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Ever – Wann immer du mich berührst

Page 11

by Hotel, Nikola


  10. Kapitel

  Abbi

  Wir sehen uns morgen, hat David gesagt, aber zwei Tage lang lässt er sich nicht blicken. In dieser Zeit laufe ich einfach weiter mit dem Gehwagen, mache meine Übungen und versuche, nicht so viel an ihn zu denken, was aber nicht wirklich funktioniert. Weil er mir einen Papierkranich geschenkt hat und ich nicht weiß, warum. Und weil ich nicht vergessen kann, wie er meine Hände massiert hat. Macht er das bei all seinen Patienten? Wie sanft er war, wie konzentriert. Und dann habe ich ihn festgehalten, was ein blöder Fehler war. Dabei habe ich es nicht mal mit Absicht getan, ich habe einfach nicht nachgedacht. Wie konnte mir das nur passieren? Mir wird jetzt noch heiß, wenn ich mir den Moment in Erinnerung rufe. Vor allem, wie überrascht er mich angesehen hat.

  Ich halte den Kranich gerade mal wieder in der Hand, jetzt lege ich ihn seufzend auf meinen Nachttisch auf die Mappe von Dads Firma. Die beiden Flügel stehen hoch, und er sieht aus, als würde er gleich abheben.

  Die Schmerzen in meiner Hüfte sind noch schlimmer geworden. Heute Morgen wurde eine Sonographie gemacht, um auszuschließen, dass es eine Entzündung ist. Der Arzt meinte, der Befund sei negativ, es läge nur an der einseitigen Belastung. Auch die Röntgenkontrolle von meinem Knie ist gut ausgefallen. Trotzdem habe ich das Gefühl, auf der Stelle zu treten, hier niemals rauszukommen. Ich werde ewig hier in dieser Klinik festhängen. Wie dieser Kranich, der zwar so aussieht, als könne er fliegen, es aber nicht kann. Und jetzt ist er für immer in dieser Form gefangen.

  Wenn man Papier faltet, dann brechen die trockenen Papierfasern. Man kann es mit der Hand glätten, es sogar bügeln, aber es wird nie wieder so sein wie zuvor. Und so fühle ich mich auch. Etwas in mir ist bei dem Unfall zerbrochen, und es ist egal, wie gut es heilt oder wie viel ich trainiere, es wird vielleicht nie wieder so sein wie vorher. Die Vorstellung, wieder mein altes Leben zu leben, aufs College zu gehen, unter der Woche dort im Wohnheim zu wohnen, ist fast surreal. Ich würde Ryan dort begegnen. Ryan, mit dem ich das erste Mal Sex hatte und der mir dabei seine Wünsche aufgedrängt hat. Der mich überrumpelt und mir jede Möglichkeit genommen hat, erst einmal herauszufinden, was ich selbst eigentlich mag. Und der mich jetzt verurteilt, weil wir zusammen diesen Unfall hatten.

  Lösch meine Nummer, du Psychopathin! Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben.

  Als mein Handy klingelt, schrecke ich zusammen, weil ich im ersten Moment denke, dass es Ryan sein könnte. Aber es ist meine Mutter. Es läutet viermal, und ich überlege, ob ich nicht lieber die Mailbox drangehen lasse. Nur dass ich keine Ausrede habe. Sie wird mir kaum abkaufen, dass ich schwer beschäftigt bin. Und ich möchte nach Hause. Ich möchte so sehr nach Hause, dass mir sogar beim Foto meiner Mutter die Kehle eng wird.

  «Hallo, Mom.»

  «Guten Morgen, Abigail. Wie geht es dir?»

  «Gut, danke. Ist Dad bei dir?»

  «Ich bin mit deinem Vater unterwegs nach Concord, deshalb rufe ich an. Wir werden nachher noch zu dir in die Klinik kommen, aber du kannst dir schon mal einen Termin für morgen notieren.»

  «Was für einen Termin?»

  «Beim Schmerztherapeuten. Es war sehr schwer, so kurzfristig etwas zu vereinbaren, aber dank guter Beziehungen ist es geglückt. Um zehn Uhr dreißig musst du dort sein. Die Praxis ist allerdings nicht auf dem Klinikgelände. Du musst also einer der Schwestern Bescheid geben, dass sie dir für spätestens Viertel vor zehn einen Krankentransport organisieren. Ich schicke dir die Kontaktdaten gleich per E-Mail.»

  «Wir haben vorher gar nicht darüber gesprochen.» Sie hat mich nicht mal gefragt, ob ich diesen Termin überhaupt möchte.

