Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition)
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»Wow«, flüstert Blythe. Sie liebt Feuerwerke. Nicht laute, knallende, vor dem sich kleine Kinder und Hunde erschrecken, sondern bunte, leuchtende.
»Ich dachte, das wäre ein perfektes Finale dieses wunderschönen Tags«, sagt Jasper. »Alle sollen wissen, wie glücklich wir sind.«
Blythe kichert und schmiegt sich an ihn. Ich lehne mich an Joe, konzentriere mich auf das Farbenspiel am Himmel, die Wärme seines Körpers. Er ist toll. Er ist da. Er ist für mich da. Und doch fehlt etwas. Etwas Essenzielles, das ich ignoriere, so gut es geht. Aber manchmal gelingt mir das nicht.
Wenig später setzen wir uns zu den anderen an den Tisch.
»Ich werde das hier zu einem richtigen Garten machen«, verkündet Blythe, und Jasper nimmt ihre Hand, presst einen Kuss darauf. Da ist er, dieser Blick. Und ich ertappe mich dabei, dass ich ihn kopiere. Dabei darf ich das nicht. Nicht so, nicht in aller Öffentlichkeit vor den anderen. Wenn herauskäme, was ich die ganze Zeit verheimliche, wäre das das Ende. Das Ende unserer Freundschaft, wie sie ist. Und die zu gefährden kommt nicht infrage.
Ich stehe etwas hektisch auf und werfe beinahe den Stuhl um, auf dem ich gesessen habe. »Ich muss mal auf die Toilette«, murmle ich entschuldigend.
Drinnen stütze ich mich aufs Waschbecken und spritze mir Wasser ins Gesicht. Ich sehe mich in dem halb blinden Spiegel an, den die Vorbesitzer dagelassen haben. Mein Gesicht wirkt seltsam verzerrt. Aber es liegt nicht am Spiegel, sondern an mir. Und da wird mir bewusst, dass es Traurigkeit ist. Traurigkeit um meinetwillen. Ich war so damit beschäftigt, mich für Blythe und Jasper zu freuen, dass mir entgangen sein muss, wie schwierig dieser Tag für mich war. Weil ich trotz all des Glücks leide. Unter meinen Gefühlen, die ich unterdrücke, so gut es geht. Unter der Scharade mit Joe. Unter dieser erschlagenden Gewissheit, dass die Schönheit, die ich heute miterlebt habe, mir nicht vergönnt ist. Es ist in Ordnung, aber es ist auch bittertraurig. Eine Träne kullert meine Wange hinab, und ich schnappe nach Luft, so eng fühlt sich mein Brustkorb an.
»Bonnie? Ist alles in Ordnung?« Joe klopft an die Tür. Ausgerechnet.
»Ja, ich komme gleich«, sage ich und merke, wie erstickt ich klinge. Als müsste sich meine Stimme einen Weg an dem fetten Kloß in meinem Hals vorbeibahnen.
»Süße?« Er merkt natürlich, dass etwas nicht stimmt. Wie lange bin ich schon hier drin? Fünf Minuten? Zehn?
»Joe?«, frage ich, als ich die Tür öffne. Ich lasse mich gegen seinen Brustkorb sinken. Die Tränen versuche ich hinunterzuschlucken, doch es gelingt mir nicht. »Ich glaube, wir müssen Schluss machen.«
»Was?« Ich spüre, wie er sich versteift. »Bist du betrunken?«
Ich schüttle den Kopf. Atme seinen Geruch ein. Genieße seine Wärme. Denn ich habe ihn wirklich gern. So gern. Aber nicht so gern, wie er es verdient hat.
»Es ist nicht fair.«
»Was redest du denn da? Es läuft doch alles wunderbar!« Er schlingt seine Arme um mich und hält mich.
»Ich weiß!«, schluchze ich. »Deswegen ist es ja so eine Scheißsituation!« Ich sollte nicht so viel sagen.
»Kannst du mir erklären, was los ist?«, fragt er besorgt. »Du wirkst nicht rational.«
Vermutlich bin ich das auch nicht. Aber es fühlt sich so ungeheuer falsch an, ihn an mich zu binden, ihm die Möglichkeit auf eine Freundin zu nehmen, die ihn wirklich und wahrhaftig liebt. Denn er ist liebenswert. Nur ist in meinem bescheuerten Herzen kein Platz. Wie sehr ich es dafür hasse.
