Ever – Wann immer du mich berührst
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«Willow!» Abbi flüstert eindringlich und wird dann lauter. «WILL!»
Als ich mich langsam nach unten absinken lasse und schließlich wieder auf dem Boden stehe, registriere ich, dass Willow auf uns zugeht. Abbi presst die Lippen fest zusammen und hebt den Jungen von ihrem Schoß herunter, der sofort losläuft und ihrer Freundin folgt. Sie versucht, die Reifen auf dem sandigen Untergrund in Bewegung zu bringen, stößt dann aber gegen eine Kante am Wegesrand und gibt frustriert auf.
«Hey, Leute, wie nennt sich das, was ihr da macht?» Willow hat tiefschwarze Haare, die zu Dutzenden Zöpfen geflochten sind und mit einem Haarband zusammengehalten werden. Sie nimmt den kleinen Jungen an die Hand.
«Noch nie Klimmzüge gesehen?», fragt Noah.
«Ach, das sollten Klimmzüge sein?» Sie reißt übertrieben weit die Augen auf. «Und ich dachte, du übst, wie man am besten von oben runterfällt, ohne sich weh zu tun.»
Noah wird rot, was ich noch nie gesehen habe, und ich beiße die Zähne aufeinander, um nicht zu lachen.
«Nein, im Ernst, was ist das?», fragt sie jetzt versöhnlich. «Ich finde das echt toll, was ihr macht.»
«Calisthenics», sage ich. «Ist einfach nur ein Street Workout mit deinem Eigengewicht.»
«Kann man das als Frau auch machen, oder muss man dafür wie ihr Kerle einen Muskelanteil von tausend Prozent haben?»
«Es braucht nicht viele Muskeln. Es gibt auch leichte Übungen, mit denen man anfangen kann.»
Noah hat seine Sprache wiedergefunden. «Versuch es unbedingt. Ich will sehen, wie du von dieser Stange runterfällst. Aber hey, Kleiner, du kannst das bestimmt.» Noah hält dem Jungen zur Begrüßung die Faust hin.
Ich gehe zum Baum, unter dem ich mein Zeug abgeladen habe, um was zu trinken. Über die Wasserflasche hinweg sehe ich, wie Abbi die Arme vor der Brust verschränkt. Guck einfach nicht hin, sage ich mir. Was sie jetzt hier draußen macht, interessiert mich nicht. Ich hab Feierabend. Und außerdem will ich mir nicht so viele Gedanken um Haydens Tochter machen. Abstand, David! Aber natürlich schaue ich doch wieder zu ihr rüber, weil ich es nicht ertragen kann, dass sie da in ihrem Rollstuhl sitzt und nicht weiß, was sie tun soll. Es ist beschissen, dass sie allein nicht wegkommt.
Ihr Haar glänzt in der Sonne und erinnert mich an einen Sandsturm. Wieso muss sie ihrem Vater so verdammt ähnlich sehen? Und wie kann eigentlich ihr Haar so hell sein, wenn im Gegensatz dazu ihre Brauen und ihre Augen so dunkel sind, als würde man in einen Abgrund gucken?
Ach, scheiß auf Feierabend. Mit einem Seufzen schnappe ich mir mein Shirt vom Boden und streife es über, weil ich sie nicht schon wieder in Verlegenheit bringen will. Als ich auf sie zugehe, sieht sie aus, als würde sie am liebsten vor mir davonlaufen.
«Alles gut bei dir?», frage ich.
«Tut mir leid, dass wir euch gestört haben. Willow hat mich gekidnappt.»
«Ihr stört nicht. Das ist also deine Freundin Willow. Die mit den professionellen Videos.»
Na großartig, David. Wenn das nicht die perfekte Einleitung ist. Sprich einfach über die nächstbeste Peinlichkeit. Natürlich wird sie rot.
«Und ihr kleiner Bruder Jacob.»
«War eine gute Idee von ihr, dich zu kidnappen. So kommst du mal raus.»
«Mmh.»
Ich sollte das Gespräch jetzt beenden. Wir haben Smalltalk gemacht, ihre Freundin wird von Noah inzwischen auch genug haben. Also los, David, sag brav bye, und das war’s! Ich öffne schon den Mund, da fällt mein Blick auf ihren Schoß.
Sie hat meinen Papierkranich in der Hand.
