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Don't HATE me (Die Don't Love Me-Reihe 2) (German Edition)

Page 36

by Kiefer, Lena


  »Vor allem auf die Frauen in unserer Familie wird besonderes Augenmerk gelegt«, fuhr Agatha fort. »Seien sie nun geborene Hendersons oder eingeheiratete. Normalerweise werde ich vorab über den Wunsch einer langfristigen Bindung informiert, um Hintergrundinformationen einzuholen, aber so, wie es aussieht, sind Sie in jeder Hinsicht ein spezieller Fall. Erzählen Sie mir etwas über sich, Miss Stayton. Woher stammt Ihre Familie?«

  Ich atmete ein. »Meine Mutter wurde in Kilmore geboren und ist dort aufgewachsen, bis sie wegen ihres Berufs zu reisen begann und dann meinen Vater kennengelernt hat. Die Staytons leben seit Generationen in High Wycombe, genau wie ich seit meiner Geburt.« Ich wählte meine Worte sorgsam, obwohl es mir widerstrebte, dieser Frau schönzutun, die so schlecht von mir dachte, obwohl sie mich gar nicht kannte.

  »Sie studieren?«, fragte sie weiter.

  »Ja.« Ich nickte. »Momentan noch am örtlichen College, aber ab Herbst hoffentlich Innendesign an der University of the Arts in London.«

  »Und der Rest Ihrer Familie?«, setzte sie das Verhör fort. »Was arbeitet Ihr Vater?«

  Ich straffte die Schultern. »Er hat ein eigenes Unternehmen für den Ausbau von Campingmobilen.«

  »Campingmobile?« Agathas Augenbrauen schnellten in die Höhe. Ich ignorierte das Entsetzen auf ihrem Gesicht.

  »Richtig, Ma’am. Wir haben Kunden aus der ganzen Welt. Wenn jemand einen außergewöhnlichen Wunsch oder besondere Ansprüche hat, kommt er zu uns.« Ich war stolz auf die Firma meines Vaters, das sollte sie ruhig wissen.

  Agatha kommentierte das zunächst nicht, aber ihr Gesichtsausdruck blieb weiterhin missbilligend. Mich wunderte es nicht. Für die Herrscherin eines Multimilliarden-Hotelunternehmens war der Bau von Campingfahrzeugen vermutlich weit unter dem, was sie als anständigen Beruf bezeichnet hätte.

  »Also sind Sie wohl nicht damit vertraut, was es heißt, Teil einer Familie zu sein, die in Sachen Prestige und wirtschaftlichem Erfolg allerhöchste Ansprüche hat?«

  »Oh, doch.« Langsam meldete sich Trotz in mir. Und Wut. »Das Unternehmen meines Vaters läuft ausgesprochen gut und alle Kunden sind voll des Lobes über unsere Arbeit.«

  Agatha zuckte kaum merklich mit den Schultern und kam zum nächsten Thema.

  »Ihre Mutter ist verstorben, nicht wahr? Haben Sie Geschwister?« Kein Mitgefühl, keine Beileidsbekundung. Aber ich hatte auch nichts dergleichen erwartet.

  »Drei jüngere Schwestern.«

  »Das war sicher nicht einfach für Sie. Ohne Mutter aufzuwachsen.«

  »Mein Dad hat einen sehr guten Job gemacht«, sagte ich. »Und ich habe getan, was ich konnte, um ihm dabei zu helfen.«

  »So, haben Sie das?« Zum ersten Mal, seit sie aufgekreuzt war, sah ich einen Funken Anerkennung in dem Blick dieser strengen Frau. Aber es dauerte keine Sekunde, dann war er schon wieder verschwunden. »Kommen wir zu meinem Enkel. Sie haben Gefühle für ihn?«

  Am liebsten hätte ich ihr gesagt, dass sie das einen feuchten Dreck anging. Aber ich beherrschte mich gerade noch. »Das ist richtig«, antwortete ich.

