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Der Himmel wird beben

Page 17

by Kiefer, Lena


  »Du führst mich vor und meinem Ex-Freund schenkst du den Sieg?« Ich funkelte ihn an. »Was ist das, irgendeine Art von Rache?«

  »Du glaubst, ich hätte Knox gewinnen lassen, weil er dein Ex ist?« Lucien stellte die Flasche auf den Tresen, und ich sah, wie er zweimal kurz und zweimal lang blinzelte. Ich wusste, was das bedeutete: Er hatte gerade seine EyeLinks abgeschaltet. »Da liegst du völlig falsch, Ophelia.«

  »Ach ja? Dann erklär mir doch mal, warum du mich wie eine Idiotin hinstellst und Knox zum strahlenden Helden machst!« Ich kam mir blöd vor, mitten in der Küche herumzustehen. Deswegen ging ich zur CoolUnit und holte irgendetwas heraus. Als ich mich umdrehte, einen Beutel mit Zitronen in der Hand, stand Lucien direkt vor mir.

  »Weil es nötig war«, sagte er ruhig. Mein Herz schlug schneller, als er mir so nah war.

  »Warum?«, fragte ich. Es klang nicht halb so selbstsicher, wie ich wollte.

  »Weil wir Knox an der Spitze von ReVerse brauchen. Solange die OmnI in ihren Händen ist, muss der Status quo erhalten bleiben, damit wir an sie herankommen. Das bedeutet, sie müssen an ihren Anführer glauben.« Lucien sprach mit mir in einem weichen und vertraulichen Tonfall, der nicht zu seinen abgeklärten Worten passte. »Du kannst das gefährden. Sie halten dich für stark, aber diese Stärke macht ihnen Angst. Knox hingegen ist ihr Anführer. Er steht für eine Ordnung, die funktioniert. Ich habe dafür gesorgt, dass es so bleibt.«

  Meine Wut wich aus mir wie Luft aus einem Ballon. Lucien hatte recht mit dem, was er sagte. Ein Sieg von mir hätte die anderen nervös gemacht und eine Niederlage von Knox hätte sie zweifeln lassen.

  »Dich zu schwächen und ihn zu stärken, war das Beste, was ich tun konnte«, schloss Lucien seine Erklärung.

  »Nicht für mein Ego«, murrte ich.

  »Ich bin sicher, du wirst es überstehen.«

  »Oh ja, darin bin ich gut, nicht wahr?«, sagte ich sarkastisch. »Verletzungen, Verluste, Verrat, kein Problem. Ich überstehe alles … nur dich nicht.« Das Letzte hatte ich nicht laut sagen wollen.

  Lucien antwortete nicht, aber in seinem Blick änderte sich etwas. Er sah mich so durchdringend an, dass mir die Knie weich wurden. Dann hob er seine Hand, um mir ein paar Haare aus dem Gesicht zu streichen. Ich spürte die Berührung seiner Fingerspitzen überdeutlich auf der Haut. In meinem Magen vibrierte es.

  »Hör auf damit«, bat ich leise, aber es klang nach dem Gegenteil. Ich war wirklich erbärmlich. Nach allem, was er mir angetan hatte, konnte ich ihn nicht hassen oder auch nur Abneigung empfinden. Stattdessen fühlte ich mich zu ihm hingezogen, als hätte ich die Wahrheit nie erfahren.

  »Das kann ich nicht.« Er sah mich weiterhin an und ich war wie gebannt, als wäre es ein Fluch, der seit unserer ersten Begegnung existierte. Seine unglaublichen Augen waren frei von Wut, da war nur er – wie damals, als er mir gesagt hatte, dass er mich liebte. Ich wollte ihm das immer noch glauben, ich wollte uns beide in die Zeit zurückversetzen, als es für mich wahr ­gewesen war. Aber vor allem wollte ich die zehn Zentimeter zwischen uns verschwinden lassen. Wie automatisch bewegte ich mich auf Lucien zu. Er kam mir entgegen.

  Mach nicht den gleichen Fehler noch einmal. Der Gedanke traf mich wie ein Schlag. Aber er wirkte. Es kostete mich all meine Kraft, dann senkte ich den Kopf, trat einen winzigen Schritt zurück, noch einen. Als ich mich umdrehte, holte ich zitternd Luft. Scheiße.

  Keiner von uns sagte etwas, keiner bekam die Gelegenheit dazu. Im nächsten Moment flog die Tür auf und Elodie kam in die Küche.

