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Don't LOVE me (Die Don't Love Me-Reihe 1) (German Edition)

Page 3

by Kiefer, Lena


  Wieder zeigte mein Dad dieses zufriedene Grinsen. »Im Gegenteil. Ich habe vorhin mit ihr gesprochen, und sie hat mir gesagt, dass sie einen großen Auftrag bekommen hat – die Innengestaltung eines Neubaus für das Kilmore Grand , das Hotel der Hendersons. Sie würde sich sehr freuen, wenn du kommst und ihr dabei hilfst.«

  »Hendersons?«, fragte Willa kauend. »Das ist doch diese Familie mit den Hotels auf der ganzen Welt, oder? Ist das Grand nicht der Luxus-Schuppen in Kilmore? Dieses edle Gemäuer direkt am Loch?«

  »Das Grand ist ein 5-Sterne-Hotel«, korrigierte Eleni. »Und eines der exklusivsten Häuser in ganz Europa. Hab ich mal gelesen, als ich Kilmore gegoogelt habe.« Sie konnte sich nicht an die schottische Stadt erinnern, denn sie war gerade sieben geworden, als Mum gestorben war, und wir waren vor ihrem Tod eine Weile nicht mehr in ihrer Heimat gewesen. »Das ist superschick, Kenz! Du musst da hingehen!«

  »Siehst du«, sagte mein Dad zu mir. »Deine Schwester denkt auch, dass es eine gute Idee ist.«

  Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich kann nicht über den Sommer weg.« Es klang zwar echt gut, denn auch mir sagte das Kilmore Grand etwas, und die Hotels der Hendersons waren so edel, dass ein solcher Auftrag sicherlich gut genug für eine Bewerbung an der UAL war. Aber Kilmore war knapp 500 Meilen entfernt, also sieben Stunden mit dem Auto. »Es ist zu weit weg.« Das wäre ja das Gute an dem Job bei Olsen gewesen, dass ich von London die halbe Stunde nach Hause hätte pendeln können, um mich weiterhin um alles zu kümmern.

  »Quatsch. Wir kommen auch mal zwei Monate ohne dich aus.« Dad zeigte voller Überzeugung auf meine Schwestern.

  »Ach ja?«, fragte ich. »Wer fährt Eleni durch die Gegend?«

  Mein Vater sah Willa an. »Das kann Willy machen, sie hat doch seit zwei Monaten den Führerschein.«

  Ja, und sie fährt wie ein Hamster auf Koks , dachte ich. »Und was ist mit der Essensplanung?«

  »Die mache ich«, sagte mein Vater.

  »Okay, übernimmst du dann auch das Einkaufen? Die Wäsche? Den Haushalt? Nähst Elenis Kostüm für die Aufführung? Kümmerst dich um den Garten?« Wir teilten uns zwar alles an Arbeit auf, aber wenn ich es nicht organisierte, passierte gar nichts. »Ihr werdet hier im Chaos versumpfen, wenn niemand euch auf Trab hält.«

  »Pffft.« Juliet nahm die Nase ein Stück höher. »Du tust so, als kämen wir ohne dich nicht klar.«

  Ich nickte. »Ja, weil es die Wahrheit ist.«

  »Ist es nicht. Und wir werden es dir beweisen.« Willa straffte die Schultern und meine anderen beiden Schwestern taten es ihr gleich. »Würdest du dieses Praktikum bei Paula machen, wenn es uns nicht gäbe? Sei ehrlich, Kenz.«

  Ich dachte an die Bilder vom Kilmore Grand , die ich mal gesehen hatte, als ich neugierig auf ihrer Website nachgeschaut hatte, wie viel eine Übernachtung dort kostete. An die Gemälde, die Stoffe, die Tapeten. Einen Neubau für dieses Hotel auszustatten, war fast noch besser als die Kirche in Harlow.

  »Ja«, gab ich Willa eine Antwort auf ihre Frage.

  »Und bist du bereit, uns dafür einen Sommer zu verlassen?«

  »Nein«, sagte ich genauso ehrlich. Es war ja nicht nur so, dass sie mich brauchten – meine Schwestern waren auch meine Freundinnen, und ich war es nicht gewohnt, von ihnen getrennt und allein zu sein. Drew und Paula hatte ich so lange nicht gesehen, dass sie kaum als Bekannte zählten. Und nur, weil Mum dort aufgewachsen war, bedeutete das nicht, dass Kilmore für mich so etwas wie Heimat war. Ich erinnerte mich kaum an den letzten Besuch dort, weil ich erst vier oder fünf gewesen war.

