Der Himmel wird beben

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Der Himmel wird beben Page 4

by Kiefer, Lena


  Müde schloss ich die Augen und sah, wie in der Ecke ein roter Punkt aufleuchtete und dann verschwand. Wahrscheinlich wurde auf diese Art gemeldet, dass es jetzt nichts Interessantes mehr zu sehen gab.

  Ich war bestens ausgerüstet mit Prä-Abkehr-Technik und doch empfand ich keine Freude darüber. Jahrelang hatte ich mir nichts mehr gewünscht, als endlich wieder vollständig zu sein, ausgerüstet mit allen technischen Sinnen. Aber ausgerechnet in den Wochen vor dem Attentat hatte ich mich endlich an den Zustand ohne InterLinks gewöhnt. Jetzt hinterließ das Tragen der Links ein schales Gefühl – als wäre es eine Strafe. Wie hatte Phoenix gesagt? Sei lieber vorsichtig mit deinen Wünschen, Ophelia. Du weißt nie, ob sie nicht doch noch in Erfüllung gehen.

  Damit schlief ich ein.

  Mitten in der Nacht wachte ich auf, weil es donnerte. Ich öffnete die Augen und wurde geblendet: Blitze zuckten durch die Bäume und tauchten alles in grelles Licht. Eine Minute später wusste ich, dass die Wahl meines Schlafplatzes falsch gewesen war: Hagel schoss vom Himmel und durchschlug die Blätter des Baumes über mir, als sei es nasses Papier. Ich sprang auf, hielt meine Arme schützend über den Kopf und rannte in Richtung der Ruine.

  Nach Sekunden war ich völlig durchnässt, der Boden war rutschig und ich glitt immer wieder aus. Regen überspülte die Wege und ich tastete mich im Dunkeln vorwärts, so schnell ich konnte. Es schien trotzdem Stunden zu dauern, bis die alten Gemäuer vor mir auftauchten.

  Ich hatte Glück – einer der Räume war nahezu erhalten. Zwar tropfte der Regen durch das morsche Dach, aber es war besser als gar kein Schutz. Irgendetwas quiekte, als ich mir eine Ecke zum Schlafen suchte, aber ich war zu müde, um mich zu ekeln. Unter dem Poltern des Donners und dem Rauschen des Regens rollte ich mich zitternd zusammen und schloss die Augen. Noch bevor der rote Punkt auftauchte, war ich wieder eingeschlafen.

  Status?

  »Unverändert«, murmelte ich. »Ich bin auf dem Weg nach Süden, meine Umgebung besteht aus Pinien, Sträuchern, Sandboden und Meer.« Sahen die eigentlich zu oder schliefen sie noch?

  Es war früher Morgen und die Sonne tat so, als hätte es das nächtliche Gewitter nie gegeben. Meine Haare trockneten allmählich und mein Körper taute auf. Ich hatte mich früh auf den Weg gemacht, nachdem ich von einem Vibrieren meiner EarLinks geweckt worden war. Man hatte mir verschwiegen, dass sie so was konnten. Ich wollte nicht wissen, für welche Funk­tio­nen das noch galt.

  Als jemand mit mir sprach, zuckte ich zusammen. »Wir haben Aktivität in der Nähe festgestellt.« Ich erkannte Duforts Stimme. »Vielleicht sind es nur ein paar Wanderer, aber wir gehen auf Nummer sicher. Du solltest in Richtung Osten ausweichen, damit dich niemand in die Zange nehmen kann.«

  »Okay. Danke.« Ich war froh, dass er mit mir redete. Die sterilen Nachrichten auf den EyeLinks waren gewöhnungsbedürftig, wenn man nicht wusste, wer am anderen Ende war.

  Aufmerksam horchte ich auf Schritte oder Stimmen, aber es war nichts zu hören. Trotzdem änderte ich meinen Kurs und ging auf den dichten Pinienhain zu. Ein Fehler, wie sich heraus­stellte.

  »Na, wen haben wir denn da?«, stoppte mich eine schnarrende Stimme.

  Ich fuhr herum.

  4

  Sie waren zu viert. Die Stimme gehörte dem einzigen Mädchen der Gruppe, einer schmalen Brünetten mit kinnlangen Haaren und dunklen Augen, die etwas zu sehr funkelten. Sie stand neben drei Jungs von schlank bis bullig, zwei von ihnen hatten Masken auf. Der einzige, der nicht vermummt war, hatte raspelkurze Haare und helle Augen, die mich abschätzend musterten. Er und die anderen trugen schwarze, abgenutzte Kleidung, funktional und robust. Man hätte denken können, wir wären alle in der gleichen Band.

