Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition)
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»Immer«, sagt Curtis und grinst schelmisch. Oder diabolisch.
Ich bin eigentlich zu müde, will Curtis jedoch definitiv nicht allein lassen. Jemand muss ein Auge darauf haben, dass er seine Grenzen nicht überschreitet.
»Ein Bier, aber dann sollten wir ins Bett. Wir müssen morgen früh raus, damit der ganze Aufbau passt, wenn die Gäste kommen«, sagt Link, und ich werfe ihm einen Blick zu, aus dem meine gesamte Dankbarkeit spricht. Er lächelt und bedeutet mir mit einem Nicken, dass ich verschwinden solle. Anscheinend sieht man mir meine Müdigkeit an.
»Pst, Bonnie«, erklingt auf einmal ein Flüstern hinter mir.
Ich drehe mich um und sehe, dass Amory barfuß hinter mir herläuft. »Hey«, sage ich, »du bist ja schon da!«
»Vor einer halben Stunde angekommen.«
Nebeneinander laufen wir über die terrakottafarbenen Steinplatten, die den Weg zum Nebengebäude markieren.
»Wie findest du’s?«, fragt sie.
»Es ist verblüffend schön«, sage ich. »Irgendwie unwirklich.«
Um uns herum zirpen Grillen, und ein leichter Wind lässt die Blätter der Eichen rascheln. Ich blicke in den dunklen Nachthimmel und erstarre beinahe.
»Wow«, entfährt es mir, »die Sterne!«
In der Stadt sieht man sie nie in dieser Intensität. Zu viele Lichtquellen erhellen dort die Nacht. Aber hier, wo die paar schmutzigen Laternen gegen die Dunkelheit wenig ausrichten können, funkelt der gesamte Himmel. »Als würden sie auf uns herabschauen«, sage ich und muss unwillkürlich kurz an Blythe denken. Dann blicke ich zu Amory.
»Was?«, fragt sie.
»Ach, ich bin einfach froh, dich zu sehen«, antworte ich. Froh, jemanden zu sehen, vor dem ich nicht mehr filtern muss.
Als hätte sie meine Gedanken gelesen, fragt sie: »Wie ist es mit Jasper?«
»Hier, meinst du?«
»Nein, ich meine allgemein.«
Es hat keinen Sinn, ihr zu sagen, dass sie mich das nicht fragen muss. Denn ich trage meine Gefühle seit über zehn Jahren mit mir herum. Und seit über zehn Jahren ist meine Situation unverändert. Doch weil sich für sie die Dinge seit meinem unfreiwilligen Geständnis geändert haben, sage ich: »Wir singen Links neuen Song zusammen.«
»Waaaas?«
»Schhhhh«, mache ich. »Es ist keine große Sache.«
»O doch, das ist es«, sagt Amory und kichert. »Wenn sich eure Stimmen vereinigen …«
»Amory«, ermahne ich sie.
»Ja, ja, verstanden. Bin schon still. Vielleicht kann dich das hier besänftigen?« Sie zieht eine kleine Puppe hinter ihrem Rücken hervor. Sie sieht aus wie die typischen Voodoo-Puppen, die man in den Touristenshops im French Quarter kaufen kann. Ein schiefer Körper, ein verzerrtes Gesicht mit runden Augen und aufgerissenem Mund.
»Ernsthaft?«, frage ich lachend.
»Ich hab’s schließlich versprochen.«
»Und was machen wir damit?«, frage ich.
»Wir verbuddeln sie.« Mit zwei Schritten hat sie den Weg verlassen und beginnt mit den Händen in einem frischen Beet herumzugraben.
»Du bist komplett irre«, sage ich lachend.
Schnell hat sie eine Mulde gegraben, die tief genug für die Puppe ist. »Tschüss, du Gruselpuppe«, sagt sie, und ich höre ein Glucksen in ihrer Stimme.
Sie legt die Scheußlichkeit in die Erde, und gemeinsam graben wir das Loch wieder zu.
»So, erledigt«, sagt sie.
»Und wozu haben wir das gemacht?«, frage ich.
»Na, um die Toten zu beschützen oder so.« Und eigentlich ist es auch egal, es fühlt sich ziemlich gut an, etwas gemacht zu haben.
Oben in meinem Zimmer knarzt mein Bett, als ich mich darauf fallen lasse. Die Matratze ist weich und durchgelegen, die Bettdecke etwas muffig. Aber ich bin so müde, dass mir nicht einmal die Mücke etwas ausmacht, die hoch summend ihre hungrigen Bahnen zieht und nur darauf wartet, mir einen ekelhaft juckenden Stich zu verpassen.
