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Ever – Wann immer du mich berührst

Page 19

by Hotel, Nikola


  «Okay.» David presst die Lippen zusammen. Dann richtet er sich mit einem Seufzen auf und dreht sich auf den Bauch.

  Ich habe gedacht, dass mir meine Übungen nun leichter fallen. Nur dass ich mich nicht darauf konzentrieren kann, wenn David neben mir Liegestütze macht. Oder was auch immer er da macht. Er stützt die Hände in Höhe seines Rippenbogens auf den Boden und drückt sich hoch. Nicht schnell, sondern quälend langsam, dann stößt er sich mit den Händen ab, führt sie blitzschnell zusammen und kommt federnd wieder auf. Ich würde mit Sicherheit auf der Nase landen, das heißt, wenn ich das überhaupt so weit hinbekäme.

  Ich kann nicht anders, als mitzuzählen, und als ich bei fünfundzwanzig ankomme, bemerkt David es und fängt meinen Blick auf. Wenn er mich so ernst ansieht, die Stirn gerunzelt, und dabei seinen Körper sinken lässt, bewirkt das bei mir eine verdammte Hitzewelle, weil ich mir sofort vorstelle, wie er das über mir macht. Oh Gott, Abbi! Ich muss mich wirklich zusammenreißen.

  Nun hält er mit ausgestreckten Armen an und stößt ein atemloses Lachen aus. «Hey, es gibt noch keine Pause.»

  «Du hast mich abgelenkt.» Schnell hebe ich mein Bein an und ziehe mit den Händen demonstrativ das Knie zu mir ran. «Ich meine, diese Push-ups? Gib’s zu, du hast doch eine Vorliebe für unanständige Sportübungen.»

  David muss so lachen, dass er auf dem Bauch landet, dann schüttelt er den Kopf, atmet kontrolliert ein und aus, bevor er erneut in die Liegestützposition geht, mit den Händen in Brusthöhe. Nur dass er bei dieser Variante seinen Oberkörper nach vorne schiebt und dann auf einmal die Füße vom Boden abhebt. Er hält sich für Sekunden in der Luft, bevor er sich wie in Zeitlupe wieder nach hinten bewegt und auf die Zehenspitzen runterkommt. Ich finde es faszinierend, wie langsam er das macht, mit wie viel Ruhe und Präzision er die Bewegung ausführt, obwohl ihn das höllisch viel Kraft kosten muss. Jedes einzelne Mal. «Machst du das etwa jeden Morgen?» Ich traue mich erst, das zu fragen, als er die Übung nach mehreren Wiederholungen beendet hat.

  «Ja.» Er kommt hoch und setzt sich zurück auf die Fersen. Jetzt ist ihm auch anzusehen, wie anstrengend das war. Er wischt sich den verschwitzten Pony aus der Stirn. Sein Brustkorb hebt und senkt sich schnell, und die Adern an seinen Armen treten deutlich hervor. «Das ist mein Frühstück. Eine Flasche Wasser und einhundert Push-ups.»

  «Und die Normalsterblichen? Hassen die dich nicht dafür?»

  Jetzt grinst er. «Meine Schwester hasst mich dafür. Ihr wäre ein Omelett lieber.»

  «Ich glaube, ich mag deine Schwester. Es muss schlimm sein, wenn der eigene Bruder so kontrolliert ist und man selbst vermutlich nicht.»

  Bei meinem ersten Satz erstarrt er kurz, aber dann scheint er abzuschütteln, was auch immer ihm grad durch den Kopf ging. «Ich bin nicht kontrolliert, also nicht immer. Ich habe auch mal einen schlechten Tag, an dem ich nicht trainiere. Aber ich habe lang gebraucht, um da hinzukommen, wo ich jetzt bin. Ich war früher …» Er atmet tief ein. «Ich war ein dicker Teenager.»

  «Im Ernst?» Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Und ich bin davon so überrascht, dass ich ihn ungläubig anstarre. «Was genau verstehst du unter dick?»

  «Na ja», sagt er. «Nicht wirklich dick, vielleicht eher pummelig. Auf jeden Fall war ich dick und träge genug, dass mich niemand in sein Team wählen wollte.» Jetzt lächelt er schief. «Meine Mom hatte damals nie viel Zeit für uns, und es gab ständig Fastfood. Sie hatte nicht die Nerven, um mit uns über die richtige Ernährung zu diskutieren, also hing ich nach der Schule vor dem Fernseher ab und habe Burger in mich reingestopft. So mit dreizehn, vierzehn wurde das richtig schlimm. Da hat es sich dann auch auf meine Psyche ausgewirkt, ich wurde total unkonzentriert und immer schlechter in der Schule.»

