Book Read Free

002 - Someone Else

Page 11

by Laura Kneidl


  Es vergingen einige Sekunden, bis Auri sich vernehmlich räusperte.

  Ich nahm all meinen Mut zusammen und sah zu ihm, entschlossen, mich nicht erneut von meinen Gefühlen überrumpeln zu lassen.

  »Soll ich dir den Rücken eincremen?«

  Ich zögerte, während ich überlegte abzulehnen. Ich war mir nicht sicher, ob es eine gute Idee war, mich ausgerechnet jetzt von ihm berühren zu lassen. Andererseits bestand so das Risiko, dass Auri den Grund für mein Nein sofort erriet – immerhin hatte ich eine dicke Schicht Sonnenmilch bitter nötig –, und das hätte die Situation vielleicht noch merkwürdiger gemacht.

  Da ich meiner Stimme nicht traute, nickte ich schließlich wortlos und hockte mich auf das Badetuch, den Rücken Auri zugewandt. Trotz der Hitze glaubte ich, die Wärme seines Körpers zu spüren.

  »Vorsicht, gleich wird es kalt«, warnte er mich vor.

  Dennoch zuckte ich zusammen, als das kühle Spray auf meinen Rücken traf.

  Auri lachte leise, ein dunkler, kehliger Laut, den ich bis in mein Innerstes spürte. Er verteilte noch ein paar Spritzer, bevor er die Creme einmassierte. Andächtig glitten seine Hände von meinen Schultern die Wirbelsäule hinab bis zu meiner Taille. Seine Finger zogen sanfte Kreise über meine Haut.

  Ich erschauerte und lehnte mich leicht zurück, kam seinen Berührungen entgegen.

  »Ich habe mit meiner Mom telefoniert«, sagte Auri unerwartet. Seine Stimme klang gepresst, als müsste er die Worte aus seiner Kehle zwingen. »Ich soll dich fragen, ob es für dich in Ordnung wäre, in einem Hotel zu übernachten. Sie hätte dich gerne im Haus, aber das ist voller Verwandter, und sie möchte dir nicht zumuten, mit meinen drei Cousinen in einem Zimmer zu schlafen.«

  Auris Hände machten es mir schwer, mich auf seine Worte zu konzentrieren. »Ein Hotel klingt gut«, brachte ich mühselig hervor. »Soll ich es buchen?«

  »Nein, meine Mom kümmert sich darum. Sie haben für ihre Gäste irgendwelche Sonderkonditionen in einem Hotel in der Nähe ausgehandelt.«

  Ich griff mit einer Hand in den Sand, der sich körnig auf meiner Haut anfühlte, und ließ ihn wie bei einer Sanduhr langsam zwischen den Fingern hindurchrieseln. »Aber ich möchte dafür bezahlen.«

  »Das wird meine Mom nicht erlauben«, sagte Auri und ließ seine Hände ein letztes Mal über meinen Rücken gleiten, ehe er sie von meinem Körper nahm.

  Augenblicklich vermisste ich das Gefühl seiner rauen Fingerspitzen auf meiner Haut, und es kostete mich einiges an Willenskraft, mir meine Sehnsucht nicht anmerken zu lassen.

  »Ich kann das Hotel nicht von deiner Mom bezahlen lassen.«

  »Das sieht sie anders.«

  »Aber die Hochzeit ist sicherlich schon teuer genug. Sag ihr …«

  Auri unterbrach mich mit einem amüsierten Schnauben. »Vergiss es.« Er schüttelte den Kopf. »Ich werde meiner Mom gar nichts sagen. Wenn du wegen des Geldes mit ihr streiten willst: nur zu. Ich halte mich da raus.«

  Ich gab einen unzufriedenen Laut von mir. Auri wusste genau, dass ich seine Mom nicht darauf ansprechen würde. Ich hatte Jasmin noch nie getroffen und erst einmal kurz am Telefon mit ihr gesprochen. Bei unserem ersten Kennenlernen wollte ich einen guten Eindruck machen und ihr auf keinen Fall auf die Füße treten. Mir war es wichtig, dass sie mich mochte, immerhin gehörte ihr Sohn zu den wichtigsten Menschen in meinem Leben. Außerdem wollte ich ihr keinen Ärger machen. Eine Hochzeit war schon stressig genug. Ich würde einfach im Internet recherchieren, wie teuer das Hotel war, und den Betrag zu meinem eigentlichen Geschenk dazulegen.

