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Ever – Wann immer du mich berührst

Page 27

by Hotel, Nikola


  Ich selbst habe einen dünnen schwarzen Strickpullover angezogen und die Shorts gegen ein paar lange Jeans getauscht. Und obwohl Asher mich gerade damit aufgezogen hat, schaffe ich es nicht, länger als zehn Sekunden von der Tür wegzusehen. Scheiße, ich bin noch viel nervöser, als ich dachte. Was, wenn die beiden sich nicht mögen? Was, wenn Jane irgendwas ahnt oder Abbi Probleme mit ihrem Bein bekommt? Was, wenn Noah eine Bemerkung rausrutscht? Mir fallen ein Dutzend Horrorszenarien ein, die diesen Abend in eine absolute Katastrophe verwandeln könnten. «Erzähl mir einfach was, keine Ahnung … über Baseball?»

  Asher sieht mich an, als wäre ich nicht ganz dicht. «Ich habe keine Ahnung von Baseball. Ich weiß nicht mal, wie die verdammten Regeln sind. Frag mich was über Seife, da kann ich dich stundenlang mit zutexten, bis die Frau endlich auftaucht, die deine Gedanken beherrscht.»

  «Sie beherrscht nicht … ach verdammt. Erzähl mir was über Seife.»

  Asher grinst und nimmt einen Schluck von seinem Drink. Sieht zwar nach Whiskey on the rocks aus, aber weil Chase nur eine Lizenz für Wein und Bier hat, ist es wahrscheinlich eher Eistee. «Wir können auch einfach zusammen die Tür anstarren, kein Ding. Ich warte auch noch auf Ivy. Sie ist mit unserem Dad zum Tierheim gefahren.»

  «Warum das denn?» Jetzt hat er meine volle Aufmerksamkeit.

  «Phoenix ist gestorben.» Asher schluckt, dann stellt er sein Glas geräuschvoll ab.

  So viel zum Thema Smalltalk. Eigentlich hatte ich nicht vor, deprimierende Gespräche zu führen. Deprimierend ist mein Leben schon von ganz allein. «Euer Hund, oder?»

  «Einer unserer beiden Boxer.»

  «Tut mir echt leid. War er krank?»

  «Er war einfach alt. Seine Nieren haben nicht mehr mitgemacht. Scheiße, ich vermisse ihn, und Simon leidet wie ein Hund.» Er lacht bitter auf. «Na ja, wie soll er auch sonst leiden. Er schnüffelt ständig die Stellen im Haus ab, an denen sein Kumpel immer gelegen hat. Ich hasse es, ihn so zu sehen. Wir suchen nun nach einem Hund, der zu Simon passen könnte und auch nicht mehr so jung ist. Sorry, das ist scheiße von mir, oder? Ihr habt vor kurzem eure Mom verloren. Da muss dir das mit unseren Haustieren lächerlich vorkommen.»

  Kein Thema, bei dem ich verharren möchte. Gott sei Dank kommt Kadence jetzt zu uns. «Hey, Ash.»

  «Kady.»

  «Hab das von Phoenix gehört, tut mir so leid.»

  Sie umarmen sich kurz. So kurz, dass ich mir fast sicher bin, dass zwischen den beiden mal was gelaufen sein muss. Kadence stellt sich neben mich, und weil sie High Heels trägt, ist sie fast so groß wie ich. Wir haben das letzte Mal nach meiner Sprachnachricht miteinander geredet. Sie wollte versuchen, an Abbis Akte zu kommen, und mir dann Bescheid geben. Was sie bisher nicht getan hat.

  «Wie läuft’s in der Klinik? Was macht Madame Mustache?», frage ich sie, weil ich vor Asher nicht damit anfangen will.

  «Sie sitzt neuerdings immer neben Hamilton beim Essen, um ihn zu bewachen. Ich schätze, sobald er auch nur einmal einen Blick über eine der Schwestern gleiten lässt, wird sie ihm eine Gabel in den Handrücken jagen.»

  Ihr rauchiges Lachen bringt mich zum Grinsen, lässt mich aber trotzdem nicht vergessen, was mir heute Abend noch bevorsteht. «Ich werde auf jeden Fall versuchen, nächste Woche mal vorbeizukommen, um sie zu besuchen.» Nach einem kurzen Seitenblick auf Asher raune ich ihr zu: «Und wo du gerade hier bist: Hast du …?»

