Love is Bold – Du gibst mir Mut: Roman (Love-is-Reihe 2) (German Edition)
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26 – Jasper
Heute
Ich bin es gewohnt, früh aufzustehen, und wache meist vor dem Klingeln meines Weckers auf. Allerdings bin ich es nicht gewohnt, beim Aufwachen jemanden in meinem Arm zu haben, den ich nicht gezeugt habe. Fast bin ich erstaunt, dass Bonnie und ich uns anscheinend kein bisschen bewegt haben in den paar Stunden, die wir gemeinsam in meinem Bett geschlafen haben. Als ich, einem Impuls folgend, meinen Arm um sie legte, hatte ich beinahe erwartet, sie würde mich wegschieben. Aber nichts dergleichen geschah. Bis zu diesem Moment, in dem ich erwache und ihren Körper immer noch an meinem spüre.
Ihre Braids kitzeln meine Nase. Bonnies Geruch, der Duft von Zuhause, von Geborgenheit und Zusammenhalt lässt mein Herz schneller schlagen. Warum auch immer, der Drang, sie noch fester an mich zu ziehen, ist stark. So stark, dass ich mich mit aller Macht dagegen wehren muss. Denn ich will sie nicht wecken. Zum einen, weil sie sich dann sicher aus meiner Umarmung winden würde. Zum anderen, weil ich ihren Schlaf nicht stören möchte.
Sie fühlt sich gut an neben mir. So gut, dass man meinen könnte, wir würden immer nebeneinander einschlafen – und in meinem Fall aufwachen. Es passt. Das ist es. Ihr Körper passt zu meinem, meiner zu ihrem. Dies ist der Inbegriff von Gemütlichkeit, von Stimmigkeit. Von Sinnhaftigkeit.
Das hier ist … schön! Verblüffend schön. Schöner als in meiner Vorstellung. Weil es echt ist. Es ist bekannt und doch neu. Es ist nah und doch fremd. Es ergibt auf einfachste Weise absolut Sinn.
Widerwillig hebe ich meinen Arm. Ganz behutsam, um sie nicht zu wecken. Dort, wo ihr Körper an meinem lag, empfinde ich eine erstaunliche Kälte – und Leere. Als würde nun etwas fehlen. Ist es wahrhaftig möglich? Ist es Bonnie? Könnten wir beide … Ich denke den Gedanken nicht zu Ende, während ich vorsichtig den Vorhang meiner Schlafkoje zur Seite ziehe und mich aus dem Bett schäle.
Unter der Dusche lächle ich vor mich hin. Ein dämliches Grinsen, das nicht verschwinden will. Denn ich fühle mich ganz leicht. Das Gefühl in meinem Innern, dieses sanfte Tanzen, die Wärme … Ich kenne es. Und doch ist es neu. Auf unschuldige Weise neu. Es ist vertraut und trotzdem ganz anders. Bonnie. Beim Gedanken an ihren Namen zieht es meine Mundwinkel noch weiter nach oben. Bonnie.
Ich weiß nicht, wie lange ich unter der Dusche stehe und mich wundere. Freue. Lächle. Erst als ich die Tür zum Gemeinschaftsbad höre, drehe ich das Wasser endlich ab.
»Jasper? Bist du das?« Es ist Curtis’ Stimme. »Hab von deiner Heldentat gehört.«
»Wie bitte?«, frage ich.
»Retter der ausgesperrten Damen.«
Ich muss lachen. »Ja, so nennt man mich.«
»Und ich schätze, Bonnie ist klein genug, um das Bett mit ihr zu teilen.«
Und warm genug. Weich genug. Duftend genug.
»Ja, sie braucht wirklich nicht viel Platz. Und Bettdecken klaut sie auch nicht.« Weil wir so eng nebeneinanderlagen.
»Ist auch ein selten dämliches Prinzip mit diesen Türen. Mag ja früher seinen Sinn gehabt haben. Aber heute?«
Ich beiße mir auf die Zunge. Denn ich bin eigentlich sehr froh, dass es so gekommen ist. Ich schnappe mir das Handtuch von der Duschtür und rubble meinen Körper ab. Dann binde ich es mir um die Hüfte und trete hinaus zu Curtis. Seine Haare stehen in alle Richtungen ab, und er sieht ziemlich verschlafen aus.
»Die Dusche ist frei«, sage ich überflüssigerweise.
Dann mache ich mich auf den Weg zurück in unseren Schlafsaal, in der Hoffnung, Bonnie dort noch anzutreffen. Ich würde gerne in ihrem Gesicht forschen. Warum ist sie nicht von mir weggerückt? Warum hat sie sich nicht von meinem Arm befreit? Doch als ich unsere Tür öffne, ist sie nicht mehr da.
