Der Himmel wird beben

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Der Himmel wird beben Page 5

by Kiefer, Lena


  Ich knetete meine Hände, als wir um die Ecke bogen und einen weiteren langen Korridor vor uns hatten. Wenn ich jemanden überzeugen musste, dass ich in freundlicher Absicht kam, dann Troy. Er war der Einzige, der das aus seiner tief verwurzelten Antipathie gegen mich heraus vielleicht anzweifeln würde.

  Rote Teppiche und alte Fahnen säumten unseren Weg durch das Gebäude, die Leute starrten mich neugierig an. Wir bogen ein paar Mal ab, gingen einige Stufen hinauf und betraten schließlich einen großen Raum mit Fenstern, die zum tiefblauen Meer zeigten. Die Aussicht war unglaublich schön und lenkte mich einen Moment von Troy ab. Erst dann wappnete ich mich für die Begegnung mit meinem damaligen Erzfeind.

  Nur war die Person, die neben Elodie stand und sich in diesem Moment zu mir herumdrehte, nicht Troy.

  Es war Knox.

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  Knox’ Blick war so fassungslos wie meiner. Für eine Sekunde dachte ich an eine Finte von Maraisville, doch Knox sah anders aus als in den Projektionen der OmnI. Älter, mit längeren Haaren und härteren Gesichtszügen. Und dann formten seine Lippen lautlos meinen Namen und wischten jeden Zweifel endgültig beiseite.

  Er erinnert sich an mich.

  Diese Erkenntnis brachte alle Mauern zum Einsturz.

  Knox kam auf mich zu und schloss mich in seine Arme – und ich klammerte mich an ihn, als wäre er das letzte Fleckchen Land in einem endlosen Meer. Es war mir egal, dass ich schluchzte und schniefte, während er mich festhielt und alle anderen aus dem Raum schickte. Es kümmerte mich nicht, dass jeder in Maraisville sehen konnte, wie ich heulte, als gäbe es einen Preis zu gewinnen.

  Er war wieder da. Knox war wieder da.

  Das änderte alles.

  Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als ich Knox endlich losließ. Mit dem Ärmel trocknete ich mein Gesicht. Er lächelte und strich mir über die Wange.

  »Du bist … wie kann das sein?«, stammelte ich und hielt seine Hand fest, weil ich Angst hatte, er würde sich in Luft auflösen.

  »Spielt das gerade eine Rolle?«, fragte er leise.

  »Nein.« Ich sagte es fast lautlos. Und dann wagte ich es und küsste ihn. Es war ein fragender Kuss und Knox erwiderte ihn ebenso vorsichtig. Fast so, als wäre ich wieder fünfzehn Jahre alt und er hätte mich gerade nach unserer ersten Verabredung nach Hause gebracht. Nein, nicht fast. Es war tatsächlich, als wäre ich nach Hause gekommen.

  Als der Kuss endete, drückte Knox mich noch einmal an sich. Dann nahm er meine Hand und dirigierte mich zu einem der Sofas. Erst als ich mich setzte, kam ich dazu, ihn wirklich anzuschauen.

  Er sah gut aus, wahnsinnig gut. Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, war er blass gewesen und schmal infolge seines Clearings. Jetzt hatte ihm die Sommersonne einen gesunden Teint verpasst, und unter dem schwarzen T-Shirt und der Jeans sah man, dass er trainiert hatte. Seine tiefbraunen Haare waren lang genug, dass sie ihm in die Stirn hingen, aber das Schönste war der Blick seiner dunklen Augen: Er war wieder der, den ich kannte. Das war Knox, mein Knox. Erneut stiegen Tränen in mir hoch. Aber auch in seinen Augen standen welche.

  »Ich dachte, ich hätte dich verloren.« Er berührte sanft den verfilzten Zopf, der mir über die Schulter hing.

  Schniefend lachte ich auf. »Das sagst du zu mir?«

  »Natürlich. Weißt du, was ich für eine Angst hatte? Troy sagte, du wärst nicht beim Treffpunkt erschienen. Wir dachten alle … ich dachte …« Seine Stimme brach. Ich suchte seine Hand und verschränkte sie mit meiner.

