by Kiefer, Lena
Kenzie setzte sich ebenfalls hin, die Decke über der Brust, zwar nah bei mir, aber sie berührte mich nicht. »Ja, er hat es erwähnt.«
»Dann hat er sicher auch gesagt, dass diese Sommer für mich vor allem dazu da waren, um zu feiern und meine Freiheit zu genießen. Eton war streng, also haben Finlay und ich das Beste aus unseren Ferienwochen gemacht. Als wir jünger waren, haben wir ständig unseren Hals riskiert, später ging es dann vor allem um Alkohol und Mädchen.«
Sie nickte und ließ den Hauch eines Lächelns sehen. »Die Sache mit der Lyallitis«, sagte sie.
Ich rollte die Augen. »Richtig, so haben sie das genannt.«
»Verdrehst du die Augen, weil es nicht stimmt?«
»Nein, weil es stimmt.« Ich verzog das Gesicht. »Ich war der typische reiche Junge, der denkt, ihm gehört die Welt. Ich war nie öfter als eine Nacht mit derselben im Bett, habe keine davon nachher anständig behandelt, und es haben sich mir trotzdem alle an den Hals geworfen. Und ich war jung, dumm und fand das gut. Für mich waren das Sommer, in denen alles möglich ist und nichts was kostet.« Ich zögerte weiterzusprechen und warf Kenzie einen Blick zu.
»Was?«, fragte sie nur. »Willst du wissen, ob ich dich dafür verurteile, dass du deinen Spaß haben wolltest?«
Ich hob die Schultern. »Tust du nicht?« Frauen schrien in der Regel nicht gerade Hurra, wenn man ihnen sagte, dass man sich wild durch die Gegend geschlafen hatte.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht behaupten, dass ich die Vorstellung toll finde. Aber mal ehrlich, für uns alle gibt es diese Zeiten, wo wir mitnehmen, was geht. Okay, Typen, die weniger gut aussehen als du, versuchen wahrscheinlich, den ganzen Sommer irgendein Mädchen zu finden, das mit ihnen ins Bett geht. Aber dafür kannst du ja nichts.«
Ich musste lächeln. »Bist du nicht etwas zu nachsichtig mit mir, Miss Bennet?«
»Bestimmt. Aber ich hatte gerade Sex mit dir, Mister Darcy. Also bin ich nicht zurechnungsfähig, was das angeht.« Sie streckte grinsend die Hand aus und berührte mich am Arm, bevor sie sich wieder zurücklehnte. »Also war Ada eines dieser Mädchen?«
»Nein.« Tief holte ich Luft. »Sie war diejenige, mit der ich es tatsächlich ernst meinen wollte.«
»Dann muss sie etwas Besonderes gewesen sein«, sagte Kenzie.
»Es lag wohl eher an den Umständen. Das war der Sommer nach meinem Abschluss. Der Skandal mit Jamie lag erst ein paar Wochen zurück und schlug noch ziemliche Wellen, und Edina …« Ich stockte, weil ich es mir nicht anmaßen wollte, über diese sehr persönliche Angelegenheit meiner Schwester zu reden. »Edina hatte Probleme mit einer Sache, mir das aber verheimlicht, über ein halbes Jahr lang. Und irgendwie kam das alles raus, bevor ich nach Kilmore gefahren bin. Ich habe mich noch nie in meinem Leben so beschissen allein gefühlt wie zu der Zeit. Mum war in Asien bei einem Projekt, mit Jamie durfte ich nicht reden, Finlay musste ein Praktikum machen und Edina ist abgetaucht, nachdem sie gerade so daran vorbeigeschlittert war, das gleiche Schicksal zu erleiden wie Jamie.«
Kenzie runzelte die Stirn, als würde sie sich fragen, was das wohl für eine Story mit meiner Schwester war, aber ich redete weiter, bevor sie etwas sagen konnte.