Beim Frühstück, das wir zusammen mit ein paar Angestellten der Plantage in der großzügigen Küche einnehmen, ist alles wie immer. Wir scherzen, wir lachen. Wir gehen noch einmal die Setlist durch. Ich suche einige Male Bonnies Blick, doch sie ist zu beschäftigt. Und auf einmal kommt mir ein Gedanke. Hat sie etwa schon geschlafen? Ist es möglich, dass sie nichts von unserer Umarmung weiß? Aber das kann nicht sein. Ich habe ihren Herzschlag unter meinem Arm gespürt. Und der ging schnell. Ihr Atem war noch zu unregelmäßig. Wieder sehe ich sie an, doch sie ist in ein Gespräch mit Link vertieft.
»Du hast nicht zugehört, oder?«, fragt Curtis neben mir, und ich sehe, dass Sal mir gegenüber lacht.
»Was? Entschuldigung.«
»Sal und ich würden gleich den Pick-up ausladen. Wäre gut, wenn du mit dem Keyboard helfen würdest«, sagt Curtis grinsend.
»Oh, ja klar. Sorry. Sollen wir gleich los?«
»Keine Hektik«, sagt Curtis, und sein Grinsen wird noch breiter. »Erst trinken wir unseren Kaffee aus.«
Nach der Hochzeitszeremonie beginnen wir mit dem ersten Set zum Empfang. Auf dem Rasen hinter dem Haupthaus befinden sich Stehtische mit weißen Hussen. Weißer Blumenschmuck ziert die Bar und sogar unsere Mikrofone. In meiner Anzughose und dem weißen Hemd fühle ich mich etwas steif, aber ich muss zugeben, dass wir als Band einiges hermachen in diesem Aufzug. Allen voran Bonnie. Wahrscheinlich ist sie schon immer so schön gewesen. Nur ist es mir bis vor ein paar Monaten kaum aufgefallen. Natürlich wusste ich, dass sie eine attraktive Frau ist. Aber nun sehe ich sie mit den Augen von jemandem, der … begehrt? Der sich verliebt? Sie trägt ebenfalls einen Anzug, allerdings ist ihrer tailliert.
Als Curtis sie fragte, warum sie sich kein sexy kurzes schwarzes Kleid anziehen wollte, reagierte sie auf typische Bonnie-Art. »Damit Leuten wie dir nicht die Augen aus dem Kopf fallen, du Spanner«, sagte sie, und mein Herzschlag beschleunigte sich.
Sie hat ihre Braids zu einer Hochsteckfrisur geschlungen und verknotet, was ihre zierliche Figur noch mal unterstreicht. Es ist erstaunlich, dass sich die Kleinste in unserer Runde ausgerechnet das größte Instrument ausgesucht hat. Andererseits ist es vermutlich Bonnies logische Wahl gewesen. Ihr erwartet etwas von mir? Ich tue das genaue Gegenteil.
Ich mag unseren Jazz-Sound. Er ist anders als die Songs, die wir sonst spielen. Aber es passt zu meiner Stimmung. Sanft, verspielt, fröhlich.
Während der ersten Songs bemühe ich mich, nicht zu oft zu Bonnie zu sehen. Doch nach jedem Song drehe ich mich zu ihr um. Manchmal treffen sich unsere Blicke. Manchmal glaube ich, den Anflug eines Lächelns auf ihrem Gesicht zu erkennen.
Das nächste Stück ist Waltz for Debbie, ein wunderbar virtuoser Standard, bei dem ich am Klavier alles zeigen kann, was in mir steckt. Begleitet werden die ersten Takte nur von Bonnies Kontrabass. Und nun riskiere ich immer wieder einen Blick auf sie. Wir sind zwar perfekt aufeinander abgestimmt, vollkommen eingespielt, dennoch zögern wir den einen oder anderen Einsatz länger hinaus. Es ist ein sinnliches Spiel. Ein Forschen, ein Wagen. Ein Abwarten und Auf-den-anderen-Eingehen. Da Bonnie mir folgt, habe ich beinahe das Gefühl, sie zu necken, wenn ich mit dem nächsten Akkord den Bruchteil einer Sekunde länger warte. Doch jedes Mal kommen wir wieder zusammen.
Meine Hände gleiten über die Tasten, springen von Akkord zu Akkord. Spielerisch, noch ein wenig zurückhaltend – bis ich all in gehe und mein gesamter Körper mitfühlt. Ich seufze, so schön, so befriedigend fühlt es sich an, den vollen Klang des Keyboards auszuschöpfen. Und dann setzen Curtis und Link ein.