  «Wir haben nur noch drei Wochen, Abigail. Für die Homestory solltest du ohne Krücken stehen können. Inzwischen müssen wir nach jedem Strohhalm greifen, damit du rechtzeitig fit und vorzeigbar bist.»

  Fit und vorzeigbar. Und wenn nötig soll ich dann mit Schmerzmitteln vollgepumpt in die Kamera lächeln, damit sie für den Wahlkampf schöne Filmaufnahmen bekommen. Ich schlucke, weil mir Moms Aktionismus Magenschmerzen verursacht. Aber ich will mich meinem Dad zuliebe nicht davor drücken. «Ich kümmere mich um den Krankentransport.»

  «Und dann habe ich mit Ryans Mutter telefoniert.»

  Mein Magen sackt eine Etage tiefer. Sie sagt es einfach so, als wäre es nebensächlich, aber das ist es nicht. «Hast du sie etwa angerufen?» Bitte nicht. Nicht das auch noch.

  «Ich hatte sie um Rückruf gebeten, und wir haben uns für morgen zum Mittagessen verabredet. Dein Vater und ich haben uns überlegt, dass es schön wäre, wenn Ryan beim Dreh mit dabei wäre.»

  Ich richte mich im Bett auf. «Was? Das ist doch nicht dein Ernst? Du weißt, dass wir nicht mehr zusammen sind, Mom. Und daran wird sich auch nichts ändern.»

  «Wie kannst du da so sicher sein? Ihr seid das perfekte Paar. Ich verstehe, dass es in eurem Alter manchmal Probleme gibt, aber das lässt sich doch aus der Welt schaffen. Du musst dir einfach mehr Mühe geben. Sei ein bisschen nett zu ihm.»

  Mir wird schlecht. Ich soll nett zu ihm sein? Er hält mich für eine Psychopathin. Ganz abgesehen davon, dass er nicht einmal wissen wollte, wie es mir nach dem Unfall geht. «Auf gar keinen Fall. Ich werde mich nicht mit Ryan filmen lassen. Wenn du willst, gehe ich morgen zu diesem Schmerztherapeuten, und ich verspreche dir, dass ich alles dafür tue, in drei Wochen ohne Krücken für diese Aufnahmen bereitzustehen, aber das kannst du nicht von mir verlangen. Ryan hat mit mir Schluss gemacht, Mom. Und ich möchte ihn nie wiedersehen.»

  «Wir müssen nicht jetzt darüber diskutieren.»

  Mir bricht der Schweiß aus, weil ich diesen Tonfall kenne. Genau diesen Satz sagt sie immer, bevor sie mich vor vollendete Tatsachen stellt. «Wir müssen überhaupt nicht darüber diskutieren. Ich will das nicht. Außerdem wird Ryan sich nicht darauf einlassen.»

  «Darum werde ich mich kümmern.»

  «Mom!» Ich muss ihr begreiflich machen, dass Ryan für mich gestorben ist. Aber den Grund dafür kann ich ihr auf keinen Fall sagen. Weil ich ihn mir nicht mal selbst eingestehen kann. Weil ich davor unendliche Angst habe. Denn seine Beleidigung und das, was er damit impliziert … Was, wenn er recht hat? Was, wenn ich in dieser Nacht überreagiert habe? Wir haben uns schon auf der Party gestritten, und womöglich habe ich einen Fehler gemacht. Und der nächste Gedanke zerreißt mich fast: War es meine Schuld? Habe ich im Auto die Nerven verloren? «Kann ich mit Dad sprechen?», bringe ich mühsam heraus.

  Meine Mutter seufzt. «Glaub mir, dein Vater ist mit mir einer Meinung.»

  «Gibst du ihn mir bitte?»

  «Du kannst später mit ihm telefonieren. Er muss sich jetzt auf ein Interview vorbereiten. Sieh bitte zu, dass du das mit der Fahrt morgen regelst. Bis später, mein Liebling.»

  Sie legt auf, und ich starre mehrere Minuten lang auf mein Handy. Völlig fassungslos, wie dieses Gespräch gerade verlaufen ist. Mein Blick fällt auf den Kranich. Ich bin wirklich wie dieser Origami-Vogel. Seit Wochen werde ich hin und her geschoben, und schon davor bin ich hilflos herumgeflattert in dem Versuch, das Richtige zu tun. Das Richtige aus Sicht meiner Eltern, das Richtige für mein Studium oder für meine Beziehung zu Ryan. Aber das Richtige ist nicht das, was ich will. Ich werde mich nicht darauf einlassen, mit Ryan Heile-Welt-Aufnahmen für Dads Wahlkampf zu machen. Das kann Mom nicht von mir verlangen. Und was ich jetzt will, ist, einfach nur nach Hause zu gehen. Ich halte es hier nicht mehr aus. Vielleicht kann mir die Schmerztherapie wirklich helfen. Vielleicht komme ich damit schneller von hier fort.