  «Wurdest du gehänselt?»

  «Abbi.» Er schaut mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. «Ich war auf einer öffentlichen Highschool in einer miesen Gegend. Und ich musste im Unterricht ein Hörgerät tragen. Was denkst du denn?»

  «Das tut mir leid.»

  «Muss es nicht. Ich bin damit klargekommen. Mit fünfzehn bin ich irgendwann nach der Schule an einem Park vorbeigekommen, wo jemand Calisthenics gemacht hat. Ich war sofort angefixt davon, dass man seinen Körper so beherrschen kann. Das wollte ich auch. Also habe ich von da an das Fastfood weggelassen und kochen gelernt. Außerdem war das ein Sport, für den man kein Geld brauchte. Perfekt für einen Jungen aus Rochester. Und okay, ich gebe es zu, ich wollte auch gut aussehen.»

  «Deshalb also das Tattoo auf deinem Arm», überlege ich laut. Er wollte den perfekten Körper haben. Und das hat er ganz offensichtlich auch geschafft.

  «Wie gesagt, Jugendsünde. Ich habe mein ganzes Erspartes dafür ausgegeben, um den Tätowierer dazu zu bringen, mir das mit sechzehn zu stechen. Meine Mutter ist total ausgeflippt, als sie es gesehen hat. Sie wollte ihn anzeigen, aber ich habe seinen Namen nicht rausgerückt.»

  «Wirklich nicht?»

  «Nein. Und deshalb hatte ich monatelang Küchendienst zu Hause. Ich kenne mich also aus. Wenn du mal einen Spülprofi brauchst, frag mich.»

  «War deine Mutter streng?»

  «Eigentlich nicht. Sie hat viel gearbeitet, um uns durchzubringen, und wenn sie nach Hause gekommen ist, war sie stehend k.o. Da war nicht mehr genug Kraft übrig, um wirklich streng zu sein. So was wie Hausarrest hätte sie gar nicht kontrollieren können.» Er legt sich zurück und starrt in den Himmel. Die Sonne steht jetzt schon so hoch, dass er die Augen abschirmen muss. «Aber ich schätze, wir haben das trotzdem gut hinbekommen.»

  Was David da beschreibt, ist das völlige Gegenteil von dem, was ich als Teenager erlebt habe. Obwohl ich auch nicht viel von meiner Mutter gesehen habe. Dadurch dass mein Dad eigentlich immer schon in der Öffentlichkeit stand, wurde ich ständig beobachtet. Alles an mir wurde kontrolliert und kritisiert, am meisten von meiner Mutter. Sie hat auch viel gearbeitet und war wenig zu Hause, aber wenn sie da war, dann hatte sie leider immer noch genügend Kraft, mich mit ihren Regeln zu bombardieren.

  Sei nicht so schüchtern.

  Sprich nur, wenn du gefragt wirst.

  Sei nett, sonst fällt das auf deinen Vater zurück.

  Lass dich nicht herumschubsen.

  Sei nicht anstrengend.

  Nur dicke Mädchen finden keinen Freund.

  Rasier dir die Beine.

  Zieh ein Kleid an.

  Zieh nicht so ein kurzes Kleid an, oder willst du es drauf anlegen?

  Mein Dad war da ganz anders. Er hat mich nicht in eine stereotype Rolle gedrängt, sondern mich als Mensch gefördert. In der Schule herrschten jedoch genau die starren Vorstellungen vor, denen auch meine Mutter anhing, deshalb habe ich mich dort irgendwann immer mehr zurückgezogen. Bis ich mich mit Willow angefreundet habe. Es war nicht immer leicht. Aber trotzdem … Meine Situation ist nicht mit Davids zu vergleichen. Weil wir Geld haben. Meine Eltern hatten niemals die Art von Sorgen, die die Familie Rivers vermutlich zu gut kennt. Lorraine war immer für mich da. Sie hat dafür gesorgt, dass ich eben nicht mit Fastfood vor dem Fernseher hänge.

  Ich würde in diesem Moment so gern Davids Hand nehmen und festhalten, aber ich weiß, dass das nicht angebracht wäre. Weil er bestimmt nicht von mir getröstet werden will. Wahrscheinlich braucht er es auch nicht.

