Ever – Wann immer du mich berührst
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Als ich ihn mit flehenden Augen ansehe, sagt er: «Der Schmerztherapeut wird dir da auch nicht weiterhelfen können, der behandelt nur Symptome. Lass mich einfach einen Blick drauf werfen, okay? Ich mache ein paar Funktionstest, ist nur eine Sache von Minuten, mach dir keine Sorgen. Du kannst deine Unterwäsche anlassen. Und ich werde ein Handtuch über dir ausbreiten. Ein ziemlich großes Handtuch, wenn dich das beruhigt.»
«Ich weiß nicht», sage ich mit einem Keuchen. Der Schmerz lässt immer noch nicht nach, und ich will einfach nur, dass es nicht mehr sticht. In diesem Moment sollte es mir vielleicht egal sein, dass er eigentlich nichts mit mir zu tun haben will. Aber das ist es nicht. Das ist es kein bisschen.
David muss mir meine Sorgen ansehen. Er ringt sichtlich mit sich, dann holt er tief Luft. «Ich weiß nicht, was du da eben gehört hast, Abbi, aber das hat nichts mit dir zu tun, okay? Ich will dir nur helfen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das kann. Danach kannst du immer noch sauer auf mich sein.»
Langsam nicke ich, und nach einem weiteren Stechen, bei dem ich hart die Luft ausstoßen muss, gebe ich schließlich nach. «Okay.» Mit einer Hand ziehe ich den Gürtel meines Morgenmantels auf und streife ihn mir von den Schultern.
«Du kannst dir das Handtuch selbst umlegen.» Er deutet auf die Liege neben mich, wo tatsächlich ein Handtuch bereitliegt, dann dreht er mir für einen Moment den Rücken zu.
Nach kurzem Zögern ziehe ich mir auch das Schlafshirt über den Kopf und wickle mir, so schnell es geht, das Handtuch eng um den Oberkörper.
«Fertig?»
«Ja.»
David dreht sich wieder zu mir um. Er nimmt meine Beine, um mir beim Hinlegen zu helfen.
«Ich muss die Bänder im Glutealraum ertasten», erklärt er mir. «Dorsal und ventral. Damit meine ich vorne und hinten. Wenn dir irgendetwas weh tut, was ich nicht merke, dann sag mir Bescheid oder schlag mir einfach auf den Arm, okay?»
Ich nicke.
Was um Himmels willen ist der Glutealraum? Worauf habe ich mich da eingelassen? Wo ist Kadence? Warum hat sie bloß keine Zeit? Oh mein Gott.
David beugt sich mit gerunzelter Stirn über mich. Von meinem Oberschenkel aus gleiten seine Fingerkuppen mit leichtem Druck nach oben und tasten über meine Leiste. Und, oh Gott, jetzt verstehe ich, was für eine Region David meint. Er ist erst wenige Zentimeter weit gekommen, da schlage ich ihm schon auf den Arm.
Sofort lässt er los. «Tut das weh?»
«Nein», flüstere ich und unterdrücke die Panik, die in meinem Brustkorb aufsteigt. «Aber das … kitzelt», lüge ich verzweifelt.
«Dann mache ich das etwas fester, okay? Das sollte eigentlich helfen.»
Aber es hilft nicht. Weil ich weiß, dass David mich eigentlich nicht behandeln will. Das hat er schließlich zu Kadence gesagt. Und jetzt bin ich ihm völlig ausgeliefert. Obwohl ich Schmerzen habe, winde ich mich nicht allein deswegen, sondern weil ich mich noch nie so zurückgewiesen gefühlt habe. Nicht einmal von meiner Mutter. Nicht einmal von Ryan.
David tastet mich ab. Vorsichtig hebt er abwechselnd erst mein rechtes Bein an, um es in der Hüfte anzuwinkeln, dann das linke. Beide Male halte ich die Luft an. Er überkreuzt meine Beine, und das tut noch mehr weh. David sieht es mir sofort an und hört mit der Bewegung auf.
«Nur noch ein Test, Abbi. Wenn es ist, was ich denke, dann wird das jetzt gleich in deinem Gesäßmuskel ziemlich ziehen. Okay?»
Ich nicke, weil ich einfach nur will, dass es schnell vorbei ist. David lässt mein Bein über die Liege nach unten hängen. Er fixiert mein verletztes Knie und dreht ganz leicht meinen Unterschenkel nach außen.
«Aaa… Autsch.»