»Und dann kam Ada. Sie war mir in den Jahren vorher zwar aufgefallen, aber ich hatte trotzdem nie näher mit ihr zu tun gehabt. Sie war sehr hübsch, an mir allerdings nie interessiert – und ich hatte immer genug Angebote gehabt. Erst in dem Sommer wurden wir tatsächlich aufeinander aufmerksam. Wenn ich allerdings gewusst hätte, wo das endet, hätte ich einen riesigen Bogen um sie gemacht.« Ich merkte, wie schwer es mir fiel, darüber zu reden, weil ich es jahrelang nicht getan hatte. Aber als ich Kenzie ansah, wusste ich, dass ich es tun musste. »Wir sind uns irgendwann bei einer der Strandsessions unten am Loch begegnet. Sie hatte in dem Jahr einen Job in Gavinas Blumenladen, nachdem sie im Sommer davor als Zimmermädchen im Hotel gejobbt hatte – und ich habe sie gefragt, ob Moira dieses Jahr keine Arbeit für sie hätte. So kamen wir ins Gespräch. Sie war witzig und süß, wir haben uns den ganzen Abend unterhalten und es war keine Sekunde langweilig. Ich dachte, vielleicht ist das die Lösung. Dass ich jemanden finden könnte, der mehr ist als das, was ich sonst so in Mädchen gesehen habe.«
»Drew hat gesagt, genau das wäre dein Ding.« Kenzie sah mich an. »Dass du eine Herausforderung suchst, weil dir die anderen Mädels nicht mehr spannend genug sind.«
Müde schüttelte ich den Kopf. »Quatsch. McCoy war noch nie gut auf mich zu sprechen, auch vor Ada nicht. Aber seitdem hasst er mich und biegt sich alles so hin, wie es ihm passt.« Ich ballte meine Hand auf der Decke zur Faust, weil es mich immer noch wütend machte. Dabei wusste Drew gar nicht alles.
»Weißt du, vielleicht sollten wir das Thema lassen.« Kenzie lächelte und strich mir über die Wange. »Es ist ein schöner Abend, und ich will nicht, dass die Erinnerung an früher ihn zerstört, nur weil ich zu neugierig war.«
Ich sah auf. »Dann willst du nicht wissen, ob ich etwas mit Adas Verschwinden zu tun habe?«
»Glaubst du im Ernst, ich würde dich mit in die einsamen Hügel der Highlands nehmen und dann auch noch mit dir schlafen, wenn ich denken würde, du hättest damit etwas zu tun?« Kenzie schüttelte den Kopf. »Ich bin vieles, aber nicht leichtsinnig. Du wärst nicht hier, wenn ich dir nicht vertrauen würde.«
»Frag mich trotzdem«, bat ich aus einem plötzlichen Impuls heraus. Alles durfte ich ihr auf keinen Fall sagen, sonst war das zwischen uns vorbei. Aber einen Teil der Wahrheit würde ich mit ihr teilen müssen, wenn wir eine Chance haben sollten.
»Lyall –«
»Bitte, Kenzie.«
»Okay.« Sie holte Luft. »Hattest du mit dem Verschwinden von Ada etwas zu tun?«
»Ja«, nickte ich. »Das hatte ich.«
28
Kenzie
Ja. Das hatte ich.
Ich sah Lyall an und drängte das ungute Gefühl in meinem Inneren beiseite. Gerade noch hatte ich ihm gesagt, dass ich ihm vertraute. Seine Worte brachten das jedoch ins Wanken. Für eine Sekunde schoss mir durch den Kopf, dass Drew Lyall als Psychopathen bezeichnet hatte. Würde er mir jetzt offenbaren, dass er in Wahrheit ein ganz anderer Mensch war? Nein, mahnte ich mich selbst zur Vernunft. Das ist Schwachsinn.
»Was meinst du damit?«, fragte ich gegen den Druck in meinem Magen an.
»Ich bin daran schuld, dass Ada in den Wald gelaufen ist und danach nie wieder gesehen wurde.« Lyall atmete aus. »Nicht, weil ich sie von einer Klippe gestoßen oder sonst irgendwie zum Schweigen gebracht habe, wie alle denken. Sondern weil wir an dem Abend einen schrecklichen Streit hatten. Und damit die Katastrophe, die das zwischen uns war, auf ein neues Level gehoben haben.«
Ich erinnerte mich, dass Amy davon gesprochen hatte, die Beziehung von Ada und Lyall sei verkorkst gewesen. Aber ich sagte nichts, sondern ließ ihn weiterreden.
