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Breathturn into Timestead

Page 24

by Paul Celan


  * * *

  STREU OCKER in meine Augen:

  du lebst nicht

  mehr drin,

  spar

  mit Grab-

  beigaben, spar,

  schreite die Steinreihen ab,

  auf den Händen,

  mit ihrem Traum

  streich über die

  ausgemünzte

  Schläfenbeinschuppe,

  an der

  großen

  Gabelung er-

  zähl dich dem Ocker

  dreimal, neunmal.

  * * *

  SCHWANENGEFAHR,

  Lappentaucher-

  Bedrohung,

  der Eisbewimperte mit

  Kraken-

  armen,

  du, bekrallter

  Jakuten-

  Puschkin:

  Hei, Chebeldei, Chebeldei.

  * * *

  SCHALTJAHRHUNDERTE, Schalt-

  sekunden, Schalt-

  geburten, novembernd, Schalt-

  tode,

  in Wabentrögen gespeichert,

  bits

  on chips,

  das Menoragedicht aus Berlin,

  (Unasyliert, un-

  archiviert, un-

  umfürsorgt? Am

  Leben?),

  Lesestationen im Spätwort,

  Sparflammenpunkte

  am Himmel,

  Kammlinien unter Beschuß,

  Gefühle, frost-

  gespindelt,

  Kaltstart –

  mit Hämoglobin.

  * * *

  QUELLPUNKTE, nachts,

  auf den Fernstrecken,

  göttergewärtig,

  deine Ausläufer, Hirnberg,

  im Herz-Du,

  von ihnen

  umschäumt.

  * * *

  TRECKSCHUTENZEIT,

  die Halbverwandelten schleppen

  an einer der Welten,

  der Enthöhte, geinnigt,

  spricht unter den Stirnen am Ufer:

  Todes quitt, Gottes

  quitt.

  * * *

  DU SEI WIE DU, immer.

  Stant up Jherosalem inde

  erheyff dich

  Auch wer das Band zerschnitt zu dir hin,

  inde wirt

  erluchtet

  knüpfte es neu, in der Gehugnis,

  Schlammbrocken schluckt ich, im Turm,

  Sprache, Finster-Lisene,

  kumi

  ori.

  * * *

  WIRK NICHT VORAUS,

  sende nicht aus,

  steh

  herein:

  durchgründet vom Nichts,

  ledig allen

  Gebets,

  feinfügig, nach

  der Vor-Schrift,

  unüberholbar,

  nehm ich dich auf,

  statt aller

  Ruhe.

  Schneepart

  I

  UNGEWASCHEN, UNBEMALT,

  In der Jenseits-

  Kaue:

  da,

  wo wir uns finden,

  Erdige, immer,

  ein

  verspätetes

  Becherwerk geht

  durch uns Zerwölkte hindurch,

  nach oben, nach unten,

  aufrührerisch

  flötets darin, mit Narren-

  beinen,

  der Flugschatten im

  irisierenden Rund

  heilt uns ein, in der Sieben-

  höhe,

  eiszeitlich nah

  steuert das Filzschwanenpaar

  durch die schwebende

  Stein-Ikone

  * * *

  DU LIEGST im großen Gelausche,

  umbuscht, umflockt.

  Geh du zur Spree, geh zur Havel,

  geh zu den Fleischerhaken,

  zu den roten Äppelstaken

  aus Schweden –

  Es kommt der Tisch mit den Gaben,

  er biegt um ein Eden –

  Der Mann ward zum Sieb, die Frau

  mußte schwimmen, die Sau,

  für sich, für keinen, für jeden –

  Der Landwehrkanal wird nicht rauschen.

  Nichts

  stockt.

  * * *

  LILA LUFT mit gelben Fensterflecken,

  der Jakobsstab überm

  Anhalter Trumm,

  Kokelstunde, noch nichts

  Interkurrierendes,

  von der

  Stehkneipe zur

  Schneekneipe.

  * * *

  BRUNNENGRÄBER im Wind:

  es wird einer die Bratsche spielen, tagabwärts, im Krug,

  es wird einer kopfstehn im Wort Genug,

  es wird einer kreuzbeinig hängen im Tor, bei der Winde.

  Dies Jahr

  rauscht nicht hinüber,

  es stürzt den Dezember zurück, den November,

  es gräbt seine Wunden um,

  es öffnet sich dir, junger

  Gräber-

  brunnen,

  Zwölfmund.

  * * *

  DAS ANGEBROCHENE JAHR

  mit dem modernen Kanten

  Wahnbrot.

  Trink

  aus meinem Mund.

  * * *

  UNLESBARKEIT dieser

  Welt. Alles doppelt.

  Die starken Uhren

  geben der Spaltstunde recht,

  heiser.

  Du, in dein Tiefstes geklemmt,

  entsteigst dir

  für immer.

  * * *

  HURIGES SONST. Und die Ewigkeit

  blutschwarz umbabelt.

