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Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition)

Page 7

by Engel, Kathinka


  Als Weston zurück unter die Decke gekrochen ist, schmiegt auch er sich in meinen Arm.

  »Gute Nacht, Dad«, sagt er.

  »Gute Nacht, Weston.« Ich küsse ihn auf den Scheitel.

  »Gute Nacht, Maya«, fährt er fort.

  »Gute Nacht, Maya«, echoe ich und presse ihr ebenfalls einen Kuss auf die Haare.

  Sie piepst leise.

  »Gute Nacht, Mom«, sagen Weston und ich im Chor, und ich weiß, dass Maya wie jeden Abend dazu ihre Lippen bewegt, auch wenn sie keinen Ton von sich gibt.

  11 – Bonnie

  Heute

  Die Begegnung mit Jasper steckt mir auch während der nächsten Tage noch in den Knochen. Was auch immer ich tue, wieder und wieder gehe ich alles durch, was ich gesagt habe. Was er gesagt hat. Als ich auf einer goldenen Hochzeit als Bassistin einspringe, denke ich an sein Herz, das laut Phoenix das Einzige ist, was noch schöner ist als sein Gesicht.

  Beim Frühstück versuche ich mich auf das bunte Rätsel auf der Rückseite meiner Packung Lucky Charms – meine Lieblingsfrühstücksflocken – zu konzentrieren. Zwei Einhornbilder nebeneinander. Finde die sieben Unterschiede. Stattdessen sehe ich Jaspers Grinsen vor mir, als er mich über die Flirtversuche des Basketballspielers ausfragt. Finde die sieben Unterschiede in seinem Gesicht zwischen damals und heute. Ich könnte Tausende von Unterschieden nennen, weil ich sein Gesicht seit so vielen Jahren studiere.

  Während ich so tue, als würde ich beim Wäscheaufhängen Lulas Arbeitsgeschichten zuhören, denke ich an Amory. Und kurz gibt ihr Mut mir selbst Mut. Schauen, wo man selbst bleibt. Trotz der Unmöglichkeit. Es verwirrt mich. Es verwirrt mich kolossal, und ich beschließe, Amory auf den Filmabend festzunageln, den sie beim Brunch meiner Mom versprochen hat. Ablenkung wird mir guttun.

  Ich bin froh, als Curtis darum bittet, die Bandprobe zu verschieben, weil er einen Gig angeboten bekommen hat. Aber Jasper nicht zu sehen führt nur dazu, dass ich weiter an ihn denke, obwohl ich mich mit aller Macht dagegen wehre. Erst musste ich Verlust lernen, dann das Alleinsein. Und vielleicht hat Phoenix recht, vielleicht muss man auch irgendwann das Zusammensein wieder lernen. Und ich muss dann das Zusehen wieder lernen.

  Ich sehne mich nach jemandem, mit dem ich sprechen kann. Link weiß zwar Bescheid, doch Blythe war seine Schwester. Ich möchte ihn nicht mit dem neuen Ausmaß dieser Misere belasten. Ich könnte mit Lula sprechen, aber sie würde nur Chancen sehen, keine Hindernisse. Go for it, Schwesterchen, würde sie sagen. In ihrer Welt ist das so einfach. In einer Welt, in der Existenzen von unserer Musik abhängen, gilt das leider nicht.

  »Komm rein, komm rein«, sagt Amory. »Franzi ist auch schon da.« Sie grinst verschwörerisch und flüstert: »Sie war auf die Minute pünktlich.«

  Amory wohnt in einer hübschen kleinen Wohnung am Rande des French Quarter. Ihre Eltern haben eine Farm in Mississippi, die genug abwirft, sodass sie ihrer Tochter den Luxus dieser Wohnung ermöglichen können.

  »Im Wohnzimmer gibt’s Snacks und Wein«, sagt Amory. »Und Bier«, fügt sie hinzu, als sie meinen Blick sieht.

  Im Wohnzimmer laden zwei große Sofas dazu ein, es sich gemütlich zu machen. Und Amory hat nicht zu viel versprochen. Es gibt verschiedene Knabbereien mit Dips und Wein in einem Kühler.

  »Ist es für euch okay, wenn ich meinen BH ausziehe?«, fragt Amory. »Der nervt mich schon den ganzen Tag.«

  »Tu dir meinetwegen keinen Zwang an«, sage ich. Allerdings bin ich Amory auch gewohnt.