Er ist etwas zerknittert, vielleicht hat Willows Bruder damit gespielt. Sie hält ihn am Schnabel fest, und ihre Finger ziehen unruhig die Faltung der Schwanzfedern nach.
«Wo du schon mal hier bist», fange ich an und könnte mir dabei selbst in den Hintern treten. Lass es einfach, David! Lass es! «Wir können eigentlich dein Training nachholen.»
Ihr Kopf schießt nach oben, dann schirmt sie die Augen vor der Sonne ab. «Du hast doch längst frei, und ich halte dich nur von deinem eigenen Training ab.»
Was bedeutet schon frei, wenn ich gedanklich sowieso jede verdammte Minute mit ihrem Vater beschäftigt bin? Und je mehr sie trainiert, umso schneller kommt sie nach Hause und ich wieder zu meinem normalen Leben. Vielleicht schaffe ich es dann endlich, das alles zu vergessen.
«Ist keine große Sache, ich bin eh so gut wie fertig.» Damit sie nicht so in die Sonne gucken muss, drehe ich ihren Rollstuhl ein Stück im Uhrzeigersinn und stütze mich auf ihren Armlehnen ab. Ich zwinge mich zu einem aufmunternden Tonfall. «Du hast es vielleicht nicht gehört, aber der Barren da hinten …» Ich zeige auf die zwei Metallstangen, die parallel wie zwei Handläufe aufgebaut sind und an denen ich gerade noch trainiert habe. «Er hat nach dir gerufen.»
Abbi hat ihre Gesichtsmuskeln so was von nicht unter Kontrolle. Ich weiß sofort, was in ihr vorgeht. Sie hat Angst, muss aber gleichzeitig lächeln. Der Ausdruck, der dabei herauskommt, ist irgendein schräges Ding dazwischen. «Das hat er ganz sicher nicht.»
«Doch. Laut und deutlich.»
Sie deutet zwischen sich und dem Sportgerät hin und her. «Vielleicht sprechen der Barren und ich einfach nicht dieselbe Sprache.»
«Ich kann dir das übersetzen.»
«Aber du bist doch mit deinem Freund hier.»
«Der bestimmt kein Problem damit hat, wenn wir beide ein paar Minuten den Barren belegen.»
«Also … gut. Wenn du meinst.» Sie klingt immer noch zweifelnd.
Ich schiebe ihren Rollstuhl über die dämliche Rasenkante, die sie nicht überwinden konnte, und dann die paar Meter über die Wiese bis zum Trainingsgerüst. Noah kommt auf uns zu, als ich die Bremsen feststelle.
«Braucht ihr Hilfe?», fragt er.
«Nein», kommt es direkt panisch von Abbi. Ich grinse und schüttele nur leicht den Kopf. Noah bringt es fertig und trägt sie durch den gesamten Parcours, und das wäre ganz und gar nicht hilfreich.
«Okay.» Er hebt eine Hand. «Dann sagt einfach Bescheid.»
Willow ist damit beschäftigt, ihren kleinen Bruder am Reck zu bewachen. Er klebt an der niedrigsten Stange, baumelt hin und her wie ein Uhrenpendel und kreischt begeistert. Ich klappe Abbis Fußstützen zur Seite, um ihr beim Aufstehen zu helfen. «Sorry, ich bin leider ziemlich verschwitzt», warne ich sie vor, weil sie sich die letzten paar Schritte bis zum Barren auf mich stützen muss.
Okay, das scheint ihr gerade so ziemlich egal zu sein. Sie hat die Lippen so fest zusammengepresst, als hätte sie Angst, ihre Zähne zu verlieren. Ich halte sie um die Taille gepackt und versuche, nicht darauf zu achten, wie gut sie sich anfühlt. Ihre Hand hat sich an meiner Schulter so krampfhaft in mein Shirt gekrallt, dass ich den Stoff beinahe wimmern höre. So überbrücken wir den letzten Meter bis zum Barren. Als sie sich am Holm festhalten kann, wirkt sie erleichtert. Ich klettere drunter durch und stelle mich direkt vor sie.
«Musst du mir jetzt nicht irgendwas mit einer Angel vor die Nase halten? Eine Möhre oder so?», fragt sie und lacht unsicher.
Ich zucke mit den Schultern. «Ich schätze, ich bin die Möhre.»
Verdammt, David, was soll das? Ich räuspere mich. «Komm einfach auf mich zu. Ich bin sofort da, wenn du Probleme hast, okay?»