  »Komm schon, Kenzie. Wir kriegen das echt hin.« Juliet sah mich unschuldig an. Ja, sicher, weil du dann machen kannst, was du willst. Kommt gar nicht infrage.

  »Hört auf jetzt, die Diskussion ist beendet.« Ich ließ mich auch mit allen Beteuerungen nicht zu einer Zusage hinreißen, und bald darauf wechselten wir das Thema und redeten über Elenis Theaterstück. Erst beim Abwasch kamen wir zu der Kilmore-Frage zurück. Meine Schwestern waren schon im Wohnzimmer vor dem Fernseher, aber mein Vater räumte die Spülmaschine ein und ich trocknete die Pfanne ab, als er sich aufrichtete und mich musterte.

  »Ich sehe es dir an«, sagte er lächelnd, »du willst gerne dorthin. Und deswegen wirst du auch fahren.«

  »Dad, lass das. Es ist eine total blöde Idee.«

  »Warum? Worüber machst du dir Sorgen? Du bist immer noch auf der Insel, du kannst in wenigen Stunden hier sein, wenn es brennt. Und niemand von uns wird verhungern oder verwahrlosen, solange du weg bist.«

  Ich hob die Schultern. »Juliet ist zurzeit nicht einfach, und ich habe Sorge, dass sie Mist anstellt. Und Eleni fängt gerade an, sich für Jungs zu interessieren – aber Willy ist da sicher nicht die richtige Ansprechpartnerin. Und nichts gegen dich, Dad, aber du musst viel arbeiten, also kannst du das nicht übernehmen.« Ich stellte die Pfanne weg. »Alles funktioniert gut so, wie es ist. Mir macht es nichts aus, auf dieses Praktikum zu verzichten.«

  »Das weiß ich. Aber glaub nicht, dass ich nicht wüsste, was du hier jeden Tag leistest.« Er seufzte. »Du warst erst vierzehn, als deine Mutter gestorben ist, und trotzdem hast du ab diesem furchtbaren Tag mitgeholfen, deine Schwestern großzuziehen. Und du hast dich nie darüber beklagt.«

  »Doch, habe ich«, widersprach ich. »Oft sogar.«

  Er lächelte wieder. »Nicht oft genug. Ich finde, dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, wo du an dich denken darfst. Außerdem hätte es deiner Mum bestimmt gefallen, dass du den Sommer in Kilmore verbringst.« Plötzlich schien er sich an etwas zu erinnern und stand auf. »Warte mal kurz.« Er stieg die Treppe hinauf, ich hörte ihn die Luke zu unserem Dachboden öffnen und die faltbare Leiter herunterklappen. Neugierig ging ich hinterher und spähte durch die Öffnung, dann folgte ich ihm nach oben.

  »Was suchst du?«

  »Eine Schachtel. Sie war blau …« Er sah sich um und entdeckte in dem Chaos aus ausgemusterten Möbeln, unserem Weihnachtsschmuck und altem Spielzeug schließlich einen braunen Pappkarton. »Ich glaube, da ist sie drin.« Mit einem kräftigen Ziehen beförderte er den Karton aus seiner Ecke und klappte den Deckel auf. Dann hob er eine Holzschatulle heraus, so groß wie eine Schuhschachtel, bemalt mit einem leicht schielenden Monster von Loch Ness. Er stellte sie ab und hockte sich davor.

  »Ist die von Mum?«, fragte ich und kniete mich auf den staubigen Boden.

  »Das sind ihre Erinnerungen an Kilmore.« Mein Dad schluckte, als er einen Stapel vergilbter Fotos herausnahm und ihn durchsah. »Sie war zwar froh, als sie endlich reisen durfte und Schottland verlassen konnte, aber sie ist immer gerne dorthin zurückgekehrt. Sie hat gesagt, nichts hat sich für sie so sehr nach Heimat angefühlt wie diese Stadt.«

  Gemeinsam sahen wir die Bilder an, die noch aus der Teenagerzeit meiner Mutter stammen mussten – auf den meisten war sie mit Paula zu sehen, auf vielen auch mit anderen Freunden. Erinnerten sie sich an sie, so wie wir es taten? Oder hatten sie sie vergessen?

  Mir stiegen Tränen in die Augen, als ich ein Foto sah, auf dem meine Mum sich an meinen Vater schmiegte, im Hintergrund die Kühlschränke eines Supermarkts. Man sah, wie glücklich sie in dem Moment gewesen waren. Sie hatten vorgehabt, den Rest ihres Lebens miteinander zu verbringen, bis ins hohe Alter. Niemand hätte damit gerechnet, dass dieser Rest so kurz sein sollte – dass meine Mum mit nur sechsunddreißig Jahren sterben würde. Am wenigsten wohl sie selbst.

