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Don't HATE me (Die Don't Love Me-Reihe 2) (German Edition)

Page 25

by Kiefer, Lena


  Als mir das bewusst wurde, wirklich bewusst wurde, brach die Verzweiflung über mir zusammen wie eine riesige Flutwelle und riss mich fort.

  Fort von ihr.

  Fort von einer Zukunft mit ihr.

  Fort von allem, was wir hätten sein können.

  Ich wusste nicht, wie ich mich wieder zusammensetzte, aber es passierte irgendwie. Schwimmen half dabei, schwimmen und arbeiten bis zur totalen Erschöpfung. Es dauerte einen Tag, den ich mich größtenteils von allen zurückzog, auch von Finlay und Edina, dann schaffte ich es, meine Gefühle wegzusperren und weiterzumachen. Also saß ich ein paar Tage später an dem Tisch im Besprechungsraum und klärte mit den anderen, was auf der Baustelle zu tun war, als wäre alles in bester Ordnung. Ich hatte schließlich gelernt, so zu tun, als wäre alles okay, während ich innerlich vor Schmerz brüllte.

  Auf der Baustelle ging es gut voran, jetzt, wo wir mit mehr als der früheren Besetzung arbeiten konnten. Die Standardzimmer im Haupthaus waren fertig und zum größten Teil bereits möbliert, die neue Poolbar stand zur Hälfte, und selbst die Renovierung des Wasserbeckens war auf dem besten Weg. Alles lief super. Und da meine Mutter in ein paar Tagen wieder zurückkommen wollte, neigte sich mein Aufenthalt in der Sonne auch dem Ende zu. Denn ich hatte beschlossen, nach Chicago zurückzugehen, sobald sie hier war. Nicht nur, weil ich mich um mein Studium kümmern musste. Sondern vor allem wegen Kenzie. Kenzie, die mir jetzt am Kopfende des langen Tisches gegenübersaß.

  Wir hatten seit dem Achilleion nicht mehr allein miteinander gesprochen und über Privates schon gar nicht. Obwohl unser Verhältnis vor diesem Kuss auch ein unstetiges Auf und Ab aus Nähe und Distanz gewesen war, wünschte ich mir diesen Zustand zurück. Denn Kenzies eisige Kälte war für mich kaum zu ertragen. Mir war bewusst, dass ich das verdient hatte, für mehr als nur einen Fehler. Aber trotzdem zerstörte es mich mit jeder Minute mehr, die sie mich nicht ansah, die sie nicht mit mir redete. Weil ich wusste, in ein paar Tagen würde ich gehen und sah sie nie wieder. Diesmal tatsächlich nicht. Denn selbst wenn Kenzie eines Tages ein Jobangebot von meiner Mutter bekam … sie würde garantiert alles dafür tun, damit wir uns nicht begegneten. Damit sie so tun konnte, als hätte es uns nie gegeben.

  So wie jetzt. Kenzie sah eisern auf ihre Notizen, während ich die To-do-Liste durchging.

  »Okay, die restlichen Glasabtrennungen für die Bäder in den Standardzimmern sind gekommen, also können wir die Installationen diese Woche abschließen«, sagte ich und hakte den Punkt ab. »Damit ist das Haupthaus bis auf den Bar-Bereich und die Lobby fertig. Ende der Woche sollten die Arbeiten im Speisesaal beendet sein, also können wir uns an die Villen machen. Meine Mutter hat mich gebeten, eure Entwürfe mit euch durchzugehen und zu diskutieren. Eine Entscheidung, welcher davon umgesetzt wird, will sie treffen, wenn sie wieder da ist.«

  »Wann kommt sie hier an?«, fragte mich Bella.

  »Voraussichtlich Sonntag.« Ich übertrug das Bild von meinem Laptop auf den Monitor an der Wand und rief das erste Konzept auf. Eigentlich wäre es effizienter gewesen, wenn Mum die Optik der Villen einfach allein festgelegt hätte, aber sie war zu gerne Dozentin, um das zu tun. Nur dass nicht sie nun endlose Diskussionen vor sich hatte, sondern ich. Wie wunderbar.