»Es tut mir leid, Joe«, sage ich. »Bitte nimm es einfach als das, was es ist.«
Er muss die Dringlichkeit in meiner Stimme hören, denn er fragt nicht weiter. Er löst auch seine Arme nicht. Wir stehen einfach weiter so da. Bis ich mich beruhigt habe.
»Ich schätze, ich gehe dann mal«, sagt er schließlich. »Tut mir leid, dass es nicht gereicht hat.«
»Mir tut es leid. Wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen, dich zu lieben, Joe.«
Er lacht leise, doch in seinen Augen sehe ich nichts als tiefste Traurigkeit. »Wenn ich einen Wünsch frei hätte, würde ich mir dasselbe wünschen«, sagt er. Dann dreht er sich um und geht.
10 – Jasper
Heute
»Spiel es noch mal langsamer. Nur diese beiden Takte«, sage ich und deute auf das Notenblatt von Autumn Leaves.
»Lass es mich noch einmal probieren. Diesmal schaff ich es auf jeden Fall.« Lexie sieht mich bittend an.
»Du verhaspelst dich jedes Mal. Deine Finger haben sich einfach noch nicht an die Bewegung gewöhnt. Deswegen gehen sie viel zu schnell drüber hinweg und verschlucken die Hälfte. Diese zwei Takte. Zehnmal langsam. Dann kannst du es noch mal probieren.«
Lexie ist wirklich gut, dafür, dass sie erst seit zwei Jahren Klavierunterricht nimmt. Aber leider ist sie auch ein bisschen faul, was das Üben anbelangt. Und das Notenlesen. Sie lernt am liebsten alles sofort auswendig. Das ist der Grund, warum sie bei schwierigen Passagen länger braucht, als sie müsste.
Ich mache ihr einmal vor, was ich meine. Meine Finger spielen ganz langsam die relativ komplexe Tonfolge.
»Jetzt du.«
Widerwillig legt sie ihre rechte Hand auf die Tasten und tut es mir nach. Einen Ton nach dem anderen. Ganz langsam.
»Sehr gut. Noch mal!«
Sie wiederholt die Übung.
»Und noch mal!«
Wieder und wieder spielt sie die Töne. Jedes Mal ein bisschen schneller.
»Nun nimm die linke Hand dazu. Aber nur diese beiden Takte.«
Durch das Erfolgserlebnis angestachelt, vergisst sie sogar die Widerworte und tut einfach, was ich ihr sage. Und es funktioniert. Langsamer zwar, als sie es gern hätte, aber immerhin klingt es jetzt richtig.
»Probier mal, mit der linken Hand mehr über die Tasten zu gleiten. Als würdest du sie ganz sanft in das Klavier hineinschieben, statt sie einfach nur hinunterzudrücken. Das macht den Klang gefühlvoller.«
Wieder folgt sie meinen Anweisungen, und diesmal klingt es fast perfekt.
»Wow!«, sagt sie.
»Siehst du.« Ich lächle sie an. »Das war wirklich schön. Willst du es noch einmal komplett spielen? Dafür reicht die Zeit noch.«
Sie nickt, legt ihre Finger auf die Tasten, atmet einmal tief ein, dann spielt sie los. Mir fällt auf, dass sie sich mehr Zeit lässt als bei den Versuchen davor. Und sie schlägt die Töne mit mehr Gefühl an. Die schwierige Stelle meistert sie zum ersten Mal, ohne innezuhalten.
»Yeah«, sage ich, um sie anzufeuern, und nicht einmal davon lässt sie sich aus der Ruhe bringen. Sie spielt das gesamte Stück von Anfang bis Ende, ohne einen Fehler zu machen. Als der letzte Ton verklungen ist, dreht sie den Kopf und sieht mich stolz an.
»Ich hab’s geschafft!«, sagt sie.
»Ich wusste, dass du es kannst«, erwidere ich, und wir geben uns ein High Five. »Für nächstes Mal übst du bitte ein paar Tonleitern. Du kannst dir aussuchen, welche. Aber sie müssen mindestens zwei Vorzeichen haben, okay? Arpeggios, die nächsten beiden Fingerübungen aus dem Heft. Und noch einmal Autumn Leaves. «
»Noch mal? Aber ich hab es doch perfekt gekonnt!«
»Ja, noch mal. Wenn es nächstes Mal auf Anhieb sitzt, fangen wir was Neues an, okay?«
»Okay.«
Lexie steht auf und packt die Noten in ihre Tasche.