Wie von sehr weit weg nehme ich wahr, dass die anderen irgendwann ins Haus kommen. Sie sind leise, ich höre kaum ihre Schritte. Und im nächsten Moment bin ich eingeschlafen.
Ich werde davon wach, dass mein Mund ganz trocken ist. Meine Zunge klebt am Gaumen, und ich verfluche die trockene Luft der Klimaanlage, die leise vor sich hin summt. Natürlich habe ich mir keine Wasserflasche neben das Bett gestellt. Anfängerfehler.
Kurz diskutiere ich mit mir selbst, ob ich einfach versuchen sollte, wieder einzuschlafen. Ich werde heute Nacht nicht verdursten, und wenn ich jetzt aufstehe, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass es mir schwerfällt, innerhalb der nächsten Stunde wieder einzuschlafen. Bin ich einmal wach, kann ich das Gedankenkarussell kaum wieder ausschalten.
Doch der Durst ist stärker als das Bedürfnis nach Gemütlichkeit. Schlaftrunken knipse ich meine Nachttischlampe an. Meine Finger sind etwas unkoordiniert in ihren Bewegungen. Ich setze mich auf und reibe mir den Schlaf aus den Augen. Dann erhebe ich mich tapsig vom Bett und schlurfe zur Tür. Kurz sehe ich mich nach etwas um, das ich mir überziehen kann, verwerfe den Gedanken aber gleich wieder. Um diese Zeit treibt sich ohnehin niemand draußen herum.
Leise öffne ich die Tür und schleiche mich nach draußen. Hinter mir höre ich das leise Klicken des sich schließenden Schlosses. Des sich schließenden Schlosses! Fuck! Mit einem Satz bin ich wieder zurück und rüttle am Türknauf. Doch es tut sich nichts.
»Fuck «, flüstere ich diesmal laut. Das darf ja wohl nicht wahr sein! Wie konnte ich nur vergessen, dass man von außen einen Schlüssel braucht! Den Schlüssel, der auf meinem Nachttisch liegt. Direkt neben der Lampe. Ich meine mich sogar noch zu erinnern, ihn kurz gesehen zu haben, als ich mich aufgesetzt habe. Aber mein Gehirn war noch zu sehr mit dem Aufwachen beschäftigt und konnte eins und eins nicht zusammenzählen.
Noch einmal versuche ich, den Türknauf zu drehen. Ich presse meinen Körper mit aller Macht dagegen, doch ohne Erfolg. Die Tür bleibt zu.
Mein Mund ist immer noch trocken, und so beschließe ich, mir erst einmal eine Flasche Wasser zu holen. Im Gemeinschaftsraum am Ende des Flurs gibt es einen Kühlschrank mit Getränken. Und ein Sofa, auf das ich mich vielleicht legen kann.
Meine nackten Füße tapsen über den kalten Steinboden. Die einzige Lichtquelle sind Mond und Sterne, die durch die Fenster scheinen. Auch im Gemeinschaftsraum verzichte ich auf elektrisches Licht. Als ich den Kühlschrank öffne, muss ich blinzeln, weil seine Helligkeit mich blendet. Ich nehme eine Wasserflasche heraus und schließe die Tür wieder.
Ehe ich einen Schluck trinke, begutachte ich das Sofa. Es ist nicht groß, aber groß genug für mich. Das drängendere Problem stellt die Tatsache dar, dass es keine Decke zu geben scheint. Durch die klimatisierte Luft ist es kühl, und ich habe nichts an als mein Schlaf-T-Shirt und einen Slip.
Langsam schraube ich den Deckel meiner Wasserflasche ab und genehmige mir ein paar tiefe Schlucke.
»Kannst du auch nicht schlafen?«, fragt auf einmal eine männliche Stimme in meinem Rücken.
Ich wirble herum. Im Zwielicht erkenne ich Jaspers Silhouette in der Tür, und mein blödes Herz beginnt natürlich sofort zu rasen. In diesem Tempo ist es noch vor Sonnenaufgang zurück in New Orleans.
»Hi.« Meine Stimme krächzt, und ich räuspere mich. »Ich hatte Durst.« Wie zum Beweis hebe ich die Wasserflasche hoch.