  »Ophelia? Knox sucht dich.« Sie sah von mir zu Lucien, als würde sie etwas ahnen.

  »Okay.« Mit der Hand fuhr ich mir übers Gesicht. »Ich komme sofort hoch.«

  Mit Gummi in den Knien und Panik im Herzen lief ich aus der Küche, ohne Lucien noch einmal anzusehen.

  17

  Der Diebstahl des Generators verlief mustergültig und verschaffte mir nicht nur Anerkennung bei ReVerse, sondern auch eine Chance, der OmnI endlich zu begegnen.

  Drei Tage, nachdem wir von unserem Raubzug zurückgekehrt waren, tauchte Troy am späten Nachmittag auf der Insel auf.

  »Sie will dich sehen«, sagte er ohne Begrüßung. Wir standen auf der Terrasse mit Blick auf das tiefgraue Meer. Regen hämmerte in gleichmäßigem Stakkato auf die Überdachung. Es war der erste trübe Tag seit meiner Ankunft.

  »Was für eine Überraschung.« Ich verkniff mir ein triumphierendes Lächeln. Wenn Troy mich zur OmnI brachte, war ich meinem Ziel ein ganzes Stück näher. Ob ich tatsächlich meine Freiheit mit ihr erpressen wollte, wusste ich noch nicht. Aber dass ich sie zurück nach Maraisville bringen würde, stand fest.

  »Ja, bla bla, du hast es immer schon gesagt, ich weiß.« Troy verdrehte die Augen. »Koste das ruhig aus. So viel Gelegenheit zum Feiern hast du ja nicht.«

  »Woher willst du wissen, wie viel ich feiere?«

  »Ach, ich hatte eine kleine Unterhaltung mit Knox darüber, dass du mit jemandem aus Maraisville im Bett warst.« Troy sah mich unschuldig an. »Er wollte wissen, ob ich davon etwas mitbekommen hätte. Der arme Kerl war ganz schön aufgewühlt deswegen.«

  Ich biss die Zähne zusammen. Jedes Triumphgefühl war verflogen.

  »Offensichtlich hast du ihm die Wahrheit verschwiegen«, presste ich hervor.

  »Das ist richtig. Ich habe doch gesagt, dass ich momentan kein Interesse daran habe, euch auseinanderzubringen. Wobei du das offenbar anders siehst. Wie lange ist euer Streit her, zwei Wochen?«

  »Zehn Tage«, sagte ich widerwillig. Seither gingen Knox und ich höflich, aber distanziert miteinander um, was mir recht war. Ob es ihm auch so ging, wusste ich nicht. Aber er hatte seit unserem Streit keinen einzigen nächtlichen Restoring-Anfall mehr gehabt, also war unser Abstand vermutlich gut für ihn.

  »Zehn Tage.« Troy schnalzte mit der Zunge. »Am besten beeilst du dich, ihn wieder milde zu stimmen. Wir können uns keinen uninspirierten Anführer leisten.«

  »Du erteilst mir sicher keine Befehle, was mein Liebesleben angeht.«

  »Liebesleben?« Er lachte. »Wenn ich Knox richtig verstanden habe, lebt da nicht besonders viel. Schon komisch. Ich dachte, du hättest ihn so furchtbar vermisst.«

  Ich starrte ihn an. Knox hatte mit Troy darüber gesprochen, dass zwischen uns nichts lief, seit ich hier war? Wie abartig war das denn?

  »Das hat dich wohl kaum zu interessieren.« Vor allem ging es Lucien nichts an, mit dessen Links meine eigenen gekoppelt waren. Wenn wir beide im Hotel waren, machten die EyeLinks das automatisch – und nur wenn wir einander näher als zehn Meter kamen, schalteten meine sich ganz ab. So wurden sie weniger belastet und über Lucien konnte Maraisville dennoch zusehen. Nur wenn ich die Insel verließ, wurde ich direkt mit den Schakalen verbunden.

  »Wie auch immer.« Troy zuckte mit den Schultern. »Jedenfalls verlangt die OmnI nach dir. Wir haben es geschafft, sie zu aktivieren, aber es ist noch viel zu tun. Sie hat entschieden, dass sie dich für die weiteren Schritte braucht.«

  »In Ordnung.« Ich nickte. »Wann und wo?«

  »Wir fahren direkt los. Allerdings kann ich dir leider nicht sagen, wo es hingeht. Sie mag dir trauen, für mich gilt das nicht.«

  Das wäre ja auch zu einfach gewesen. Aber immerhin konnte ich über Dauer und Art der Fahrt einiges herausfinden und würde bald wissen, wo Troy die verdammte OmnI versteckt hielt. Exon Costard war zu meinem Leidwesen nämlich ein noch schlimmerer Paranoiker als Troy – gegen ein Tracking über meinen WrInk war unsere Fahrt bestimmt abgesichert.