  »Das wird nicht klappen.«

  Irritiert sah ich Auri an. »Was?«

  »Ich weiß, was du denkst, und es wird nicht funktionieren«, sagte Auri, während er sich auf seinem Strandtuch, das anders als meines in der prallen Sonne lag, ausstreckte. »Meine Mom ist nicht auf den Kopf gefallen. Wenn du ihr ganz zufällig genau den Betrag für das Hotel schenkst, wird sie dir davon nur etwas zum Geburtstag kaufen – und noch etwas drauflegen. Lass es einfach gut sein.«

  »Deine Mom klingt wie eine ziemlich sture Frau.«

  Auri lachte, aber weder bejahte noch verneinte er meine Vermutung. Stattdessen schloss er die Augen und wandte sein Gesicht der Sonne zu.

  Damit war das Gespräch wohl beendet. Ich seufzte und machte mich daran, den Rest meines Körpers einzucremen, bevor ich mir die Kopfhörer in die Ohren steckte und mich auf meinem eigenen Badetuch ausstreckte. Meine Füße wippten im Takt der Musik mit, welche die Geräusche der Außenwelt ausblendete. Obwohl ich im Schatten lag, kitzelte die Wärme meine Haut, und es dauerte nicht lange, bis ich in einen leichten Schlaf fiel, aus dem ich immer wieder kurz auftauchte. Es war ein Zustand der Ruhe und Gelassenheit, der mich all meiner Gedanken beraubte.

  Eine Bewegung neben mir im Sand riss mich aus meinem benommenen Zustand. Als ich die Augen öffnete, blendete mich das grelle Licht der Sonne. Ich blinzelte, bis ich einen Schatten über mir erkannte, dessen Silhouette sich langsam als Auris herauskristallisierte. Er blickte auf mich herab.

  Ich zog mir die Knöpfe aus den Ohren. »Ist was?«

  Er schüttelte den Kopf. »Deine Füße waren in der Sonne.«

  »Oh.« Ich richtete mich auf und erkannte an den Spuren im Sand, dass er den Schirm verschoben hatte. Noch waren meine Füße nicht gerötet, aber das wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, trotz der Creme.

  »Ich habe dir deine Tasche aus dem Spint geholt«, sagte Auri und setzte sich mir gegenüber. Wir hatten all unsere Sachen bei der Ankunft eingeschlossen, um nicht die ganze Zeit darauf aufpassen zu müssen.

  Ich lächelte, und ein warmes Glühen breitete sich in meiner Brust aus. Es war alles andere als selbstverständlich, wie sehr Auri in den Momenten auf mich achtete und aufpasste, in denen ich vergaß, es selbst zu tun.

  Ich prüfte meine Zuckerwerte, die deutlich zu niedrig waren, woraufhin ich mich auf die Weintrauben stürzte, die Auri ebenfalls für mich geholt hatte.

  Während wir von dem süßen Obst naschten, erzählte ich ihm von Micah und meinen gemeinsamen Ideen für die Albtraumlady . Er hörte gebannt zu und stellte hin und wieder Fragen zur Handlung, die ich, so gut ich konnte, zu beantworten versuchte. Was dazu führte, dass mir noch ein paar coole Einfälle kamen, die ich sofort an Micah schickte. Sie würde vermutlich einen kleinen Schreck bekommen, wenn sie das nächste Mal auf ihr Handy schaute und die sechsunddreißig ungelesenen Mitteilungen von mir entdeckte.

  Auri gefielen unsere bisherigen Ideen zu Micahs – und jetzt wohl auch irgendwie meiner – Graphic Novel, was mich stolz machte und meine Vorfreude auf unsere nächste Worksession noch steigerte.

  »Ich geh ins Wasser. Kommst du mit?«, fragte Auri, nachdem er die leere Plastiktüte zwischen seine Klamotten gelegt hatte, damit er sie zu Hause noch mal verwenden konnte. Seit er vor ein paar Wochen auf Netflix eine Dokumentation über Umweltverschmutzung gesehen hatte, war er bemüht, etwas nachhaltiger zu leben.