Jasper betritt den Gemeinschaftsraum, und erst jetzt nehme ich seinen nackten Oberkörper wahr. Ich will ihn eigentlich nicht ansehen, aber offenbar hat mein Gehirn aufgehört, Befehle zu senden. Mein Blick ist auf ihn gerichtet, wandert über seine Brust. Ich habe Jasper früher ein paarmal oben ohne gesehen. Als wir noch jünger waren. Wenn er bei Charlie und Con im Garten gearbeitet hat oder wenn wir alle zusammen schwimmen waren. Ich habe ihn dann gern angesehen und mich immer dafür geschämt. Dieses altbekannte Gefühl bricht nun mit aller Macht über mich herein. Begehren und Scham zu gleichen Teilen.
Mir fällt auf, dass der jungenhafte Jasper einem Mann gewichen ist. Er hat jetzt fein gelockte dunkle Haare auf der Brust. Es juckt mich in den Fingern, darüber zu streichen. Beinahe habe ich den
Eindruck, als hätten meine Finger selbst genug Fantasie, um zu wissen, wie er sich anfühlt.
Hallo, Gehirn, versuche ich es, übernimm bitte wieder die Kontrolle! Aber mein Kopf lehnt sich zurück und beobachtet. Oder er ist wieder eingeschlafen.
Jasper geht ebenfalls zum Kühlschrank und holt sich ein Wasser. Kurz wird er beleuchtet, und ich sehe, dass seine weiten Boxershorts bunt gemustert sind. Ich bekomme eine Gänsehaut. Ob vor Kälte oder blöder Begierde, lässt sich nicht sagen.
Ich komme ein Stück näher, weil es sich seltsam anfühlt, mitten in der Nacht an zwei Enden eines Zimmers zu stehen. Und so lehne ich mich an den Tresen, der Kühlschrank und Waschbecken vom Rest des Raums abtrennt.
Jasper stellt sein Wasser darauf ab und macht einen Satz, um auf der Arbeitsplatte zum Sitzen zu kommen. Er ist direkt neben mir. Viel zu nah. Eigentlich. Uneigentlich möchte ich meinen Kopf an seine Brust lehnen. Mich an ihn kuscheln, sodass seine Wärme auf mich übergeht.
»Du frierst«, sagt er, als könne er Gedanken lesen.
Er muss wohl meinen fragenden Blick bemerken, denn er streicht einmal mit seiner Hand über meinen Oberarm und sagt: »Du hast eine Gänsehaut.«
Seine Berührung – so warm seine Hand auch ist – jagt mir einen weiteren Schauer über den Rücken. Und dort, wo seine Fingerspitzen waren, bleibt ein Pfad aus Erinnerung zurück. Warme, prickelnde Erinnerung. Als hätte meine Haut ein Gedächtnis.
Ich verschränke die Arme vor der Brust, um mich selbst zu wärmen. Und um mein beknacktes Herz davon abzuhalten, meinen Brustkorb zu sprengen. Denn wenn es so weitergeht, wird das unweigerlich passieren. Es wird herausspringen, direkt in Jaspers Hand. Dort fängt es dann mit Sicherheit an zu schnurren wie eine rollige Katze.
»Ist alles klar bei dir?«, fragt Jasper. Vermutlich, weil ich bislang nichts zu unserer Unterhaltung beigetragen habe.
Ich nicke. »Ja, alles gut.« Ich blicke auf den Tresen vor mir, doch dummerweise liegt genau dort Jaspers Hand. Die, mit der er mich gerade berührt hat. Die, deren Spur ich immer noch auf meinem Arm fühle. Ich kann nicht anders, als sie anzustarren, mir zu wünschen, er würde sie wieder auf meinem Körper platzieren. »Du hast nicht zufällig irgendwo eine Wolldecke oder so liegen sehen?«, frage ich. Schließlich habe ich eigentlich drängendere Probleme als mein Herz, meine Haut, meinen Körper, der sich von meinem Kopf abgekoppelt hat.
»Mach doch einfach die Klimaanlage aus«, sagt Jasper, und ich sehe, wie seine Fingerknöchel zucken. Nur ganz leicht. Und dennoch reicht es, um das Sehnen in meiner Haut noch mal stärker zu entfachen.
»Die Klimaanlage ist nicht das Problem«, erwidere ich leise. »Ich habe mich ausgesperrt.« Letzteres klingt kleinlaut, wie ein Kind, das etwas angestellt hat.
»Du hast dich ausgesperrt?« Ich höre ein leises Glucksen in Jaspers Stimme.
»Das ist nicht witzig«, sage ich, doch auch ich muss auf einmal grinsen.
»Ein bisschen schon«, gibt Jasper zurück.