  »Gut, dann mache ich mich fertig und wir –« Ich stockte. Meine EyeLinks hatten sich abgeschaltet.

  »Na, sieh mal einer an. Troy Rankin.« Lucien kam aus dem Speisesaal auf uns zu. Seiner lässigen Haltung nach zu urteilen, hatte er vorher überprüft, ob Troy InterLinks trug und ihn als Emile sah. »Ich dachte schon, du tauchst nie mehr auf.«

  Ich hatte nicht noch einmal darum gebeten, dass Lucien mein Implantat umstellte. Manchmal bedauerte ich es, so wie jetzt. Er kam vom
Laufen, war wegen des Regens komplett durchnässt und das schwarze Shirt klebte an seinem Körper wie eine zweite Haut. Einzelne Tropfen liefen über seine Wangenknochen hinunter bis zum Hals. Ich erwischte mich dabei, wie ich ihn anstarrte.

  »Bayarri.« Troy nickte grüßend. »Ich habe schon gehört, dass du hier bist. Wie kommen wir zu der Ehre?«

  Erst da fiel mir ein, dass Troy noch nicht auf »Emile« getroffen war. Das hier war also eine heikle Situation – und zwar nicht, weil Lucien immer noch so eine Wirkung auf mich hatte.

  »Ich war zufällig in der Gegend und dachte, ich schaue mal rein.« Lucien grinste. Es war eine typische Emile-Antwort.

  »Also bist du getürmt? Wie?« Troys Blick durchbohrte ihn förmlich. Trotzdem hoffte ich, dass es gutgehen würde. Er hatte Emile nie gemocht, aber auch nicht so demonstrativ gehasst wie mich. Und Lucien war wirklich gut in seinem Job, wie ich schmerzhaft am eigenen Leib hatte erfahren müssen.

  »Wir hatten einen Übungseinsatz an der Küste nördlich von hier. Als wir durch die Pampa gerannt sind, um Drohnen auszuweichen, habe ich mich abgesetzt.« Das hatte er nach seiner Ankunft auch schon den anderen erzählt.

  »Und da hat dich niemand verfolgt? Dein Wissen ist doch viel zu gefährlich, um frei herumzulaufen.«

  »So wie deins oder das von Ophelia?« Lucien hob eine Augenbraue. »Natürlich haben sie mich verfolgt. Aber ich habe den WrInk rausgenommen, und als es Nacht wurde, mussten sie aufgeben. Ich glaube, denen ist klar, dass wir nicht annähernd genug wissen, um ihnen gefährlich zu werden. Sonst hätten sie euch beide doch schon vor Ewigkeiten geschnappt.«

  Troy schien zu überlegen, ob ihn das überzeugte. Aber schließlich nickte er.

  »Ja, wahrscheinlich hast du recht. Wobei es mich bei Ophelia wundert.« Er sah mich boshaft an. »Bei ihren speziellen Kontakten hätte ich erwartet, dass man stärker daran interessiert wäre, sie zu finden.«

  Lucien verzog keine Miene. »Spezielle Kontakte? Wovon ­redest du?«

  »Von gar nichts«, sagte ich. »Troy möchte nur ätzend sein, wie üblich.«

  Der sah von Lucien zu mir und lachte dann lauthals. »Was denn, nicht einmal deine Freunde wussten davon? Meine Güte, Scale. Das war wirklich dein Geheimnis, oder? Diese ach so große Liebe?«

  Und da war er wieder, der drängende Wunsch, Troy einfach eine reinzuhauen. Aber ich war damit nicht allein. Aus dem Augen­winkel sah ich Luciens Hand zucken. Es war eine winzige Regung, aber sie war eindeutig unbedacht. So etwas war ihm noch nicht passiert, seit er hier war.

  »Es geht mich nichts an, wen Ophelia liebt«, sagte er abweisend zu Troy.

  Plötzlich zuckte ein Bild durch meinen Kopf. Lucien und Imogen Lawson, die über mich redeten. Ich habe ihr gesagt, dass ich sie liebe – und ich habe gesehen, dass es ihr genauso geht. Schlagartig überfiel mich die Erinnerung: Das hatte ich in jener Nacht geträumt, als mein Implantat gegrillt worden war. Dieses Gespräch hatte ich mitverfolgt, bevor ich ohnmächtig geworden war.