Ein paar Hochzeitsgäste versammeln sich vor der Bühne, die meisten jedoch nehmen kaum Notiz von uns. Und genau dafür sind wir hier. Für den Hintergrund. Auch wenn es mir beinahe wie eine Verschwendung vorkommt. Besonders, als Bonnie eins ihrer seltenen Bass-Soli anstimmt. Es wirkt perfekt durchkomponiert. Ihre Finger fliegen beeindruckend schnell über die schweren, starren Kontrabasssaiten. Das Griffbrett hinauf und hinunter. Ich spiele hier und da Akkorde dazu, doch das kann ich blind, sodass ich meinen Blick nicht von ihr abwenden muss. Ihre Fingerfertigkeit beeindruckt mich. Ebenso ihr Gefühl für die Musik. Für den Rhythmus. Ihre Augen sind geschlossen, und sie ist vollkommen versunken in ihrem Spiel.
Ihr Solo wird schneller und schneller, bis sie zum Ende hin wieder langsamer wird, die Augen öffnet, uns zunickt und damit zu verstehen gibt, dass es weitergeht. Ich bin so
gefesselt von ihr, so euphorisch, dass ich nicht anders kann, als ihr anerkennend zuzunicken und mit meiner linken Hand auf meinem Bein zu applaudieren. Und sie erwidert meinen Blick – und mein Lächeln. Zumindest hoffe ich, dass es mir gilt, denn es ist ein sanftes, vorsichtiges Lächeln, das ich jeden Tag sehen möchte.
Ich habe keine Zeit, darüber nachzugrübeln, denn wir spielen sofort weiter. Und für den Rest des Stückes blicke ich nicht mehr von meinen Tasten auf.
Es ist ein traumhaft schöner Tag. Warm und feucht, wie es im Frühsommer in Louisiana immer der Fall ist. Das Hochzeitsfest ist munter, zumindest von außen lassen sich keine Zwischenfälle erkennen, die die Stimmung trüben.
Es gibt nur zwei Personen, die seit dem Essen etwas angespannt wirken. Und wie es der Zufall so will, gehören beide zu After Hours. Bonnie versucht zwar, sich nichts anmerken zu lassen, aber irgendetwas dämpft ihre Stimmung. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass es nichts mit letzter Nacht zu tun hatte, und beschließe, bald mit ihr zu sprechen. Wenn wir wieder zu Hause sind. Die zweite Person ist Curtis. Und anders als Bonnie macht er keinen Hehl aus seiner Laune.
»Seht euch diese Schnösel an«, sagt er, während wir auf der Veranda an einem Tisch abseits der Feier unser Essen zu uns nehmen. »Fucking Anzugträger.«
»Das ist eine Hochzeit, Curtis«, erwidert Link. »Ich glaube, man nennt es Dresscode.« Er grinst.
»Ekelhaft.«
»Wenn mich nicht alles täuscht, bist du heute einer von ihnen«, gibt Bonnie zu bedenken und zupft an seinem Hemd.
»Ach, sei doch still«, mault er. »Ich trage diesen Scheiß doch nicht freiwillig.«
Er blickt grimmig auf die Hochzeitsgesellschaft, die an langen Tafeln auf dem Rasen sitzt. Ich sehe in dieselbe Richtung, und augenblicklich wird mir klar, was ihn beschäftigt. Amory und ihr Date scheinen sich gut zu amüsieren. Jedenfalls unterhalten sie sich angeregt.
»Daher weht also der Wind«, sagt Link. »Komm schon, Curt, lass dir davon nicht die Laune vermiesen. Morgen ist er Geschichte.«
»Alter, was laberst du?«, fragt Curtis. »Denkst du etwa, ich bin wegen Amory …« Er lacht ein falsches Lachen. »Die kann tun und lassen, was sie will.«
Bonnie wirft Link einen mahnenden Blick zu.
»Richard. Was für ein langweiliger Name, oder?«, fährt Curtis fort. »Genau das meine ich. All diese Kerle hier. So austauschbar. Sehen alle gleich aus, heißen alle Richard.«
Ich kann mir ein Lachen gerade so verkneifen.
»Glotzen alle auf die Ausschnitte ihrer Tischdame …«
Wie automatisch wandert mein Blick zu Bonnies Oberkörper. Doch ihre Bluse ist hochgeschlossen. Amorys Outfit hingegen betont ihre Figur an genau den Stellen, die Richard zu gefallen scheinen. Denn er versinkt tatsächlich mit dem Blick in ihrem Dekolleté.