  «Ihr habt das großartig hinbekommen. Und es tut mir so leid, dass deine Mom so früh gestorben ist. Ich … ich finde, du bist ein wahnsinnig guter Physiotherapeut. Wenn du von deinem Job sprichst … Man merkt, dass deine Patienten dir etwas bedeuten und nicht nur Nummern für dich sind oder irgendwelche Handicaps. Du magst sie einfach als Menschen, oder?»

  David dreht sich auf die Seite und sieht mich an, und deshalb winkle ich auch meinen Arm an und lege den Kopf darauf ab. Wie ein Spiegelbild.

  «Ja, ich mag meine Patienten.» Und weil er dabei lächelt, interpretiere ich das so, dass er mich auch mag. «Mir sind Menschen einfach wichtig, würde ich meinen.»

  «Das geht mir auch so.»

  «Klar, sonst hättest du dir kaum Soziologie als Studienfach ausgesucht, oder?»

  Es freut mich, dass er
sich das gemerkt hat. Sein Lächeln ist aufrichtig, aber es wirkt auch immer noch ein bisschen traurig. Deswegen will ich ihn zum Lachen bringen. «Tja», fange ich an und muss jetzt schon schmunzeln, «und sollte es als Physiotherapeut aus irgendeinem Grund nicht klappen, könntest du immer noch Elvis-Imitator werden.»

  «Fuck», stößt er lachend aus, dreht sich auf den Rücken und reibt sich mit beiden Händen über das Gesicht.

  «Ich habe nicht alles mitbekommen», sage ich schnell. «Ich bin ins Büro gegangen, um euch nicht zu stören. Aber ich glaube, du hast Lorraine ziemlich glücklich gemacht.» Und mich auch.

  «Deshalb hat sie mich eben also mit ihrer Zeitung verprügelt, verstehe.»

  «Das ist einfach ihre liebevolle Art, du wirst dich daran gewöhnen.»

  «Ich schätze, ich habe mich schon daran gewöhnt. Schließlich erkläre ich dir jetzt auch auf ganz liebevolle Art, dass noch eine weitere anstrengende Übung für dich ansteht.»

  Er springt auf, rollt seine Matte zusammen und stellt sich neben meine. Von oben schaut er auf mich runter. Seine Augen liegen im Schatten, aber ich erkenne trotzdem, wie klar sie nun sind. Er deutet auf sein gesundes rechtes Ohr. «Ich habe übrigens deine Krücken gehört», sagt er. «Auf der Treppe. Ich wusste, dass du uns zusiehst.»

  17. Kapitel

  Abbi

  Ich wusste, dass du uns zusiehst.

  Das habe ich nicht erwartet. Und wenn er mich bemerkt hat, wieso hat er dann so getanzt? Ich muss das ganz schnell wieder aus meinem Kopf rausbekommen. Und da mir immer noch Dr. Muller bevorsteht, habe ich genug anderes, um mich verrückt zu machen.

  Damit verbringe ich auch fast den ganzen Tag. Hätte ich gewusst, wie spät Dr. Muller kommt, hätte ich David heute Vormittag nach dem Training nach Hause geschickt. So haben wir etliche Stunden mehr oder weniger parallel im selben Haus verbracht, was wirklich seltsam war.

  Ich habe auf der Terrasse gesessen und versucht, etwas Stoff für die Uni nachzuholen. Wenigstens die Literaturliste von diesem Semester kann ich durcharbeiten. David hat währenddessen in dem Zimmer gelernt, das für die Therapie freigeräumt worden ist. Ein ganzer Stapel Bücher lag neben ihm auf dem kleinen Sekretär. Alles Fachbücher über Anatomie, Physiologie, Psychologie, Traumatologie, Massagetechniken und Muskelfunktionen. Bücher mit Fallbeispielen. Ich habe nur kurz einen Blick darauf geworfen und ihn dann in Ruhe gelassen. Auf die Terrasse wollte er sich nicht setzen. Er meinte, draußen kann er sich nicht konzentrieren.

  Am Nachmittag haben wir noch mal eine Stunde miteinander trainiert. Ich war dafür auch wieder im Pool, und erneut ist David erst ins Wasser gegangen, als ich längst draußen war. Abgesehen von der Zeit, in der wir zusammen trainieren, habe ich das Gefühl, dass wir uns bei allem abwechseln, um so wenig Berührungspunkte wie möglich zu haben. Er ist sehr professionell, Dads Anwälte wären sicher begeistert.