  Der erste Entwurf war von Bella, die sich für ein sehr minimalistisches Konzept entschieden hatte, das in meinen Augen weder zum Hotel passte noch zu Korfu, sondern vor allem zu ihr selbst. Ich hielt mich jedoch zurück und ließ zunächst die anderen sprechen.

  »Interessantes Konzept«, sagte Martha. »Es erinnert mich irgendwie an den Barcelona Pavilion und Mies van der Rohe. Aber brauchst du nicht mehr Texturen? Das ist alles sehr einheitlich.«

  Bella nickte. »Ich wollte gerade diesen Minimalismus, um genug Platz für die Wirkung des Raumes und den Ausblick zu lassen. Teppiche oder Vorhänge würden da nur stören.«

  »Ich sehe das wie Martha.« Elliott, dessen vollgestopftes Konzept das komplette Gegenteil von Bellas war, runzelte die Stirn. »Du brauchst mehr Texturen, sonst verliert es sich. Und indirektes Licht. Die Dunkelheit erdrückt ja alles.«

  »Dunkelheit? Wir sind auf Korfu.« Bella schüttelte den Kopf und die nächste Viertelstunde drehte sich alles um irgendwelche Detailfragen, bei denen jeder zeigen wollte, wie viel Wissen er im Studium angehäuft hatte. Ich war kurz davor, dem ein Ende zu setzen, als Bella Kenzie ansah.

  »Was denkst du eigentlich?«, fragte sie direkt. Kenzie hatte bisher noch nichts beigetragen, sondern nur zugehört.

  »Es ist … stimmig.« Sie sagte es zögernd, entweder weil sie an die Art von Feedback nicht gewöhnt war oder Bella nicht verletzen wollte. »Und sicherlich kann man darüber diskutieren, ob es nun mehr Texturen oder indirektes Licht braucht. Ich frage mich nur ehrlich gesagt, was der Entwurf mit Korfu zu tun hat. Und mit diesem Hotel.«

  Bingo. Ich versuchte, mir das Lächeln zu verkneifen, und scheiterte.

  Bella sah sie an. »Was meinst du damit?«

  Kenzie hob die Schultern. »Das Kefi Palace ist ein Ferienhotel, oder? Für Menschen, die Urlaub machen. Wollen die nicht etwas mehr … Behaglichkeit? Und den Flair der Insel, wo sie schon hier sind? Das, was du ausgearbeitet hast, kann ich mir gut in einem Hotel in New York vorstellen, aber ich glaube nicht, dass es hier passt.«

  »Bist du jetzt Expertin für Ferienhotels oder was?«, fragte Bella beleidigt. »Wie willst du das beurteilen?«

  »Sie hat Augen im Kopf«, antwortete ich trocken, bevor Kenzie es tun konnte. »Und ich bin völlig ihrer Meinung. Wer hierherkommt, sucht Erholung, keine Minimalismus-Erfahrung. Ich kann dir nur raten, deinen Entwurf zu überarbeiten, bis Mum ihre Entscheidung fällt.«

  Bella nickte nur. Ich war nicht meine Mutter, aber sie wusste, dass ich mit ihr geredet hatte, bevor ich in diese Besprechung gegangen war. Also schwieg sie und schrieb sich meine Verbesserungsvorschläge auf, obwohl ich an ihrem verkniffenen Gesicht erkennen konnte, dass ich in ihrer internen Hass-Liste gerade Platz 1 vor Elliott erreicht hatte. Und wenn schon , dachte ich. Soll sich Mum doch mit ihr herumschlagen.

  Wir machten weiter mit dem überfüllten Entwurf von Elliott, der seine Gedanken zu den Skizzen mitteilte, bevor er sie zur Diskussion freigab. Wieder wurden viele Innendesigner und Stilrichtungen in den Raum geworfen, um Buzzword-Bingo zu spielen, aber es war erneut Kenzie, die mit der entscheidenden Frage kam.