  Plötzlich öffnete sich eine Schleuse in meinem Gedächtnis und alle Details des Traums kamen zurück. Als würde jemand einen Eimer über mir auskippen, trafen sie wie ein eiskalter Schwall Wasser auf meinen Kopf. Ich schloss die Augen und keuchte vor Schmerz. Dann ging ich in die Knie.

  »Was ist los? Hast du einen Anfall?« Troy klang gelangweilt.

  »Halt deine Klappe, Rankin«, fuhr ihn Lucien an. Ich spürte seine Hand an meinem Arm. Sanft dirigierte er mich ein paar Schritte zur Seite und drückte mich auf einen Stuhl.

  »Es wäre besser, wenn sie sich bald einkriegt. Ich warte unten.« Schritte entfernten sich und ließen mich mit Lucien zurück. Der ging vor mir in die Hocke.

  »Ophelia? Hey.« Er berührte vorsichtig meine Wange. »Wann hast du deine letzte Dosis genommen?«

  Ich kämpfte gegen den Schwindel an. »Heute Morgen. Aber das ist es nicht. Es ist …« Eine neue Schmerzwelle brach über mich herein. Ich stöhnte und hörte, wie Lucien etwas sagte. Es klang, als gäbe er jemandem einen Befehl.

  »Es müsste gleich besser werden«, sagte er dann zu mir. »Caspar hat das Schmerzmittel in deinem Implantat freigesetzt.«

  Bestimmt dauerte es nicht lange, bis das Mittel wirkte, aber es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Blitze zuckten durch mein Gesichtsfeld, das Gehirn schien in meinem Schädel schrumpfen zu wollen. Dann endlich, nach gefühlten Stunden, klarte das Bild auf und die Schmerzen klangen ab.

  »Was war denn das?«, fragte Lucien. Ich sah mich um. Außer uns war niemand da.

  »Ich habe etwas geträumt – in der Nacht, als das Implantat versagt hat«, antwortete ich langsam. »Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern, aber jetzt kam alles auf einmal zurück.«

  »Als dein Implantat versagt hat?« Lucien runzelte die Stirn. »Das hast du schon an meinem ersten Abend erwähnt. Was hast du geträumt?«

  »Vergiss es. Es war total absurd.«

  »Erzähl es mir trotzdem«, bat er.

  Ich schüttelte den Kopf. Wie würde das denn wirken, wenn ich sagte, dass ich von ihm geträumt hatte? Noch lächerlicher konnte ich mich ja gar nicht machen.

  »Ophelia, komm schon«, drängte er, wenn auch sanft. »Wie soll ich dir helfen, wenn ich nicht weiß, was los ist?«

  Seine Stimme weichte meinen Widerstand auf. Ich gab mir einen Ruck.

  »Imogen war da und du auch«, begann ich zögernd. »Ihr habt in einem Raum am Tisch gesessen und euch unterhalten, erst über ihr Kind und ihren Partner Ray, dann über meinen Auftrag und das Katastrophen-Date mit Knox. Du hast sie um Informationen gebeten, die sie dir nicht geben wollte, aber dann hat sie es doch getan, aber du warst ratlos, was es bedeuten könnte …« Ich holte Luft. »Und du hast die ganze Zeit so gewirkt, als hättest du mich wirklich gemocht. Als wäre das nicht alles ein abgekartetes Spiel gewesen.« Die letzten Worte sprudelten aus mir heraus, und mir wurde bewusst, wie das geklungen haben musste. »Nur ein Traum«, schob ich eilig nach und sah weg. »Ich sage ja, es war absurd.«

  »Hey. Sieh mich an.« Lucien klang eindringlich, und als ich der Bitte nachkam, sah ich zum ersten Mal wieder diese Offenheit in seinen Augen. »Das war kein Traum, okay? Das ist wirklich passiert.«

  Mein Mund klappte auf. »Was? Wie …?«

  »Keine Ahnung, wie. Vielleicht eine Öffnung des Kanals in die andere Richtung.« Er sah mich ernst an. »Aber dieses Gespräch zwischen Imogen und mir hat es tatsächlich gegeben. Und es war genau so, wie du gesagt hast. Ophelia, ich habe dich gemocht. Das war kein Spiel!«