  Ich schiebe die Beine über den Bettrand, hangle nach dem Rollstuhl und ziehe ihn an der Armlehne zu mir heran. Der Gehwagen steht von gestern noch in meinem Zimmer, aber um ihn zu erreichen, muss ich mit dem Rollstuhl rüberfahren. Meine Hüfte sticht. Ich stemme mich hoch und streife den Morgenmantel über, weil ich nur Unterwäsche und ein langes Schlafshirt trage. Auch wenn es hier niemanden interessiert, wie ich aussehe – im Nachthemd muss ich nicht unbedingt zum Schwesternzimmer.

  Am anderen Ende des Raums stelle ich die Bremsen fest und ziehe mich am Gehwagen hoch. Es ist total umständlich, die Tür aufzubekom
men, wenn man gleichzeitig so ein Riesengefährt vor sich herschiebt, aber schließlich schaffe ich es. Schritt für Schritt arbeite ich mich vorwärts über den Flur. Ich fühle mich wie eine Heldin, was eigentlich lächerlich ist. Es ist höchste Zeit, dass ich das hier allein bewältige. David hat recht. Meine Rippenbrüche sind gut verheilt, ich sollte endlich auf Krücken laufen und den Gehwagen für Senioren hinter mir lassen. Und ich sollte aufhören, auf ihn zu warten, und mein Leben selbst in den Griff kriegen.

  Aus dem Schwesternzimmer höre ich Gelächter, dann einen Piepston, der es sofort beendet. Die Tür wird aufgerissen, und jemand rennt an mir vorbei. Weil die Tür offen bleibt, kann ich die Leute im Raum jetzt deutlich verstehen. Zuerst höre ich Kadence’ Stimme und dann die von David, was mich überrascht. Ich dachte, er wäre gar nicht da. So wie an den letzten beiden Tagen.

  «Nur heute», sagt Kadence. «Nur dieses eine Mal noch, versprochen. Ich muss heute unbedingt pünktlich raus.»

  «Dann gib mir jemand anderen», sagt David. «Scheiße, Kady, gibt mir fünf andere. Ich mache auch Überstunden für dich, ist mir völlig egal. Aber erspar mir das.»

  «Ich weiß echt nicht, was du hast. Sie ist ein nettes Mädchen, und sie hat bei dir so tolle Fortschritte gemacht. Du magst sie doch.» Kadence seufzt, und ich erstarre auf der Stelle.

  «Ich erklär’s dir irgendwann mal.»

  «Na gut. Aber dann nimmst du mir Hamilton ab und die beiden aus der vierzehn.»

  David atmet erleichtert aus. «Deal.»

  Bevor ich irgendwie reagieren kann, stößt Kadence die Tür noch weiter auf und kommt heraus. David folgt einen Schritt hinter ihr. Wenn ich mir bis dahin noch einreden konnte, dass es bei diesem Gespräch ganz sicher nicht um mich ging, wird mir das Gegenteil spätestens klar, als David mich entdeckt. Er wird schlagartig rot und beißt sich auf die Lippe.

  «Hey, Süße», sagt Kadence und lächelt darüber hinweg. «Du bist ganz allein unterwegs. Sehr gut.»

  Er will nicht mit mir arbeiten, ist das Einzige, woran ich denken kann, und dabei krümmt sich etwas in mir zusammen. Er macht lieber Überstunden mit anderen Patienten, als noch einmal mit mir zu üben.

  «Ja.» Ich räuspere mich, weil meine Kehle zu eng für jedes weitere Wort scheint, doch plötzlich ist der Weg frei, und die Sätze stolpern nur so aus mir heraus. «Ich wollte dir nur Bescheid sagen, dass ich heute keine Krankengymnastik brauche, weil … ich keine Zeit habe», improvisiere ich. «Meine Freundin Willow kommt vorbei. Wir fahren dann wieder in den Park. Vielleicht gehe ich nachher auch noch runter in den Fitnessraum, um meine Arme zu trainieren, aber dabei komme ich allein zurecht.»