  »Wieso hast du eigentlich das Schlafzimmer auf die Westseite gelegt und nicht in die Nähe des Badezimmers?«

  »Weil damit die Linie zerstört wird.« Elliott musterte sie mit einem herablassenden Blick, der mich augenblicklich wütend machte. »Ich will die Verbindung von Bad und Meer schaffen, Wasser zu Wasser, verstehst du? Das geht nicht, wenn das Bett zwischen Terrasse und Bad steht.«

  »Aber das ist doch nicht sinnvoll«, merkte Kenzie an. »Es ist das Gleiche wie bei Bella: Wenn du im Urlaub bist, möchtest du Komfort – und der fehlt völlig, wenn du nach dem Aufstehen drei Kilometer laufen musst, um ins Bad zu kommen. Da nutzt dir die Verbindung von Badezimmer und Meer auch nichts mehr.«

  »Kenzie hat recht«, stimmte ich ihr ein weiteres Mal zu. »Design ist wichtig, aber nicht auf Kosten der Funktionalität.«

  »Klar, natürlich bist du ihrer Meinung«, murrte Elliott laut genug, dass ich ihn hören konnte. Martha antwortete mit einem gemurmelten Kommentar, den ich nicht verstand, aber Bella kicherte. Es ärgerte mich massiv, trotzdem ignorierte ich sie alle drei. Auf so einen Mist durfte man sich gar nicht einlassen.

  »Gut, dann lasst uns mit Kenzies Entwurf weitermachen.«

  Martha lehnte sich zu Bella. »Den haben sie bestimmt letzte Nacht noch durchgesprochen«, flüsterte sie und kassierte dafür einen vernichtenden Blick von mir. Aber auch jetzt kommentierte ich das nicht.

  »Kenzie, sag uns, was du dir dabei gedacht ha…«

  »Kann ich dich kurz sprechen?«, fragte sie mitten in meinen Satz hinein.

  »Jetzt?« Ich zog die Augenbrauen zusammen, um ihr nicht zu zeigen, was es mit mir machte, sie nur anzusehen. »Wir sind mittendrin.«

  »Ja, jetzt. Es ist wichtig.«

  Ich zuckt
e entschuldigend die Schultern in Richtung der anderen, dann erhob ich mich und folgte ihr, das Tuscheln im Rücken. Kenzie verließ den Besprechungsraum, ging vor zum Speisesaal und von dort weiter in das Zimmer, das wir als Vorlage für die Handwerker bereits komplett eingerichtet und dekoriert hatten. Als wir drin waren, schloss sie die Tür und fuhr zu mir herum.

  »Könntest du bitte damit aufhören?«, fragte sie genervt.

  »Womit?«

  »Mir ständig recht zu geben.« Ihre Augen funkelten, und ich sah, was hinter ihrer abweisenden Haltung lauerte: Wut, die sich langsam an die Oberfläche kämpfte. Etwas in mir begrüßte das sehr. Alles war besser als diese Eisblock-Nummer. »Du tust es seit Tagen und die anderen zerreißen sich das Maul darüber.«

  Ich verdrehte die Augen. »Und? Sie zerreißen sich das Maul über uns, seit ich hier angekommen bin. Seit wann interessiert dich das?«

  »Seit es meine Arbeit betrifft! Und mein Ansehen bei den anderen!« Kenzie ballte die Fäuste. »Die denken alle, du bist nicht objektiv. Dass wir miteinander vögeln und du deswegen alles gut findest, was ich sage!«

  »Okay.« Ich verschränkte die Arme. »Dann erkläre ich ihnen sehr gerne, dass wir a) nicht vögeln und b) weder meine Mutter noch ich einen ihrer Entwürfe mochten – deinen dagegen schon. Soll ich vielleicht lügen? Du bist gut, du hast gute Ideen, das hier hat nichts damit zu tun, was zwischen uns war!«

  »Dann bevorzugst du mich nicht? Gibst mir seit dem Achilleion recht, wenn Vorschläge von mir kommen, weil du Mitleid mit mir hast? Erzähl mir keinen Scheiß, Lyall!« Sie strich sich die Haare zurück und atmete ein.