»Was ist nun? Hast du eine Idee, wo ich eine Decke auftreiben kann, um hier auf dem Sofa wenigstens noch ein bisschen Schlaf zu bekommen? Ich gehe nicht davon aus, dass man Judy nachts um einen Ersatzschlüssel bitten sollte …«
»O Gott, ich gebe dir zwanzig Dollar, wenn du das machst.« Er lacht leise. »Ich wette, Curtis legt auch noch was drauf.« Dann wird er wieder ernst. »Ich habe keine Ahnung, ob es hier noch Decken gibt.«
»Verdammt.« Ich fahre mir mit den Händen über meine eiskalten Arme, um ein wenig Wärme zu erzeugen.
»Schlaf bei mir«, sagt er auf einmal, und ich bin froh, dass ich gerade keinen Schluck Wasser im Mund habe. Sonst hätte ich mich mit Sicherheit verschluckt.
Mein Herz jubelt, aber mein Kopf ist glücklicherweise wieder da. Deswegen sage ich: »Das ist sehr nett, danke. Aber ich will dir dein Bett nicht wegnehmen. Es wird schon so gehen.«
»Bist du verrückt?«, fragt er. »Du frierst. Es ist mitten in der Nacht. Ich habe ein Bett und eine Decke, die groß genug für zwei ist. Sei nicht albern.«
Albern. Von wegen! »Ich glaube wirklich, dass es schon gehen wird. Es ist vor allem der Steinboden, der so kalt ist.«
Jasper streckt seine Hand aus und befühlt mit seinen Knöcheln meinen Oberarm. Ich wünschte, die Berührung würde für immer dauern. Ich wünschte, es hätte sie nie gegeben. Ich bin so hin- und hergerissen, dass es mir schwerfällt, einen klaren Gedanken unterzubringen.
»Du bist eiskalt, Bonnie. Keine Diskussion.«
»Aber …« Bei jedem anderen. Doch ich kann nicht mit Jasper in einem Bett schlafen.
»Dir ist kalt, du bist winzig. Ich habe ein Bett mit einer großen Decke. Was ist das Problem?«
Und da hat er mich. Ich kann ihm nicht sagen, was das Problem ist. Und ich bin nicht in der Lage, mir ein alternatives Problem auszudenken, das ihn überzeugen würde. »Ich schätze, es gibt keins«, sage ich deswegen.
»Dachte ich mir«, antwortet er und springt vom Tresen. »Dann bringe ich dich mal ins Bett.« Er grinst schelmisch, und ich bin mir sicher, dass mein Herz morgen jede Menge blauer Flecken haben muss, so fest, wie es gegen meinen Brustkorb springt.
Jasper schläft in einer der Schlafkojen, von denen Judy gesprochen hat. Ein Bett, das nur durch einen Vorhang vom Rest des Schlafraums abgetrennt ist.
»Über uns schläft Link«, flüstert er und deutet auf den Vorhang auf Augenhöhe. »Curtis liegt dort drüben.«
Jasper schiebt den Vorhang zur Seite und bedeutet mir, in die Koje zu klettern. Er folgt dicht hinter mir und leuchtet mit der Taschenlampe seines Handys, sodass wir beide einigermaßen Platz finden. Er hatte recht, das Bett ist tatsächlich groß genug für zwei Personen. Allerdings nicht groß genug für zwei Personen und Raum zwischen ihnen. Ich seufze innerlich, mein Herz tanzt.
Jasper breitet die Decke über uns, und augenblicklich spüre ich die wohltuende Wärme, die von seinem Körper ausgeht. Seine wohltuende Präsenz. Ich versuche mich nicht auf seine Anwesenheit, nicht auf seinen Geruch zu konzentrieren. Will mit aller Macht das Bild seines nackten Oberkörpers aus meiner Erinnerung verbannen. Beinahe wünschte ich mir ein Einweckglas, in das ich meine Gedanken symbolisch sperren könnte. Stattdessen drehe ich mich auf die Seite, rutsche so weit an die Wand wie nur irgend möglich und zähle lautlos Botenstoffe auf, die für den Wahnsinn hier verantwortlich sind: Dopamin, Oxytocin, Adrenalin. Mein Kopf weiß das. Aber es hilft mir nicht.
Jasper legt sein Handy weg, und nun ist es stockdunkel um uns herum.
»Gute Nacht, Bonnie«, sagt er, und durch die Vibration seiner Stimme merke ich, wie nah er mir ist.
Ich fühle mich, als würde ich innerlich zerrissen vor Verlangen, ihm nah zu sein, und der Gewissheit, dass es falsch ist. Ich atme einmal tief ein. Dann sage ich: »Gute Nacht, Jasper.« Und allein der Klang seines Namens aus meinem Mund bewirkt, dass mein gesamter Körper kribbelt und sticht.