Sie nickt und starrt dann auf den Boden. Ihre Hände greifen nach vorn, aber die Höhe des Barrens ist nicht optimal. Doch wir sind draußen. Die Sonne und das Lachen von Jacob sind wahrscheinlich gerade viel wichtiger für Abbi als optimale Trainingsbedingungen, würde ich meinen. Vorsichtig setzt sie den rechten Fuß auf und lässt dann den linken folgen. Schritt für Schritt geht es vorwärts.
«Sehr gut, Abbi. Versuch dein Gewicht noch mehr mit den Armen abzustützen. Hast du feuchte Hände? Nicht dass du abrutschst.»
«Nein.» Ihre Zungenspitze ist zu sehen, als sie konzentriert weitermacht.
Ich weiche Stück für Stück zurück. «Es sind nur drei Meter. Das schaffst du locker.»
«Das hört sich wenig an, wenn du das sagst, aber …» Sie unterbricht sich selbst mit einem Kopfschütteln und zieht es durch. Fuß für
Fuß, fest auf ihre Arme gestützt. Als wir das Ende erreicht haben, hebt sie plötzlich den Kopf, und der Ausdruck in ihren Augen trifft mich unerwartet. Weil sie in der Sonne schimmern wie Kastanien und sie stolz und glücklich aussieht und mich das auch happy macht. Mehr, als es sollte.
«Drehen wir um und machen das Ganze noch mal», sage ich schnell, um dieses Gefühl zu verdrängen, und klettere wieder unter der Stange durch. Ich müsste nicht unbedingt vor ihr gehen. Sie ist ziemlich sicher auf den Beinen, aber ich mag es, wie sie auf mich zukommt. Und vor allem mag ich es, wenn sie sich etwas zutraut.
«Ich weiß, ich bin total langsam.»
«Du bist nicht langsam. Außerdem ist es egal. Es ist wie bei allem im Leben. Die Richtung, in die du gehst, ist wichtiger als dein Tempo.»
Sie winkelt das verletzte Bein an. Das ist im Vergleich zu ihrer Haltung vor ein paar Tagen schon eine Million Mal besser. Dann geht sie weiter und schaut dabei mit einem Lächeln auf ihre Füße. «Die Richtung ist wichtiger als das Tempo», wiederholt sie. «Kann es sein, dass du eigentlich kein Physiotherapeut bist, sondern Philosoph?»
«Kann es sein, dass du gerade das erste Mal ohne Gehwagen läufst und das trotzdem großartig hinbekommst?»
Sie lächelt. «Du klingst schon wie mein Dad.»
Scheiße.
Ich bleibe zwar nicht ruckartig stehen, aber Abbi merkt trotzdem, dass etwas nicht stimmt. Sie guckt hoch. Wahrscheinlich fällt mir gerade alles aus dem Gesicht. Wie bescheuert bin ich eigentlich, mich gedanklich auf etwas einzulassen, bei dem es um mehr geht als um Knochen und Muskeln?
«Ich meine, weil du genau wie mein Dad immer versuchst, mich zu motivieren», sagt sie schnell. «Das war nett gemeint.»
Ist verdammt noch mal nicht so bei mir angekommen. «Mach einfach weiter.»
Sie setzt sich in Bewegung, schaut dabei aber immer wieder zu mir auf. «Ich habe was Blödes gesagt, oder?», fängt sie an. «Kann ich das irgendwie wiedergutmachen?»
«Sicher. Indem du jetzt umdrehst und denselben Weg noch mal zurückgehst.» Ich sollte das nicht von ihr verlangen. Sie hat längst genug, das ist nicht zu übersehen. Warum sage ich es dann? Nur um sie an ihre Schmerzgrenze zu bringen, so wie sie das gerade bei mir gemacht hat? Wieso habe ich mich nicht besser im Griff?
«Okay.»
Obwohl sie jetzt schon erschöpft ist, dreht sie am Ende des Barrens noch einmal um und kehrt mir den Rücken zu. Diesmal laufe ich nicht vor ihr her. Ich achte auf jede ihrer Bewegungen. Wie sie das Bein anhebt und nach vorne setzt. Wie sich ihre Arme anspannen und die Finger um die Holme verkrampfen, weil sie fast ihr ganzes Gewicht tragen müssen. Wie sich ihre Schulterblätter anheben und das enganliegende T-Shirt darüber spannt. Abbi wirkt trotz der Anstrengung entschlossen, und in mir regt sich der idiotische Wunsch, sie zu beschützen. Das ist doch scheiße. Normalerweise habe ich nicht das Bedürfnis, einem meiner Patienten etwas abzunehmen, zumindest sollte ich das nicht haben. Aber in diesem Moment würde ich das gern.