«Okay, das war’s, versprochen. Ich denke, jetzt weiß ich, was los ist. Drehst du dich bitte um? Ich helfe dir, aber leg dich nicht auf das Handtuch.»
Was hat er vor? Zögernd rolle ich mich auf den Bauch, zupfe die Handtuchenden umständlich unter mir heraus, weiß aber nicht, wie ich das mit meinem Knie machen soll. Im nächsten Moment hebt David meinen rechten Fuß an und legt mir eine Schaumstoffrolle unter das Sprunggelenk. Die Spannung lässt sofort nach. «Das ist besser», sage ich überrascht.
«Ich weiß. Du kannst auch ein Kissen unter den Bauch kriegen, wenn du möchtest.»
«Ich glaube, das ist nicht nötig.»
«Okay.» Er breitet ein zweites Handtuch über meinem Rücken aus, und ich frage mich, wieso. Das erste Handtuch war schon recht groß, und ich habe meine Unterwäsche an. Vielleicht ist David einfach nur besonders rücksichtsvoll, überlege ich. Oder …
Oh mein Gott, nein, ist er nicht.
Ich habe gerade eine bequeme Position für meinen Kopf gefunden und kann durch die Gesichtsaussparung in der Liege auf den Fußboden gucken, da zieht er das Handtuch über meinen Rücken nach unten. Er greift in mein Haar und kämmt es zur Seite, und im nächsten Moment spüre ich seine Hände auf mir. Zwei Finger schieben sich unter meinen BH-Verschluss, und der springt sofort auf. Oh Gott, das hätte er ruhig ankündigen können.
Ich halte die Luft an und kann hören, dass er Öl in seine Handfläche pumpt. Plötzlich liegen seine Hände warm auf meinem Rücken. Warm und ölig.
«Versuch, dich zu entspannen, Abbi. Ich fange mit deinem Rücken an, damit du dich daran gewöhnst.»
Wie soll ich mich entspannen, wenn ich weiß, dass das erst der Anfang ist? Meine Brust drückt unangenehm gegen das Polster, aber ich traue mich nicht, jetzt doch nach einem Kissen zu fragen. Dann hält er mich für verwöhnt. In meiner Hüfte pocht der Schmerz in ungewohnter Intensität, strahlt bis in meinen Hintern aus und von dort auch noch höher. Und Davids Hände gleiten über meine Haut. Er streicht vom Rücken bis hoch in meinen Nacken und über die Schultern. Erst mit flachen Händen und dann mit den Fingerknöcheln. Die Vorstellung, dass er gleich tiefer gehen wird, verursacht mir jetzt schon Bauchschmerzen. Aber da ist auch etwas anderes. Etwas, das seine Hände auf mich übertragen und mir Ruhe vermitteln. Weil er sie so gleichmäßig bewegt. Fest und verlässlich.
Ich muss mich zusammenreißen, keine Geräusche von mir zu geben, weil die Berührung wirklich schön ist. Sehr fest, aber … Ich schließe schnell die Augen. David knetet mit den Handflächen die Muskeln an meiner Seite, und dann gebe ich doch einen verräterischen Laut von mir. Er nimmt die Hände nicht von meinem Rücken, bewegt sie für einen Moment aber nicht mehr weiter.
Und dann lächelt er. Ich weiß nicht mal, woran ich es merke, weil ich ihn nicht sehen kann. Vielleicht daran, wie er atmet. Er atmet dieses Lächeln aus, und ich nehme es in mir auf.
Ich schlucke, weil ich jetzt wieder daran denken muss, wie er im Park meine Hände massiert hat. Als ich ihn festgehalten habe, ist er regelrecht erstarrt. Es muss ihm so unangenehm gewesen sein, was mir direkt wieder die Hitze ins Gesicht treibt, und am liebsten würde ich jetzt von der Liege hüpfen und weglaufen. Aber weil ich das nicht kann, muss ich es einfach ansprechen.
«David?» Meine Stimme ist ganz rau. «Ich muss dich was fragen.»
«Eigentlich solltest du jetzt die Augen zumachen und versuchen, mal an nichts zu denken. Und auch nicht zu reden.»
Ich schließe die Augen wieder, aber seine Fingerspitzen gleiten unter meine Achsel und kommen der Außenseite meiner Brust so nah, dass ich den Atem anhalte, bis David damit fertig ist und sich meinen Nacken vornimmt. Es lässt mir keine Ruhe. Ich hole wieder Luft, weil ich nicht mehr zurückkann. Ich will nicht mehr zurück. Ich will mich nie wieder so fühlen wie eben auf dem Flur und lieber die Wahrheit hören, auch wenn sie schmerzhaft ist. Meine Hände ballen sich unwillkürlich zu Fäusten, und ich zwinge mich, sie wieder zu öffnen. «Als du eben mit Kadence gesprochen hast, ging es da um mich?»