  Allein. Ich brauche dich nicht, schwingt es überdeutlich zwischen den Zeilen mit, und ich hoffe, dass David versteht, dass dieser Satz ihm gilt, auch wenn ich ihn dabei nicht ansehe. Du willst mich nicht, und ich brauche dich nicht.

  Mit der Hand streiche ich mir meine Haare hinters Ohr. Mein Gesicht fühlt sich glühend heiß an. Weil ich lüge. Willow kommt definitiv nicht. Sie ist mit ihrer Mom und Jacob auf dem Weg nach Bristol, um ein paar Tage am Newfound Lake zu verbringen. Und weil David nichts sagt. Und weil ich im Augenwinkel sehe, wie er sich wieder einmal über den Nacken fährt. Was eine Geste ist, von der ich jetzt sicher weiß, dass er sie aus Verlegenheit macht.

  «Es ist total schön draußen, oder?» Meine Stimme klingt künstlich, als würde ich die Worte von einem Blatt ablesen.

  «Aber es ist superheiß», sagt Kadence. «Nimm auf jeden Fall was zu trinken mit, wenn du rausgehst.»

  «Mach ich.» Ich könnte mich jetzt endlich verabschieden, aber wenn ich den Termin morgen verpasse, bringt Mom mich um. «Für morgen brauche ich einen Krankentransport zur Schmerztherapie. Um Viertel vor zehn. Kannst du das vielleicht an die Schwestern weitergeben?»

  «Aber klar, mach ich. Dann viel Spaß nachher.»

  «Danke.» Oh Gott, meine Augen brennen wie Feuer. Ich blinzle und wende schnell den Kopf ab. Vielleicht war ich gar nicht gemeint. Und wenn doch, dann geht davon die Welt nicht unter. Nur weil ich David mag, heißt das ja nicht, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruht. Er ist nur mein Therapeut, er muss nicht mit mir befreundet sein. Vielleicht ist er einfach überarbeitet und … Nein. Ich habe mich einfach getäuscht. Wir haben zwar zusammen gelacht, aber das alles war nur professionelle Freundlichkeit von ihm, keine echte Sympathie. Das ist auch gar nicht schlimm. Ich bin nur gerade etwas empfindlich, weil ich Schmerzen habe und Heimweh. Und weil er meine Hände auf eine Art berührt hat, die viel zu intim war. Was ich mir ganz offensichtlich aber nur eingebildet habe.

  Ich schiebe den Wagen um die eigene Achse und stoße dann ein Keuchen aus, weil ich zu fest mit dem rechten Fuß aufgetreten bin und mir der Schmerz sofort ins Knie schießt.

  «Warte», höre ich David sagen, aber ich warte nicht. Ich will nicht, dass er mir hilft. Nicht, wo ich jetzt weiß, dass ihm das eigentlich zuwider ist.

  Mit meinem ganzen Gewicht stütze ich mich auf den Wagen und schiebe ihn vorwärts. Dieses blöde Knie! Meine Hüfte! Ich könnte wirklich heulen. So schnell es geht, humple ich vorwärts und beiße dabei die Zähne fest zusammen. Es ist egal, ob es weh tut, solange ich nur mein Zimmer erreiche und die Tür zuwerfen kann. Solange ich so tun kann, als hätte ich nicht gehört, was David gesagt hat, und als hätte mich das nicht verletzt. Es ist idiotisch, dass mich das verletzt. Aber die Vorstellung, dass er jetzt Mitleid mit mir hat, ist unerträglich. Er hat gelesen, dass Ryan mich für eine Psychopathin hält. Und dann halte ich im Park seine Hand fest. Offenbar war das so falsch, dass er mich jetzt nicht mal mehr behandeln will.

  Davids Turnschuhe. Das Geräusch, das seine Sohlen auf dem Linoleum machen, ist mir lächerlich vertraut. Ich höre genau, dass er mir folgt, und ich wünschte, er würde es nicht.

  «Abbi, warte.»

  Ich bleibe nicht stehen, und ich sehe mich auch nicht um. Ich wünschte, ich könnte weglaufen.

  «Hey.» David hat mich eingeholt und geht neben mir her. «Du hast es ganz schön eilig.»

  «Ja», knurre ich durch zusammengepresste Zähne. «Ich trainiere für die Meisterschaft im Gehwagensprint.» Es tut weh. In meiner Hüfte sticht es, als würde jemand mit einem Messer darin herumstochern. Und in meinem Brustkorb sticht es auch. Bitte hilf mir nicht. Bitte hör auf, so nett zu tun.