  Inzwischen ist es nach acht, und die Sonne geht schon unter. Ich habe ein schlechtes Gewissen und hoffe, David hat seiner Schwester Bescheid gegeben, damit sie sich keine Sorgen macht. Eigentlich sollte er fahren. Ich glaube nicht, dass Dr. Muller noch kommt, bestimmt hat er mich vergessen. Gott, ich wünschte, er würde mich für immer vergessen. Auf Krücken gehe ich ins Badezimmer, wasche mir die Hände und dann das Gesicht. Kämme mir die Haare und binde sie ordentlich zusammen.

  Als ich unten in der Halle ankomme, steht die Tür zum Therapiezimmer offen, und der Lichtschein vom Schreibtisch fällt bis auf den Fußboden.

  «David?»

  Er steht am Fenster und blickt nach draußen, jetzt dreht er sich um, die Hälfte seines Gesichts bleibt im Schatten.

  «Ich glaube nicht, dass Dr. Muller noch kommt. Sorry, dass du den ganzen Tag umsonst gewartet hast. Fahr ruhig nach Hause, ich werde meinem Dad sagen, dass er einen anderen Termin ausmachen soll. Oder vielleicht kann ich zu ihm in die Klinik fahren.» Ich unterdrücke ein Schaudern.

  «Ich glaube, er ist gerade gekommen.» David deutet nach draußen. «Falls er den Code für das Tor hat. Das ist gerade aufgegangen, und es kam ein BMW die Einfahrt hoch.»

  «Oh, dann …» Unschlüssig drehe ich mich erst zur Tür und wieder zu ihm. «Dann mache ich ihm mal auf.»

  «Das übernehme ich. Geh doch schon mal ins Wohnzimmer. Ich hole nur noch deine Unterlagen.»

  «Ja, okay … soll ich … also …»

  «Was ist los? Bist du nervös? Mit deinem Knie ist alles in Ordnung, das kann Dr. Muller auf den Kontrollbildern sehen. Normalerweise sollte er nur deine Reflexe kontrollieren, die Gelenke durchbewegen und dich fragen, wie es dir geht. Keine große Sache.»

  «Nein, nein, ich bin nicht nervös.» Natürlich bin ich das. Auch wenn es wahrscheinlich idiotisch ist. Dad vertraut ihm schließlich.

  David sieht mich zweifelnd an. «Sag es mir einfach, Abbi. Ich kann nicht in deinen Kopf gucken. Ist es wegen deiner Hüftluxation? Ich weiß, wie schlimm das für dich gewesen ist. Ehrlich gesagt …» Er atmet einmal tief ein. «Ich habe mich gewundert, dass du weiter von ihm behandelt werden willst.»

  Will ich nicht!

  «Dad und er waren zusammen auf der Highschool», sage ich, als würde das irgendwas erklären.

  «Ist das ein Qualitätsmerkmal?» David lächelt, aber seine Augen sind ernst, und zwischen seinen Augenbrauen ist eine steile Falte entstanden.

  Ich reiße mich zusammen. «Lass uns das einfach hinter uns bringen.»

  «Na gut.» David gibt nach, dann geht er an mir vorbei, und ich humple durch die Halle ins Wohnzimmer, als es auch schon an der Haustür klingelt.

  «Dr. Muller», höre ich David zur Begrüßung sagen.

  «Und Sie sind?»

  «Der Physiotherapeut. David Rivers.» Ein Handschlag. «Abbi wartet im Wohnzimmer.»

  «Machen Sie sich nicht die Mühe, ich kenne den Weg.»

  Ich stehe neben dem Sofa, als der Arzt reinkommt. «Sehr gut, Abigail», sagt Dr. Muller in seinem typischen, etwas gelangweilten Tonfall. «Es ist schön, dich auf den Beinen zu sehen.» Er hebt das Kinn in Richtung meiner Krücken, stellt seine Tasche ab und nickt anerkennend. «Zäh wie ein Zwei-Dollar-Steak, das Mädchen, das habe ich schon zu deiner Mutter gesagt.»

  Dr. Muller ist Anfang fünfzig, genau wie mein Dad, und recht groß. Er hat noch fast volles Haar, ein tiefes Grübchen, das sein Kinn beinahe in zwei Hälften teilt, und riecht immer nach dem holzigen Aftershave, das seine Frau für ihn kauft. Zumindest hat meine Mom mir das erzählt. «Wie klappt es mit dem Laufen?»

  «Gut, danke. Es wird immer besser.»

