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002 - Someone Else

Page 9

by Laura Kneidl


  »Du bist seine Begleitung?«

  »Ja.«

  Wieder entstand eine kurze Pause.

  »Das ist aber etwas sehr Offizielles.«

  »Auri und ich sind nur Freunde«, sagte ich betont langsam, um es ihr verständlich zu machen und um mich selbst daran zu erinnern.

  Ich nahm es meiner Mom nicht übel, dass sie aus Auri und mir etwas machen wollte, das wir nicht waren, immerhin redete ich ständig von ihm. Aber wie könnte ich nicht über ihn sprechen? Dafür war er ein zu wichtiger Teil meines Lebens.

  »Sicher?«

  Ich schnaubte. »Ja, wir sind kein Paar.«

  »Und wieso nicht?«

  »Weil wir es eben nicht sind.«

  »Aber du magst ihn«, stellte sie mit absoluter Gewissheit fest.

  »Als Freund und Mitbewohner«, log ich.

  Es gab nicht viele Dinge, die ich vor meinen Eltern geheim hielt, aber ich hatte absolut keine Lust, mein Liebesleben mit meiner Mom über das Telefon zu besprechen. Das Witzige daran war, dass sie anfangs so schockiert gewesen waren, dass ich mit zwei Männern zusammenleben würde. Mein Dad hatte sogar angeboten, mir monatlich mehr Geld zu überweisen, damit ich mir eine Wohnung alleine leisten konnte. Vor allem Auri war ihm ein Dorn im Auge gewesen, da er laut eigener Aussage genau wisse, »wie diese Footballtypen drauf sind«. Und meine Mom hatte mich aus Sorge jeden Tag angerufen. Doch nach all meinen Erzählungen mochten sie Auri inzwischen unheimlich gerne. Sie verfolgten seine Spiele und erkundigten sich regelmäßig nach seinem Befinden. Ich vermutete, dass sie insgeheim mit Micah zusammen einen Cassie-und-Auri-Shipping-Fanclub gegründet hatten.

  »Du bist schon seit über zwei Jahren Single«, erinnerte mich meine Mom überflüssigerweise. »Warst du überhaupt mit einem Mann aus, seit du dich von Eugene getrennt hast? Oder mit einer Frau?«, fragte sie, wobei ihre Stimme diesen eigenartig quietschigen Ton annahm wie jedes Mal, wenn sie sich freute. In diesem Fall über ihre eigene Toleranz.

  »Nein, ich war mit niemandem aus.« Noch eine Lüge, denn ich wollte ganz bestimmt nicht darüber reden, dass mein erstes und vermutlich letztes Date mit Auri damit geendet hatte, dass eine andere Frau auf seinem Schoß saß.

  Einer seiner Teamkollegen hatte uns auf dem Weg zum Restaurant abgefangen und so lange auf uns eingeredet, bis ich einknickte und einwilligte, mit in eine Sportsbar zu gehen. Kurz darauf hatte sich Auri mit einer anderen vergnügt. Zuerst war ich traurig gewesen, dann wütend – auf ihn und auf mich –, bis ich beschloss, nie wieder über die Sache zu reden. Mit niemandem. Nicht einmal mit Auri. Wir schwiegen den Abend tot. Er war eine Leiche unter dem Teppich unserer Freundschaft, und so sollte es bleiben.

  »Und ich will auch mit niemandem ausgehen«, fügte ich vorsichtshalber hinzu. »Ich bin mit meinem Leben zufrieden, wie es ist. Ich brauche keinen Freund, um glücklich zu sein.«

  »Natürlich nicht«, erwiderte meine Mom. »Aber du gehst nur einmal aufs College. Ich möchte nicht, dass du irgendeine Gelegenheit verpasst.«

  »Das ist lieb, aber glaub mir, es ist alles so, wie es sein soll.«

  »Wenn du das sagst, mein Schatz.«

  Sie klang nicht überzeugt, und ich fragte mich, ob sie sich besser fühlen würde, wenn ich nach Hause kam und sie mit eigenen Augen sehen konnte, dass es mir gut ging. Sie machte sich viel zu viele Sorgen um mich, was gewiss auch an meiner Diabetes-Erkrankung lag. Schon als Kind hatte sie deswegen immer ein bisschen mehr auf mich achten müssen als andere Mütter auf ihre Kinder. Auf den ersten Blick schien ich gesund und die Krankheit harmlos, aber sie konnte gefährlich werden, vor allem wenn man nicht auf sich achtete.