  «Die wirst du gewinnen, würde ich meinen.»

  Ich gucke ihn nicht an, um zu sehen, ob er lächelt. Weil … wäre das nicht total verlogen von ihm?

  «Ich schaffe das allein, danke», sage ich schnell, um ihn abzuwimmeln. «Ich habe in den letzten Tagen Brustmuskeln bekommen.» Oh Gott, Abbi!

  «Und einen Bizeps», füge ich noch hinzu, da sagt er schon: «Ist nicht zu übersehen.»

  Mein Blick schießt zu ihm, und nun bleibe ich ruckartig stehen. David bemüht sich um ein freundliches Lächeln, aber es misslingt ihm. Wahrscheinlich, weil er nicht so gut lügen kann, wie er gerne möchte. Und ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll.

  «Die Sonographie von deiner Hüfte war ohne Befund, habe ich gelesen.»

  Heißt das, er hat sich meine Untersuchungsbefunde angesehen? Obwohl er ums Verrecken keine Krankengymnastik mit mir machen will und mir seit Tagen aus dem Weg geht? Warum? Einfach nur, weil er professionell ist?

  «Aber es gefällt mir trotzdem nicht, wie du läufst», sagt er. «Du hast Schmerzen, das ist nicht zu übersehen.»

  Ist mir egal, ob ihm das gefällt! «Es lässt sich aushalten. Ehrlich.» Ich laufe wieder los, obwohl ich nicht will, dass er mich dabei beobachtet, und bin schon fast an meinem Zimmer, als mein verdammter Körper mich im Stich lässt. Es sticht so stark in meiner Hüfte, dass mir das Bein einfach wegknickt. Mit einem Keuchen halte ich mich fest und fange überall an zu zittern.

  «Scheiße», flucht David. Er ist sofort zur Stelle, um mich festzuhalten. «Ich sag doch, das gefällt mir nicht. Kadence sollte sich das unbedingt ansehen.»

  «Es ist … nicht so schlimm. Und Kadence hat keine Zeit. Bitte lass mich einfach nur in mein Zimmer. Bitte.»

  «Dann …» Er kaut sichtbar an seinem nächsten Satz herum. «… dann wer
de ich mir das ansehen.»

  Aber das ist doch genau das, was er um jeden Preis vermeiden will, oder nicht? Was zum Teufel soll das? Wieso wehrt er sich einerseits mit Händen und Füßen, etwas mit mir zu tun zu haben, macht sich andererseits aber Sorgen? Hat er einfach nur ein schlechtes Gewissen? Aber warum? Ich versteh es nicht. «Das ist nicht nötig», sage ich schnell. «Morgen habe ich einen Termin beim Schmerztherapeuten, und ich … ah!» Ich beiße die Zähne zusammen und kralle mich hilflos am Wagen fest, weil das Stechen mich umbringt.

  «Okay, das reicht.»

  In der nächsten Sekunde greift David mir unter Arme und Kniekehlen und hebt mich hoch. Ich kann mich nicht dagegen wehren, weil mich gerade jede Kraft verlässt, und gebe ein verzweifeltes Stöhnen von mir. Nicht nur, weil es schmerzt, sondern auch, weil es so demütigend ist, ausgerechnet von David getragen zu werden. Mein Kopf prallt gegen seine Schulter, als er mit mir den Gang runterläuft und mit Ellbogen und Schulter eine Tür aufstößt. Aber nicht die Tür zu meinem Zimmer, sondern zu einem Behandlungsraum. Da ist eine Liege, auf der er mich absetzt, und ich versuche verzweifelt, mein Gesicht wieder auf Normaltemperatur runterzubekommen. Aber … Oh Gott, es tut so weh! Ich hebe den Po an, um nicht mit meinem ganzen Gewicht auf der rechten Seite zu sitzen, aber das hilft auch nicht. Die Liege ist bretthart.

  «Ich weiß, das ist nicht sehr bequem, tut mir leid.» Er tritt zur Tür, um sie zu schließen, dann kommt er zu mir zurück. Er sieht wirklich besorgt aus. Seine Stirn ist gerunzelt, und sein sonst so aufmunterndes Lächeln ist verschwunden. «Du hast Schmerzen. Und ich will endlich wissen, was los ist. Aber dafür musst du dich ausziehen.»

  «Du musst dich nicht um mich kümmern. Ich nehme einfach eine Tablette, dann halte ich es aus bis morgen. Bitte, David.»

 

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