  Vermurt

  von deinen lehmigen Locken

  mein Glaube.

  Zwei Finger, handfern,

  errudern den moorigen

  Schwur.

  * * *

  WAS NÄHT

  an dieser Stimme? Woran

  näht diese

  Stimme

  diesseits, jenseits?

  Die Abgründe sind

  eingeschworen auf Weiß, ihnen

  entstieg

  die Schneenadel,

  schluck sie,

  du ordnest die Welt,

  das zählt

  soviel wie neun Namen,

  auf Knien genannt,

  Tumuli, Tumuli,

  du

  hügelst hinweg, lebendig,

  komm

  in den Kuß,

  ein Flossenschlag,

  stet,

  lichtet die Buchten,

  du gehst

  vor Anker, dein Schatten

  streift dich ab im Gebüsch,

  Ankunft,

  Abkunft,

  ein Käfer erkennt dich,

  ihr steht euch

  bevor,

  Raupen

  spinnen euch ein,

  die Große

  Kugel

  gewährt euch den Durchzug,

  bald

  knüpft das Blatt seine Ader an deine,

  Funken

  müssen hindurch,

  eine Atemnot lang,

  es steht dir ein Baum zu, ein Tag,

  er entziffert die Zahl,

  ein Wort, mit all seinem Grün,

  geht in sich, verpflanzt sich,

  folg ihm

  * * *

  ICH HÖRE, DIE AXT HAT GEBLÜHT,

  ich höre, der Ort ist nicht nennbar,

  ich höre, das Brot, das ihn ansieht,

  heilt den Erhängten,

  das Brot, das ihm die Frau buk,

  ich höre, sie nennen das Leben

  die einzige Zuflucht.

  * * *

  MIT DER STIMME DER FELDMAUS

  quiekst du herauf,

  eine scharfe

  Klammer,

  beißt du dich mir durchs Hemd in die Haut,

  ein Tuch,

  gleitest du mir auf den Mund,

  mitten in meiner

  dich Schatten beschwerenden

  Rede.

  * *
*

  IN ECHSEN-

  häute, Fall-

  süchtige,

  bett ich dich, auf den Simsen,

  die Giebel-

  löcher

  schütten uns zu, mit Lichtdung.

  * * *

  SCHNEEPART, gebäumt, bis zuletzt,

  im Aufwind, vor

  den für immer entfensterten

  Hütten:

  Flachträume schirken

  übers

  geriffelte Eis;

  die Wortschatten

  heraushaun, sie klaftern

  rings um den Krampen

  im Kolk.

  * * *

  II

  DIE NACHZUSTOTTERNDE WELT,

  bei der ich zu Gast

  gewesen sein werde, ein Name,

  herabgeschwitzt von der Mauer,

  an der eine Wunde hochleckt.

  * * *

  DU MIT DER FINSTERZWILLE,

  du mit dem Stein:

  Es ist Überabend,

  ich leuchte hinter mir selbst.

  Hol mich runter,

  mach mit uns

  Ernst.

  * * *

  EINGEJÄNNERT

  in der bedornten

  Balme. (Betrink dich

  und nenn sie

  Paris.)

  Frostgesiegelt die Schulter;

  stille

  Schuttkäuze drauf;

  Buchstaben zwischen den Zehen;

  Gewißheit.

  * * *

  SCHLUDERE, Schmerz,

  schlag ihr nicht ins Gesicht,

  erpfusch dir

  die Sandknubbe im

  weißen Daneben.

  * * *

  STÜCKGUT gebacken,

  groschengroß, aus

  überständigem Licht;

  Verzweiflung hinzugeschippt,

  Streugut;

  ins Gleis gehoben die volle

  Schattenrad-Lore.

  * * *

  VON QUERAB

  komm ein, als die Nacht,

  das Notsegel

  bauscht sich,

  eingeschreint

  an Bord

  ist dein Schrei,

  du warst da, du bist unten,

  unterhalb bist du,

  ich geh, ich geh mit den Fingern

  von mir,

  dich zu sehn,

  mit den Fingern, du Untre,

  die Armstrünke wuchern,

  das Leuchtfeuer denkt

  für den ein-

  sternigen Himmel,

  mit dem Schwertkiel

  les ich dich auf.

  * * *

  HOLZGESICHTIGER,

  schlackermäuliger

  Narr überm Tretrad:

  am Ohrlappen hängt

  dir das Aug

  und hüpft

  begrünt.

  * * *

  LARGO

  Gleichsinnige du, heidegängerisch Nahe:

  über-

  sterbens-

  groß liegen

  wir beieinander, die Zeit-

  lose wimmelt

  dir unter den atmenden Lidern,

  das Amselpaar hängt

  neben uns, unter

  unsern gemeinsam droben mit-

  ziehenden weißen

  Meta-

  stasen.