  Unerwartet hörte ich ein Klopfen.

  Mein Blick zuckte zur Tür, als das Hämmern ein zweites Mal erklang. »Ich muss jetzt Schluss machen, da ist jemand an der Tür.«

  »Okay, pass auf dich auf. Wir haben dich lieb.«

  »Ich euch auch.«

  Wir beendeten das Telefonat, und ich ging zur Tür. Als ich sie öffnete, sprang mir Micah praktisch entgegen.

  »Ich brauch deine Hilfe.«

  Irritiert schloss ich die Tür hinter ihr und beobachtete sie dabei, wie sie mehrere Ordner, Notizbücher und einen großen Zeichenblock auf meinem Couchtisch ablegte. Sie wirkte gestresst. Ihr schwarzes Haar war zerzaust, als wäre sie sich immer wieder mit der Hand hindurchgefahren, und auf ihrem Shirt klebte ein Fleck, der aussah, als wäre ihr eine Spaghetti mit Soße darauf gefallen.

  »Ich komm mit der Albtraumlady nicht voran«, sagte sie und ließ sich frustriert aufs Sofa plumpsen. Ich setzte mich neben sie. »Ich habe Zeichnungen für alle Charaktere und ein paar Szenenskizzen, aber die Handlung macht mir Probleme.«

  »Ich dachte, du hättest eine Lösung gefunden.«

  »Das dachte ich auch, bis mir Ted gesagt hat, dass sie scheiße ist.« Die Enttäuschung in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

  Sofort schaltete ich in den Verteidigungsmodus. »Ted hat keine Ahnung.«

  »Derek hat dasselbe gesagt.«

  »Oh.«

  »Und vier andere Leute im Comicbuchladen auch.«

  Okay, vielleicht war da doch was dran.

  »Und jetzt?«, fragte ich, weil ich nicht genau verstand, was Micah von mir wollte. Es schien, als hätte sie schon mehr als genug Meinungen eingeholt. Und ich wollte nicht die siebte Person sein, die ihr sagen musste, dass ihre Idee nicht für eine Graphic Novel, sondern nur für den Mülleimer taugte.

  »Jetzt frag ich dich, ob du meine Co-Autorin werden willst.«

  Ich blinzelte. »Was?«

  »Bitte.« Sie legte die Hände wie im Gebet flehend aneinander und sah mich aus ihren großen braunen Augen an. »Ich brauche jemanden, der von Storytelling mehr Ahnung hat als ich, und du studierst doch Literatur.«

  »Das macht aus mir aber noch lange keine gute Geschichtenerzählerin.«

  »Biiitte.«

  Ich seufzte. Es war mir schon immer schwergefallen, meinen Freunden etwas abzuschlagen. »Von mir aus. Ich kann es versuchen, aber nichts versprechen. Ich habe nur einmal in meinem Leben etwas geschrieben, und das war eine FanFiction.«

  Woran Micah sich scheinbar nicht störte. Sie beugte sich zu mir herüber und umarmte mich stürmisch. »Danke! Du bist die Beste.«

  Nachdem sie mich losgelassen hatte, schenkte ich ihr ein aufmunterndes Lächeln und wandte mich anschließend den Unterlagen zu, die sie auf den Tisch gelegt hatte. »Dann zeig mal, was du bisher hast.«

  Micah öffnete ihre Mappe und breitete die Zeichnungen vor mir aus. Es waren mehrere Dutzend. Dazu kamen noch etliche Skizzen auf verschiedene Zeichenblöcke verteilt und einige digital angefertigte Bilder. Es gab auch mehrere Charakterbiografien und drei komplett verschiedene Handlungsverläufe. Außerdem hatte Micah eine Menge Background-Zusammenhänge zu erzählen, die sie sich nicht aufgeschrieben hatte.

  Ich hörte ihr geduldig zu und machte mir ein paar eigene Notizen, um den Überblick zu behalten. Immer wieder stellte ich Fragen zu den Charakteren und dem Aufbau der Welt, in der sich die Albtraumlady bewegte.

  Micah hatte gute Ansätze, und es kristallisierte sich schnell heraus, was für eine Art Geschichte sie erzählen wollte. Allerdings kratzte sie mit allem, was sie bisher erarbeitet hatte, nur an der Oberfläche. Sie hatte ihren Charakteren die Eigenschaften verpasst, die sie brauchten, um eine Handlung herbeizuführen, aber auch ein Bösewicht sollte mehr sein als das Motiv, das ihn antreibt. Man konnte die Weltherrschaft an sich reißen wollen und trotzdem eine Vorliebe für indisches Essen und Jazzmusik haben.