  »Mir geht es gut. Ich sehe vielleicht nicht so aus, aber es ist alles okay.«

  Er umfasste meine Hand fester. »Haben die dir etwas getan?«

  »Nein. Ich konnte flüchten, als das Chaos ausgebrochen ist.« Das war die offizielle Erklärung, die ich mir für Troy zurechtgelegt hatte. Und noch war ich viel zu aufgewühlt, um zu entscheiden, wie ich mit der veränderten Situation umgehen sollte. »Der Weg zum Treffpunkt war versperrt, also bin ich durch den Wald zum Außentor gelaufen. Nachdem ich draußen war, habe ich mich zu Fuß nach Süden durchgeschlagen, bis mich deine Leute aufgegriffen haben. Zum Glück hat mich niemand verfolgt.« Ich strich über Knox’ Finger. Es war so unwirklich, mit ihm hier zu sitzen. »Geht es dir gut?« Die Frage klang völlig banal, aber die Antwort bedeutete mir alles.

  »Ja. Jetzt schon.« Er streckte seine freie Hand aus und strich mir ein paar struppige Haare aus dem Gesicht. Seine Worte erfüllten meinen leeren Magen mit Wärme. Der revanchierte sich und ließ ein Knurren ertönen. Ich drückte die Hand darauf.

  Knox sah mich erschrocken an. »Himmel, ich bin so ein Egoist. Möchtest du duschen oder etwas essen? Du siehst aus, als hättest du schon länger nichts mehr bekommen.«

  »Sag doch einfach, dass ich scheiße aussehe«, grinste ich schief.

  »Rede keinen Unsinn, Phee.« Knox sah mich ernst an. »Ich dachte, du wärst tot, und jetzt sitzt du hier vor mir. Ich habe dich zurück. Nur das zählt. Aber essen sollst du trotzdem etwas.«

  »Das hat Zeit.« Ich schüttelte den Kopf. Mir brannten zu viele Fragen auf der Seele. »Wie kann es sein, dass du der Boss hier bist? Was ist mit Troy?«

  Knox sah an mir vorbei aus dem Fenster, ohne meine Hand loszulassen. »Troy beschäftigt sich vor allem mit der OmnI und ist nicht oft auf der Insel. Ich regle das operative Geschäft und halte Kontakt zu unseren Verbündeten.«

  »Wow, er hat es also geschafft, sie zu stehlen«, stellte ich fest. Das hatte ich bis jetzt offiziell nicht wissen können. Es fiel mir schwer, vor Knox Theater zu spielen, aber neben allem anderen hörte Maraisville unser Gespräch mit, und ich brauchte Zeit, um mir eine Strategie zurechtzulegen, wie ich weitermachen sollte.

  »Ja, aber die OmnI ist nicht funktionsfähig. Deswegen hat er sie aufs Festland gebracht und arbeitet jetzt daran, sie in Betrieb zu nehmen.«

  Das bedeutete, die OmnI war nicht auf der Insel. Was wiederum hieß, mein Job war noch schwieriger als vermutet. Ich sah zu Knox. Viel schwieriger. Geplant war es gewesen, eine mir unbekannte Gruppe von ReVerse-Anhängern unter Troys Führung zu infiltrieren. Nicht, hier ausgerechnet auf ihn zu treffen. Was das für mich bedeutete, musste ich mir später überlegen.

  »Deine Erinnerungen sind also wieder da?« Ich hatte so viele Fragen, aber das schien mir die wichtigste zu sein.

  »Zum größten Teil, ja.«

  »Aber wie? Ein Clearing ist doch endgültig.«

  »Das ist es auch. Aber es gibt … Möglichkeiten.«

  Er schien nicht darüber reden zu wollen und ich drängte ihn auch nicht dazu. Es war ohnehin viel besser, für eine Weile die Welt und ihre Probleme zu vergessen und einfach nur bei ihm zu sein. Mir diese Momente zu gönnen, in denen ich nicht darüber nachdenken musste, wie ich gleichzeitig meinen Auftrag erfüllen und mit Knox zusammen sein sollte. Also sprachen wir über meine Familie, über Brighton und über uns, wie wir damals gewesen waren. Und je länger wir redeten und ich Knox ins Gesicht sah, das die gleiche Mimik zeigte, das gleiche Lachen wie früher, desto besser fühlte ich mich. Noch nicht gut, wirklich nicht. Aber besser.

  Irgendwann, mitten in der Geschichte, wie meine Stiefschwester Fleur letztes Weihnachten verkündet hatte, sie wolle ab sofort Ernestine genannt werden, weil das besser zu ihr passe, kam Tatius herein.