»Wirst du heute abgeholt?«, frage ich. Denn sonst würden Weston und ich sie nach Hause begleiten. Es liegt nicht wirklich auf dem Weg, aber so groß ist der Umweg auch nicht.
»Mein Dad müsste schon da sein«, sagt Lexie und hüpft vom Klavierhocker. »Bis nächste Woche, Jasper!«
»Bis nächste Woche, Lexie.«
»Oh, und danke!«, ruft sie noch, dann ist sie zur Tür raus.
Mein »Nichts zu danken« wird von der Stille verschluckt.
Ich packe meine Sachen zusammen – die Noten, mein Metronom, mein Notizheft –, nehme mein inzwischen leeres Wasserglas und schalte die Lichter aus. Dann ziehe ich die Tür hinter mir zu.
»Feierabend?«, fragt Aurora. Sie gibt Gesangsunterricht in der Musikschule und ist ein paar Jahre älter
als ich. Sie räumt ebenfalls gerade ihr Geschirr in die Spülmaschine.
»Jep. Und du?«
»Heute war mein kurzer Tag.« Sie lächelt.
Meine Tage enden meistens früher als die der anderen Lehrer, weil ich die alleinige Verantwortung für zwei Kinder trage.
»Ich habe Weston vorhin gehört. Er wird richtig gut!«, sagt sie. Ihr Unterrichtsraum ist auf der gleichen Etage, auf der Weston Gitarrenunterricht bekommt.
»Sein Onkel ist sein großes Vorbild«, erkläre ich. »Lincoln Hughes?«
»Ein gutes Vorbild«, sagt sie. Dann: »Hör mal, hättest du … zufällig Lust, mal zum Abendessen zu kommen?«
Ich runzle die Stirn, versuche mich an einem entschuldigenden, bedauernden Lächeln. »Ähm … das ist sehr nett, Aurora …« Ich denke an das, was Phoenix gesagt hat. An Curtis’ Kommentare. »Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist.«
»Mit ein paar Kollegen mache ich das regelmäßig«, sagt sie. »Wir kochen zusammen, essen, unterhalten uns.« Sie zuckt mit den Schultern. »Manchmal wirkst du, als könntest du ein bisschen unbeschwerte Zeit gebrauchen.«
»Tu ich das?«, frage ich und ziehe die Augenbrauen hoch. Dann schiebe ich erklärend hinterher: »Es ist einfach viel mit den Kindern …«
»Ich weiß«, sagt Aurora lächelnd. »Also, wenn du Lust hast …«
Nachdem es nicht so klingt, als wäre es ein Date, spricht eigentlich nichts dagegen, mit ein paar Kollegen zu Abend zu essen.
»Weißt du, Aurora, das hört sich wirklich nett an. Ich würde gern kommen.«
Ich weiß nicht, woran es liegt, aber auf einmal habe ich richtig Lust darauf, meine Komfortzone zu verlassen. Es ist wie das Gras, das Hugo gesät hat. Ein einziger flüchtiger Gedanke. Ein Funken Hoffnung, der zu keimen scheint. Der durch Curtis’ Gerede gegossen und durch Phoenix’ Weisheiten gedüngt wurde. Mein Herz pocht. Genauso habe ich mich neulich nach dem Gespräch mit Bonnie gefühlt. Lebendig.
»Ich freu mich«, sagt Aurora. »Hab einen schönen Abend.« Mit diesen Worten verlässt sie die Küche. Wenn sie geht, tänzelt sie beinahe. Es ist ein leichtfüßiges, beschwingtes Fortbewegen, und ich wundere mich, dass es mir ausgerechnet jetzt auffällt.
»Na, Kumpel?«, frage ich Weston. »Bist du bereit, nach Hause zu gehen? Link und Maya warten sicher schon.«
Westons Gitarrenlehrer Calisto achtet leider nicht ganz so penibel auf die Zeit wie ich.
»Der Junge wird immer krasser«, sagt Calisto, während er den nächsten Schüler hereinwinkt.
»Link übt viel mit ihm, seit er bei uns wohnt«, sage ich.
»Das zahlt sich aus.« Calisto nickt anerkennend. »In ein paar Jahren hast du mich überholt, Knirps. Dann nehme ich vielleicht ein paar Stunden bei dir. «
Weston grinst. »Wenn du sie dir leisten kannst.«
»Hoho«, lacht Calisto, »dein Selbstbewusstsein sollte man haben!«
Weston schnappt sich seinen Gitarrenkoffer, und gemeinsam machen wir uns auf den Weg.