»Das Schlimme ist, ich habe erst gar nichts gerafft, weil sie immer so nett war und sich für mich interessiert hat – für mich , nicht für mein Aussehen, meinen Namen oder meine Familie. Sie hat mich zwar relativ lange auf Abstand gehalten, aber es hat mich nicht gestört, ich mochte die Dates mit ihr, lange am See zu sitzen, mit ihr zu reden … und als wir dann Sex hatten, war es echt gut. Ich hatte den Eindruck, wir verstehen uns, ich war gerne in ihrer Nähe, wahrscheinlich war ich sogar in sie verliebt.«
Ich sah ihn verwundert an. »Das klingt nach einer schönen Geschichte, nicht nach einer Katastrophe.«
Er lachte bitter. »Ja, weil ich nicht gemerkt habe, wie unsicher und verletzlich sie war. Nach außen hin hat sie immer das toughe, nette Mädchen gegeben und mir erst nichts von dieser anderen Seite gezeigt. Wahrscheinlich war ich auch nicht aufmerksam genug, weil ich mit meinem eigenen Scheiß beschäftigt war, keine Ahnung. Ich hatte mich vorher keinen Funken für Beziehungen interessiert. Also dachte ich zuerst, so wie sie sich verhält, das ist normal.«
»Wie hat sie sich denn verhalten?«
»Ganz anders, als ich sie kennengelernt hatte«, sagte er. »Sie rief mitten in der Nacht weinend an, weil sie davon geträumt hatte, ich würde Schluss mit ihr machen. Ist unange
meldet bei mehreren Essen meiner Familie aufgetaucht, hat mich ständig nach Mädchen von früher gefragt, war unglaublich eifersüchtig auf jede, mit der ich mal etwas gehabt hatte. Und wenn ich ihr gesagt habe, dass mir das echt zu viel wird, hat sie wieder komplett umgeschaltet und alles runtergespielt. Ein paarmal habe ich noch geglaubt, dass wir es auf die Reihe bekommen, aber unsere Treffen wurden immer anstrengender und wir haben eigentlich nur noch gestritten. Ich habe gemerkt, dass wir einander nicht guttun, deswegen habe ich Schluss gemacht. Daraufhin hat sie der halben Stadt verzweifelt ihr Leid geklagt – allen voran Drew. Dass sie alles für mich getan hätte, aber trotzdem nicht gut genug für mich wäre. Und dass ich sie eiskalt abserviert hätte und zur Nächsten gegangen wäre. Du kannst dir vorstellen, wie die Leute in Kilmore darauf reagiert haben.«
Ich war verwundert. »Hast du das einfach so stehen lassen?«
Lyall starrte mich an, und mir schwante, dass er bis jetzt geglaubt hatte, ich wäre nicht auf seiner Seite. Dann atmete er aus, und ich konnte förmlich sehen, wie Erleichterung seinen Körper durchflutete. »Was hätte ich tun sollen?«, fragte er leise. »Jeder im Ort hat sie geliebt , wegen ihrer sonst total freundlichen Art. Außerdem hat es doch gepasst – ich war schließlich jahrelang der Typ gewesen, der nichts anderes wollte, als jede Nacht eine andere zu vögeln. Also haben sie geschlussfolgert, dass ich Ada schlecht behandelt hätte. Ist ja eigentlich auch kein Wunder. Und in einem kleinen Ort wie Kilmore, da genießen es natürlich alle, etwas auszuschmücken, wenn es was zum Tratschen gibt.«
»Gab es deswegen zwischen Ada und dir diesen Streit?«, fragte ich und runzelte die Stirn.
»Nicht direkt. Es war der Abend am Ende des Sommers, die Feier nach den Highland Games, die meine Familie jedes Jahr veranstaltet. Ada war nicht dort und ich ziemlich erleichtert darüber. Aber dann tauchte sie irgendwann auf und hat mir wieder eine riesige Szene gemacht. Ich hatte keine andere Wahl, als sie da wegzuschaffen, bevor Moira etwas mitbekommt, und bin mit ihr in den Park. Dort hat sie angefangen schrecklich zu weinen und mich auf Knien angefleht, ihr noch eine Chance zu geben. Wortwörtlich auf Knien. Es war unglaublich erniedrigend, und sie tat mir echt leid, also wollte ich sie zu Gavina fahren, bei der sie über dem Laden wohnte. Nur haben wir dann auf dem Weg zum Parkplatz schon wieder übel gestritten, und sie ist einfach weggerannt, in den Wald. Und ich war so wütend auf sie, dass ich ihr nicht gefolgt bin. Das war mein Fehler.«
Ich nickte langsam. »Verstehe. Und danach hat sie niemand mehr gesehen?«
Er schüttelte den Kopf und schwieg kurz, bevor er antwortete. »Nein … Natürlich war die halbe Stadt auf den Beinen, um nach ihr zu suchen, dazu die Polizei, und meine Familie hat extra Kräfte angeheuert, um sie zu finden. Aber nichts, sie war wie vom Erdboden verschluckt. Ich war der Letzte, der sie gesehen hat, der Letzte, mit dem sie gesehen wurde. Und damit bin ich für Kilmore der Schuldige Nummer eins. Womit sie ja auch recht haben. Nur nicht so, wie sie denken.«
Für einen Moment überrollte mich die grauenhafte Vorstellung, dass eine meiner Schwestern spurlos verschwinden könnte, aber ich drängte sie weg. Stattdessen konzentrierte ich mich auf Lyall, der vor mir saß und aussah, als würde er mein Urteil erwarten. »Weißt du, was ich daran nicht verstehe?«, fragte ich.