  »Was ist mit unseren Sachen?«

  »Wir können die Handys einschließen, und auf den Rest kann doch jemand aufpassen«, sagte Auri und wandte sich der jungen Familie zu, die in der Zwischenzeit den Platz des rassistischen Ehepaars eingenommen hatte. »Entschuldigen Sie?« Der Mann blickte von seinem Sohn auf, der gerade versuchte, seinen Fuß im Sand einzugraben. »Könnten Sie ein Auge auf unsere Sachen haben? Meine Freundin und ich würden gerne schwimmen gehen.«

  Der Mann sah zu mir. Seine Miene wirkte unpassend ernst, und ich befürchtete schon, dass gleich nichts Nettes über seine Lippen kommen würde. Doch dann lächelte er. »Klar, wir sind noch eine Weile hier.«

  Auri bedanke sich und brachte in Windeseile unsere Handys zu den Schließfächern.

  Das Licht der prallen Mittagssonne spiegelte sich im See, sodass es beinahe schmerzhaft war, das Wasser mit bloßem Auge zu betrachten. Entlang des Ufers verliefen zahlreiche Stege. An manchen hatten Boote angelegt, andere wiederum dienten als Sonnendecks. Auf der anderen Seite des Sees waren Ferienhäuser aus Holz zu erkennen, deren Silhouetten – wie ich wusste – bei Nacht beinahe vollkommen mit dem Wald verschmolzen. Dann waren sie nu
r noch zu erkennen, wenn im Inneren Licht brannte.

  Ich atmete tief ein, und der Duft von Algen und Sonnencreme stieg mir in die Nase. Alles, was jetzt noch fehlte, war der Geruch von Salz. Ich vermisste das Meer. Es war schon Jahre her, seit ich das letzte Mal dort gewesen war. Allerdings war der See beinahe genauso schön.

  Eine kleine Welle schwappte über meine Füße. Ich schnappte erschrocken nach Luft und machte einen Satz zurück ins Trockene.

  »Scheiße, ist das kalt!«

  Auri betrachtete mich amüsiert, ein feines Lächeln umspielte seine Lippen. »So kalt ist es auch nicht. Du schaffst das.« Ermutigend streckte er mir seine freie Hand entgegen, damit ich mit ihm gemeinsam ins Wasser watete.

  Schnell versteckte ich die Hände hinter dem Rücken. »Ich glaube, ich habe es mir anders überlegt.«

  »Komm schon. Was hat es für einen Sinn, an einen See zu gehen, wenn man nicht schwimmt? Dann hätten wir uns genauso gut in den Park legen können.« Auri bewegte seine Hand, eine Aufforderung, danach zu greifen.

  »Vielleicht, aber es ist echt kalt.«

  »Du gewöhnst dich dran«, versicherte er mir mit einem Funkeln in den Augen. Er genoss mein Leid viel zu sehr. »Nur ein kleines Stück reingehen, dann kannst du dich hinlegen.« Er deutete mit dem Kinn Richtung Luftmatratze, die neben ihm im Wasser schwamm.

  »Stimmt, ich könnte mich stattdessen aber auch einfach wieder auf mein Badetuch legen.«

  »Bitte«, drängte Auri, und es war um mich geschehen. Wie hätte ich jetzt noch ablehnen können, vor allem nach dem Partydebakel?

  Ich ergriff seine Hand, was ein breites Grinsen auf sein Gesicht zauberte, und ließ mich von ihm in den See führen.

  Als das eisige Wasser meine Knöchel umspülte, presste ich die Lippen aufeinander, um nicht aufzuschreien. Verdammt, war das kalt. Auri hingegen schien mit dem Temperaturunterschied überhaupt kein Problem zu haben. Andererseits nahm er auch diese fürchterlichen kalt-warmen Wechselduschen, aus Gründen, die meiner Ansicht nach nur etwas mit Selbsthass zu tun haben konnten.

  »Siehst du, es ist gar nicht so schlimm.«

  Ich warf Auri einen finsteren Blick zu. Er hatte leicht reden, ihm reichte das Wasser bisher gerade einmal bis zu den Waden, während es bei mir bereits die Kniekehlen kitzelte. Kurz überlegte ich, an ihm hochzuklettern wie Laurence an seinem Kratzbaum, um der Kälte zu entkommen.

  Auri schien mein Versuch, böse zu gucken, eher zu belustigen. Er tat ihn mit einem Grinsen ab und zog die Luftmatratze heran. »Los, rauf mit dir. Ich schieb dich.«

  Das ließ ich mir nicht zweimal sagen.