  Sie zieht ihr Smartphone aus der Hosentasche, bevor ich die Frage beenden kann. «War nicht so leicht, an den Bericht ranzukommen, aber man hat so seine Beziehungen. Ich hab’s dir eben noch eingescannt.» Sie tippt auf ihr Display. «Und schon ist es in deinem E-Mail-Postfach», summt sie.

  «Danke. Ich bin dir was schuldig.»

  «Nein, bist du nicht. Ich hab dir das Mädchen aufgehalst, und jetzt hängst du da drin.»

  Aufgehalst. Scheiße, habe ich das wirklich so gesagt? Hinter meiner Stirn fängt es an zu hämmern. Himmel und Hölle. Abbi zu treffen, war beides für mich, aber die Vorstellung, wie sehr ich ihr heute noch weh tun muss, ist noch schlimmer. Es reißt mir das Herz in Stücke.

  «Aber ich habe mir ihre Akte auch noch mal gründlich angesehen und nichts Ungewöhnliches entdeckt», flüstert Kadence mir ins Ohr. «Keine Ahnung, was du da zu finden hoffst.»

  «Ehrlich gesagt, weiß ich das auch nicht.» Dabei ist das Blödsinn. Ich weiß genau, wonach ich suche. Ich will wissen, womit Muller Abbis Vater unter Druck setzt. Womit hat er Hayden in der Hand? Denn dass dieser Dreckskerl ihn mehr oder weniger erpresst, hat Hayden so gut wie zugegeben. Auch wenn ich ihm sonst kein Wort glaube – an dem Abend mit Muller war Hayden unkontrolliert. Da hatte er sich das erste Mal nicht komplett im Griff und war wahrscheinlich ehrlicher als je zuvor. Abbi hat keine Erinnerung an den Unfall und macht sich seit Wochen Vorwürfe. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Grund dazu hat, aber …

  «Was?» Verdammt, ich habe nicht aufgepasst, was Kadence gesagt hat, und ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, macht sie sich gerade über mich lustig.

  «Vergiss es, war nicht wichtig. Na dann, viel Glück bei dem, was du suchst.» Sie drückt meinen Arm und lässt uns stehen, als Noah zu uns stößt, der ihr kurz hinterhersieht. «Du solltest dich von Ivy besser nicht mit Kadence erwischen lassen», rät er seinem Bruder grinsend. Okay, das bestätigt meine Vermutung.

  «Noah, halt die Klappe.»

  «Oh, trinkst du wieder nur Wasser, David?» Er schnalzt mit der Zunge. «Gott, das zieht mich runter. Wo steckt Chase? Ich hab ihm noch nicht mal gratuliert.»

  Das habe ich auch nicht, und ich habe auch kein Geschenk. Ob ich ihm stattdessen anbieten kann, eine Runde für ihn zu spülen? Wohl eher nicht.

  Mehrmals atme ich tief durch, nur um dann noch ein paar Sekunden wie ein Idiot auf mein leeres Glas und dann wieder zur Tür zu starren. Am liebsten würde ich jetzt sofort Abbis Akte durchgehen, aber nun auch noch mein Handy aus der Tasche zu holen, wäre verdammt unhöflich. Ein paar Minuten lang antworte ich einsilbig auf Ashers Fragen, bis er es aufgibt. Als die Tür zum Diner endlich aufgeht, donnert mein Herz los, aber es ist nur Ashers Freundin Ivy. Sie kommt zielstrebig zu uns, flüstert erst ihrem Freund etwas zu und fragt mich dann, wie es mir geht. Und ich fasele irgendwas vom Wetter, was unfassbar lustig sein muss, weil beide losprusten.

  Jane, die ich bisher kaum gesprochen habe, weil sie mit Bedienen beschäftigt ist, zieht mir mein leeres Glas aus der verkrampften Hand. «Was ist los mit dir?»

  Bei ihrem besorgten Blick stoße ich ein eher verzweifeltes Lachen aus. «Keine Ahnung. Ich bin einfach gestresst, okay?»

  «Du bist nie gestresst.»

  Ashers Augenbrauen schießen skeptisch in die Höhe. «Jeder Mensch ist mal gestresst.»

  «Ja, aber nicht David», beharrt Jane. «David ist ein Elefant.»

  «Ich schätze, du meinst das nett.» Ivy grinst schief und fährt sich durch den dichten dunklen Pony, der ihr bis zu den Augen reicht.

  «Natürlich meine ich das nett. David ist der geduldigste Mensch, den ich kenne. Er macht einfach immer sein Ding, ist nie hektisch oder gestresst. Er hat die innere Ruhe eines Elefanten.»