  »Nein, das stimmt nicht.« Ich schüttelte wieder den Kopf. »Du warst auf mich angesetzt, solltest mich umdrehen, damit ich euch etwas über ReVerse verrate. Ich habe es gesehen. All die Gespräche mit Dufort und deinem Bruder, wo du davon geredet hast, wie du mich manipulierst … Und als Leopold dich gefragt hat, ob du mit mir … mit mir schlafen wirst, damit ich auf eurer Seite bleibe, hast du nur gesagt: Wenn es nötig ist.« Der Kloß in meinem Hals dehnte sich aus. »Die OmnI hat mir alles gezeigt. Es war grauenhaft.«

  Er starrte mich an. »Das ist es, was sie dir gesagt hat? Dass ich auf dich angesetzt war? Dass ich dir etwas vorgemacht habe? Deswegen hast du …?« Seine Stimme versagte.

  »Du warst unheimlich gut, so viel muss man dir lassen.« Ich lachte dünn. »Ich habe dir geglaubt, dass du dich in mich verliebt hast. Noch besser, ich glaube es dir immer noch, obwohl ich weiß, dass es gelogen ist. Ist das nicht armselig?«

  Lucien lachte nicht mit, sondern presste die Hand auf seinen Mund. Ich hatte ihn noch nie so fassungslos erlebt.

  »Ich habe diese Sachen nicht gesagt«, murmelte er so leise, dass ich ihn kaum verstand. »Das, wovon du da redest, diese fürchterlichen Worte … Ich habe nichts davon zu Cas oder Leo gesagt, zu niemandem.«

  Die Worte trafen mich wie eine zweite kalte Dusche, aber diesmal wirkte sie anders. Mit einem Schlag zog sich die Watte aus meinem Kopf zurück. »Du lügst.« Ich schmeckte Galle.

  »Ich lüge nicht! Ich war nie auf dich angesetzt.« Lucien fasste meine Arme. »Warum hätten w
ir so etwas Wahnsinniges ver­suchen sollen? Wenn wir gewusst hätten, dass du eine Gefahr für Leopold bist, hätten wir dich sofort aus dem Verkehr gezogen. Er ist mein Bruder, Ophelia, glaubst du wirklich, ich würde sein Leben so leichtfertig aufs Spiel setzen? Ich hätte dich nie in die Festung gelassen, ich hätte niemals erlaubt, dass du in seine Nähe kommst!«

  Ich holte meine Erinnerungen an das Gespräch mit Troy im Bunker hervor. »Aber Dufort hat mich im Dome die OmnI sehen lassen, er hat mich davor bewahrt, erwischt zu werden. Wieso, wenn er nicht längst wusste, dass ihr mich manipulieren würdet?«

  Lucien schnaubte. »Caspar wollte nicht, dass eine der vielversprechendsten Kandidatinnen nur wegen ihrer Neugier ausgeschlossen wird! Wenn er einen Plan hatte, dann den, eine hervorragende Schakalin aus dir zu machen.«

  »Und was ist mit dem SubDerm-Injektor, den ihr während der Ausbildung in mein Zimmer geschmuggelt habt? Wieso solltet ihr ihn mir geben, wenn ihr nicht genau über mich Bescheid gewusst hättet, und dass ReVerse es nicht geschafft hatte, mir einen zu besorgen?«

  »Wir haben von deinem Gen-Defekt erst in dem Moment erfahren, als du in der Zelle vor Schmerzen fast gestorben bist und deswegen Phoenix davon erzählt hast«, beteuerte Lucien. »Wir haben dir dein Medikament nicht besorgt.«

  Langsam gingen mir die Argumente aus. »Und du?«, fragte ich leise. »Dein Auftauchen in der Ruine genau zu dem Zeitpunkt, als ich dort war? Deine Hilfe nach dem Fake-Angriff am See? Deine Bitte an mich, auf Leopold aufzupassen? Soll das alles nur Zufall gewesen sein?«

  Lucien schüttelte den Kopf. »Nein, kein Zufall. Sondern Vertrauen. Zuneigung. Die Hoffnung auf etwas Echtes in einer Welt aus Lügen, in der ich die meiste Zeit lebe.« Seine Augen waren voll schmerzhafter Wut. »Teufel noch mal, wir waren uns so verdammt nah. Wie kannst du glauben, ich hätte dir das vorgespielt?«

  »Du bist der beste Schakal, den es gibt.« Meine Stimme war nur noch ein Flüstern. Ich wollte, dass er die Wahrheit sagte – und wollte es auch wieder nicht.

  »Selbst wenn das stimmt … so gut ist niemand.«

 

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