  Ich hatte am Anfang nach ihrem Tod nicht sehr oft geweint. Ich war dazu übergegangen, die Trauer still zu ertragen, für meinen Dad und meine Schwestern – bis auf eine einzige Situation, von der niemand wusste. Und mittlerweile war es meine Strategie, nicht zu viel darüber nachzudenken, denn oft genug meldete sich dann Wut, weil sie uns verlassen hatte. Und dann schämte ich mich wegen meiner Wut, die ich wegschob, bis ich weder sie noch die Trauer spürte und weitermachen konnte. Aber selten, so wie jetzt, erlaubte ich mir einen Moment, an sie zu denken und sie einfach nur zu vermissen. Weil es mir fehlte, mit ihr zu reden oder von ihr in den Arm genommen zu werden.

  Dad nahm mir das Bild aus der Hand. »Wer weiß, vielleicht würdest du sogar uner
wartet deine große Liebe finden, wenn du nach Schottland fährst. In einem Supermarkt vor den Getränken.«

  »Als würde das zweimal funktionieren«, antwortete ich und wischte mir über die Augen. »Hörst du die Statistik lachen?«

  »Na, dann nutze die Zeit eben, um nicht die große Liebe zu finden. Ich schätze, nachdem du die Jungs in den letzten zwei Jahren in Scharen davongejagt hast, wird es Zeit, dass du dir mal selbst einen Korb holst«, sagte mein Vater ungerührt. »Irgendein Schotte eignet sich bestimmt dafür.«

  Ich grinste. »Du wünschst dir eine Abfuhr für mich? Was bist du denn für ein Vater?«

  »Einer, der glaubt, dass seine Tochter sich manchmal selbst im Weg steht.« Er warf mir einen liebevollen Blick zu. »Versteh mich nicht falsch, Kenzie, ein Teil von mir wünscht sich nur zu sehr, dass du dein Leben lang mein kleines Mädchen bleibst. Aber der andere macht sich Sorgen, dass du zu hart mit dem anderen Geschlecht ins Gericht gehst. Dass du Jungs zu schnell abstempelst.«

  »Die meisten von ihnen sind Idioten.« Ich zuckte mit den Schultern und dachte an Miles, den blonden, sehr hübschen Basketballer aus meinem Jahrgang am College. Drei Monate hatte unsere Beziehung gedauert, bis ihm eingefallen war, dass mein Anhang , wie er meine Schwestern charmanterweise nannte, ihm doch ziemlich auf die Nerven ging – und er von mir gefordert hatte, ihn selbst ganz oben auf meine Prioritätenliste zu setzen. Und da war er nicht der Erste gewesen.

  Jungs in meinem Alter wollten eine Freundin, die außer ihnen und vielleicht noch dem Studium keine Verpflichtungen hatte. Die jedes Wochenende um die Häuser ziehen konnte und selbstverständlich allzeit verfügbar für Sex war. Nur war mir meine Familie immer wichtiger als irgendein Kerl. Wenn Juliet mit Grippe im Bett lag oder Eleni Hilfe bei Mathe brauchte, ging ich nicht feiern. Und daran würde sich auch nie etwas ändern.

  »Ganz sicher sind sie Idioten. Aber das heißt nicht, dass einer von ihnen nicht dein Idiot sein kann.« Mein Vater lächelte. »Ich war einer, und das hat deine Mutter nicht davon abgehalten, sich in mich zu verlieben.« Er legte die Bilder wieder in die Schachtel und schob sie mir zu. »Schätzchen, denkst du nicht, es ist an der Zeit, dass du deine Schwestern und mich mal ein bisschen uns selbst überlässt? Deine Mutter hatte früher eine Menge Spaß in Kilmore, die Leute sind wahnsinnig nett und die Natur ist geradezu gemacht für Campingausflüge.«

  »Mit wem soll ich denn dort oben Ausflüge machen? Mit diesem Typen, der im Supermarkt auf mich wartet?« Ich hob eine Augenbraue.

  »Mach dich nur darüber lustig. Du wirst schon noch irgendwann feststellen, dass es Gefühle gibt, gegen die nicht einmal du dich wehren kannst.« Mein Dad zeigte auf die Schachtel und sah mich an. »Also, was meinst du, Kenzie? Bist du bereit für ein Abenteuer?«

  Eigentlich war ich es nicht, ganz und gar nicht. Aber etwas in mir rief nach dieser Auszeit. Nach zwei Monaten nur für mich. Und möglicherweise hatte Dad recht und meine Schwestern waren mittlerweile selbstständig genug. Vielleicht kamen sie wirklich für diese Zeit ohne mich zurecht. Und falls nicht, war ich schnell wieder da.