Mit einem kratzenden Geräusch schiebt Curtis seinen Stuhl zurück und verschwindet nach drinnen.
»O Mann, der Arme«, sagt Link.
»Ich möchte nicht in seiner Haut stecken«, pflichte ich ihm bei und versuche erfolglos, mit Bonnie Blickkontakt aufzunehmen.
Irgendetwas ist passiert. Irgendetwas hat sich letzte Nacht verschoben. Es bewirkt, dass ich Bonnie ansehen will – auf andere Art als noch vor ein paar Tagen. Dass mein Herz flattert und mein Magen hüpft. Und ich als absolute Niete in Gefühlsfragen bin heillos überfordert.
Als die Dämmerung langsam über uns hereinbricht, wird es Zeit für die Party. Curtis hat sich zusammengerissen. Er sieht etwas zerknautscht aus, als hätte er sein Gesicht ein paar Stunden lang in ein Kissen gepresst – und vielleicht hat er das ja auch.
Der Garten hinter dem Haupthaus ist jetzt festlich beleuchtet. Lampions hängen an der Veranda, Lichterketten und Kerzen zieren die Tafeln. Die Stimmung ist nach wie vor ausgelassen, wenn auch etwas gedämpfter als noch vor ein paar Stunden, weil die Leute nach dem Essen etwas müde sind. Aber dafür sind wir hier. Wir werden ihnen kräftig einheizen.
»Und nun, liebe Hochzeitsgäste, heißen Sie mit uns das erste Mal Mr und Mrs Boyd auf der Tanzfläche willkommen«, sagt Link ins Mikrofon.
Amorys Cousine und ihr Mann treten nach vorne. Er legt ihr seinen Arm um die Taille, sie ihm ihren auf die Schulter. Sie sehen sich tief in die Augen, lächeln. Es ist ein glücklicher Tag für sie. Der glücklichste im Leben. Und für einen kurzen Moment werde ich an meine eigene Hochzeit zurückerinnert. An Blythes Strahlen. Mein pochendes Herz. Das Gefühl, endlich irgendwohin zu gehören, eine Familie zu haben. Auch wenn ich von Charlie, Con und Link von Anfang an behandelt wurde wie einer von ihnen, war diese Hochzeit für mich selbst der Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Als Jasper Hughes.
»One, two, one, two, three, four «, zählt Curtis und reißt mich damit aus meiner Erinnerung.
Die ersten Gitarrenklänge ertönen, und sogleich setzen Bonnie und Curtis ein. Wir haben dem Brautpaar vorab ein paar Vorschläge für ihren ersten Tanz geschickt. Klassiker, Bekanntes, Unbekannteres, Eigenes. Sehr zu unserer Überraschung haben sie sich für einen unserer Songs entschieden.
Die Melodie, die Link und ich nun gemeinsam spielen und die im Refrain von Sal mit einem schnarrenden Trompetenklang untermalt wird, ist eine Mischung aus Melancholie und Hoffnung. Aus Traurigkeit und Kraft. Es ist Blythe’s Song.
Ich spiele Akkorde und unbeschwerte Tonfolgen zu Links heiserem Gesang und beobachte das Brautpaar, das sich sanft hin und her wiegt. Die Blicke aufeinander gerichtet, als gäbe es um sie herum nichts. In diesem Moment gibt es nur diese beiden. Ebenso wie es vor sieben Jahren nur Blythe und mich gab. Wir wiegten uns damals auf unserer Terrasse hin und her, während Link leise an einer Gitarre zupfte. Ich hielt Weston auf dem Arm, sodass er zwischen uns war. Eng an mich und seine Mutter gedrückt. Seine Augen fielen ihm bereits zu.
»Love is me, love is you,
Love is here, love is soon.
Love is real, love is true«, singt Link. Und ich fühle es. Fühle es so sehr. Fühle die Liebe, die mich umgibt, die mein Leben geprägt hat. Fühle eine Liebe, die vielleicht noch kommen mag. Die Vergangenheit mit ihrer himmelhochjauchzenden Glückseligkeit und ihrer niederschmetternden Traurigkeit liegt hinter mir. Seit heute ist alles neu. Ab heute beginnt die Zukunft.
»Love is brave, love is mad, love is proud.
Love is bold, love is wild, love is loud«, singen wir zweistimmig. Und meinen es aufrichtig.
27 – Bonnie
Heute
Die Party geht bis spät in die Nacht hinein. Wir spielen vier Sets und sind danach vollkommen ausgepumpt. Die weitere musikalische Untermalung übernimmt eine Playlist.