11. Kapitel
David
Shit. Ich habe nicht erwartet, dass sie das so offensiv ansprechen würde. «Das hatte nichts mit dir zu tun», sage ich ausweichend. Und das stimmt sogar. Es geht hierbei nicht um sie, sondern um das, was ihr Vater getan hat. Ich kann sie schlecht dafür verurteilen, dass sie ein privilegiertes Leben geführt hat und von ihren Eltern verwöhnt wurde, während wir wegen ihres Vaters für alles kämpfen mu
ssten.
«Wirklich nicht?»
«Wirklich.»
«Um wen ging es dann?»
Es geht um mich, verdammt! Ich kann sie nicht so nah an mich ranlassen. Erst recht nicht, nachdem ich heute erfahren habe, dass mein Stipendium gestrichen wurde. Damit ist alles im Arsch. Mein Leben geht gerade komplett den Bach runter. Ich habe keine Kohle für den Krankentransport meiner Mutter, geschweige denn für mein Studium. Die Ratenzahlung haben sie abgelehnt. Keine Ahnung, wie ich so viel Geld auftreiben soll, dass ich das wieder hinkriege. Mir graut es jetzt schon vor dem Banktermin. Was habe ich schon als Sicherheit anzubieten außer meinen verdammten Händen? Und nun geht Jane auch noch jobben, weil ich es allein nicht schaffe. Das Letzte, was ich brauche, ist Kontakt zu der Familie, der ich das alles verdanke. Das Letzte, was ich brauche, ist Abbis Gegenwart, bei der ich das Gefühl bekomme, auch noch den kümmerlichen Rest an Kontrolle zu verlieren.
Abstand, David!
«Wir sind hier in einem Behandlungsraum, Abbi. Lass mich dir helfen. Du hast Schmerzen, und ich will einfach nur meinen Job richtig machen.»
Ich kann genau sehen, wie sie schluckt. Und es ist scheiße, dass sie immer noch glauben muss, ich könnte sie nicht leiden. Weil es nicht stimmt, auch wenn ich mir wünschte, es wäre so. Es würde alles viel einfacher machen.
Hölle, ich sollte aufhören, darüber nachzudenken. Und endlich das machen, wofür ich bezahlt werde. Ihre Schmerzen lindern. Und vielleicht kann ich ihr so auch zeigen, dass ich keine persönliche Abneigung hege. Denn nachdem ich eben die Funktionsprüfungen gemacht habe, bin ich mir ziemlich sicher, woher ihre Schmerzen stammen.
«Abbi», fange ich an. «Um dich richtig zu behandeln, muss ich jetzt deine Hüfte und deinen Po berühren. Ist das okay?»
Ihre Zustimmung ist nur ein Flüstern.
«Bist du einverstanden?», hake ich nach.
«Ja.»
Ich weiß inzwischen, dass Abbi nicht überfahren werden will. Und da sie meine Gedanken nicht lesen kann, versuche ich sie vorzuwarnen. Aber ich bin froh, wenn ich jetzt erst mal nicht reden muss. Am liebsten bin ich still und konzentriere mich vollkommen auf das, was ich unter meinen Fingern spüre.
Ich ziehe das Handtuch von ihrem Hintern und reibe den Rest Öl von meinen Händen ab, um ihre Sachen nicht zu beschmutzen, bevor ich zwei Finger jeder Hand in den Bund ihres rosafarbenen Slips einhake und ihn ein Stück zur Mitte ziehe. Abbi hält hörbar den Atem an, und ich kann förmlich zusehen, wie ihr Nacken eine rote Farbe annimmt.
Konzentrier dich, David. Ich breite das Handtuch über ihren Beinen aus, um so wenig wie möglich frei zu lassen und ihr Sicherheit zu vermitteln. Aber natürlich registriere ich, dass sie ihren rechten Arm hochgeschoben hat und ihre Finger den Rand der Funktionsliege umfassen. Sie hält sich fest.