  »Ja, könnte sein«, sagte ich und betrachtete das Monster auf der Schachtel.

  »Siehst du.« Er lächelte mich an. »Am besten rufst du Paula noch heute Abend an. Sie erwartet deinen Rückruf.«

  »Okay. Danke, Dad.« Ich umarmte ihn. »Du bist wirklich der Beste.«

  »Ich danke dir , mein Schatz«, antwortete er und drückte mich fest.

  Ich hätte beleidigt sein müssen, dass meine Familie es so eilig hatte, mich loszuwerden – denn schon eine knappe Woche später war Loki fertig gepackt für die Reise in den Norden. Paula hatte zwar ein Gästezimmer, aber mir war es lieber, ihr nicht zur Last zu fallen. Außerdem war der Camper genauso ein Zuhause für mich wie mein Zimmer in High Wycombe, und ich wusste, wenn ich in Kilmore einen Rückzugsort brauchte, dann stand er bereit. Deswegen war es keine Frage gewesen, dass ich Loki nehme, als mir klargeworden war, dass ich tatsächlich den Sommer in Schottland verbringen würde.

  Meine Schwestern standen vor dem Auto, um mich zu verabschieden. Mein Dad hatte das bereits erledigt, als er am Morgen in die Firma gefahren war. »Wenn irgendetwas ist …«, begann ich zum hundertsten Mal in der letzten halben Stunde.

  »Dann kriegen wir das hin.« Willa drückte mich noch einmal an sich und schob mich dann resolut in Richtung meines Wagens. »Und jetzt hau schon ab, bevor wir alle noch zu heulen anfangen.«

  »Halt!« Eleni zog etwas hinter ihrem Rücken hervor. »Wir haben dir was gebastelt, damit du uns immer dabeihast.« Sie gab mir einen Rahmen mit einem Bild darin. Es war ein Foto von uns fünfen, das wir am letzten Weihnachten aufgenommen hatten. »Es hat hinten einen Magnet, dann kannst du es an die Küchenzeile hängen.«

  »Danke, Leni.« Ich umarmte sie fest. »Bitte pass auf die anderen auf, okay?«

  »Okay.« Sie sah mich tapfer an, aber ich wusste, es war schwer für sie, dass ich so lange nicht da sein würde. Ich zog sie mit groß, seit sie in die Schule gekommen war, und ich war nie länger als zwei Wochen weg gewesen. »Ich bin so schnell wieder da, dass es dir wie Tage vorkommen wird. Wenn du als Elizabeth Bennet auf der Bühne stehst, sitze ich in der ersten Reihe.«

  »Wehe nicht«, sagte sie und drückte mich noch einmal.

  »Ich hoffe, du hast eine schöne Zeit da oben.« Juliet konnte besser verbergen, dass ich ihr fehlen würde. Wahrscheinlich war sie tatsächlich froh, dass ich eine Weile nicht jeden ihrer Schritte überwachte.

  »Bau keinen Mist«, gab ich ihr daher mit auf den Weg, dann riss ich mich von ihnen los und stieg ins Auto. Die Tränen kamen ungefragt, als ich Loki von seinem angestammten Parkplatz lenkte und den dreien winkte. Und ich heulte auch noch, als ich High Wycombe längst verlassen hatte und auf die M40 einbog, die in den Norden führte. Erst als ich an Birmingham vorbei war, versiegte der Strom langsam.

  Je mehr Meilen ich hinter mich brachte, desto aufgeregter wurde ich. Mir war immer noch nicht wohl bei dem Gedanken, meine Schwestern so lange sich selbst zu überlassen, aber ich spürte auch eine kribbelige Aufregung. Für mich, die eigentlich nie irgendwo allein hinging, war das hier ein Abenteuer. Fast fühlte ich mich wie meine Kommilitonen, die für ein Semester ins Ausland gingen, obwohl deren Ziele natürlich sehr viel exotischer waren als die schottischen Highlands.