Als sich mit einem Mal das Zittern in ihren Armen intensiviert und auf ihren ganzen Körper ausdehnt, bin ich mit drei Schritten vor ihr am anderen Ende des Barrens. Auf Abbis Stirn stehen Schweißperlen, und ihre Haut ist blass. Außerdem verzieht sie vor Schmerzen das Gesicht. Das war definitiv zu viel.
Gerade noch rechtzeitig halte ich sie fest, bevor ihr das gesunde Bein wegsackt. Noah hat es gesehen und kommt sofort zu uns.
«Es ist … alles okay», keucht Abbi atemlos in mein Shirt. «Ist bestimmt nur die Sonne. Ich glaube, ich habe … einfach zu wenig getrunken.»
«Hast du Wasser dabei?», fragt Noah mich.
«Meine Trinkflasche. In meinem Rucksack.»
Er läuft los, und ich helfe Abbi in den Rollstuhl. Sie ist so erschöpft, dass sie nicht mal protestiert, als ich die Arme um sie lege, um sie richtig in den Sitz zu bekommen, und für eine Sekunde blitzt der Gedanke in mir auf, wie nah das an einer Umarmung ist. Ich kann ihren Atem an meiner Wange spüren, und ihr Haar kitzelt mich am Mund, bevor ich zurückweiche.
Abbi wischt sich den Schweiß von der Stirn. Sie stützt sich erst auf die Armlehne, dann fasst sie sich an die schmerzende Hüfte. Ihre Schwachstelle. Sie tastet nach etwas unter ihrem Bein, und einen Augenblick später zieht sie den Kranich hervor. «Oh nein», sagt sie. «Jetzt habe ich ihn zerdrückt.»
«Ist doch egal. Ich mach dir einen neuen.»
Sie sieht überrascht auf, und ich klemme mir, über mich selbst verärgert, die Unterlippe zwischen die Zähne.
«Ich wusste nicht, dass er von dir ist.»
Noah kehrt mit dem Wasser zurück, deshalb komme ich um eine Antwort herum. Mit beiden Händen hält Abbi die Flasche umständlich fest und trinkt. Und danach hat sie tatsächlich wieder etwas mehr Farbe im Gesicht.
Ich höre Willows kleinen Bruder kreischend über die Wiese rennen, seine Schwester ruft etwas hinter ihm her, aber ich habe nur Augen für Abbi.
«Was ist mit deinen Händen?», frage ich sie, weil sie sie immer noch seltsam krümmt.
«Nichts, es geht gleich wieder.» Sie lässt die Flasche in ihrem Schoß liegen, dreht die Handfläche nach außen, und weil ich nicht anders kann, taste ich darüber. Sie hat keine Blasen an den Händen, also war es vermutlich nur die verkrampfte Haltung, die ungewohnte Anstrengung. Ich halte sie fest, fange an, Abbis rechte Hand von den Fingern an über die Handfläche auszustreichen, um sie zu lockern.
«Es ist nicht so schlimm. Wirklich.»
Aber ihre Hand ist völlig steif. Mit den Fingerspitzen fahre ich zwischen den Mittelhandknochen entlang bis zur Handwurzel, dann streiche ich jeden einzelnen Finger von ihr aus und knete mit Daumen und Zeigefinger sanft die Muskeln ihres Daumenballens. Das mache ich, ohne aufzusehen, und so lange, bis ich merke, dass ihre Muskeln sich endlich lockern. Ich wechsle zum kleinen Finger und nehme mir ihren Handballen vor.
Abbi gibt einen seltsamen Laut von sich, aber als ich hochgucke, sieht sie entspannt aus. Okay, das ist gut. Ich lasse ihre Rechte los und mache mit der linken Hand weiter, wo ich genau dieselbe Abfolge wiederhole. Glaube ich. Denn weil ich sie beobachte, vergesse ich auf einmal, was ich tun wollte. Abbis Lippen sind leicht geöffnet, und als sie mir auf einmal direkt in die Augen sieht, setzt mein Herz für einen Schlag aus. Verdammt, sie ist kein bisschen entspannt, und ich sollte sofort damit aufhören. Ihre Finger bewegen sich, und auf einmal hält sie mich fest. Unwillkürlich. Ich glaube nicht, dass sie es mit Absicht macht, es ist mehr ein Reflex. Trotzdem werde ich davon überrascht und spüre meinen Herzschlag bis hinauf in den Hals. So hart, dass ich nur mühsam Luft kriege.