»Hm?«
»Warum denkst du, dass es deine Schuld ist?«
»Ich … was?«, stammelte er nur.
»Warum denkst du, dass du die Verantwortung für ihr Verschwinden trägst?«
»Weil sie vermutlich nie in den Wald gerannt wäre, wenn ich mich anständiger verhalten hätte, als ich es getan habe. Ich wusste, wie sie war, dass sie so extrem emotional und unbedacht reagieren konnte, und habe mich trotzdem wie ein Arsch benommen.« Seine Augen waren stumpf vor Scham und Schuld, und ich hielt es nicht länger aus, ihn so zu sehen. Also rückte ich direkt neben ihn und schlang den Arm um seinen Rücken, der so verhärtet war, als wäre er gerade mitten in einem Ringkampf. Zart streichelte ich seinen Nacken.
»Ja, vielleicht hättest du dich anders verhalten müssen«, antwortete ich leise. »Wahrscheinlich sogar. Deswegen bist du aber nicht verantwortlich dafür, dass sie abgehauen ist. Das war ihre Entscheidung.«
Lyall schwieg einige Augenblicke und ich strich weiter über seine Haut.
»Du … meinst das ernst?« Schließlich schaute er mich an, als hätte er mich noch nie gesehen.
»Natürlich.« Ich lächelte leicht. »Glaubt denn sonst niemand, dass es nicht deine Schuld ist?«
Er hob die Schultern. »Doch, schon. Edina, Finlay … meine Mum. Aber niemand, der mich nicht schon mein ganzes Leben lang kennt und nicht objektiv ist.«
Ich musste lachen. »Wie schon gesagt, keine Ahnung, ob ich nach dem hier«, ich deutete auf das zerwühlte Bett, »noch besonders objektiv bin.« Ich wurde wieder ernst. »Aber ich habe ein gutes Gespür für Leute. Bei dir hatte ich so eine Ahnung, dass du in Ordnung bist.«
»Sogar, als ich dich vor Fiona mies behandelt habe?« Er hob eine Augenbraue.
»Nee, da nicht. Und als du Drew bedroht hast, bin ich auch ein bisschen ins Wanken gekommen.« Ich sagte es leichthin, um die Schwere zu vertreiben, die sich über uns, vor allem aber über Lyall gelegt hatte.
Er antwortete nichts, aber seine Muskeln entspannten sich unter meinen Händen, und schließlich hob er den Kopf und sah mich an.
»Alles okay?«, fragte ich leise.
»Ja, jetzt schon.« Er lehnte sanft seine Stirn gegen meine. »Danke«, sagte er. »Danke, dass du mir glaubst.«
»Danke, dass du es mir gesagt hast.« Ich lächelte als Antwort und nutzte den Moment, um ihn zu küssen. Es war ein zärtlicher Kuss, der sich anfühlte, als würde das mit uns schon viel länger gehen, als es tatsächlich der Fall war.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte ich dann. »Hast du Hunger?«
»Immer.« Er grinste, und ich konnte erkennen, dass er die dunklen Gefilde, in denen er sich in den letzten Minuten aufgehalten hatte, langsam wieder verließ. »Aber vorher sollten wir vielleicht etwas essen.«
Ich lachte und raffte mich auf. »Gut. Dann lass uns mal nachsehen, was wir zur Auswahl haben.«
Die Nacht kam und ging, genau wie der Morgen, an dem wir unendlich lang im Bett blieben, über Gott und die Welt redeten und … auch nicht redeten. Erst am späten Vormittag des Samstags standen wir auf, zogen uns an und wechselten den Standort. Lyall schien jeden schönen Platz in den Highlands zu kennen und zeigte mir nicht nur den höchsten Punkt der Gegend, sondern auch einen abgelegenen kleinen See, in dem wir schwimmen gehen konnten. Er hielt es deutlich länger im Wasser aus als ich, denn es war eiskalt, aber wir fanden einen Weg, wie uns wieder warm wurde.