  Innere Ruhe, klar. Wenn Jane wüsste, wie es in mir aussieht. Ich hab das Gefühl, ich werde bald implodieren.

  «Machst du dir Sorgen wegen deines neuen Jobs? Das musst du echt nicht. Es läuft doch gerade super für dich.»

  Mm, es läuft extrem super für mich. «Jane, können wir vielleicht einfach aufhören, über mich zu reden? Wo ist das Geburtstagskind eigentlich? Du hättest mich echt erinnern können, etwas zu besorgen.»

  «Ich habe mich darum gekümmert, keine Sorge. Hab sicherheitshalber sogar die Karte für dich mitunterschrieben. Chase kriegt von uns ein Kochbuch mit Rezepten aus Hollywoodfilmen.»

  «Was hast du für einen neuen Job?», will Asher wissen. «Ich dachte, du arbeitest mit Kadence in der Rehaklinik.»

  Ich bin echt nicht scharf darauf, das zu einem Party-Thema zu machen. «Ist nicht sonderlich spannend. Ich …»

  «Er arbeitet bei einer reichen Familie», unterbricht mich Jane. «So ähnlich wie deine, Asher
Blakely.» Sie zwinkert ihm provozierend zu. «David macht für acht Wochen mit der Tochter des Hauses Krankengymnastik. Sie ist wohl ganz nett, und der Job wird auch richtig gut bezahlt.»

  Mit den Augen schicke ich ihr eine eindeutige Botschaft: Halt die Klappe, Jane. Was sie natürlich nicht interessiert.

  «Ich meine, bei der Kohle würde ich es auch machen, sogar wenn sie eine Schreckschraube …»

  Mit einem Seufzen unterbreche ich sie: «Du kannst dich gleich selbst davon überzeugen, ob Abbi nett ist. Sie kommt heute noch dazu.»

  «Dein Ernst? Wow, das ist … Musst du dich auch abends um sie kümmern? Bist du deshalb gestern so spät nach Hause gekommen?»

  «Nein, verdammt.» Jetzt habe ich nicht nur Janes volle Aufmerksamkeit, sondern auch die vom Rest der Blakelys.

  «Was dann?», bohrt Jane nach. «Ich weiß, dass dir deine Arbeit wichtig ist, aber …»

  «Jane», knurre ich, bevor sie den Satz beenden kann.

  Noah betrachtet mich nachdenklich, dann schwenkt sein Blick kurz zu meiner Schwester und wieder zurück zu mir. «Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Arbeit gerade das Letzte ist, woran David denkt.»

  Abwehrend hebe ich beide Hände. «Können wir bitte das Thema wechseln? Es gibt genug anderes, das euch einen Scheißdreck angeht. Ihr könntet über mein Jahreseinkommen spekulieren, über meinen Alkoholkonsum oder darüber, wie oft in der Woche ich mir einen runterhole.»

  «Du trinkst doch nie Alkohol», sagt Jane mit einem breiten Grinsen.

  «Jane …» Ich knurre schon wieder. Großartig.

  Sie und Ivy werfen sich einen amüsierten Blick zu, und Asher verschluckt sich fast an seinem Getränk.

  Noah hingegen scheint Mitleid mit mir zu haben, denn er drückt meine Schulter. «Wären dir diese Themen wirklich angenehmer als Abbi?», fragt er leise.

  Hölle, ja!

  Und genau in diesem Moment kommt Abbi durch die Tür.

  26. Kapitel

  Abbi

  Wir sind viel zu spät. Als wir endlich im Diner ankommen, ist es fast halb neun. Ich habe mit meinem Dad telefoniert und versucht, etwas aus ihm rauszubekommen, aber er ist sich wirklich keiner Schuld bewusst. Weil er und Mom noch in einem Meeting sind, war er aber auch ziemlich kurz angebunden. Ich bin also genauso schlau wie vorher.

  Willow hält mir die Tür auf, ich gehe mit meinen Krücken hindurch und bleibe erst einmal stehen, um mich zu orientieren. Dass es so voll sein würde, habe ich nicht erwartet. Aus irgendeinem Grund dachte ich, dass wir mit Davids Schwester einfach gemütlich etwas essen würden, aber stattdessen findet hier offenbar eine Stehparty statt. Mein Blick schweift über die Gäste. Ich entdecke David keine drei Meter von mir entfernt. Mein Herz hämmert sofort los, als ich ihn sehe. Er unterhält sich mit Noah und ein paar anderen Leuten, jetzt drückt Noah ihm die Schulter. Eine Geste, die mitfühlend auf mich wirkt, als hätten sie gerade über etwas Unangenehmes gesprochen. David trägt einen dünnen schwarzen Pullover … mit V-Ausschnitt, oh mein Gott. Und dazu Jeans, die verdammt eng anliegen.