  Auri hielt die Matratze für mich fest, während ich es mir darauf bequem machte. Einer der Vorteile meiner Statur war, dass ich problemlos auf diese Teile klettern konnte, ohne unterzugehen oder sie mit literweise Wasser zu fluten. Ich rutschte noch ein Stück weiter vor, um mein Gewicht besser zu verteilen, und stibitzte Auri mit einer geschickten Handbewegung die Sonnenbrille, die er auf dem Kopf trug. Dann klatschte ich auffordernd in die Hände. »Auf, auf!«

  »Zu Befehl, Eure Hoheit«, erwiderte Auri mit gestellt näselndem Akzent und schob mich weiter auf den See hinaus.

  Je weiter wir uns vom Ufer entfernten, desto weniger Leute waren um uns herum, und desto friedlicher wurde es. Irgendwann ließ Auri die Matratze los und begann Kreise um mich zu schwimmen, bis ihm das anscheinend zu langweilig wurde und er noch weiter rauspaddelte.

  Ich schloss die Augen und ließ mich gemütlich treiben. Der seichte Wellengang machte es mir schwer, nicht einzuschlafen, während die Sonne auf mich herabschien. Die Wärme kitzelte auf meiner Haut und erinnerte mich daran, dass ich nicht lange so liegen bleiben können würde, dennoch genoss ich das sanfte Auf und Ab.

  Unerwartet spürte ich eine sanfte Berührung an einem meiner Rippenbögen. Blinzelnd öffnete ich die Augen und entdeckte Auri, der neben der Luftmatratze stand. Wassertropfen klebten an seinen Wimpern und glänzten in seinen Haaren. Sanft fuhr er mit den Fingern über eine Stelle an meinem Bauch.

  »Warum habe ich diese Narbe noch nie gesehen?«

  Mein Blick folgte dem seinen, obwohl ich genau wusste, dass er von dem hellen Striemen unterhalb meiner linken Brust redete. Eines der Bänder meines Bikini-Oberteils hatte das Mal verdeckt, aber es musste verrutscht sein. Es war eine alte, verblasste Narbe, die nur zu erkennen war, wenn man ganz genau hinguckte.

  »Ich … ich weiß nicht«, antwortete ich stammelnd, abgelenkt von Auris Berührung. Noch immer streichelte er über die empfindliche Stelle, was es mir schwer machte, mich zu konzentrieren. »Vielleicht, weil ich für gewöhnlich nicht nackt durch die Wohnung laufe?«

  Ich glaubte zu hören, wie ein leises »Leider« über Auris Lippen kam, aber das hatte ich mir gewiss nur eingebildet.

  »Woher hast du sie?«, fragte er, ohne von mir abzulassen, und mir blieb beinahe das Herz stehen.

  »Ich bin als Kind vom Fahrrad gefallen.«

  Auri zog die Augenbrauen zusammen, in denen sich ebenfalls Wassertropfen verfangen hatten. »Das ist aber eine komische Stelle für eine Fahrradverletzung.«

  »Stimmt, es sei denn, man fällt auf ein Metallblech. Ich bin direkt auf die Kante geknallt. Siehst du die hellen Punkte?« Ich deutete auf die kleinen, kaum sichtbaren Flecken um den länglichen Schnitt. »Da wurde ich genäht.«

  »Davon hast du mir nie erzählt«, sagte Auri und legte seine Hand flach auf die Narbe, als könnte er sie auf diese Weise verschwinden lassen und mir den Schmerz von damals nehmen.

  Ich zuckte bei der Berührung zusammen. Seine Hand war nass und kalt, doch das war nicht der Grund, weshalb ich trotz der wärmenden Sonnenstrahlen erschauderte. »Es gibt vieles, von dem ich dir noch nicht erzählt habe.«

  Auri hob den Kopf. »Warum?«

  »Weil es mir nicht wichtig erschien und ich dich nicht langweilen wollte«, gestand ich, aber ich konnte an Auris Miene ablesen, dass dies nicht die Antwort war, die er hatte hören wollen.

  »Alles, was mit dir zu tun hat, interessiert mich«, erklärte Auri leise. »Verrate mir etwas über dich, das ich noch nicht weiß.«

  Ich überlegte kurz, was ich darauf erwidern sollte, aber es fiel mir schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Auris Hand lag noch immer auf meinem Bauch, und ich konnte beobachten, wie die Sonne die Wassertropfen auf seiner Haut trocknen ließ.