  »Nun, ich werde Ihnen das nicht vorhalten. Mir ist bewusst, dass Lyall durchaus einnehmend sein kann. Und junge Frauen wie Sie verlieren gerne mal den Kopf, wenn jemand mit Geld und Einfluss des Weges kommt. Ich habe das oft erlebt.«

  Mein Schnauben konnte ich nicht unterdrücken. »Geld und Einfluss interessieren mich nicht, Mrs Henderson. Es geht mir nur um Lyall.«

  Sie schien mich gar nicht zu hören. »Ich möchte ehrlich zu Ihnen sein, Miss Stayton: Lyall ist seit jeher der Schwierigste seiner Generation.« Sie seufzte, was so aufgesetzt klang, dass ich wusste, ihre angebliche Sorge war nur geheuchelt. »Die Jungen sind immer schon meine Sorgenkinder gewesen, aber Finlay hat den Charme meines Sohnes geerbt und Logan die Zielstrebigkeit seiner Mutter. Lyall hingegen kommt leider ganz nach seinem Vater – er ist selbstverliebt, stur und immer der Ansicht, allein die Wahrheit zu kennen. Wir hatten bereits eine Partnerin für ihn ausgesucht, aber leider ist Lyall zu eigensinnig, um zu begreifen, wie gewinnbringend diese Verbindung für ihn wäre. Er braucht eine strenge Hand. Jemanden, der ihm klarmacht, was die richtige Spur ist. Denken Sie, dass Sie das hinkriegen?«

  »Nein, ganz bestimmt nicht«, antwortete ich ohne Zögern. Merkte sie eigentlich, was sie da redete? Wie sie über Lyall sprach, als wäre er ein Jagdhund, den es abzurichten galt?

  »Wie bitte?« Sie sah mich pikiert an.

  »Sie haben mich schon verstanden.« Ich hob das Kinn. »Ihr Enkel, Mrs Henderson, braucht einen Partner, der ihn in seinen Zielen unterstützt und ihn nicht verbiegen will. Jemanden, der gleichberechtigt an seiner Seite steht, egal was passiert. Und ihn so liebt, wie er ist. Das braucht jeder, um genau zu sein.« Ich konnte die Schärfe kaum aus meiner Stimme heraushalten. »Lyall ist ein wirklich besonderer Mensch, klug, warmherzig und liebevoll. Offenbar kennen Sie ihn nicht besonders gut, wenn Sie eine solch schlechte Meinung von ihm haben.«

  Agatha sah mich hochmütig an. »Und wie lange kennen Sie ihn, Miss Stayton? Fünf Minuten?«

  »Lange genug, um zu wissen, dass die Beschreibung selbstverliebt, stur und besserwisserisch meilenweit von dem entfernt ist, was Lyall tatsächlich ausmacht.« Natürlich hatte auch er seine Schwächen, genug davon, aber ich kannte niemanden, der sich weniger wichtig nahm als er. Oder mehr für die Menschen da war, die ihm etwas bedeuteten. Etwas, das seiner Großmutter offenbar verborgen geblieben war. Aber vielleicht übertrug sie auch ihre Enttäuschung über die gescheiterte Beziehung zwischen Ross Boyd und Theodora einfach auf ihn. Man musste keine Psychologin sein, um zu erkennen, dass der ehemalige Profi-Schwimmer ihr ein Dorn im Auge war. Und das, obwohl sie ihn selbst für ihre Tochter ausgesucht hatte.

  Agatha ließ sich von meinen deutlichen Worten jedoch nicht beirren. »Glauben Sie mir, nur weil Lyall so attraktiv ist, bedeutet das nicht, dass hinter seinem hübschen Gesicht keine Abgründe lauern. Seine Vergangenheit ist düsterer, als Sie vielleicht ahnen, und sie wird ihn vermutlich immer wieder einholen.« Sie holte Luft. »Sie sind nicht mit unserer Welt vertraut und werden sich aufgrund Ihrer Herkunft wahrscheinlich nie in ihr zurechtfinden – und wollen dann mit jemandem zusammen sein, der solche Dämonen mit sich herumträgt? Glauben Sie ernsthaft, dass Sie dem gewachsen sind?«

  Ich lächelte warm, aber es galt nicht ihr.

  »Ja, das bin ich.«

  43

  Lyall

  Während Kenzie mit meiner Großmutter redete, lief ich auf der Terrasse Rillen in die Fliesen und spielte hundertmal mit dem Gedanken, einfach zu ihnen zu gehen, bis ein Klingeln auf dem Handy mich unterbrach. Es war Finlay.

  »Hey, Mann«, begrüßte ich meinen Cousin.