  Ich schüttelte heftig den Kopf. »Das ist Bullshit! Nur weil du der einzige Mensch hier bist, der so etwas wie praktischen Verstand mitbringt, bedeutet das nicht, dass ich dich bevorzuge.«

  »Dann wäre es auch so, wenn ich Elliott wäre? Oder Bella?«

  »Natürlich!«, rief ich.

  Sie öffnete den Mund, dann schloss sie ihn wieder. Schließlich atmete sie ein.

  »Weißt du was, es ist mir egal, ob du es einsiehst oder nicht, aber hör auf damit. Ich will nicht, dass alle denken, ich bekomme den Vorzug, nur weil wir etwas miteinander hatten!« Sie sagte es so abfällig, dass meine Wut sich regte.

  »Ich hatte nichts mit dir, Kenzie«, korrigierte ich sie hart. »Ich hatte verdammt noch mal Gefühle für dich, das ist ein gewaltiger Unterschied.« Eigentlich waren sie immer noch da, aber was hätte es gebracht, ihr das jetzt zu verraten?

  »Und ich hatte Gefühle für dich!«, schnauzte sie mich an. »Bis ich erfahren musste, dass alle recht haben und es eine Scheißidee ist, sich in dich zu verlieben!«

  Ich schnaubte. »Na, immerhin weißt du es jetzt, oder? Wieso kümmert es dich dann überhaupt noch? Wieso küsst du mich, wenn du doch genau weißt, dass alles stimmt, was andere über mich sagen?!« Ich wusste, es war nicht hilfreich, meinen Zorn von der Leine zu lassen und zu streiten. Aber auch wenn das echt erbärmlich war – Streit war besser als gar nicht mit Kenzie zu reden.

  »Das ist nicht fair«, keuchte sie jetzt empört. »Diesen Kuss gegen mich zu verwenden, ist echt nicht fair.«

  »Es ist selten fair, wenn Gefühle im Spiel sind«, gab ich zurück.

  »Ach ja?« Sie kam auf mich zu, bis sie so dicht vor mir stand, dass ich in jeder Regung ihres Gesichts sehen konnte, wie unglaublich sauer sie auf mich war. »Dabei redest du doch davon, als wären sie längst verschwunden.«

  »Wir wissen beide, dass das gelogen ist«, sagte ich mühsam beherrscht.

  »Stimmt!«, höhnte sie. »Lügen sind ja dein Ding, hatte ich fast vergessen. Lyall macht sich die Welt, wie sie ihm gefällt, nicht wahr? Ist doch nicht so schlimm, wenn er dabei ein paar Leuten das beschissene Herz bricht!«

  Ich starrte sie an. »Du scheinst zu vergessen, dass ich damit nicht nur dich verletzt habe, sondern mich genauso!«

  »Ja, aber ich hatte im Gegensatz zu dir keine Wahl!«, rief sie. Dann schüttelte sie den Kopf. »Und weißt du, was das Schlimmste an diesem ganzen Mist ist? Dass ich dich wirklich hassen sollte für das, was du mir angetan hast. So richtig mit Inbrunst und Höllenfeuer und allem! Und ich will es, ich will dich hassen. Aber ich kriege es einfach nicht hin, weil ich etwas anderes noch mehr will.«

  »Und was, verdammt noch mal?«

  »Dich!«, rief sie wütend aus. »Ich will dich, Lyall! Und das ist scheiße, okay?!«

  Ich starrte sie an, als hätte sie mir gerade etwas vollkommen Absurdes gesagt. Ich wartete sogar darauf, dass sie es zurücknehmen würde. Aber in ihren Augen war kein Bedauern, sondern nur Wut und Wahrheit. Und plötzlich war mir alles egal. Ich machte den letzten Schritt auf sie zu, ich packte sie und küsste sie, so heftig, wie ich es noch nie getan hatte. Und sie erwiderte es, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.