  * * *

  ZUR NACHTORDNUNG Über-

  gerittener, Über-

  geschlitterter, Über-

  gewitterter,

  Un-

  besungener, Un-

  bezwungener, Un-

  umwundener, vor

  die Irrenzelte gepflanzter

  seelenbärtiger, hagel-

  äugiger Weißkies-

  stotterer.

  * * *

  MIT DEN SACKGASSEN sprechen

  vom Gegenüber,

  von seiner

  expatriierten

  Bedeutung –:

  dieses

  Brot kauen, mit

  Schreibzähnen.

  * * *

  ETWAS WIE NACHT, scharf-

  züngiger als

  gestern, als morgen;

  etwas wie einer

  Fischmäuligen Gruß

  übern Jammer-

  tresen;

  etwas Zusammengewehtes

  in Kinderfäusten;

  etwas aus meinem

  und keinerlei Stoff.

  * * *

  III

  WARUM DIESES JÄHE ZUHAUSE, mittenaus, mittenein?

  Ich kann mich, schau, in dich senken, gletschrig,

  du selbst erschlägst deine Brüder:

  eher als sie

  war ich bei dir, Geschneete.

  Wirf deine Tropen

  zum Rest:

  einer will wissen,

  warum ich bei Gott

  nicht anders war als bei dir,

  einer

  will drin ersaufen,

  zwei Bücher an Stelle der Lungen,

  einer, der sich in dich stach,

  beatmet den Stich,

  einer, er war dir der nächste,

  geht sich verloren,

  einer schmückt dein Geschlecht

  mit deinem und seinem Verrat,

  vielleicht

  war ich jeder

  * * *

  WARUM AUS DEM UNGESCHÖPFTEN,

  da’s dich erwartet, am Ende, wieder

  hinausstehn? Warum,

  Sekundengläubiger, dieser

  Wahnsold?

  Metallwuchs, Seelenwuchs, Nichtswuchs.

  Merkurius als Christ,

  ein Weisensteinchen, flußaufwärts,

  die Zeichen zuschanden-

  gedeutet,

  verkohlt, gefault, gewässert,

  unoffenbarte, gewisse

  Magnalia.

  * * *

  MAPESBURY ROAD

  Die dir zugewinkte

  Stille von hinterm

  Schritt einer Schwarzen.

  Ihr zur Seite

  die

  magnolienstündige Halbuhr

  vor einem Rot,

  das auch anderswo Sinn sucht –

  oder auch nirgends.

  Der volle

  Zeithof um

  einen Steckschuß, daneben, hirnig.

  Die scharfgehimmelten höfigen

  Schlucke Mitluft.

  Vertag dich nicht, du.

  * * *

  DER ÜBERKÜBELTE ZURUF: dein

  Gefährte, nennbar,

  neben dem abgestoßenen Buchrand:

  komm mit dem Leseschimmer,

  es ist

  die Barrikade.

  * * *

  HERVORGEDUNKELT, noch einmal,

  kommt deine Rede

  zum vorgeschatteten Blatt-Trieb

  der Buche.

  Es ist

  nichts herzumachen von euch,

  du trägst eine Fremdheit zu Lehen.

  Unendlich

  hör ich den Stein in dir stehn.

  * * *

  MIT DIR DOCKE kungeln, es kommt

  der Lumpenkarren daher-

  gejazzt, mit uns

  wills dahin,

  die gestopfte

  Trompete

  haucht uns zeitauf,

  ins härteste

  Ohr dieser Welt,

  auch so

  klemmts uns Rot-

  holzige zwischen

  Zulieb und Zuleid,

  dann,

  wenn es uns loshakt,

  sackst du mir mitten

  ins Sein.

  * * *

  AUCH DER RUNIGE wechselt die Fahrbahn:

  mitten

  im Greiftrupp

  schabt er

  sich Greifend-Gegriffenen rot,

  Mohrrübe, Schwester,

  mit deinen Schalen

  pflanz mich Moorigen los

  aus seinem

  Morgen,

  in den

  Hochkörben, beim

  abgerufenen Zündschwamm,

  hinauf-

  gestiegen ins pha
llische

  Hirntransplantat, übertagt

  der für immer geheutigte

  Wundstein.

  * * *

  DEINEM, AUCH DEINEM

  fehldurchläuteten Schatten

  gab ich die Chance,

  ihn, auch ihn

  besteinigt ich mit mir

  Gradgeschattetem, Grad-

  geläutetem – ein

  Sechsstern,

  dem du dich hinschwiegst,

  heute

  schweig dich, wohin du magst,

  Zeitunterheiligtes schleudernd,

  längst, auch ich, auf der Straße,

  tret ich, kein Herz zu empfangen,

  zu mir ins Steinig-Viele

  hinaus.

  * * *

  MAUERSPRUCH

  Entstellt – ein Engel, erneut, hört auf –

  kommt ein Gesicht zu sich selber,

  die Astral-

  waffe mit

  dem Gedächtnisschaft:

  aufmerksam grüßt sie

  ihre

  denkenden Löwen.

  * * *

 

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