Ich schüttele den Kopf. Ich muss meine Sinne ganz auf ihre Muskeln ausrichten. Sie fühlen sich fest an, weil Abbi angespannt ist. Es wird einen Moment dauern, bis sie weich und formbar werden. Ich kann alles ertasten. Organe, Knochen, Muskeln, aber auch Sehnen und einzelne Triggerpunkte. Selbst höherliegende Nerven lassen sich leicht palpieren, wenn man weiß, wo man sie findet.
Mit den Fingerspitzen fahre ich die einzelnen Strukturen ab. Der Gluteus maximus ist der große Gesäßmuskel, und er gibt dem Hintern seine Form. Und Abbis Formen … sind verdammt weiblich. Aber ich blende das aus, ich muss es ausblenden. Doch es ist nicht dasselbe, wenn ich einen alten Mann behandle, da habe ich Noah was vorgemacht. Und auch mir selbst. Abbi hat eine Gänsehaut, obwohl es hier drin warm ist. Obwohl sie verdammt warm ist.
Ich unterdrücke jeden weiteren Gedanken und schließe die Augen, taste nach dem Os sacrum, dem Kreuzbein, wobei mir ihr verdammter Slip im Weg ist, und fahre mit den Fingerkuppen in Richtung des Trochanter major, den Teil des Oberschenkelknochens, an dem die Gesäßmuskeln ansetzen. Und genau da finde ich ihn. Den verdammten Scheißkerl, der dafür sorgt, dass Abbi solche Schmerzen hat. Dass ich ihn überhaupt so leicht ertasten kann, beweist schon, dass es ein Problem gibt. Der kleine Muskel ist total verspannt. Und wegen der Sitzposition, die Abbi wochenlang hauptsächlich eingenommen hat, auch verkürzt. Das wird eine Menge Arbeit, aber ich kann ihr wahrscheinlich jetzt schon kurzfristig helfen, wenn ich auf die Triggerpunkte Druck ausübe. Das wird erst einmal weh tun, aber unmittelbar danach besser werden. Nur muss ich dafür erst einmal ihre Muskeln lockern.
Mit beiden Händen mache ich kreisförmige Bewegungen, streiche die Muskeln aus und fange an, sie zwischen Fingern und Daumenballen kräftig zu kneten. Meine Fingerspitzen gehen seitlich an ihrem Hüftknochen entlang nach innen, Zentimeter für Zentimeter. Nach einer Weile fühlt sich alles viel lockerer an, deshalb kann ich eine Querfriktion durchführen, um die Durchblutung anzuregen. Ich beuge mich über sie, lege beide Hände übereinander, um den Druck zu erhöhen, und bewege die Fingerkuppen nach außen über den Muskel.
«Abbi?»
«Ja?»
«Ich werde jetzt gleich an einer bestimmten Stelle festen Druck ausüben, und es ist sehr wahrscheinlich, dass es weh tun wird.»
«Bitte nicht. Nein.»
Ihre Stimme klingt ganz dünn, deshalb ziehe ich meine Hände zurück und breite das Handtuch wieder über ihr aus. Ich gehe zu ihr ans Kopfende und ziehe mir einen Hocker ran. «Ich erklär’s dir.»
Sie hebt den Kopf und legt ihn auf ihrem Unterarm ab, um mich anzusehen, und ich stütze mich auch auf die Arme. Ihre Augen sind so dunkel und glänzend, dass ich für einen Moment extra tief Luft holen muss. Ich überlege, welche Vokabeln ich am besten benutze, damit es sachlich und professionell klingt. So wie ich normal mit Patienten rede. Aber … Ach, scheiß drauf!
«Es ist so, dass du am Hintern einen verkürzten und verhärteten Muskel hast. Das hat nichts mit der einseitigen Belastung zu tun, sondern kommt vom Sitzen, und höchstwahrscheinlich ist es auch noch eine Nachwirkung vom Einrenken deiner Hüfte. Ich muss mit Dehnübungen vorsichtig sein, wegen deiner Tibiakopffraktur, deshalb möchte ich es so versuchen.»
«Aber es ist jetzt schon viel besser», sagt sie schnell. Ihre Brauen gehen in die Höhe. «Wir können bestimmt aufhören, oder? Vielleicht machen wir das mit dem Druck einfach beim nächsten Mal?»
Das ist so typisch für sie. Sie stellt mir vorhin eine Frage, die sie völlig verwundbar macht, für die die meisten zu feige gewesen wären, und dann hat sie Angst vor einem Druckschmerz?
«Was willst du, Abbi?»