Willows Stimme ruft zu uns herüber, aber ich nehme sie kaum wahr.
«Hey.» Noah räuspert sich. «David.» Er stößt mich mit dem Ellbogen an.
Ich zucke zusammen und winde meine Hand aus Abbis Griff. Willow kommt mit ihrem kleinen Bruder im Schlepptau zu uns. «Können wir zur Klinik zurückgehen? Ich muss Jacob spätestens um acht ins Bett bringen.»
Abbi stammelt. «J…ja, klar. Lass uns zurückgehen.» Dann wendet sie sich an mich. «Danke für das Wasser. Und … alles.»
«Kein Problem.» Mit der Hand, die sie eben noch festgehalten hat, fahre ich mir über den Nacken. «Wir sehen uns morgen.»
Die Schatten sind jetzt so lang, die Sonne so tief, dass die drei im Weggehen kaum mehr als schwarze Silhouetten sind.
«Okay», sagt Noah und holt tief Luft. «Was zum Teufel war das gerade?»
«Was meinst du?»
«Das, was du da mit ihren Händen gemacht hast und was sie, nebenbei bemerkt, total benebelt hat. Macht man das so als Physiotherapeut?»
«Wenn’s nötig ist.»
«Und du meinst ernsthaft, das war nötig?»
«Das war eine medizinische Massage, Noah. Was ist daran ungewöhnlich? Ist schließlich meine Schuld gewesen, dass ihre Hände so verkrampft waren. Ich habe zu viel von ihr verlangt.»
«Das», Noah hebt eine Braue in die Höhe, «war keine medizinische Massage. Ich stand die ganze Zeit daneben, falls es dir entgangen ist.»
«Sie hatte Schmerzen, und ich habe ihre Muskeln gelockert. Was ist daran so sc
hlimm? Erklär’s mir, ich kapier’s nämlich nicht.»
«Hättest du sie auch so gelockert, wenn sie ein hässlicher alter weißer Sack gewesen wäre?»
«Natürlich. Das ist mein Job.»
«Du meinst das wirklich ernst, oder? Fuck, David. Wenn das eine Handmassage war, dann solltest du beim nächsten Mal ein Kondom benutzen.» Er bricht in Gelächter aus, und als mir klar wird, was er meint, trifft mich das wie eine Abrissbirne.
«Sie ist meine Patientin», sage ich schroff. Und nicht nur das. Sie ist außerdem auch die Tochter des Mannes, den ich mehr verabscheue als jeden anderen auf der Welt. Es war definitiv nur eine Massage. Nicht mehr. Aber … wenn Noah das anders sieht, habe ich vielleicht ein noch größeres Problem, als ich dachte. Denn heilige Scheiße, was, wenn Abbi das auch so empfunden hat?
«Nur eine Patientin, klar. Aber eine, mit der du gerade am helllichten Tag im Park fucking ungeschützten Handsex hattest. Mir ist schon vom Zugucken heiß geworden. Scheiße, ich muss das unbedingt mit Aubree machen. Kannst du mir zeigen, wie das geht?»
«Schnauze, Noah.» Ich bin sauer. Das hatte nichts, aber auch gar nichts zu bedeuten, und dass Noah so beschissene Andeutungen macht, kotzt mich gerade richtig an.
«Ich kann gerne die Klappe halten. Aber ich glaube nicht, dass dir das weiterhilft.» Er lacht so laut auf, dass ich ihm am liebsten eine verpassen würde.
Ohne Vorwarnung reiße ich meinen Arm hoch und nehme ihn in den Schwitzkasten. Er wehrt sich nicht mal, lacht nur noch lauter, was es leider ziemlich unbefriedigend macht.
«Ach, verdammt. Lass uns einfach weitertrainieren», fahre ich ihn an. Was ich jetzt brauche, kann mir nur ein hartes Workout bieten. Okay, wahrscheinlich nicht mal das. Was ich brauche, ist Abstand zu Abbi Hayden. Denn sie hat mich eben mit ihren dunklen Augen so angesehen, als würde sie mir noch viel mehr anvertrauen als bloß ihre Hände.