  David kommt hinter ihm rein und legt ihm die Mappe mit den medizinischen Unterlagen auf den Tisch. «Falls Sie sich die Bilder vom MRT ansehen möchten, Sir.»

  «Ja. Vielleicht mache ich das. Wo ist der Bericht, den meine Kollegen in der Klinik verfasst haben?»

  «Der liegt auch hier.»

  «Ah. Würden Sie netterweise die Lampe dort hinten …» Er beendet den Satz nicht, und David geht zum Lichtschalter und schaltet ihn ein.

  «Das wäre dann alles. Machen Sie bitte die Tür hinter sich zu.»

  Ich lehne meine Krücken gegen das Sofa und setze mich. David schaut unschlüssig zu mir, als er am Sofa vorbeikommt. Etwas scheint ihm Unbehagen zu bereiten. «Wenn Sie noch Fragen haben, was Abbis Physiotherapie betrifft, ich bin nebenan. Rufen Sie einfach, wenn Sie irgendwas brauchen.»

  Warum habe ich das Gefühl, dass dieser Satz an mich geht?

  «Mmh, ich denke nicht, dass sich da Fragen ergeben. Aber, David? Seien Sie so gut und bringen Sie mir aus Williams Büro ein Glas von seinem Bourbon, ja?» Als David nur eine Braue anhebt, fügt er hinzu: «Die Karaffe auf der Bar.» Er winkt mit der Hand. «Sie werden sie schon finden. Bitte kein Eis und keinen Tumbler, sondern ein Glencairn-Kristallglas, etwa zwei Finger breit gefüllt. Ich danke Ihnen.»

  Mir schießt das Blut ins Gesicht, weil er mit David redet, als wäre er so was wie ein Hausdiener. Zwar höflich, aber unverkennbar von oben herab. Ich versuche, Davids Blick einzufangen, aber Dr. Muller verdeckt mir die Sicht. Er wartet Davids Reaktion nicht ab, sondern setzt sich dicht neben mich. Am liebsten würde ich etwas sagen, aber wa
s? Dass David kein Kellner ist? Meine Mutter würde mich umbringen. Wenn ich könnte, würde ich den Bourbon selbst holen, aber das klappt mit den Krücken nicht, und David geht nun tatsächlich raus.

  Dr. Muller seufzt. «Ich hoffe, der junge Mann ist nicht immer so schwerfällig.» Mir dringt sein Aftershave in die Nase, als er sich zu mir beugt. Holzig, würzig wie Old Spice, und dieser Geruch weckt eine unangenehme Erinnerung in mir. Vor meiner zweiten Operation, als ich mit ihm und dem zweiten Arzt im Behandlungsraum war, hat er auch so stark danach gerochen.

  «Jetzt können wir es uns bequem machen, Prinzessin. Leg dich ruhig hin.»

  Bei dieser Anrede zucke ich zusammen. Das hat er damals auch zu mir gesagt. Und dass ich mich nicht so anstellen soll, er wisse schließlich, was er tue. Danach habe ich nur noch geschrien, weil die Schmerzen unerträglich waren. Ich weiß noch, wie er mit dem anderen Arzt diskutiert hat. Nach der Narkose hat Dr. Muller mir Vorwürfe gemacht. Das Einrenken meiner Hüfte wäre in ein paar Minuten erledigt gewesen, wenn ich mich hätte zusammenreißen können.

  Auch wenn ich weiß, dass er mir heute nicht weh tun wird, verkrampft sich alles in mir. Als ich zögerlich die Beine auf das Sofa hebe, tätschelt seine Hand meinen Unterschenkel, so wie man einem Pferd den Hals klopft.

  Er fasst nach meinem Knie und tastet es mit seinen kräftigen Fingern ab. Seine Handflächen sind verschwitzt, und er wischt einmal über das Sofapolster, bevor er weitermacht. «Die paar Narben sieht man kaum. Du kannst wieder ohne Probleme Miniröcke tragen, mach dir mal keine Sorgen.»

  Ich nicke gequält. Das ist wirklich das Letzte, worüber ich mir Sorgen mache. Er fixiert meinen Knöchel und fängt an, mein Kniegelenk zu bewegen. Ich bin so angespannt, dass mein Kiefer jetzt schon schmerzt. Außerdem ist er nicht gerade vorsichtig.

  «Mein Job ist es, Dinge zusammenzusetzen, die andere zertrümmern, und ich denke, das ist mir hier gut gelungen.»

 

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