Am ratsamsten wäre es für uns alle, ins Bett zu gehen. Es ist bereits nach Mitternacht. Doch Curtis hat irgendwo zwei Flaschen Wein aufgetrieben. Wir sitzen abseits an einem kleinen Tisch, um die Feiernden nicht zu stören. Auch wenn Braut und Bräutigam uns mehrmals eingeladen haben, ihnen auf der Tanzfläche Gesellschaft zu leisten. Doch im Moment sind wir alle froh, unsere Ruhe zu haben. Alle außer Curtis, der sein drittes Glas Wein trinkt und seinen Blick grimmig über die Gäste schweifen lässt.
Ich drücke sanft seine Hand, um ihm zu zeigen, dass ich für ihn da bin. Er lässt mich gewähren, was zeigt, wie nötig er diese kleine Geste hat. In der Ferne sehe ich Amory und Richard. Sie sieht glücklich aus, und ich freue mich für sie. Freue mich, dass sie schaut, wo sie selbst bleibt. Denn ich weiß, wie schwer es sein kann, genau das zu tun. Ich denke an letzte Nacht. Denke daran, dass ich mich getraut habe, Jaspers Berührung zu genießen. Ich forsche nach einem Schuldgefühl, doch hier, inmitten meiner Freunde auf diesem Fest der Liebe, kann ich es nirgendwo finden.
»Blythe’s Song auf einer Hochzeit. Hätte ich mir auch nicht träumen lassen«, sagt Link gerade.
»Aber es hat super gepasst«, erwidert Jasper. »Die Botschaft ist wohl perfekt.« Er lächelt. Ich liebe diesen Song. Er ist hoffnungsvoll, herzzerreißend und drückt so ungefähr alles aus, was wir als Band darstellen.
»Es hat jedenfalls echt Spaß gemacht«, werfe ich ein, denn es stimmt. Es war schön, hier auf diesem zauberhaften Fest zu spielen.
Ein lautes »Wooohooo« geht
durch die Tanzenden, als die ersten Takte von Curtis Mayfields Move On Up erklingen.
»Wollen wir tanzen?«, fragt Link und sieht mich herausfordernd an. Er weiß genau, dass es Songs gibt, denen ich nicht widerstehen kann.
Ich nicke und kippe den letzten Schluck Weißwein hinunter. »Curtis? Sal?«, frage ich. Und etwas leiser, aber zu meinem Erstaunen doch deutlich hörbar: »Jasper?«
Ich kriege allerdings nicht mehr mit, wer uns folgt, denn Link zieht mich auf die Tanzfläche. Mit ihm tanze ich am liebsten. Er bewegt sich unheimlich geschmeidig und ist dabei dennoch wild und zügellos genug.
»Fehlt dir Franzi?«, frage ich, während unsere Schritte mutiger, ungehemmter werden.
»Wäre schön, sie hierzuhaben, oder?« Er grinst. »Aber allein die Tatsache, dass ich das sage, macht mich schon so froh, dass ich wirklich keine Zeit mit negativen Gedanken verschwenden will.«
Das ist typisch Link. Nichts zerdenken, im Moment leben. Von Amory und ihm sollte ich mir eine Scheibe abschneiden.
Aus dem Augenwinkel sehe ich Jasper und Curtis, die ganz in unserer Nähe tanzen. Curtis hat sich eine der Brautjungfern geschnappt und wirbelt sie durch die Gegend. Jasper lacht. Er sieht froh aus. Frei. Und mein Herz macht einen Satz.
Der Song geht zu Ende, und mit ein paar rhythmischen Schritten ist Link ganz dicht bei mir. Er legt seine Hände um meinen Nacken und zieht mich zu sich. Die letzten Takte tanzen wir sanft Stirn an Stirn. Dann wechselt die Musik zu etwas Langsamerem.
»Let’s get it on«, sagt Link leise lachend. »Jetzt wird’s heiß.«
Für ein paar Takte bleiben wir dicht beisammen, aber dann lässt er mich auf einmal los. Viel zu spät begreife ich, warum. Doch auf einmal steht Jasper vor mir. Er lächelt. Fragend. Ich bin so überrumpelt, dass ich verpasse, zurückzuweichen. Oder wegzurennen. Oder mich totzustellen. Oder … vielleicht möchte ich es gar nicht. Wie selbstverständlich legt er mir die Hände auf die Hüften. Und sofort fühle ich mich zu letzter Nacht zurückversetzt. Die Erinnerung an seinen Körper – seinen Körper dicht an meinem – lässt meine Beine zittern, sodass ich in einem unbedachten Moment meine Hände um seinen Nacken lege. Oder ist es ein bedachter Moment?