  Meine EyeLinks zeigten mir die Namen der beiden Unmaskierten an. Elodie Norberg, 22 Jahre, und Tatius Renkler, 26. Ein paar Informationen gab es über ihre Herkunft, aber mich interessierte nur die letzte Zeile: Mögliche Verbindung zu Radicals. Ich stöhnte innerlich. Kaum verließ ich Maraisville, lief ich diesen Idioten in die Arme? Das musste ein Scherz sein.

  »Kannst du nicht reden?«, fragte das Mädchen abfällig.

  »Natürlich kann ich reden«, gab ich zurück. »Ich dachte nur, deine Frage wäre rhetorisch.«

  »Was machst du hier?« Das war der Kerl, Tatius.

  »Wandern.« Ich sagte es, als wäre das vollkommen klar. An meiner Kleidung waren keine Embleme aus Maraisville, also konnte man mir die Verbindung zu den Schakalen nicht ansehen.

  »Genau. In den Klamotten und ohne Gepäck.« Elodie sah mich an, als wäre ich nicht ganz dicht. »Wer bist du? Woher kommst du?«

  »Warte einen Moment.« Ich hob die Hand. »Ich muss kurz über den wichtigen Grund nachdenken, warum ich euch das verraten sollte.«

  Mach sie nicht wütend, sagten meine EyeLinks. Ich ignorierte den Hinweis. Die waren vielleicht in meinem Kopf, aber deswegen konnten sie mich noch lange nicht steuern.

  »Nehmt sie mit«, sagte Tatius zu den beiden Maskierten. »Wir befragen sie später.«

  Ich war geschwächt und müde, hatte seit Ewigkeiten nichts gegessen und das Phoenix-Kotz-Gebräu waberte immer noch durch mein Blut. Aber kampflos würde ich mich diesen vier Witzfiguren sicher nicht ergeben und damit riskieren, dass man meine Familie doch noch brandmarkte. Mein Körper spannte sich an, meine Hände ballten sich zu Fäusten. Ich war bereit.

  Aber dann fiel mein Blick zu Boden und ich hatte eine bessere Idee. Blitzschnell ging ich in die Hocke, grub meine Finger in den feuchten Sand und schleuderte ihn auf meine Gegner. Dann drehte ich auf dem Absatz um und sprintete los.

  Sie waren in der Überzahl, aber es gab nur schmale Wege und die Sträucher standen hier sehr dicht. Wenn ich schnell genug war, konnte ich mich vielleicht vor ihnen verstecken. »Wohin?«, keuchte ich leise. Auf den EyeLinks erschien ein Pfeil, der mich Richtung Meer schickte. Na, danke für die Hilfe. Der Strand war breit und über Hunderte von Metern einsehbar. Genauso gut konnte ich mir eine Zielscheibe auf den Rücken malen.

  Ich ignorierte den Tipp und wandte mich nach Süden, rannte schneller. Meine Stiefel trommelten in unregelmäßigem Rhythmus auf den Boden, ich schlängelte mich im Laufen zwischen den Bäumen hindurch. Immer wieder blieb ich mit der Schulter an einem Stamm hängen, die Äste der Büsche brachten mich ins Straucheln. Schwarze Flecken tauchten vor meinen Augen auf, mein Körper schien dreitausend Kilo zu wiegen. Wie weit war ich noch von der ReVerse-Basis entfernt? Konnte ich es bis dorthin schaffen?

  Plötzlich brach etwas aus dem Gebüsch neben mir, prallte gegen mich und riss mich zu Boden. Ich landete hart auf der Seite und bekam keine Luft. Trotzdem sprang ich eilig auf die Füße. In meinem Mund schmeckte ich Dreck.

  »Schöner Trick, Prinzessin. Aber achte beim nächsten Mal darauf, dass du auch triffst.« Es war das Mädchen, Elodie. Sie stand vor mir, in Kampfhaltung, die schwarzen Augen leuchteten. Dann griff sie an.