  Diesen Moment, als David den Kopf hebt und mich bemerkt, werde ich wahrscheinlich für immer in meinem Gedächtnis behalten. Nicht, weil im Hintergrund die Musik von James Bonds The World Is Not Enough spielt oder David sich erst einmal verlegen mit der Hand in den Nacken fährt, wie er das so oft macht, sondern weil seine gerunzelte Stirn sich sofort glättet und er erst mit seinen Augen lächelt und dann mit dem Mund. Er tritt direkt auf uns zu. Und ich bekomme eine trockene Kehle.

  David starrt auf meinen Mund, und am liebsten würde ich ihn jetzt küssen. Aber das geht natürlich nicht, weil ich nicht weiß, wie er mich seiner Schwester vorstellen wird. Als Patientin? Als Freundin? Besser ich halte mich zurück, auch wenn es mir schwerfällt.

  «Hey», sagt er, und mein Herz macht sofort einen Satz.

  «Hi, David.» Willow ringt sich ein Lächeln ab und sieht dabei irgendwie misstrauisch aus. «Sicher, dass wir hier nicht stören?»

  «Ist nicht so privat, wie es aussieht», erwidert er. «Chase, der Besitzer des Cafés, feiert zwar Geburtstag, aber auch alle seine Stammkunden sind eingeladen. Das heißt, dass ihr ab sofort ständig herkommen müsst.»

  Willow taut sichtlich auf. Sie erwidert sein Grinsen und blickt dann zu mir. «Nicht die schlechteste Idee, oder Abbi? Mir gefällt der Laden.»

  «Ist das so was wie dein zweites Zuhause?», frage ich ihn. «Kommst du immer hierher, wenn du mal rauswillst?»

  «Kann man so sagen. Wenn ich nicht im Park trainiere.»

  «Es ist gemütlich hier. Tut mir leid, dass wir so spät sind, wir mussten noch … etwas besorgen.» Genau genommen haben wir eine halbe Ewigkeit im Drugstore verbracht, weil ich … na ja, in Zukunft vorbereitet sein wollte und mich der Kondomeinkauf echt überfordert hat. Warum zum Teufel muss es denn so viele unterschiedliche Sorten geben? Willow meinte nur, wie froh sie ist, dass sie auf Frauen steht.

  «Ja klar.» Willow schnaubt. «Wir haben eine ganze Stunde gebraucht und definitiv keine Zeit vertrödelt, weil Abbi ein ganzes Sortiment an …»

  «Willow», zische ich eindringlich durch zusammengebissene Zähne. Am liebsten würde ich mit der Krücke nach ihr schlagen. Gott sei Dank beendet sie den Satz nicht.

  «Hey, dein tätowierter Freund ist auch hier.»

  «Mit seinem Bruder und seiner Freundin, ja.»

  «Das musst du nicht extra betonen. Ich stehe nicht auf ihn, nur damit das klar ist.»

  «Vollkommen klar. Kommt mit, dann stelle ich euch Jane vor.»

  Seine Schwester. Das macht mich sofort nervös. Sie ist David sehr wichtig, und wenn sie mich nicht mag …

  Wir folgen ihm, aber wegen der vielen Leute komme ich mit meinen Krücken nur schlecht durch. David bahnt uns einen Weg, und wenn es zu eng für mich wird, klopft er jemandem freundlich auf die Schulter, damit er beiseitegeht. «Sorry», entschuldige ich mich bei jedem zweiten Schritt. Ich verfluche meine Krücken, denn auch wenn ich mich nicht mehr mit meinem ganzen Gewicht darauf stützen muss, bin ich immer noch auf sie angewiesen. An der Theke ist eine Kellnerin gerade mit einem der Gäste beschäftigt und wirkt ziemlich aufgebracht.

  «Okay, ich hab’s begriffen», faucht sie einen Mann an. «Aber nur, weil ich hier arbeite, gibt dir das nicht das Recht, so überheblich zu sein. Es macht dich nicht gleich zu Al Gore, mit einem beknackten Politikbuch rumzulaufen. Ich hoffe, du …» Sie sucht nach Worten, «… hoffentlich trittst du demnächst barfuß auf einen richtig fetten …»

  «Wowowowow», schreitet ein Kollege ein.