  »Hey, Boss? Entschuldigt die Störung, aber wir haben Besuch.«

  Knox stand auf und sah mich bedauernd an. »Tut mir leid, Phee, aber ich muss mich darum kümmern. Ich bin bald zurück, okay?«

  »Klar. Ich warte einfach hier.«

  »Okay.« Er strich mir über den Arm. Dann ging er mit ­Tatius hinaus und ließ mich im Salon zurück. Aber ich blieb nicht lange allein.

  »Wieso zur Hölle sagt mir das keiner?«, fluchte jemand im Flur, und ich fuhr herum, als ich die Stimme erkannte. »Ist sie da drin?«

  Ich sprang auf die Füße. War das etwa …

  »Jye!«, rief ich aus, als mein bester Freund in der Tür erschien.

  »Du bist wirklich hier!« Er stürzte au
f mich zu und in der nächsten Sekunde fand ich mich in einer kräftigen Umarmung wieder. Ich hatte ihn so sehr vermisst. Während der Zeit in Marais­ville war er einer der Menschen gewesen, die mir am meisten gefehlt hatten.

  Als Jye mich auf Armeslänge von sich wegschob, kam es mir vor, als seien nur Minuten und nicht Monate vergangen, seit wir uns das letzte Mal gesehen hatten. Er war immer noch der große unerschütterliche gute Kerl, den ich kannte. »Himmel, siehst du scheiße aus.« Der große unerschütterliche, sehr charmante gute Kerl.

  »Vielen Dank«, grinste ich. »Du weißt wirklich, was eine Frau hören will, die fast drei Wochen durch die Pampa geirrt ist, um euch zu finden.«

  Jye lächelte mich warm an.

  »Ich bin so froh, dass du es geschafft hast. Troy hat erzählt, du wärst nicht am Treffpunkt gewesen und dass er sich deswegen Sorgen gemacht hat.«

  Als ob. Ich setzte eine ernste Miene auf.

  »Ja, es war schwierig, aber ich konnte flüchten. Bevor sie die Stadt abgeriegelt haben, bin ich rausgekommen.« Ich schüttelte ungläubig den Kopf, als ich Jye ansah. »Was machst du denn hier? Hat man deine Erinnerungen auch wiederhergestellt?« Das waren zu viele Geschenke des Schicksals für einen Tag. Ich war sicher, die Quittung dafür würde ich früher oder später bekommen. Aber für den Moment war ich einfach nur froh.

  »Nein, wie kommst du darauf? Ich habe meine Erinnerungen nie verloren.«

  Verwirrt sah ich ihn an. »Aber … in meinem Abschlusstest hat die OmnI mir gesagt, sie hätten dich geschnappt.«

  »Dann hat man ihr wohl gesagt, sie soll dich in die Irre führen.« Er runzelte die Stirn. »Ich habe abgebrochen, genau wie du es mir gesagt hast. Sie haben mir ein Kurzzeit-Clearing von zwei Stunden verpasst und dann war ich auch schon auf dem Weg nach Hause.«

  Also hatte Maraisville die Informationen über ihn in meiner Prüfung benutzt, um mich aus der Reserve zu locken. Ich presste die Lippen aufeinander. Wieder eine Manipulation. Wieder eine Lüge. Wann würde mir endlich jemand die Wahrheit sagen?

  Jye deutete zur Tür. »Komm, wir besorgen dir etwas zu essen. Das mit Knox und seinem Besuch kann dauern. Willst du duschen?«

  »Das wäre großartig.« Bei Knox hatte ich es noch abgelehnt, aber eigentlich wollte ich nichts lieber als aus diesen fürchterlichen Klamotten raus. Wenn ich dann noch etwas in den Magen bekam, war es ein perfekter Tag. Knox war wieder da. Ich konnte das immer noch nicht fassen.

  Auf dem Weg nach oben fragte Jye mich aus.

  »Wie geht es dir? Ich meine, abgesehen vom Offensicht­lichen. Dein Trip hierher muss hart gewesen sein.«

  »Nicht so hart wie die Monate davor«, sagte ich. Es war gelogen, Maraisville war gar nicht so furchtbar gewesen, wie Jye es sich wohl vorstellte. Nur das Ende.