  Ich machte eine ausgedehnte Mittagspause in der Nähe von Kendal und fuhr dann weiter. Am späten Nachmittag passierte ich schließlich die Grenze zwischen England und Schottland – und ab diesem Zeitpunkt regnete es Bindfäden auf meine Frontscheibe. Ich dachte an die ganzen kurzen Sachen, die hinten in den Schränken verstaut waren – die Shirts und Shorts, die leichten Kleider und die Bikinis. Natürlich wusste ich, dass es in Schottland kälter war als bei uns im Süden. Aber ich hatte trotzdem gehofft, dass der Sommer mich willkommen heißen würde. Wenn das jedoch wettertechnisch so weiterging, brauchte ich wohl nur die dicke Fleecejacke, die mein Vater mir mit einem wissenden Blick gestern Abend in die Hand gedrückt hatte.

  Genauso plötzlich, wie der Regen begonnen hatte, hörte er auch wieder auf. Das Navi zeigte noch zehn Minuten an, als ich das Schild eines Supermarktes an der Straße sah, kurzerhand den Blinker setzte und abbog. Der Campingplatz von Kilmore warb zwar mit einem kleinen Laden und Brötchenservice, aber es war garantiert günstiger, wenn ich mir vorher ein paar Dinge besorgte. Außerdem war es Carson’s – der Ort, wo sich meine Eltern kennengelernt hatten – und dort gab es sicher eine Süßigkeit, die eigentlich nur nach Zucker schmeckte, für mich allerdings ein Teil der Kindheit mit meiner Mum war. Bestimmt konnte ich mich hier damit eindecken.

  Es war recht leer in dem Laden, als ich hereinkam und den Besitzer, einen großen Mann mit schütterem Haar und kariertem Hemd, freundlich grüßte. Er kassierte gerade bei einer älteren Dame, die in Zeitlupe ihre Einkäufe auf das Band legte, und erwiderte meinen Gruß mit einem Lächeln. Schnell schnappte ich mir einen Korb und begann mit dem Streifzug durch die Lebensmittelwelt der Schotten. Ich packte einiges ein – wie Toast und Shortbread, Butter und Milch. Aber auch als ich die Regalreihen mehrfach abgelaufen war, fand ich trotzdem nicht das, we
swegen ich hergekommen war.

  »Suchst du etwas Bestimmtes?« Der Ladenbesitzer war offenbar mit der Omi fertig und rief mir über die Regale hinweg seine Frage zu.

  »Haben Sie hier Edinburgh Rock?«, rief ich zurück.

  »Aber sicher.« Er kam hinter der Kasse hervor und ging zu einem Aufsteller an der Seite, der mit der schottischen Flagge bedruckt war. »Hier haben wir alles, was typisch für unser Land ist. Aber Vorsicht, angeblich sind davon schon Zähne ausgefallen.«

  »Danke für den Hinweis«, lachte ich und legte dennoch zwei Packungen in meinen Korb.

  Er musterte mich aufmerksam. »Du kommst mir irgendwie bekannt vor. Auch wenn ich sicher bin, dass ich dich noch nie gesehen habe. Wie kann das sein?«

  »Vielleicht kannten Sie meine Mutter«, sagte ich nach kurzem Zögern. »Kaleigh Dunbar?«

  »Großer Gott, natürlich, die kleine Kaleigh!« Er strahlte. »Du siehst aus wie sie damals, nur hatte sie noch viel längere Haare. Was machst du in der Stadt? Ist deine Mutter auch hier?«

  Ich atmete ein und schluckte gegen den Kloß in meinem Hals an. »Nein, sie … sie ist gestorben. Schon vor sechs Jahren. Es war ein Unfall.«

  »Ach herrje, das tut mir furchtbar leid.« Mit tiefem Bedauern sah er mich an. »Ich habe sie nicht gesehen, seit … sie hier war, in irgendeinem Herbst vor sicher zehn Jahren, mit ihrem Mann. Sie hat gesagt, es wäre eine Tradition, dass sie bei jedem Besuch in Kilmore in meinen Laden kommen, weil sie sich hier kennengelernt haben. Aber sie hatten nicht viel Zeit, weil ihre Kinder im Wagen gewartet haben. Ich habe nur gehört, sie würde im Süden wohnen. Dass sie gestorben ist, wusste ich nicht.«

  Ich hob ungelenk die Schultern und nickte nur. Noch nie hatte ich gut damit umgehen können, wie die Leute reagierten, wenn sie von dem Tod meiner Mutter erfuhren. Man gewöhnte sich einfach nicht daran, an die hilflosen Blicke, an das Mitleid – während sie meistens keine Ahnung hatten, wie es sich tatsächlich anfühlte, jemanden so Wichtiges zu verlieren. Aber ich würde vor diesem Fremden nicht zeigen, was ich fühlte. Ich hatte gelernt, das nicht zu tun.

 

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