  »Hey, Lye.« Er klang ernst. »Hast du eine Minute?«

  »Auch zwei.« Ich zögerte, ihm von meiner Anfrage an den Rat zu erzählen, denn sein Tonfall sagte mir, er hatte etwas genauso Wichtiges zu sagen wie das. »Ist alles in Ordnung bei dir?«

  »Ja, es geht nicht um mich. Sondern um den Brand.« Finlay holte Luft. »Du weißt doch, dass die Polizei meinte, sie hätten zwar einen Fingerabdruck an dem geschmolzenen Kanister gefunden, in dem der Brandbeschleuniger war – aber dass er nicht im System wäre?«

  Ich runzelte die Stirn. »Klar. Sie meinten, sie hätten keine Beweise, und wenn der Täter nicht zufällig wegen etwas anderem aufgegriffen würde, müssten sie die Ermittlungen wohl einstellen.«

  »Richtig. Und er wurde nicht aufgegriffen, nicht in Griechenland oder Europa zumindest. Aber ich habe meine Kontakte in den USA gebeten, den Abdruck von den Griechen anzufragen, ihn durch ihr System zu jagen und die Augen offen zu halten. War nur so ein Gefühl, dass dabei vielleicht was rauskommen könnte. Und nun rate mal, wer vor drei Tagen in Detroit wegen eines Einbruchs verhaftet wurde?« Finlay machte eine Kunstpause. »Unser Brandstifter.«

  »Krass!«, stieß ich aus. »Wer ist es? Hat er was mit Davidge zu tun?« Wenn wir den alten Sack dafür drankriegen würden, wäre das noch besser als nur seine Baustelle zu schließen.

  »Der Typ heißt Mikhail Irgendwas und stammt aus Osteuropa.« Finlay wirkte nicht so euphorisch
wie ich, und ich ahnte, da war noch mehr. »Es gibt keinerlei Verbindung zu Davidge. Aber zu jemand anderem.«

  »Zu wem?«, fragte ich ungeduldig. Musste er immer einen halben Krimi aus simplen Informationen machen?

  »Zu dir.«

  »Zu mir? Ich kenne den Kerl doch überhaupt nicht.«

  »Ich weiß. Aber ich habe mir seine Reisedaten geben lassen – und er war im März in Chicago. Genau zu der Zeit, als du von jemandem beobachtet wurdest.«

  Es brauchte einige Sekunden, um diese Tatsache zu verdauen. »Das bedeutet … derselbe Typ, der mich beschatten sollte, hat auch das Hotel angezündet?« Das ergab doch überhaupt keinen Sinn. Wieso sollte jemand, der an mich heranwollte, das Hotelprojekt meiner Mutter sabotieren? Und wenn er mir etwas hätte antun wollen, warum dann die Schuppen anzünden und nicht direkt Feuer an den Bungalows legen? »Wer hat ihn geschickt, Fin?« Sobald wir das wussten, würden wir Klarheit bekommen.

  »Weiß ich noch nicht«, stieß er aus. »Aber ich finde es heraus, verlass dich drauf. Wenn da etwas Größeres läuft, müssen wir das wissen.«

  »Danke.« Ich nickte.

  »Klar doch.« Ein Geräusch war in der Leitung zu hören. »Mich ruft jemand an, ich muss Schluss machen. Ich melde mich, wenn ich mehr weiß.« Damit legte er auf. Aber ich hatte keine Gelegenheit, länger über seine Worte nachzudenken, denn im nächsten Moment kam Kenzie auf die Terrasse – und alles andere rückte in den Hintergrund. Finlay würde sich um diese Sache kümmern und er war gut darin. Bis ich mehr wusste, war Kenzie meine Priorität.

  Während ich sie erst fest umarmte und dann zu Jean begleitete, damit sie das Kleid ausziehen konnte, erzählte sie mir die Kurzfassung des Gesprächs mit Grandma, und ich fand nichts darin, was sie in einem schlechten Licht dargestellt hätte – auch wenn meine Großmutter das garantiert anders sehen würde. Trotzdem war ich zutiefst berührt davon, wie sehr Kenzie sich für mich eingesetzt hatte. Ich machte mir jedoch keine Illusionen darüber, was Grandmas Entscheidung anging, als ich zwei Stunden später hinauf in das Büro gerufen wurde, das meine Mutter sich im dritten Stock eingerichtet hatte. Nur ging es hier nicht darum, was sie dachte, wenn die Mehrheit des Rates anders entschied. Und darauf setzte ich.

  Meine Großmutter saß hinter dem Schreibtisch, als ich hereinkam.

  »Lyall, der Rat hat eine Entscheidung getroffen.« Sie deutete auf den Stuhl vor dem Tisch. Ich hätte lieber gestanden, aber da ich heute besser auf freundlichen Enkel machte, folgte ich der Aufforderung.

  »Und?«, fragte ich.