  Ich suchte aus meinen Unterlagen den Charakterfragebogen heraus, den mir meine Dozentin im Kurs Kreatives Schreiben im ersten Semester empfohlen hatte, und legte Dokumente für alle wichtigen Charaktere von Micahs Albtraumlady an. Anschließend füllten wir sie gemeinsam aus. Wir schrieben alles auf, von richtig guten bis richtig furchtbaren Einfällen, und lachten uns bei manchen Ideen beinahe schlapp, aber während eines Brainstormings war alles erlaubt. Nebenher fertigte Micah auch noch die ein oder andere Skizze an, um Dinge zu visualisieren, die uns einfielen. Ich war beeindruckt, mit wie wenig Mühe sie Dinge aufs Papie
r zaubern konnte, die direkt hundertfach besser aussahen als alles, was ich jemals zustande hätte bringen können.

  »Wir sollten der Albtraumlady wirklich einen Namen geben«, sagte ich und schlug eine neue Seite in meinem Notizbuch auf.

  Micah runzelte die Stirn. »Sie hat doch einen Namen.«

  »Ich meine den Namen, den ihre Eltern ihr gegeben haben.«

  »Ach so. Den hat sie abgelegt.«

  »Wir sollten ihn trotzdem wissen«, sagte ich und schob mir eine der kleinen Snackkarotten in den Mund, die ich Micah und mir hingestellt hatte. »So ein Name lässt sich gut für den Inhalt oder die Charakterisierung nutzen, wenn jemand ihren echten Namen rausfindet oder sie ihn jemandem verrät. Vielleicht gibt es irgendwo in der Story auch eine Person, die ihn bereits kennt, weil Albtraumlady zu ihr eine engere Bindung hat, als der Leser vielleicht auf den ersten Seiten erkennt.«

  Micah schürzte die Lippen und dachte einen Augenblick über meinen Vorschlag nach, dann nickte sie. »Okay, und wie soll sie heißen?«

  »Es sollte auf jeden Fall ein alter Name sein.«

  »Du meinst so was wie Adelaide?«

  »Wie kommst du auf Adelaide?«

  Micah hob die Schultern. »Meine Urgroßoma hieß so.«

  »Dürfte es auch ein anderer Name sein?«

  »Ja, das war nur ein Beispiel.«

  »Gut, denn Albtraumlady Adelaide klingt merkwürdig.«

  »Stimmt, überlegen wir weiter.«

  Ich zog meinen Laptop heran und googelte nach alten Namen.

  Gerade als ich auf das erste Ergebnis klicken wollte, war zu hören, wie ein Schlüssel im Schloss herumgedreht wurde.

  Die Wohnungstür wurde aufgeschoben, und Auri kam herein. Als er Micah und mich auf der Couch sitzen sah, blieb er wie vom Donner gerührt stehen. »Hey«, sagte er hörbar verwundert. »Ihr seid ja noch wach.«

  Mein Blick zuckte zu der Uhr am oberen Rand meines Laptops. Es war bereits nach drei Uhr morgens. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie spät es geworden war, dafür hatte ich zu viel Spaß gehabt.

  Leicht schwankend ging Auri zu dem Sessel neben der Couch. Er schien nicht völlig betrunken, aber schon gut angeheitert. Mit einem Ächzen ließ er sich hineinfallen und streckte die Beine aus. Seine Kleidung roch nach Bier und Zigarettenrauch, und er trug sein Shirt falsch herum, sodass die Nähte nach außen zeigten. Wobei ich mir sicher war, dass es noch richtig gesessen hatte, als er die Wohnung vor neun Stunden verlassen hatte.

  »Wie war die Party?«, fragte ich und versuchte nicht daran zu denken, was Auri veranlasst haben könnte, sein Shirt auszuziehen.

  Er lehnte sich vor, um das Handy aus seiner hinteren Hosentasche zu ziehen. Mit einem Stöhnen legte er es auf den Tisch und ließ sich zurück in den Sessel sinken.

  »Ganz in Ordnung.«

  »Klingt, als hättest du nicht so viel Spaß gehabt«, stellte Micah nüchtern fest.

  Mit einem auffordernden Nicken schob ich Auri mein Wasserglas hin.

