hat? Was, wenn ich es nicht hinkriege, sie von mir zu überzeugen? Wenn ich das Falsche sage, wenn ich –«

  »Du kannst nichts Falsches sagen. Sei einfach du selbst.« Er lächelte, aber ich sah, dass er ebenso angespannt war wie ich.

  »Okay.«

  Mit seinem Rat im Ohr folgte ich Agatha Henderson, die für ihr Alter und trotz der Treppen ein ordentliches Tempo vorlegte. Zum Glück schloss ich zu ihr auf, bis sie die Lobby erreicht hatte und auf einer der Sitzgruppen mit Blick auf die Bucht Platz nahm. Nur zu gerne
wäre ich das Hochzeitskleid losgeworden, bevor wir miteinander sprachen, aber ich ahnte, dass diese Bitte nicht auf Zustimmung stoßen würde.

  »Setzen Sie sich«, befahl sie, und ich tat, wie mir geheißen. »Wo bekommt man hier etwas zu trinken?« Sie sah um, als suche sie einen Kellner.

  »Wir haben noch kein Service-Personal«, klärte ich sie auf und kassierte sofort die Quittung dafür: ein missbilligendes Schnauben. Also zeigte ich in Richtung Küche. »Kann ich Ihnen etwas holen? Ich weiß, wo alles steht.« Und außerdem hatte ich dann noch dreieinhalb Minuten, um mir zu überlegen, wie ich mit dieser unerwarteten Begegnung umgehen sollte.

  »Earl Grey«, sagte Agatha. »Das Wasser 95 Grad, mit Milch, kein Zucker.«

  Schnell erhob ich mich, obwohl ich nicht wusste, ob wir überhaupt Earl Grey im Haus hatten. Da die meisten von uns den Tag über literweise Kaffee in sich hineinschütteten, war das Feld der Teetrinker rar gesät.

  »Orfeas? Haben wir irgendwo Tee?« Ich schneite in die Küche, und merkte erst dann, dass sie leer war. Vermutlich war unser Koch unterwegs, um Besorgungen zu machen. Also stellte ich den Wasserkocher an und durchforstete die Schränke auf der Suche nach Earl Grey – und wurde glücklicherweise fündig. Es war zwar nur Beuteltee, aber immerhin. Ich goss zwei Tassen auf und kehrte dann damit zurück in die Lobby. Ein Danke gab es dafür natürlich nicht, obwohl ich sogar ein kleines Tablett gefunden und die Tassen sowie Milchkännchen und ein paar Kekse ansprechend darauf drapiert hatte. Mit spitzen Fingern nahm Lyalls Großmutter den Tee und nippte daran, bevor sie angewidert schaute und die Tasse ein Stück wegschob.

  »Miss Stayton, ich bin nicht sicher, ob Ihnen bewusst ist, welche Bedeutung unsere Familie hat«, begann sie und sah mich an. »Die Hendersons sind eine globale Marke mit viel Ansehen und Einfluss. Aber wir sind nur deswegen so erfolgreich, weil wir sehr genau auswählen, wen wir in unsere Reihen aufnehmen. Und weil wir keine öffentlichen Fehltritte dulden.«

  Ich dachte an Jamie und wie herzlos sie ihn ans Messer geliefert hatte, aber ich sagte kein Wort dazu. Mir war klar, dass von diesem Gespräch viel abhing – denn ich wusste nicht, was wir tun sollten, wenn ich Agatha nicht davon überzeugen konnte, dieser Familie würdig zu sein. Schließlich hatte ich die Art von Überprüfung in weiter Ferne geglaubt.

 

‹ Prev