»Dad?«, fragt Weston und weicht einem Schlagloch im Gehweg aus.
»Hm?«
»Meine Klasse fährt für zwei Tage zum Campen. Ich wollte fragen, ob ich mitkann.«
Mein Herz sackt spürbar nach unten. Solche Ausgaben sind normalerweise nicht drin. Selbst die laufenden Kosten sind eigentlich nicht drin.
»Weißt du schon, was es kostet?«, frage ich. Nichts wäre mir lieber, als meinem Sohn all seine Wünsche zu erfüllen. Nichts würde mich glücklicher machen. Aber mit einem sechsstelligen Schuldenberg und einer Hypothek auf dem Haus haben wir keinerlei Spielraum.
»Achtzig Dollar«, sagt Weston und klingt dabei, als hätte er die Hoffnung bereits aufgegeben. »Für die Fahrt, Verpflegung und die Ausrüstung, die wir mieten müssen.«
Ich schlucke. Vielleicht kann ich mir bei Link oder meinen Schwiegereltern etwas leihen, auch wenn die ebenfalls kaum Geld haben. »Ich kann dir nichts versprechen, Wes«, sage ich. »Aber ich versuche das Geld aufzutreiben, okay? Und wenn nicht, können wir vielleicht zusammen im Garten zelten. Was meinst du?«
»Klar, das wäre auch schön«, sagt er, doch ich höre deutlich die Enttäuschung in seiner Stimme.
Eine Weile laufen wir schweigend nebeneinanderher, hängen unseren Gedanken nach. Mich frisst das schlechte Gewissen innerlich auf, und Wes ist in seiner eigenen Welt.
»Du?«, fragt er, als wir in unsere Straße einbiegen. »Was hat Phoenix gemeint, als sie gesagt hat, dass du einsam bist?«
Wieder versetzen mir die Worte meines Sohnes einen Stich. Während ich mich darüber ärgere, dass ich ihm nicht das bieten kann, was er verdient, ist er meinetwegen bekümmert. Dabei hatte ich gehofft, er hätte das Gespräch mit Phoenix nicht mitbekommen.
»Sie hat sich wohl Sorgen um mich gemacht.« Ich habe keine Ahnung, wie ich meinem achtjährigen Sohn erklären soll, was der Gegenstand unseres Gesprächs war. Vor allem will ich nicht, dass er der Nächste ist, der sich um mich sorgt. Ich sollte mich um ihn sorgen, nicht umgekehrt.
»Aber du hast doch uns. Wie kann sie denken, du seist einsam?«
»Das hat sie wohl kurz vergessen«, sage ich.
»Während wir auf dem Sofa gesessen haben?«
»Das war ziemlich dumm von ihr«, gebe ich zu.
»Dad!«, tadelt Weston, der offenbar merkt, dass ich ihm nicht die ganze Wahrheit sage. »Es ging darum, dass dir niemand das Licht ausmacht – oder so ähnlich.«
Und wer ist da, wenn abends das Licht ausgeht?, waren ihre genauen Worte.
»Das mache ich immer selbst«, erwidere ich.
»Früher hat Mom das gemacht, oder?«, fragt Weston und springt über einen Riss im Asphalt.
»Wir haben uns abgewechselt, würde ich sagen.«
»Wenn du willst, kann ich es auch mal ausmachen. Ich bin jetzt groß genug.«
In diesem Moment bin ich so voller Liebe für ihn, dass ich das Gefühl habe, mein Herz platzt.
»Das wäre schön«, sage ich. »Aber dann müsste ich vor euch ins Bett gehen.«
»Können wir doch mal machen. Heute, zum Beispiel.«
Ich grinse. »Und wer kümmert sich darum, dass ihr Zähne putzt?«
Weston denkt kurz nach. »Okay, ich habe eine Idee«, sagt er dann. »Wir gehen gleichzeitig ins Bett. Maya und ich schlafen bei dir. Und ich mache das Licht aus.«
Ich bleibe stehen. Weston dreht sich fragend zu mir um, als ich in die Hocke gehe und meine Arme ausbreite. »Komm mal her, mein Großer«, sage ich und drücke ihn ganz fest an mich.
»Du zerquetschst mich!«, beschwert er sich, und ich lasse ein wenig lockerer. »Also? Machen wir das?«
»Ja, okay.«
Nach dem Abendessen, bei dem Link und Franzi uns Gesellschaft leisten, fängt Weston an, umzuräumen. Er bringt einige von seinen und Mayas Stofftieren in mein Schlafzimmer, dazu ein paar Bilderbücher.