  Er sah mich mitfühlend an. »Das glaube ich sofort. Aber warum ist das Attentat schiefgegangen? Wir haben nur Gerüchte darüber gehört, wieso der König noch lebt.«

  Ich seufzte. »Das weiß ich nicht genau. Die Waffe hat nicht funktioniert, und ich hatte keine Zeit, das zu checken. Als ich abgehauen bin, haben sie mich dann … verfolgt, aber sie konnten mich nicht schnappen.«

  Achte auf deine Worte. Das war der erste Kommentar über die EyeLinks, seit ich auf der Insel angekommen war. Der Hinweis war nötig. Die Lügen in Maraisville waren einfacher gewesen, weil ich die Leute vorher nicht gekannt hatte. Es bei Knox oder Jye zu tun, war deutlich schwieriger. Ich war mit ihnen vertraut und drohte zu vergessen, warum ich hier war.

  Jye ging mit mir in das oberste Stockwerk und stieß die Tür zu einem Zimmer auf. Wie alles im Hotel wirkten die Möbel antik – sie waren aus Holz und mit mediterranen Verzierungen versehen. An den unverputzten Steinwänden hingen alte Gemälde, auf dem Terrakottaboden lagen helle Matten aus Sisal. Das Himmelbett war überdimensional breit und alles von den Kissen bis zu den Gardinen wirkte teuer. Ordentlich war es jedoch nicht: Klamotten lagen auf dem Bett und quollen aus dem Schrank. Die Laken waren zerwühlt und die Kissen überall verteilt.

  »Du solltest dich beim Zimmerpersonal beschweren«, scherzte ich.

  »Ich wusste ja nicht, dass ich hohen Besuch bekomme.« Jye bückte sich und hob ein paar Kleidungsstücke auf. »Elodie ist für die Zimmerverteilung zuständig, sie wird dir sicher bald eins zuweisen. Bis dahin darfst du gerne mein Bad benutzen.« Er zeigte auf eine Tür. »Es ist dort, Handtücher liegen auf dem Regal. Ich hole dir etwas aus der Küche. Fühl dich wie zu Hause.« Jye lächelte und ließ mich allein.

  Ich verschwendete keine Zeit und ging ins Bad, wo ich mich aus den kratzigen Klamotten schälte und sie einfach auf den Fußboden warf. Dann trat ich unter die Dusche. Sie war riesig und das Wasser angenehm warm, und ich überlegte, einfach dort einzuziehen, bis ich ein Zimmer bekam. Sicher eine halbe Stunde stand ich unter dem Wasserstrahl. Während ich mir den Dreck und Schweiß abwusch und den Gefängnisgestank von meiner Haut rubbelte, fragte ich mich, was es mir sagen sollte, dass ich nicht nur Jye zurückbekommen hatte, sondern auch Knox. War das Schicksal jetzt vielleicht doch auf meiner Seite? War das der Ausgleich für alles, was Lucien mir angetan hatte?

  Kaum dachte ich an ihn, fühlte sich das Wasser zu hart und zu heiß an, also drehte ich es ab und hüllte mich in eines der Handtücher. Dann zupfte ich so lange mit einem Kamm an meinen Haaren, bis auch das letzte Knötchen aufgab. Es war himmlisch, sich wieder halbwegs wie ein Mensch zu fühlen.

  Als ich aus dem Bad kam, räumte Jye gerade Kleidung in seinen Schrank. Auf dem Bett saß Elodie.

  »Ich habe dir ein paar Sachen mitgebracht, Prinzessin«, sagte sie, nachdem sie mich von oben bis unten gemustert hatte. Neben ihr lag ein flacher schwarzer Stapel Kleidung.

  »Danke, das ist nett.« Ich lächelte sie an. »Ich gebe sie dir ­zurück, sobald ich mir etwas Eigenes besorgt habe.«

  »Oh, es sind nicht meine«, stellte sie richtig. »Das ist alles aus der Ausrüstungskammer. Mein Zeug würde ich dir nie geben.« Ihr Lächeln war etwas zu liebenswürdig. Offenbar war das mit den Rippen noch nicht verziehen.

  Ich sparte mir den Kommentar, dass ich ihr Zeug auch gar nicht wollte – das bauchfreie Top und die kurzen Shorts waren eh nicht mein Stil – und nahm die Sachen. »Danke trotzdem.« Ich wechselte einen Blick mit Jye, aber der grinste nur. Im Bad zog ich das dunkle Tanktop und die schwarze Hose an und kam dann wieder zurück. Elodie war verschwunden.