  Ich lasse mich auf die Couch sinken und dippe Nachos in Guacamole.

  »Bevor wir uns einen Film anschauen, will ich erst mal wissen, wie es euch geht«, sagt Amory. »Bereust du deine Entscheidung schon, dein Leben für Link geopfert zu haben?«

  »Was? Nein«, erwidert Franzi. »Ich bin wirklich froh, hier zu sein. New Orleans hat mir eine neue Perspektive auf alles gegeben. Ich will Dinge erleben. Leben. Nur das Problem mit dem Visum hat sich noch nicht gelöst, weil ich noch keinen festen Job habe.« Ein leicht bekümmerter Ausdruck schleicht sich auf ihr Gesicht.

  »Shit, das ist echt nervig«, sagt Amory. »Wie lange hast du noch? Kann man dir irgendwie helfen?«

  »Das Visum, das ich gerade habe, kann ich noch mal um ein paar Monate verlängern. Aber dann sollte ich einen Job gefunden haben.«

  »Du hast Informatik studiert, oder?«, frage ich.

  Franzi nickt.

  »Da sollte doch wohl was zu machen sein«, sagt Amory.

  »Dachte ich auch. Deswegen habe ich mich ja überhaupt erst dafür entschieden. Weil es ›etwas Sicheres‹ sein sollte.« Franzi verdreht die Augen. »Aber es stellt sich heraus, die meisten Firmen sind gar nicht so scharf darauf, jemanden einzustellen, der kein Visum hat.«

  »Das wird schon«, sagt Amory. »Jetzt hast du ja uns. Wir sind so was wie Superheldinnen, stimmt’s, Bonnie?«

  Ich schnaube. »Du vielleicht. Apropos Superheldin, wie läuft’s mit Curtis?«

  »Und was genau läuft mit Curtis?«, fragt Franzi neugierig.

  Ich merke, dass sich mein Kopf und mein Herz gleichermaßen entspannen. Hier mit Amory und Franzi zu sitzen ist eine wahre Wohltat.

  Amory verdreht die Augen. »Es ist … wie soll ich sagen …«

  »… kompliziert?«, biete ich an.

  »Vermutlich mehr als das.«

  Ich lehne mich zurück und höre zu, wie Amory über Curtis spricht. »Wir sind nicht zusammen oder so. Wir wohnen zusammen. Haben bis vor Kurzem zusammen geschlafen.«

  »Miteinander«, korrigiere ich grinsend.

  »Auch das. Nicht zu knapp.«

  Franzi lacht. »Und hier beginnen die Komplikationen?«, fragt sie.

  »Da gibt es diesen Typen aus der Uni. Richard. Er ist ganz süß und definitiv Beziehungsmaterial.«

  »Und Curtis ist es nicht?«, will Franzi wissen.

  Sowohl Amory als auch ich prusten los.

  »Curtis ist nicht so der Gefühlsmensch«, erkläre ich.

  »Und das ist noch untertrieben«, präzisiert Amory.

  »Immerhin funktioniert bei mir die Beziehungssache. Zumindest, solange ich im Land bleiben darf.« Franzi zuckt mit den Schultern.

  »Auf Link. Darauf, dass er einer von den Guten ist«, biete ich an, und wir lassen unsere Gläser aneinanderklirren.

  »Und du, Bonnie?«, fragt Amory jetzt. »Gibt’s bei dir was zu erzählen?«

  Beinahe verschlucke ich mich an meinem Bier. Normalerweise sprechen wir über sie und ihre Probleme. Um meine mache ich bewusst einen großen Bogen. Wäre Blythe nicht meine beste Freundin gewesen; hätte es diesen grauenhaften Kuss nicht gegeben; wären wir nicht in derselben Band; wäre es also möglich, auszusprechen, was los ist, würde ich einfach sagen: »Ich bin seit ungefähr dreizehn Jahren unsterblich in Jasper verliebt.«

  Alle Augen sind auf mich gerichtet. Amory schlägt sich die Hände vor den Mund. »Was?«, fragt sie.

  »Was?«, frage ich. Ich habe es doch nicht etwa laut ausgesprochen? Das kann nicht sein.

  »Süße«, sagt Amory, »machst du Witze?«

  Mein Mund ist auf einmal ganz trocken. »Ja?«, versuche ich es leise. Meine Stimme ist hoch.

  »Wirklich witzig ist es allerdings nicht.« Amory legt eine Hand auf meinen Arm.