  Sie kämpfte unkonventionell, aber effektiv. Mit meinem ersten Tritt erwischte ich sie nicht, weil sie sich rasend schnell wegdrehte. Dafür traf sie mich mit der Faust in der Seite. Ich taumelte, fiel auf die Knie, verfluchte meine Verfassung. Eigentlich erkannte ich die Schwachstellen von Elodie und hatte die Manöver im Kopf, um das auszunutzen. Aber mein Körper gehorchte nicht. Schwerfällig kam ich auf die Beine, landete einen Treffer und bekam einen mit doppelter Wucht zurück. Wieder rappelte ich mich auf, versuchte es mit einem Tritt gegen ihre Beine. Sie war schneller. Ihr Ellenbogen traf meine Rippen wie ein Hammer. Ich keuchte und wich nach hinten aus.

  »Du weißt, wie das endet, oder?« Sie grinste, als würde ihr das Kämpfen keinerlei Mühe bereiten. »Du solltest besser aufgeben.«

  Sie hatte recht. An einem besseren Tag hätte ich sie vielleicht besiegen können, aber heute? Ich zögerte das Unvermeidliche nur hinaus.

  Da trat ich auf etwas. Es war ein Ast, so dick wie mein Arm und ebenso lang. Als Elodie erneut zum Angriff überging, schnappte ich ihn und holte aus. Es krachte, als das morsche Holz auf ihrem Brustkorb zersplitterte. Sie schrie auf und ging zu
Boden. Ich nutzte die Gelegenheit und rannte davon.

  Weit kam ich nicht. Zwar holte ich alles aus meinen Reserven heraus, aber es war nicht genug. Die Schritte, die schon bald hinter mir ertönten, waren schnell und leichtfüßig – von jemandem, der seine Kraft nicht mühsam zusammenkratzen musste. Als mich ein Stoß in den Rücken traf, stürzte ich wie ein gefällter Baum in den Sand.

  »Ich hab sie!«, rief Tatius Renkler und drehte mich um. Kurz darauf trafen die drei anderen ein.

  »Können wir sie direkt hier kaltmachen?« Elodie starrte mich hasserfüllt an. Sie hielt sich die Rippen, das Gesicht schmerzhaft verzogen.

  »Keine Chance.« Ihr Kollege zog mich auf die Füße. »Der Boss wird wissen wollen, warum sich ein Schakal hier herumtreibt.«

  Sie wussten, wer die Schakale waren? Und sie konnten sogar ohne Embleme erkennen, dass meine Kleidung aus Maraisville stammte? Offenbar war ich auf die intelligentesten Radicals getroffen, die es in Europa gab. Das war keine gute Nachricht.

  »Also, Schakalin.« Tatius sah mich an. Sein Blick war weniger aggressiv als der von Elodie, aber seine hellgrauen Augen musterten mich messerscharf. »Wenn du uns nicht verraten willst, wer du bist, müssen wir es später aus dir rausholen. Noch kannst du dir das ersparen.«

  Ich schwieg und funkelte ihn feindselig an.

  »Vergiss es, Tate.« Elodie kramte in ihrer Tasche und zog Fesseln aus Kunststoff hervor. »Sie ist eine von denen. Die redet nicht.«

  Schnell legte sie mir die Riemen an und zog sie unnötig fest. Dann packten sie mich und wir liefen los. Elodie und Tatius gingen voran, die beiden Maskierten, die kein Wort sagten, nahmen mich in ihre Mitte. Ich wehrte mich nicht. Das war nur unnötige Verschwendung von Energie.

  Eine halbe Stunde wanderten wir durch die Landschaft, dann kamen wir an einer kleinen Lichtung an. Hier stand eine Art offenes militärisches Gelände-Fahrzeug mit sechs Plätzen und massiven Überroll- und Frontbügeln. Man verfrachtete mich in die mittlere Reihe und schnallte mich fest. Dann nahm ­Elodie ein Stück Stoff vom Sitz neben sich und zog mir den Sack über meinen Kopf. Ich atmete ein und wünschte mir sofort, ich hätte es nicht getan: Der Stoff stank bestialisch nach Staub und Schweiß. Ich musste husten und gab mir Mühe, so flach wie möglich zu atmen.

  Ruckartig fuhr das Gefährt an und beschleunigte. Es holperte in viel zu hoher Geschwindigkeit über den Boden, hob immer wieder ab und landete hart. Mit den gefesselten Händen konnte ich mich nicht abfangen und schlug mehrmals mit der Schulter gegen den Außenbügel des Wagens. Meine EyeLinks blieben stumm. Wahrscheinlich saß schon jemand bereit, um auf den Knopf für das InstantClear zu drücken, wenn es nötig wurde. Maraisville würde keinen Großeinsatz starten, um eine Verräterin zu retten. Also musste ich mir selbst helfen, um doch noch auf die Insel zu kommen. Vielleicht konnte ich einen Deal mit dem Anführer der Radicals machen.