«Ich will einfach nur nach Hause.» Sie blinzelt heftig, und ich kann sehen, dass sie plötzlich gegen Tränen ankämpft. Scheiße, ich glaube, mir wird jetzt erst so richtig klar, wie schlecht es ihr eigentlich geht und wie viel Heimweh sie haben muss. Und dann muss sie auch noch mitanhören, dass ich sie nicht mehr behandeln will. Dass ich Kadence quasi anflehe, sie mir abzunehmen. Und das rammt mir eine Brechstange gegen den Brustkorb.
«Ich … ich verstehe dich», raune ich. «Du kannst jederzeit nach Hause. Das hier ist kein Knast. Du kannst deine Tasche packen und sofort verschwinden. Aber es wäre ziemlich cool, das ohne Schmerzen machen zu können, oder?»
«Oh Gott, ich werde das bereuen. Ich weiß genau, dass ich das bereuen werde.»
«Du wirst es nicht bereuen, das verspreche ich dir.» Ich beuge mich zu ihr. «Diese Schmerzen, die du hast, kommen nicht nur vom Muskel, sondern auch vom Ischiasnerv. Dadurch, dass der Muskel verhärtet ist, drückt er dagegen und reizt ihn permanent. Ich schätze, dass man beim Einrenken deiner Hüfte den Nerv schon stark manipuliert hat, und durch das ständige Sitzen wird es immer schlimmer. Es gibt da zwei Stellen. Wenn ich darauf Druck ausübe, dann entsteht eine Reizüberlagerung.»
Weil sie mir einen fragenden Blick zuwirft, hole ich weiter aus. «Du musst dir das so vorstellen: Schmerz- und Druckimpulse werden beide durch bestimmte Fasern über dein Rückenmark weitergeleitet, okay? Dir tut es aber erst weh, wenn es bei dir im Gehirn ankommt. Das wollen wir verhindern. Und das schaffen wir, weil Druckimpulse Sprinter sind und Schmerzimpulse eher Dauerläufer. Usain Bolt sprintet also über die Ziellinie und besetzt in deinem Gehirn schon mal die Bar und trinkt ein Bier, bis der Schme
rz ankommt. Und dann, sorry, Leute, schon besetzt. So weit klar?»
«Klar, verstehe ich.»
«Gut. Also werden wir jetzt die Bar mit ein paar Kumpels von unserem Team belagern, damit der Schmerz keinen Platz hat, okay?» Ich hoffe auf ein Lächeln, doch Abbi bleibt skeptisch.
«Das klingt irgendwie logisch, aber …»
«Wir werden es versuchen.»
«Aber was, wenn es zu schlimm wird?»
«Dann sagst du mir das, und ich höre sofort auf. Sind Sie einverstanden, Ma’am?»
Sie runzelt die Stirn und zieht die Augenbrauen zusammen, dann atmet sie mit einem Mal hörbar aus und nickt. «Einverstanden, Mr. Rivers.»
Und bei ihrem unsicheren Lächeln sackt mir das Herz in den Magen. Okay. Ich richte mich wieder auf, während es in mir rumort. Weil sie mir vertraut, was großartig ist, und weil es mich irgendwie anmacht, wenn sie mich Mr. Rivers nennt. Wie krank ist das eigentlich, David?
Ich hole tief Luft, schiebe das Handtuch beiseite und orientiere mich erneut am Kreuzbein, um die richtige Stelle zu finden. Wieder mit geschlossenen Augen, damit ich alle taktilen Informationen aufnehmen kann. Als ich den harten Punkt finde, öffne ich sie wieder, drücke meine Fingerspitzen fest runter und halte sie dort.
«Ist das okay?»
«Nein.» Abbi knurrt durch die Zähne. «Oder warte. Doch, es geht. Noch», fügt sie hinzu.
Sie wirkt panisch und gleichzeitig entschlossen. Typisch. Ich passe auf, achte auf ihre Mimik, ihre Körperspannung, die Hautfarbe, alles, was mir etwas darüber verrät, wie sie sich fühlt. Nach einer Weile lasse ich langsam los, bevor ich dasselbe nach ein paar Sekunden in gleicher Intensität wiederhole. Ich höre ein Geräusch, und als ich wieder aufblicke, sehe ich, dass Abbi nervös mit den Fingern auf die Liege trommelt.
«Da du nichts sagst, ist es noch auszuhalten, nehme ich an.»
«Mach einfach weiter.»
Das tue ich. Einmal zieht sie scharf die Luft ein, sagt aber nichts, und nach einer Weile merke ich, wie sie sich entspannt.