  Eine gefühlte Ewigkeit sagt niemand ein Wort, und ich wage es nicht, woandershin zu blicken als auf das Polster des Sofas. In meinen Ohren rauscht es, in meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken. Das hier ist ungeheuerlich. Es ist eine Katastrophe. Ich weiß nicht, wie ich mich aus dieser Situation wieder hinausmanövrieren kann. Ob es überhaupt geht. Vermutlich nicht. Ich gebe auf.

  »Ich …«, bringe ich unter enormer Anstrengung hervor.

  »Nimm erst mal einen Schluck«, rät Amory. Ihr Allheilmittel.

  Doch tatsächlich hilft das Gefühl des kühlen Biers, das meine Kehle hinunterrinnt. Ich lasse meinen Blick kurz nach oben flackern, aber als ich in die erschrockenen Gesichter von Amory und Franzi blicke, schlage ich die Augen schnell nieder.

  »Fuck«, sage ich.

  »Du wolltest das nicht erzählen, oder?«, fragt Franzi.

  Ich sch�
�ttle den Kopf. Wie konnte das passieren? Nachdem ich all die Jahre so gut gefiltert habe. Erst die Unaufmerksamkeit im Cat’s Cradle und nun das.

  Na, immerhin bin ich nicht der Einzige, für den diese ganze Sache kompliziert ist, höre ich Jaspers Stimme in meinem Kopf.

  »Willst du jetzt, wo es raus ist, vielleicht drüber reden?«, fragt Amory vorsichtig und streicht wieder und wieder über meinen Arm.

  »Ich … ich glaub nicht«, sage ich, und es klingt beinahe wie ein Wimmern. Erbärmlich. »Oder … vielleicht doch?« Ich weiß es nicht. »Ich weiß es nicht«, sage ich und merke, dass sich wenigstens meine Stimme zu beruhigen scheint.

  »Menschenskinder, das ist vielleicht ein Hammer«, sagt Amory. »Wie lange schon, sagst du?«

  Dass sie Fragen hat, hilft mir, mich zu sortieren. »Soll ich ehrlich sein?«, frage ich, und ein seltsames Lachen löst sich aus meiner Kehle.

  »Ich bitte darum«, sagt Amory.

  »Seit ich ihn das erste Mal gesehen habe.« Erneut kommt dieses kehlige Lachen aus mir heraus. »Ist das nicht beschissen?«

  »Alter …«

  Ich zwinge mich, aufzublicken. Amorys Augen sind weit aufgerissen, und Franzi sieht bestürzt aus. »Sorry, dass ich die Stimmung gekillt habe. Das war wirklich nicht meine Absicht. Keine Ahnung, wie das plötzlich geschehen ist.« Ich nehme noch einen Schluck Bier. »Wollen wir jetzt einen Film schauen?«

  »Definitiv nicht«, sagt Amory. »Das holen wir ein andermal nach. Erzähl alles!« Als sie Franzis tadelnden Blick sieht, schiebt sie hinterher: »Ja, vielleicht bin ich eine Sadistin. Na und? Es ist für einen guten Zweck.«

  »Ach ja? Und der wäre?«, frage ich und versuche mich an einem vorsichtigen Lachen.

  »Wenn du das seit über zehn Jahren mit dir herumschleppst, wird es Zeit, dass du es loswirst. Sonst platzt du irgendwann. Und es wäre eine Schande, wenn es auf meinem schönen Teppichboden passiert.«

  Nun lachen wir immerhin alle.

  »Du musst nicht drüber reden, wenn es dir unangenehm ist«, sagt Franzi. Aber irgendwas an ihrer Stimme bewirkt, dass ich ihr vertrauen will.

  »Das Problem ist«, beginne ich, »dass es nichts ändert. Ich kann euch davon erzählen, jetzt ist es ja ohnehin raus. Aber an meiner beschissenen Lage ändert es nichts.«

  »Aber vielleicht fühlst du dich danach weniger allein«, schlägt Franzi vor. Und vermutlich hat sie recht.

  »Link weiß übrigens Bescheid«, sage ich. »Allerdings nicht, dass es immer noch so akut ist.«

  »… immer noch so akut«, wiederholt Amory. »War es jemals besser?«

  Ich schüttle zum ungefähr hundertsten Mal den Kopf. »Nein, es war immer so, wie es jetzt ist. Unerträglich. Aber solange er mit Blythe zusammen war, konnte ich mich immerhin für ihr Glück freuen.«

  »Das …«, beginnt Amory.