  »Mein Gespräch mit Miss Stayton war sehr aufschlussreich«, begann meine Großmutter und legte die Hände aneinander. »Sie ist eine selbstbewusste Frau, die mit dem schweren Schicksalsschlag einer fehlenden Mutter offenbar gut umgegangen ist.« Ich konnte das aber förmlich hören. »Aber auf der anderen Seite stehen der wenig vorzeigbare Beruf ihres Vaters und ihre vorlaute, eigensinnige Art. Man könnte sagen, ihr beide seid auf die gleiche Art davon überzeugt, die alleinigen Herrscher über die Wahrheit zu sein. Außerdem ist sie viel zu verliebt in dich, um auch nur ansatzweise klarzusehen – oder dich auf die richtige Weise zu beeinflussen. Ich persönlich traue ihr nicht zu, eine Henderson in dem Sinne zu werden, wie diese Familie es braucht.«

  Wut stieg in mir hoch. »Das bedeutet?«, brachte ich mit zusammengepressten Zähnen hervor. Was Grandma von Kenzie hielt, war egal, weil der Rat gemeinsam entschied. Ich hatte es ausgerechnet – Mum, Logan und Moira hatten auf jeden Fall für Kenzie gestimmt, Fiona war also der entscheidende Faktor. Ich hatte keine Gelegenheit gehabt, sie vorher zu kontaktieren und daran zu erinnern, dass ich ein Druckmittel gegen sie in der Hand hatte: ihre Beziehung zu Isla, der Concierge des Grand . Aber Fiona war schlau genug, um zu wissen, was es bedeutete, wenn sie nicht in meinem Sinne entschied. Oder nicht?

  »Der Rat war unentschieden.« Meine Großmutter sah mich an. »Und da meine Stimme in diesem Fall entscheidet, ist dein Antrag hiermit offiziell abgelehnt.«

  Ich starrte sie an, fassungslos. Das konnte nicht wahr sein. Das konnte einfach nicht wahr sein. »Ich bringe Fiona um«, knurrte ich leise, aber Grandma hörte mich dennoch.

  »Fiona hat für Miss Stayton gestimmt«, sagte meine Großmutter. »Deine Cousine meinte, sie sei der Ansicht, dass ihr beide sehr gut zueinander passen würdet.«

  Fiona war also nicht diejenige, die mir in den Rücken gefallen war. Damit blieb nur eine andere Person übrig: Moira. Ausgerechnet Moira, die Kenzie nach Mum am besten kannte und genau wusste, was für ein wunderbarer Mensch sie war? Die Erkenntnis drohte mir den Boden unter den Füßen wegzureißen, aber ich wusste, ich war nicht am Ende. Ich hatte immer noch die Wahl.

  »Was, wenn ich auf dein Urteil pfeife?«, fragte ich und hob das Kinn. »Wenn ich trotzdem mit Kenzie zusammen sein will?« Ich kannte die Antwort, aber ich wollte sie von ihr hören.

  »Das kannst du natürlich tun.« Grandma lächelte eines ihrer überheblichen Lächeln. »Aber dann verlierst du das Anrecht auf einen Platz am Tisch. Genauso wie jede Chance auf eine Karriere in der Henderson Group . Die Entscheidung liegt ganz bei dir. Falls du dafür Bedenkzeit brauchen solltest …« Das Lächeln blieb, wandelte sich aber in die Version, die Grandma zur Schau trug, wenn sie genau wusste, dass sie gewonnen hatte. Ihr Wort war Gesetz in dieser Familie und sie hatte uns alle in der Hand. Demokratisches Prinzip hin oder her.

  Und plötzlich wurde mir klar, dass mein Plan von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen war. Dass ich diese verdammten Regeln nie ändern würde. Denn eigentlich wollte niemand außer mir tatsächlich, dass sie geändert wurden. Edina würde sich und Finlay auch dann keine Chance geben, wenn man ihnen die Erlaubnis erteilte. Logan taten die Regeln nicht sehr weh, Moira und Mum folgten ihnen, als wäre es eine beschissene Religion. Jamie war der Einzige, für den sich dieser Kampf lohnte, und er hätte niemals gewollt, dass ich mein eigenes Glück dafür aufgab. Und wenn doch einer der anderen ausbrechen wollte, um wieder Kontakt zu ihm zu haben – sie hatten alle die Möglichkeit, sich zu befreien.

  Genau wie ich.

  »Ich brauche keine Bedenkzeit«, entgegnete ich hart.