  »Nimm es Lod nicht übel«, sagte Jye, der weiter aufräumte. »Sie war immer die Nummer 1 hier und ist keine Konkurrenz gewohnt.«

  Ich verdrehte die Augen. »In welcher Disziplin sollte ich ihr denn Konkurrenz machen? Im Unerträglich-Sein und Aggressiv-Rumzicken? Nein, danke.«

  »Sei nicht so hart zu ihr. Sie ist in Ordnung, wenn man sie erst mal kennt. Hier, der Gruß aus der Küche.« Jye reichte mir einen Teller mit Sandwiches. Ich dankte ihm und machte mich hungrig über die belegten Brote her.

  »Ist Julius eigentlich auch hier?«, fragte ich kauend.

  »Nein, leider nicht.« Jye schüttelte den Kopf. »Wir haben den Kontakt zu ihm vor Wochen verloren und keine Ahnung, wo er ist. Aber die anderen sind noch in Brighton. Das ist wahrscheinlich auch besser so. Ich würde nicht wollen, dass Lio-«

  »Wow, ist das lecker!«, unterbrach ich ihn schnell, damit er unsere Freunde in Brighton nicht verriet. »Selbst gemacht?«

  »Jaha, habe ich.« Er schenkte mir einen skeptischen Blick. »Du musst ja echt ausgehungert sein, wenn du wegen ein paar Sandwiches so ausflippst.«

  »Total. Einmal habe ich einer Familie die Pasta vom Gartentisch geklaut, aber ansonsten gab es nicht viel.« Ich schluckte den letzten Bissen hinunter. »Was weißt du eigentlich noch von den Tests im Dome?«

  »Nur, was bis zu den zwei Stunden vor der Prüfung passiert ist. Ich weiß also nicht mehr, was du zu mir direkt davor gesagt hast. Aber Troy hat mir verraten, was im Abschlusstest auf mich gewartet hätte, da konnte ich es mir zusammenreimen.« Er sah mich an. »Du hast mir das Leben gerettet, Phee.«

  Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe
dich nur gewarnt.«

  »Das ist dasselbe.«

  »Ja, vielleicht.« Ich hob die Schultern.

  Wir schwiegen einige Augenblicke, dann zeigte Jye nach draußen. »Hast du Lust, die Basis zu sehen? Ich führe dich herum.«

  »Klar.« Ich stand auf. Die Dusche und die Sandwiches hatten das schwächliche Gefühl etwas vertrieben. Außerdem war ich neugierig.

  Wir verließen das Zimmer und gingen zwei Stockwerke nach unten. Im Erdgeschoss lagen nicht nur die Eingangshalle und der Salon, sondern auch ein Speisesaal und die Außenterrasse. Das Geländer war zwar verwittert und die Pflanzen wucherten den Abhang hinunter, aber es gab einen Pool, und ich sah Sonnenliegen, die halbwegs akkurat aufgereiht waren. Weit unten konnte ich einen Strand erkennen, der von ein paar niedrigen Bungalows flankiert wurde. Es roch nach Sommer und Salzwasser.

  »Lebt sonst noch jemand auf der Insel?«, fragte ich, während ich über den Pool hinweg auf das Meer hinaussah.

  »Nein. Früher schon, aber mittlerweile ist außer uns niemand mehr hier. Was du da unten siehst, gehört zum Hotel.«

  »Wieso hat Ferro es ausgewählt? Wollte er an seiner Bräune arbeiten?« Das Hotel wirkte eher wie ein in die Jahre gekommenes Urlaubsparadies, nicht wie das Hauptquartier einer Wider­stands­bewegung.

  Jye grinste. »Komm mit. Ich zeige es dir.«

  Ich folgte ihm ins Zentrum des Hauses. Wir kamen an einigen ReVerse-Mitgliedern vorbei, die auf einem Tisch Pläne ausgebreitet hatten. Andere trainierten im Innenhof Nahkampf oder kamen vom Laufen zurück. Alle machten einen fitten und sehr ernsthaften Eindruck, und ich revidierte mein Urteil – das war alles andere als ein Urlaubsdomizil.

  Jye ging mit mir zu einer breiten Treppe, die ins Untergeschoss führte. »Das Hotel war als neues Flaggschiff der Tourismusbranche geplant, für all die gelangweilten Reichen, denen der digitale Strand nicht mehr reicht. Teure Stoffe, echte Möbel, nicht nur scheinbarer Komfort. Das ultimative Erlebnis – real und virtuell. Die Leute sollten nicht nur glauben, dass sie am Meer sind, sondern es tatsächlich sein, alle medialen Zusatzfunktionen inklusive.«

 

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