»Maya, hilf mal«, sagt er und schleppt Decken und Kissen an. Sie watschelt brav hinter ihm her und hebt auf, was er auf dem Weg verliert.
»Kann ich auch etwas tun?«, frage ich grinsend.
»Deinen Schlafanzug anziehen«, sagt Weston.
»Wie bitte?«
»Ja, und Zähne putzen.«
Ich tue, wie mir geheißen, entledige mich meiner Jeans und ziehe ein altes T-Shirt statt meines Hemdes an.
Das Zähneputzen absolvieren wir gemeinsam. Denn Maya braucht noch ein bisschen Unterstützung. Weston ist dennoch sehr zufrieden mit seiner Rolle.
»Und jetzt ab ins Bett mit dir«, sagt er, und Maya kichert.
»Ja, ab ins Bett«, sagt sie leise. Die Momente, in denen ich ihre Stimme höre, sind beinahe die schönsten für mich. Sie geht so spärlich mit Worten um, dass ich jedes einzelne wie einen Schatz hüte.
Gemeinsam schieben mich die beiden aus dem Badezimmer und den Flur entlang in mein Zimmer. »Ich kann auch allein gehen«, sage ich lachend, aber ich lasse es geschehen. In meinem Schlafzimmer lege ich mich brav auf meine Seite des Bettes.
»Wo sind eigentlich eure Schlafanzüge?«, frage ich, doch Weston legt den Finger auf seine Lippen.
»Psssst«, sagt er. »Du sollst schon mal m
üde werden.«
Ich schlüpfe unter die Bettdecke, und Weston stopft sie um mich herum fest. Maya versucht zu helfen, aber so richtig weiß sie wohl nicht, was der Sinn dieser Übung ist, denn sie zupft mehr, als dass sie stopft.
»Als Nächstes die Schlafanzüge«, sagt Weston und reicht Maya ihren. Er hat wirklich an alles gedacht, und ich beobachte die beiden. Weston hilft Maya, ihren Kopf durch das richtige Loch zu stecken. Denn erst versucht sie es eine ganze Weile mit dem Ärmel. Sie quietschen und lachen, und besonders als Maya auf den Hintern fällt, weil sie das Gleichgewicht verliert, kreischen sie vor Vergnügen. Ich lache mit, und in mir macht sich pures Glück breit.
»Und jetzt lesen wir vor«, sagt Weston, platziert Maya links von mir und legt sich auf die andere Seite. Dann nimmt er Wo die wilden Kerle wohnen zur Hand.
Maya kuschelt sich an mich, und ich merke, wie ich tatsächlich langsam schläfrig werde. Ich könnte mich daran gewöhnen, ins Bett gebracht zu werden.
Nach Blythes Tod haben wir eine Zeit lang zusammen in meinem Bett geschlafen. Maya war noch so klein, dass ihr Gitterbettchen ohnehin bei mir stand, aber wir brauchten mehr Nähe als das.
Während Weston liest – und er liest echt gut –, schweifen meine Gedanken ab. Ist das Abendessen bei Aurora wirklich so unschuldig, wie es scheint? Und ist es das, was von mir erwartet wird? Dass ich eines Tages wieder beginne zu daten? Welche Frau, die noch ganz bei Sinnen ist, würde sich einen alleinerziehenden Vater mit zwei kleinen Kindern und einem gigantischen Schuldenberg antun? Das kann man niemandem zumuten.
Außerdem kennt Maya dieses Haus nur ohne Mutter. Mich nur ohne Partnerin. Wie würde sie reagieren? Und hätte Weston das Gefühl, ich würde seine Mutter ersetzen wollen?
Und was ist mit mir? Bin ich bereit, Blythe hinter mir zu lassen? Kann ich es jemals?
Kurz poppt wieder die Erinnerung an Bonnie auf. Daran, dass sie behauptet, ebenso kompliziert zu sein wie ich. An ihre großen dunklen Augen. Ihre eleganten Braids.
»Nun machen wir das Licht aus und schlafen«, beschließt Weston, als das Buch zu Ende ist, und bringt mich damit zurück ins Hier und Jetzt. Er klappt es mit einem Knall zu und legt es neben sich auf den Nachttisch. Dann klettert er aus dem Bett und schaltet das Licht aus. Mondlicht fällt durch die Jalousien und erhellt die Dunkelheit ein klein wenig.