  Meine Großmutter nickte gönnerhaft. »Ja, das dachte ich mir. Gute Entscheidung, Junge. In dir steckt ja doch etwas Vernunft.«

  »Ich glaube, du hast mich nicht verstanden«, sagte ich. »Wenn die Voraussetzung für einen Platz im Rat ist, dass ich nicht mit der Frau zusammen sein darf, die ein besserer Mensch ist als ihr alle zusammen, dann verzichte ich darauf.«

  »Lyall!«, rief meine Mutter erschrocken aus. »Bist du verrückt geworden?«

  »Nein, Mum.« Ich schüttelte den Kopf. »Ihr wolltet diese Regeln, also lebt damit. Aber ich muss das nicht. Ich muss eure dämlichen Spielchen nicht spielen, wenn ich es nicht will. Und ich will nicht mehr.«

  Meine Großmutter sah mich an, und ich erkannte Wut in ihren grauen Augen, eine Wut, die ich noch nie bei ihr gesehen hatte. Mit dieser Antwort hatte sie niemals gerechnet, das wurde mir in diesem Moment klar. Sie ließ uns alle so gerne an ihren Fäden tanzen. Und nun wagte ich es, sie durchschneiden zu wollen? Das musste für sie wie ein Schlag ins Gesicht sein.

  »Du weißt hoffentlich, was das bedeutet, Lyall.« Sie schaute mich streng an, hielt ihren Zorn in Schach. »Ein Henderson, der mit einer nicht von uns gestatteten Person zusammen ist, findet in der Öffentlichkeit nicht statt.«

  »Ist mir recht.« Das ersparte mir schließlich diese ganzen affigen Empfänge, zu denen Finlay immer genötigt wurde.

  »Und du wirst nicht im Unternehmen arbeiten, nicht von uns gefördert werden. Keines der Projekte umsetzen, die du geplant hattest!« Meine Mutter sah mich flehend an. »Lye, bitte überleg dir das noch mal. Wir haben so lange darauf hingearbeitet und du bist in diesem Jahr endlich mit deinem Studium fertig. Da warten so viele großartige Chancen auf dich.«

  Ich schüttelte den Kopf. »Und was bringt mir das, Mum? Ich habe keinen Bock auf ein Leben an der Kette! Ein Leben, in dem ich immer einsam sein werde, weil ich nicht mit der Person zusammen sein darf, die ich liebe – aber dafür mit jemandem zusammen sein soll, der nicht zu mir passt. Das ist es nic
ht wert, und Kenzie ist diejenige, die mir das gezeigt hat. Ich verzichte eher auf den Job und auf den Platz am Tisch als auf sie. Das ist meine Entscheidung.«

  »Das willst du also?« Meine Großmutter schien zu wissen, dass ich es ernst meinte. »Du willst das alles für ein Mädchen aufgeben, das du nicht einmal richtig kennst?«

  Ich lächelte sie an. »Verdammte Scheiße, und wie ich das will.«

  Ohne auf eine Antwort zu warten, stand ich auf und verließ den Raum. Als ich aus der Tür trat, hatte ich eine Menge Angst, aber gleichzeitig fühlte ich mich so frei wie niemals zuvor in meinem Leben. Ich wusste, es war die richtige Entscheidung. Die einzig mögliche Entscheidung. Denn selbst wenn sie mir in ein paar Jahren unter einem Vorwand den Treuhandfonds streichen würden, ich durfte weiterhin Kontakt zu Edina, zu Finlay oder Mum haben. Und ich konnte mit Kenzie zusammen sein. Alles, worauf ich dafür verzichten musste, war mein Plan, die Regeln zu ändern. Das konnte ich verschmerzen. Sehr gut sogar.

  Jetzt musste ich es nur noch Kenzie sagen. Schnell lief ich den Gang entlang zu dem Zimmer, das wir seit zwei Wochen zusammen bewohnten, und trat in den Türrahmen. Sie stand mit dem Rücken zu mir und packte gefaltete Kleidung in ihre Tasche. Ich blieb einen Moment stehen und betrachtete sie, während mein Herz vor Zuneigung zu platzen drohte. Erst dann klopfte ich sacht an die offene Tür.

  Als sie es hörte, drehte Kenzie sich um und sah mich nicht nur fragend, sondern auch unsicher an. Ich ging zu ihr, schloss sie fest in die Arme und drückte sie an mich, bevor ich sie wieder losließ und ihr Gesicht in beide Hände nahm.

  »Wie ist es gelaufen?«, fragte sie leise.

  »Ich bin raus«, stieß ich hervor.

  »Du bist raus?« Kenzies Augen wurden groß. »Was soll das heißen?«

 

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