  Er griff danach und nahm einen Schluck. »Irgendwie sind diese Partys in der Theorie immer geiler als in Wirklichkeit. Es sind einfach immer dieselben Leute, die denselben Scheiß machen.« Er hob die Schultern. »Und was habt ihr gemacht?«

  »Wir arbeiten an der Albtraumlady «, antwortete ich und deutete auf die Unterlagen, die überall um uns herum verteilt lagen. »Micah hat mich gefragt, ob ich mit ihr an der Handlung bastele.«

  Micah schenkte mir ein strahlendes Lächeln. »Sie ist mir jetzt schon eine große Hilfe.«

  »Cool, davon musst du mir morgen am Strand mehr zählen.«

  Micah horchte auf. »Am Strand?«

  Ich nickte. »Wir fahren an den Badesee. Wollt ihr mit?«

  »Ich würde gerne, aber Julian hat Samantha versprochen, dass er ihr bei den Vorbereitungen für das Sommerfest hilft, und weil ich die beste Freundin aller Zeiten bin, hab ich ihm gesagt, dass ich mitkomme.« Micah seufzte schwer, als würde sie die Entscheidung bereuen, aber das kaufte ich ihr nicht ab. »Ihr geht auch hin, oder?«

  »Julian hat uns schon eingeladen.«

  In diesem Moment begann Auris Handy zu klingeln. Er beugte sich vor, um einen Blick auf das Display zu werfen, und auch ich schielte neugierig darauf.

  Eine nicht eingespeicherte Nummer.

  Eine Furche bildete sich auf Auris Stirn, bevor er sich wieder zurück in den Sessel fallen ließ.

  Ich hob die Augenbrauen. »Willst du nicht rangehen?«

  Auris alkoholvernebelter Blick wanderte zu mir. »Nein, zu müde. Ich geh duschen und dann ins Bett. Es war ein langer Abend.« Mit einem Stöhnen stand er auf und wankte Richtung Bad.

  »Da scheint jemand etwas grumpy zu sein«, stellte Micah fest.

  Ich nickte, den Blick noch immer auf die geschlossene Badezimmertür gerichtet. Alkohol machte Auri für gewöhnlich fröhlich, nicht trübselig und nachdenklich. Als ich ihn das letzte Mal betrunken erlebt hatte, war er vor lauter Energie und Enthusiasmus versucht, ein Auto anzuheben – was natürlich nicht geklappt hatte. Dass er jetzt müde und lustlos war, erschien mir eigenartig. Womöglich war auf der Party etwas vorgefallen …

  Das Handy auf dem Tisch begann erneut zu klingeln.

  Da Auri weg war, bemühte ich mich nicht mehr, diskret zu sein, und beugte mich über das Display. Es war dieselbe nicht eingespeicherte Nummer.

  »Du solltest rangehen«, sagte Micah, für die das Wort »Privatsphäre« nicht existierte. Sie war der offenste Mensch, den ich kannte. Sie hatte keinerlei Geheimnisse, und vermutlich hätte sie mir geradeheraus von ihrem Intimpiercing erzählt oder es mir sogar gezeigt, wenn ich sie danach gefragt hätte.

  Ich schüttelte den Kopf. »Das geht mich nichts an.«

  Das Handy verstummte.

  »Okay, ich sollte jetzt wohl besser gehen. Es ist schon spät.« Micah machte sich daran, das Papierchaos aufzuräumen, das wir verursacht hatten, und wir verabredeten uns für Montag, um weiter an der Albtraumlady zu arbeiten.

  Nachdem Micah gegangen war, räumte ich unsere Gläser und Teller in die Küche. Ich war gerade dabei, mit einem feuchten Lappen über den Tisch zu wischen, als das Handy erneut zu klingeln begann. Ich ignorierte es, und das Läuten verging unbeachtet. Doch kurz darauf ertönte der Signalton einer eingegangenen Nachricht.

  Ich biss mir auf die Unterlippe. Zögerte. Doch dann beugte ich mich wider besseres Wissen über das Handy und las den Anfang der Nachricht, die auch auf dem gesperrten Bildschirm zu erkennen war.

  Wo bist du?

  Eine zweite Meldung ploppte auf.

  Ich schwöre, Maurice, wenn du nicht …

  Der Rest der Nachricht war abgeschnitten. Es wäre leicht für mich gewesen, das Display zu entsperren und weiterzulesen, denn ich kannte Auris Pin, aber ich tat es nicht. Wovon auch immer diese fremde Person redete, wenn Auri wollte, dass ich davon erfuhr, würde er es mir erzählen.