  »… macht einen ziemlich sprachlos, oder?«, biete ich an.

  »Er weiß es nicht, nehme ich an?«, fragt sie weiter.

  »Um Himmels willen. Und das muss auch so bleiben.«

  »Aber …«

  »Da gibt es kein Aber.«

  »Aber …«

  »Nein.«

  »Aber …«

  »Amory!« Schlimm genug, dass ich mich gerade vollkommen entblößt fühle. Das gesamte Ausmaß des Elends vor Amory und Franzi auszubreiten, sprengt meine Kapazitäten.

  »Du bist seit über zehn Jahren unglücklich«, sagt Amory. »Das ist doch kein Zustand.«

  Was sie sagt, verletzt mich. Nicht, weil es ihre Worte sind. Nicht, weil es nicht teilweise der Wahrheit entspräche. Aber mein Leben als ein Unglück wahrzunehmen, ist falsch.

  »Erstens: Nein. Nur weil dieser eine kleine Aspekt nicht funktioniert, heißt es nicht, dass ich nicht glücklich bin. Und zweitens …«

  »Kleiner Aspekt?« Amory sieht sich Hilfe suchend nach Franzi um.

  »Und zweitens würde ich alles verlieren, was mich tatsächlich glücklich macht. Meine Freunde, meine Band. Lassen wir das. Bitte. Schauen wir uns einen Film an.«

  Franzi ist glücklicherweise schneller als Amory und wählt einfach auf gut Glück einen Film aus dem Streaming-Menü aus. Es ist irgendein Teil von The Fast and the Furious, doch niemand traut sich, etwas anderes vorzuschlagen. Also sitzen wir nebeneinander auf dem Sofa und sehen uns an, wie irrsinnig teure Autos in einem Parkhaus um die Wette fahren.

  »Ist es wegen Blythe?«, fragt Amory nach ungefähr einer halben Stunde, so leise, dass nur ich es hören kann.

  »Es ist wegen allem «, erwidere ich.

  »Aber ist es auch ihretwegen?«

  Ich sage nichts, doch für Amory ist das vermutlich Antwort genug.

  Der Film ist eine Zumutung, und die Stimmung könnte kaum seltsamer sein. Doch wir halten durch. Bis zum Ende sagt niemand ein Wort. Die Kommunikation beschränkt sich auf die halb amüsierten, halb perplexen Blicke, die wir uns bei besonders blöden Sprüchen zuwerfen.

  Als der Film vorbei ist, wendet sich Amory wieder mir zu.

  »Okay, du willst nicht drüber reden«, sagt sie. »Ist notiert. Und okay, du willst auch nichts unternehmen. Verstehe ich. Aber irgendwas musst du tun.«

  »Was meinst du damit?«, frage ich.

  »Dass dir das heute Abend rausgerutscht ist, kann kein Zufall gewesen sein.«

  Ich sehe sie einigermaßen verständnislos an.

  »Glaub mir, ich habe eine gute Menschenkenntnis. Und ich kenne dich. Und die Tatsache, dass du all das vor mir verheimlicht hast, seit wir uns kennen, ist bemerkenswert. Aber noch bemerkenswerter ist es, dass es dir heute nicht mehr gelungen ist. Das muss doch einen Grund haben.«

  Ob sie recht hat? Die paar Minuten mit Jasper allein haben mit Sicherheit irgendwas in mir aufgewühlt. Sie haben meine Gewohnheiten durchkreuzt und es beinahe unmöglich gemacht, die Gedanken auf etwas anderes als ihn zu kanalisieren.

  »Vielleicht brauche ich mal ein bisschen Ablenkung«, schlage ich vor.

  »Schwebt dir was Bestimmtes vor?«, fragt Amory. »Wir sind bei allem dabei, oder, Franzi?«

  »Was machst du denn normalerweise, wenn du dich ablenken willst?«, fragt diese.

  »Hm.« Das letzte Mal, dass ich mich von irgendwas ablenken musste, war kurz vor Blythes Tod. Wir hielten es alle nicht aus. Das Elend, ihre Schmerzen. Die Angst, dass es jeden Tag vorbei sein konnte. Zusammen mit Link und Curtis habe ich damals unser Haus gestrichen. »Wir könnten unser Haus streichen«, schlage ich vor.

  »Perfekt«, sagt Amory. »Körperliche Betätigung in der Sonne. Wahrscheinlich schwitzt du deine ganzen Gefühle einfach aus.«

  Das ist tatsächlich etwas, das ich noch nicht versucht habe.