  Unter dem Sack bekam ich nur wenig Luft, die Sonne knallte mit gefühlten hundert Grad auf den schwarzen Stoff. Mein Körper verlangte nach Wasser und Ruhe, aber ich hielt mich krampfhaft wach. Erst als der Untergrund ebener wurde und der Wagen leichter dahinglitt, gab ich der Erschöpfung nach.

  »Wir sind da.« Ein Fausthieb weckte mich und jemand zog mir den Sack vom Kopf. Elodie warf den Stoff zur Seite und löste meinen Gurt.

  Ich blinzelte ins helle Licht. Es kam jedoch nicht von der Sonne, sondern strahlte von zwei großen Lampen an der Decke. Wir waren in einem werkstattähnlichen Raum ohne Fenster, mit einem großen Tor aus Metall, das geschlossen war. Unser Gefährt stand neben zwei anderen seiner Sorte. Auf dem Boden sah ich dunkle Flecken, an den Wänden hingen Behälter mit Werkzeug.

  Die beiden Vermummten hatten ihre Masken abgenommen und standen mit Tatius neben einem weiteren Tor, das den Blick auf eine Art Miniatur-TransUnit freigab. Elodie packte mich unsanft an der Schulter und schubste mich hinein, bevor sie und Tatius folgten. Die Kapsel war oval, komplett aus Stahl und hatte Sitzplätze außen herum. Mit wackeligen Knien setzte ich mich, ohne dazu aufgefordert zu werden. Sie hinderten mich nicht daran.

  Tatius bediente ein Steuerungspanel an der Tür und die Kammer setzte sich in Bewegung. Zwei kleine Fenster, die wie Bullaugen aussahen, waren von Jalousien verdeckt. Elodie stand neben ihrem Kollegen und redete leise auf ihn ein. Da der Raum klein und aus Metall war, konnte ich trotzdem verstehen, was sie sagte.

  »Du weißt, wie er reagiert, wenn wir Fremde auf die Insel bringen. Wir wissen noch nicht einmal, wer sie ist.«

  »Sie ist eine von denen, das siehst du doch. Da wird er sich kaum beschweren. Aber wenn doch, stelle ich mich schützend vor dich, Schwesterherz.«

  Schwesterherz? Sie hatten unterschiedliche Nachnamen und Tatius war eher der nordische Typ, während Elodie eindeutig südländische Wurzeln hatte.

  »Was glotzt du so?«, fuhr sie mich an. Schnell senkte ich den Blick.

  »Lod, krieg dich ein.« Ihr Bruder schien sie beruhigen zu wollen.

  »Sie hat mir fast die verdammten Rippen gebrochen!«

  »Was mir nicht leid tut«, murmelte ich.

  Schnell kam Elodie auf mich zu und riss mich von meinem Sitz hoch. »Ich schwöre dir, ich werde den Boss fragen, ob ich dich höchstpersönlich verhören darf. Und dann –«

  »Himmel, musst du ständig so ein Drama machen?« Tatius zog Elodie von mir weg und schubste sie in die andere Richtung. »Nimm nicht immer alles so verflucht persönlich.«

  Sie strafte erst ihn, dann mich mit einem tödlichen Blick, aber schließlich setzte sie sich.

  Ich richtete meinen eigenen Blick auf das Bullauge gegenüber von mir, dessen Jalousie nun durch einen kleinen Spalt die Außenwelt erkennen ließ. Wieso war es dahinter so trüb, wenn doch draußen die Sonne schien? Ein Schacht war es nicht, durch den wir fuhren, dazu war die Farbe zu unregelmäßig, wechselte von tiefem Schwarz zu lichterem Blaugrau. Elodie hatte von einer Insel gesprochen. Moment. Insel?

  »Wo sind wir hier?«, fragte ich.

  »Oh, plötzlich so kommunikativ?«, ätzte meine neue Freundin.

  »Wir sind auf dem Weg zu unserem Hauptquartier«, sagte Tatius.