Es war ein nicht weniger als perfekter Tag, mit der perfekten Begleitung, und ich wusste nicht, ob ich in den vergangenen Jahren jemals glücklicher gewesen war. Jedes Mal, wenn ich Lyall ansah, spürte ich, wie das zwischen uns im Sekundentakt ernster und näher wurde. Und wenn er mich dann noch küsste, auf diese schrecklich süchtig machende Lyall-Art, dann war ich endgültig im Himmel. Noch nie hatte ich so etwas gefühlt, diese verzehrende Sehnsucht in jedem Moment, in dem er mich nicht berührte, diese überwältigende Erlösung in jedem Moment, wenn er es tat. Ich war vollkommen und hoffnungslos verrückt nach ihm. Wir waren es nacheinander. Und ich wollte, dass es nicht endete. Niemals.
»Was spricht eigentlich dagegen, nicht wieder in die Zivilisation zurückzukehren?« Lyall sah mich an. Es war der zweite Abend, wir hatten direkt an dem kleinen Loch etwas gegrillt, im Freien gegessen und machten gerade den Abwasch. Draußen wurde es langsam dunkel.
»Keine Ahnung. Wie sind denn deine Jagdfähigkeiten?« Ich grinste ihn an, weil ich daran dachte, dass ich ihm genau das an den Kopf geworfen hatte, bei unserer Begegnung auf dem Dachboden des Hotels.
»Mäßig.« Er verzog das Gesicht. »Es ist echt armselig – ich esse zwar Fleisch, kann aber trotzdem keine Tiere umbringen.«
»Dann werden wir wohl ab und zu einen Supermarkt aufsuchen müssen.« Ich legte den Schwamm weg und trocknete mir die Hände ab. »Aber ansonsten … habe ich nichts dagegen, mit dir für immer un
d ewig hier draußen zu bleiben, Mister Darcy.«
»Gut zu wissen, Miss Bennet.« Lyall lehnte sich zu mir, ich stellte mich auf die Zehenspitzen und ließ mich von ihm küssen, meine Hände längst unter seinem Shirt, weil ich einfach nicht anders konnte. Er umschlang mich, ich drängte mich an ihn, aber da kam plötzlich der Klingelton meines Handys dazwischen. »Sorry, ich sollte …«, sagte ich entschuldigend.
»Klar«, antwortete er und ließ mich los.
Meine Schwester sah mir vom Display entgegen, und ich ahnte, wieso sie sich meldete. Wir hatten schon seit vorgestern nicht geredet, und Eleni rief oft um diese Zeit am Abend an, um mir von ihrem Tag zu erzählen und danach zu fragen, was ich so machte. Heute würde ich ihr darauf wohl keine ganz ehrliche Antwort geben.
»Leni, hi. Was gibt es?« Ich warf einen Blick zu Lyall, der gerade auf dem Weg nach draußen war, um den Rest aufzuräumen, und musste lächeln. Er erwiderte es auf eine Weise, die meinen Magen wohlig kribbeln ließ.
»Hier ist nicht Leni, sondern Juliet«, hörte ich es am anderen Ende sagen, und der Tonfall vertrieb meine Glückseligkeit sofort. »Dad hat gesagt, ich soll dich nicht anrufen, aber ich flippe ein bisschen aus und –«
»Was ist passiert?«, fragte ich, während mir fünfhundert Schreckensszenarien gleichzeitig durch den Kopf schossen. Lyall musste die Änderung in meiner Stimme bemerkt haben, denn er kam wieder rein und sah mich fragend an.
»Es ist … es ist wegen Eleni«, stammelte meine Schwester. »Sie war reiten, obwohl du es verboten hast, und die sind raus ins Gelände, das Pferd hat sich erschreckt und sie ist runtergefallen. Erst war alles okay, sie war nicht weggetreten oder so, also ist sie mit zurück zum Hof, aber –«
»Herrgott, komm auf den Punkt, Juliet!«, fuhr ich sie an.
»Sie … sie ist, wir haben X Factor geguckt, und danach ist sie vom Sofa aufgestanden und einfach umgekippt. Dad hat einen Krankenwagen gerufen und die haben sie direkt in eine Klinik nach London gefahren, mit Blaulicht und Sirene. Wir sind jetzt dort, aber sie wissen nicht, was mit ihr ist. Ich hab so Angst, Kenzie.«