  12 – Jasper

  Heute

  Ich summe die Melodie zu Links neuer Akkordfolge in C-Dur noch einmal vor mich hin, lasse sie in meinem Kopf nachklingen. Wir sitzen in meinem Wohnzimmer und arbeiten endlich an dem Song, den er uns vor zwei Wochen bei der Bandprobe gezeigt hat.

  »Probier es mal statt der Subdominante mit einem Moll-Akkord. d-Moll?«, schlage ich vor, und Link tut wie geheißen. »Fast. f-Moll?«

  Link versucht es. »Ja!«

  »Der ist es!« Ich selbst spiele die Akkordfolge mit der linken Hand auf dem Klavier nach. Einmal, zweimal. Dann kommt eine schnelle improvisierte Melodie dazu. Währenddessen zupft Link weiter an den Saiten.

  »This is where the magic begins. This is the sparkle, the glisten, the glint«, singt er leise, während ich eine zweite Stimme dazu summe.

  »Es funktioniert«, sage ich. »Es klingt nach magic und sparkle, wenn du mich fragst.«

  »Bin mit dem Text, ehrlich gesagt, alles andere als glücklich. Zu kitschig. In meinem Kopf ist in letzter Zeit nur noch Platz für Kitsch«, sagt er grinsend und verdreht die Augen. »Vielleicht könntest du dir etwas überlegen. Etwas, bei dem ich keine Schweißausbrüche bekomme, weil es mir peinlich ist.«

  »Was immer du brauchst.«

  Link beugt sich vor und nimmt einen Schluck Bier aus der Flasche, die vor ihm auf dem Boden steht.

  »Was hältst du davon, wenn du ihn singst?«, fragt Link.

  »Es ist dein Song«, sage ich.
»Du solltest ihn singen.«

  »Ehrlich gesagt, höre ich eher deine Stimme dazu. Und deinen Text.«

  Ich überlege. Der Song ist sanfter als die anderen, die wir spielen. Er ist leiser und verspielter. Vielleicht passt Links tiefe, heisere Stimme tatsächlich nicht so gut.

  »Wir haben ewig keinen Song mehr für dich geschrieben!«, sagt Link. »Komm schon.«

  »Das liegt daran, dass ich lange keine gute Idee mehr hatte. Jedenfalls keine, die zu meiner Stimme passt.«

  »Das ist Unsinn, und das weißt du auch.«

  Aber es ist kein Unsinn. Ich habe im letzten Jahr vielleicht zwei brauchbare Songs geschrieben. Früher sprühte ich nur so vor Kreativität, doch der Alltag mit den Kindern, die Termine mit der Bank, all das erstickt meine Ideen.

  »Bei keinem unserer neuen Songs singst du die Hauptstimme.« Link klingt beinahe vorwurfsvoll, aber ich weiß, wie er es meint.

  »Du bist schließlich auch unser Sänger«, gebe ich zu bedenken.

  »Weißt du, was ich glaube?«, sagt er. »Ich glaube, du richtest es dir gerade relativ gemütlich ein in deiner Komfortzone.« Er nimmt noch einen Schluck Bier.

  »Wie bitte?«, frage ich. »Komfortzone?« Ich muss lachen.

  »Ja, Komfortzone.«

  »Das ist albern«, sage ich.

  »Ist es das?« Link zieht eine Augenbraue nach oben. »Wann bist du das letzte Mal von deinem normalen Ablauf abgewichen?«

  »Oh, lass mich mal nachdenken … vielleicht … als ich dich gebeten habe, bei mir einzuziehen?« Ich reiße einen kleinen Fetzen vom Etikett meiner Bierflasche und rolle ihn zwischen meinen Fingern zu einer kleinen Kugel, die ich in Links Richtung schnippe.

  »O ja, stimmt, wir teilen uns ein Badezimmer«, sagt er sarkastisch.

  »Was willst du noch? Eine Schublade in meinem Schlafzimmer für deine Socken?« Ein weiteres Papierkügelchen findet seinen Weg zu ihm.

  »Wie romantisch wäre das!«, sagt er und formt mit seinen Händen ein Herz in meine Richtung.

  Ich trinke einen Schluck, und das kühle Bier rinnt wohltuend meine Kehle herab. »Sag mir eines, Link. Warum ist das auf einmal ein Thema?«

 

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