  «… Legostein», beendet sie den Satz.

  «Jane, komm mal wieder runter!»

  Okay, das ist also Davids Schwester. Und der Mann, der sie grad ermahnt hat, muss Chase sein. Er ist an seinem Auftreten unschwer als der Boss des Ladens zu erkennen.

  Janes blaue Augen blitzen, und sie sieht den Typ in den Khakihosen und dem Poloshirt mit einer solchen Todesverachtung an, dass mir ganz heiß wird. Sie ist David bis auf den Mund überhaupt nicht ähnlich, und ganz offenbar ist sie auch nicht so gelassen wie ihr Bruder.

  «Gib mir einfach ein Bier», sagt der Mann im Polo. «Das solltest du auch ohne Collegeabschluss hinkriegen.»

  Okay, jetzt wäre ich auch nicht mehr gelassen.

  David spricht ihn von der Seite an. «Geht’s noch?»

  Jane hebt eine Hand. «Halt die Klappe, Dave! Mit dem werde ich allein fertig.» Sie verschwindet hinter der Theke, holt eine Bierflasche und lässt demonstrativ den Kronkorken über die Theke hüpfen. «Hier ist dein Bier. Ach, Moment, hab die Spezialzutat vergessen.» Sie zieht die Flasche noch einmal zurück, gerade als der Mann im Poloshirt danach greifen will.

  Nun hebt Jane die Bierflasche an ihren Mund, und dann halten Willow und ich beide die Luft an, weil sie ihre Zunge für alle sichtbar in die Öffnung steckt und dann sehr feucht auch noch den Flaschenhals ableckt. Oh mein Gott.

  «Fuck, Jane!», stößt der Mann, den ich als Chase identifiziert habe, erschrocken aus, und David reibt sich stöhnend mit einer Hand über die Augen.

  Jane hebt das Kinn, dann schiebt sie das Bier zu Polohemd über die
polierte Theke. «Kleiner Tipp, Alex Garland. Es ist nicht sonderlich klug, sich mit Kellnerinnen anzulegen. Man kann sich sonst nie sicher sein, was man so kriegt.»

  «Gottverdammt», geht Chase dazwischen und will die Flasche an sich nehmen, aber dieser Alex schnappt sie sich, setzt sie ungerührt an den Mund und nimmt einen tiefen Schluck. Als er absetzt, sagt er: «Interessante Note, dein neues Bier, Chase. Schmeckt ein bisschen bitchy.» Er streckt Jane einen Mittelfinger entgegen und verschwindet mit seinem Bier in der Menge.

  Jane ruft ihm noch hinterher. «Steck dir doch einfach einen Daumen in den …»

  «Jane!»

  «… Mund.» Sie fährt zu ihrem Bruder herum und senkt ihre Stimme. «Was denn? Er ist so ein Arschloch», raunt sie.

  «Das habe ich mitgekriegt, aber das hier ist immer noch dein Job.»

  Chase verschränkt die Arme. «Du wirst dich entschuldigen.»

  Jane schnaubt, dann reißt sie sich ihr Haargummi heraus, um ihr wirres, dunkles Haar neu zu bändigen, dessen Farbe durch den Kontrast ihre blasse Haut betont. «Tut mir leid, Chase.»

  «Nicht bei mir, bei Alex.»

  Sie schnappt empört nach Luft, hält dann aber inne, weil ihr Bruder die Augenbrauen anhebt. «Ich mach es wieder gut, versprochen, Boss.»

  «Und warum klingt das wie eine Drohung?»

  «Keine Ahnung. Paranoia? Ich verspreche hoch und heilig, ich werde in den nächsten Tagen besonders freundlich zu Mister Polohemd sein. Hey», sagt sie, als sie Willow und mich entdeckt. «Was wollt ihr beiden trinken?»

  «Ich nehme einen Eistee», sagt Willow. «Ohne Spucke, bitte.»

  Sie grinst. «Kommt sofort. Und für dich? Oh, was ist passiert? Kampf gegen einen Laster verloren?» Sie deutet auf meine Krücken, und ich schließe kurz die Augen, weil ich das noch nicht kann. Ich kann nicht darüber scherzen, egal wie gern ich jetzt etwas Lockeres erwidern würde. «Auch einen Eistee, bitte.»

  «Oh», stößt sie plötzlich hervor, als wäre ihr etwas eingefallen. «Dann bist du Davids Patientin, oder?» Sie sieht ihren Bruder mit gehobenen Augenbrauen an, dessen Blick zwischen uns hin- und herpendelt.

 

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