  »Euer Hauptquartier liegt nicht auf dem Festland, oder?« Das bedeutete, wir waren unter Wasser. Ich erinnerte mich an die Bilder einer Insel mit einem einzelnen Gebäude darauf. Mir kam eine Idee. Nein. Das konnte nicht sein.

  »Wieso willst du das wissen?« Elodie machte ein paar Schritte auf mich zu.

  »Ihr seid von ReVerse, richtig?«, fragte ich. Einen Versuch war es wert.

  »Woher weißt du das?« Tatius trat neben seine Schwester. Sie sahen sich an.

  »Ganz einfach.« Ich hob die Schultern und lächelte entschuldigend. »Ich war auf dem Weg zu euch.«

  Die beiden wechselten einen Blick. Dann noch einen. Keiner von ihnen sagte etwas. Also gab ich ihnen endlich die Information, nach der sie schon vor Ewigkeiten gefragt hatten.

  »Ich bin Ophelia Scale. Vielleicht hat Troy mal von mir gesprochen. Troy Rankin?« Ich forschte in ihren Gesichtern nach einem Zeichen des Erkennens. »Ich bin auf der Suche nach ihm. Und ich vermute, dass er bei euch ist.«

  Elodies Augen wurden groß. Tatius’ Mund öffnete sich.

  »Ophelia Scale«, sagte er leise, wie zu sich selbst.

  »Das kann nicht sein«, murmelte Elodie.

  »Warum sollte sie lügen?«

  Verwirrt sah ich die beiden an. Ich hatte zwar gehofft, dass sie mich anders behandelten, wenn ich ihnen die Wahrheit sagte. Aber stattdessen starrten sie mich an, als wäre ich ein Geist. Ein sehr berühmter Geist. Troy musste mehr von mir halten, als ich dachte.

  »Das mit deinen Rippen tut mir leid.« Ich sah Elodie an. »Ich dachte, ihr wärt Radicals.«

  »Radicals?« Sie schnappte nach Luft. »Du hast uns mit diesen hohlen Nullen verwechselt?«

  »Wie gesagt, es tut mir leid. Ich war schon eine Weile unter­wegs, als ich euch getroffen habe. Außerdem habe ich kaum etwas gegessen und hatte kein Wasser … Mein Urteilsvermögen hat sich schon vor Tagen von mir
verabschiedet.«

  Tatius kam zu mir und öffnete meine Fesseln mit seinem Messer. Dann gab er mir eine Flasche Wasser. »Ophelia Scale«, sagte er wieder in diesem eigenartigen Tonfall.

  »Was hat Ferro euch über mich erzählt?«, fragte ich und tat, als wüsste ich nicht, dass er tot war. Schließlich hatte ich seit drei Wochen niemanden aus unserem Lager getroffen.

  »Den gibt es nicht mehr. Die Schakale haben ihn vor Kurzem erwischt.« Auch Tatius zeigte kein Bedauern darüber.

  »Dann ist Troy also jetzt euer B-«

  Ein dumpfes Knurren fuhr durch den Boden und die Kabine kam zum Stehen. Die Türen öffneten sich mit einem metallischen Schnalzen.

  »Sag ihm Bescheid, dass sie da ist«, befahl Tatius seiner Schwester. Die nickte und lief los.

  Wir folgten langsamer und gelangten über eine Art überdachte Bootsrampe vom Dunkel ins Licht. Vor uns lag die Basis von ReVerse, ein großer, länglicher Bau aus diesem typischen rötlich gelben Stein der Toskana, der nach 20. Jahrhundert aussehen sollte, aber eindeutig neuer war. Er hatte etwa fünf Stockwerke. Auf einer Seite wanden sich Gärten terrassenförmig zum Meer hinab. Hinter dem Haus erhoben sich ein paar Hügel.

  Tatius ging die Stufen zum Hauptportal hinauf und ich folgte ihm. Als wir die Eingangshalle betraten, war ich beeindruckt. Der Raum war riesig, mit Steinboden in warmen Farben und grob verputzten Wänden in Weiß. An der Decke hingen Lampen aus gelbem Glas, eine Holztreppe führte in die oberen Stockwerke. Ein paar ReVerse-Mitglieder standen in der Halle und sahen auf, als wir hereinkamen.

  »Komm mit.« Tatius ging weiter. »Der Boss ist meistens hinten im Salon.« Das sah Troy ähnlich, ein Salon. Wahrscheinlich ließ er sich den ganzen Tag bedienen, seit er hier war.

 

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