  Langsam ließ ich den Blick seinen Arm empor über seine Schultern bis zu seinem Gesicht wandern. Ein Fehler. Seine Lippen waren leicht geöffnet, und das Wasser ließ sie feucht glänzen, als wären sie mit einer Glasur überzogen, die ich nur allzu gerne kosten wollte. Es wäre so einfach gewesen, Auri zu küssen. Er hielt die Luftmatratze fest, und sein Mund war meinem unglaublich nahe. Ich hätte mich nur leicht vorbeugen müssen. Die Verlockung war groß …

  »Ich habe in meinem Leben erst drei Männer geküsst«, hörte ich mich leise sagen. »Und du warst der beste Küsser unter ihnen.« Ich wusste nicht, woher die Worte kamen. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, sie gedacht zu haben, und doch schwebten sie plötzlich zwischen Auri und mir.

  Er starrte mich an, und auf einmal hatte ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

  Oh mein Gott, warum hatte ich das nur gesagt? Vorhin noch hatte ich mir selbst einen Vortrag darüber gehalten, warum ich Auri nur als Freund sehen sollte, und nun erklärte ich, dass er ein guter Küsser war? Was um alles in der Welt stimmte nicht mit mir?

  Ich biss mir auf die Unterlippe, um mich davon abzuhalten, noch mehr Schaden anzurichten. Doch die kleine Bewegung lenkte Auris Blick zielstrebig auf meinen Mund. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, er war mir fremd und vertraut zugleich. Verlangen. Ich rührte mich nicht.

  »Cassie …« Auri ließ mich nicht aus den Augen. Er wollte mich küssen. Ich konnte es spüren, und ich wusste, dass, wenn er es tat, ich ihn nicht von mir stoßen würde.

  Ich schluckte trocken und erwiderte seinen Blick. Wie ein Magnet zog er mich an. Zaghaft neigte ich mich zu ihm. Fragend. Bittend. Wasser schwappte auf die Luftmatratze – und dann kippte das gesamte Ding um.

  Im einen Moment war ich noch gefangen in dem warmen Gef
ühl, das Auri in mir auslöste, und im nächsten schlug flüssiges Eis über meinem Kopf zusammen. Ich stieß einen spitzen Schrei aus, was es nur noch schlimmer machte. Wasser flutete meinen Mund und drang in meine Kehle. Blind tastete ich um mich. Ich bekam Auri zu fassen und zog mich an ihm hoch, bis ich meine Arme um seinen Hals legen konnte. Meine Beine schlang ich um seine Hüfte, die Knöchel hinter seinem Rücken verschränkt, sodass mich das Wasser unter keinen Umständen davontreiben konnte. Hustend schnappte ich nach Luft. Mein Herz pochte wild, und ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen – oder war es Wasser? Doch unter dem Rauschen hörte ich noch ein anderes Geräusch: ein Lachen.

  Ich blinzelte, bis sich meine Sicht klärte, und blickte geradewegs in Auris amüsiertes Gesicht. Sein Lachen war verstummt, aber seine Lippen waren noch immer zu einem Schmunzeln verzogen.

  Ich kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Das ist nicht witzig.«

  »Oh doch. Du würdest auch lachen, wenn du dich jetzt sehen könntest«, erwiderte Auri. Er hatte einen Arm um meine Taille gelegt, um mich festzuhalten. Mit der anderen Hand strich er mir eine feuchte Haarsträhne aus der Stirn. Eine Geste, die sanfter war, als ich es angesichts seines Grinsens erwartet hätte. »Geht es dir gut?«

  Ich nickte. Vermutlich wäre dies ein guter Moment gewesen, um Auri loszulassen. Aber ich tat es nicht. Und auch er hielt sich noch immer an mir fest. Keiner von uns wollte den anderen gehen lassen.

  Ich nahm die Kälte des Wassers gar nicht mehr wahr, da war nur noch Auris Wärme. Von einem Moment auf den anderen war ich mir meiner Nähe zu ihm nur allzu bewusst. Meine Brüste drängten gegen seinen Oberkörper. Sein Arm, der mich noch immer umfing, war leicht nach oben gerutscht, sodass seine Hand nun wieder auf der Narbe an meinem Rippenbogen lag. Sein Daumen streifte über die Unterseite meiner Brust.

  Mit angehaltenem Atem sah ich zu Auri auf. Was immer ich spürte, das zwischen uns geschah, ihm war es genauso wenig entgangen. Er erwiderte meinen Blick. Seine Pupillen waren geweitet, und das Lächeln war aus seinem Gesicht gewichen. Er beobachtete jede meiner Bewegungen, als wäre er sich unsicher, was er als Nächstes tun sollte.

 

‹ Prev