Meine Augen sind fest geschlossen, und ich bemühe mich, den Fokus auf die Geräusche um mich herum zu legen. Ich höre Curtis leise schnarchen. Jasper neben mir atmen. Das Bett knarzt leise, als Link sich über uns umdreht. Die Minuten verrinnen, doch mein gesamter Körper – und mein Geist – ist angespannt. Es ist zwar immerhin warm, aber die Tatsache, dass es sich um Jaspers Wärme handelt, macht mich fertig. Es fühlt sich an, als wäre ich vollkommen von ihm umgeben. Von dem Mann, den ich so sehr liebe wie nichts auf der Welt. In mir tobt ein Sturm, der sich eigentlich durch Tränen einen Weg nach draußen bahnen müsste. Oder durch schallendes Gelächter, weil die Situation so selten dämlich ist. Aber nichts davon steht mir zur Verfügung.
Jaspers Atem geht regelmäßiger. Seine Atemzüge werden tiefer. Er schläft ein. Das ist gut. Es ist gut für mich, denn nun kann ich mich etwas entspannen, versuchen, meine Gedanken auf etwas zu lenken, das so weit weg von dieser Nacht ist wie nur irgend möglich.
Lula. Meine Mom. Musik. Die Band. Jasper. Fuck.
Der Geruch von Farbe. Sonnenschein. Tremé. Zu Hause. Jasper. Fuck.
Lärm im French Quarter. Jubelndes Publikum. Der Typ, der mich mit zu sich nehmen will. Feierabend. Jasper. Fuck.
Es hilft n
ichts. Er ist in meinen Gedanken. Und er ist direkt neben mir. Und er kommt näher. Ich spüre, wie er sich regt. Wie er sich umdreht. Wie er –
Ich erstarre. Wie er seinen Arm um mich legt. O Gott, o Gott, o Gott. Der dünne Stoff meines T-Shirts bietet keinerlei Schutz gegen das, was hier passiert. Gegen das Gewicht von Jaspers Arm auf mir, gegen den leichten Druck seiner Berührung. Gegen seine Brust an meinem Rücken. Gegen seine Beine an meinen Beinen. Gleich explodiere ich. Jeden Moment muss es so weit sein. Die Welt um mich herum vibriert, und mein Körper zittert. Nicht vor Kälte, sondern vor Wärme. Vor Hitze. Vor innerer Hitze, die sich ausbreitet. Die bewirkt, dass es mich beinahe zerreißt. Oder passiert es wirklich?
Jaspers Atem ist an meinem Hals. Nach wie vor regelmäßig und tief. Er schläft. Das hier geschieht, während er schläft. Kurz habe ich das Gefühl, seine Lippen an meiner Schulter zu spüren, aber das muss ich mir eingebildet haben.
Hier liege ich nun, den Mann, den ich mehr will als alles andere auf der Welt, dicht an mir. Würde ich mich umdrehen, wir lägen Stirn an Stirn, Lippen an Lippen. Mein Atem wäre seiner, und sein Atem wäre meiner. Ich wage nicht, mich zu rühren. Einerseits habe ich Angst, Jasper zu wecken. Er würde seinen Fehler bemerken, peinlich berührt lachen, sich wegdrehen. Andererseits wünsche ich mir nichts mehr, als dass diese Nacht nie vergeht.
Meine Eingeweide zerren an mir, aneinander. Ich gebe mir Mühe, regelmäßig zu atmen. Leise, durch den Mund, um mich zu beruhigen. Es gibt ohnehin keinen Ausweg aus dieser Lage. Und als mir das klar wird, gebe ich mich geschlagen. Ich liege in Jaspers Arm, kann nichts tun – und beginne es zu genießen. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie etwas so Schönes, so Intimes gefühlt. Es ist, als wären wir eins. Schon immer gewesen. Als hätte man uns auseinandergerissen und nun wieder zusammengefügt. Zu etwas Ganzem. Der Wunsch, zu weinen und zu lachen gleichzeitig, ist immer noch da, allerdings verschiebt sich langsam der Grund dafür. Dass es am nächsten Morgen vorbei sein muss. Dass Jasper nie wissen wird, wie es sich angefühlt hat. Dass die Sehnsucht nur noch schlimmer wird mit jedem bisschen, das ich mir gestatte. Es ist unerträglich. Unerträglich süß, unerträglich schmerzhaft, unerträglich schön.