  Um der Versuchung nicht doch noch zu erliegen, brachte ich den Lappen zurück in die Küche und ging anschließend in mein Zimmer. Es war schon spät, und ich hätte schlafen gehen sollen, fühlte mich jedoch kein bisschen müde. Dennoch schälte ich mich aus meinen Klamotten und zog meinen Schlafanzug an, der bei den Rekordtemperaturen nur aus einem dünnen Top und einer kurzen Hose bestand. Dann legte ich mich aufs Bett und begann auf meinem Handy Artikel zu den Themen »Schreiben« und »Graphic Novels« zu lesen.

  Ich war gerade in einen Beitrag über Antagonisten versunken, als es klopfte. Ich wartete darauf, dass Auri reinkam, aber er tat es nicht.

  Ich runzelte die Stirn. Merkwürdig.

  »Herein!«

  Die Tür wurde aufgeschoben, und Auri erschien im Rahmen. Er trug ein Muskelshirt und Boxershorts, und selbst im dämmrigen Licht meiner Nachttischlampe erkannte ich, dass sein Blick nach der Dusche klarer war.

  »Darf ich reinkommen?«

  Ich nickte und rückte ein Stück zur Seite.

  Er kam der stummen Einladung nach und legte sich neben mich, wobei sein Gewicht dafür sorgte, dass sich mein Körper automatisch in seine Richtung neigte.

  Ich rollte mich herum, um ihn anzusehen.

  Er starrte an
die Decke.

  »Du benimmst dich komisch. Ist etwas auf der Party passiert?«

  »Nein, ich hatte einfach keine gute Zeit.«

  »Warum nicht?«

  Er drehte sich zu mir und sah mich an. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt, und ich konnte seinen nach Minze riechenden Atem wahrnehmen.

  »Weil …« Er seufzte schwer. »Egal. Vergiss es.«

  »Nein, sag es mir«, ermutigte ich ihn.

  Er holte tief Luft, und ich konnte sehen, wie dicht die Antwort unter der Oberfläche schlummerte. Er wollte es mir sagen, aber aus irgendeinem Grund tat er es nicht.

  Langsam schüttelte er den Kopf. »Es ist nichts. Ich habe mir einfach gewünscht, dass der Abend anders verläuft. Das ist alles«, log er.

  Ich spürte einen Stich in der Brust. Nachdem ich ihm Anfang der Woche erlaubt hatte, mich weinen zu sehen wie noch nie zuvor, hatte ich erwartet, dass er offener mir gegenüber sein würde.

  »Noch ist der Abend nicht vorbei«, sagte ich und verdrängte meine Enttäuschung. Ich wollte dennoch für Auri da sein. Behutsam rutschte ich ein Stück näher an ihn heran. »Was können wir tun, damit du dich besser fühlst? Möchtest du ein Eis? Oder willst du dir ein Hörbuch anhören? Wir könnten uns auch einen Porno angucken. Das könnte allerdings auch merkwürdig werden. Andererseits haben wir GoT zusammen geschaut, was fast dasselbe ist.«

  Anstatt über meinen Witz zu lachen, betrachtete mich Auri mit einer Ernsthaftigkeit, die seine Augen dunkler erscheinen ließ.

  Ein nervöses Flattern breitete sich in meiner Brust aus, und meine Hände wurden schlagartig feucht. Ich wollte ihm sagen, dass das nur ein Scherz gewesen war, aber mein Hals war auf einmal ganz trocken, und es fiel mir schwer, die Worte zu artikulieren.

  Oh Gott, was hatte ich mir nur dabei gedacht, diesen Vorschlag zu machen? Auri und ich und ein Video von Menschen, die Sex hatten? Keine gute Idee!

  »Ein Hörbuch klingt gut«, sagte Auri plötzlich mit heiserer Stimme, deren Klang mir einen Schauder über den Rücken jagte.

  Ich nickte benommen, rollte mich herum und griff nach meinem Handy. Ohne Auri anzusehen, startete ich das Hörbuch, dem er seinen Spitznamen zu verdanken hatte: Der Name des Windes .

  Es war wieder Abend geworden. Das Wirtshaus zum Wegstein lag in Stille, und es war eine dreistimmige Stille …, begann der Sprecher vorzulesen, doch es fiel mir schwer, den Worten zu lauschen, während Auris warmer Körper so dicht neben meinem lag. Immer wieder wanderte mein Blick zu ihm, und auch er schien der Geschichte nicht wirklich zu folgen. Seine Miene war verschlossen und seine Schultern angespannt, als würde es ihn Mühe kosten, ruhig liegen zu bleiben.

 

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