  Wir waren grob miteinander, unser Zorn vertrieb jede Zärtlichkeit aus unseren Berührungen. Kenzie zerrte an meinem Shirt, zog es mir über den Kopf und küsste mich wieder. Ihr Körper an meinem, ihre Finger auf meiner Haut, und mein Verstand schaltete ab. Ich hob sie auf meine Hüften, umschlang sie mit den Armen, meine Zunge längst wieder in ihrem Mund. Atemlos drückte ich Kenzie gegen die Wand, meine Hände fuhren unter ihr Oberteil, sie vergrub ihre in meinen Haaren und stöhnte leise auf, als meine Finger tiefer glitten und ich ihren Hintern packte, um sie noch fester an mich zu pressen. Als sie mir in die Unterlippe biss, jagte eine neue Hitzewelle durch meinen Körper, ging zitternd auf sie über. Unsere Wut verwandelte sich in Erregung, in pures Verlangen, und es war nicht aufzuhalten, selbst wenn ich es gewollt hätte.

  Doch plötzlich wurde Kenzie ganz steif in meinen Armen und sie unterbrach den Kuss.

  »Lyall, stopp«, sagte sie atemlos. »Hör auf.«

  Ich wachte auf, erstarrte, hielt sie noch für einen Moment fest, dann setzte ich sie ab und versuchte, Luft zu bekommen. Was war das denn gewesen? Das, was immer zwischen euch war. Was immer noch zwischen euch ist.

  »Fuck«, stieß Kenzie aus, machte ein paar Schritte von mir weg und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Das muss aufhören. Das muss endlich aufhören.« Sie sagte es mehr zu sich selbst als zu mir. Aber ich wäre eh nicht fähig gewesen, etwas zu antworten. Ich konnte nur zusehen, wie sich Verzweiflung und Wut in ihren Augen abwechselten, sie Luft holte und wieder ausatmete, bevor sie schließlich aus dem Zimmer stürzte, ohne noch ein weiteres Wort zu sagen.

  Ich sah ihr nach, nahm mechanisch mein Shirt vom Boden und zog es über. Dann sank ich auf das gemachte Bett und spürte, wie die Hitze verschwand und einer schmerzhaft vertrauten Kälte Platz machte. Und in meinem Kopf war nur eine Frage.

  Wie oft sollte ich Kenzie noch verlieren?

  Wie oft, bis ich endlich kapierte, dass es vorbei war?

  32

  Kenzie

  Ich hatte keine Ahnung, wie ich überhaupt einen klaren Gedanken fassen und den Weg durch die verwinkelte Anlage zu den Bungalows finden konnte, aber ich schaffte es in erstaunlich kurzer Zeit. Als die Tür meines Zimmers hinter mir zuschlug, lehnte ich mich dagegen und atmete einen Moment durch. Dann ging ich in Richtung Bett.

  In meinem Kopf war nur Chaos – Chaos und Lyall. Ich spürte ihn immer noch auf mir, an mir, seine Lippen, seine Hände, seine verfluchte Zunge, die mich bei jedem Kuss in den Wahnsinn trieb. Ich hätte laufen sollen, rennen, irgendetwas, um die Spannung abzubauen, die meinen Körper zittern ließ. Aber stattdessen schnappte ich mein Handy und wählte eine Nummer. Es gab nur einen Menschen, der mich in dieser Situation wieder auf den Boden bringen konnte.

  »Kenz? Was geht ab?«

  »Ich brauche deine Hilfe, Willa.«

  Meine Schwester wurde schlagartig ernst. »Was ist los? Ist was passiert?«

  Ich hätte darüber lachen sollen, dass sie genauso reagierte wie ich sonst, und sie dafür aufziehen. Aber mir war nicht nach Lachen, sondern nach Heulen und Schreien zumute.

  »Ist egal. Sag mir einfach nur, dass ich recht habe. Dass es richtig ist, wenn ich nichts mehr mit Lyall zu tun haben will.«

  »Ähm …« Sie zögerte. »Ich fürchte, ich brauche mehr Kontext.«

  »Der Kontext ist, da
ss ich mich weder von ihm fernhalten noch mit ihm zusammen sein kann.« Das hatte ich die ganze Zeit geahnt, aber jetzt wusste ich es.

  »Was bringt es dann, wenn ich dir sage, dass es richtig ist, wenn du nichts mit ihm zu tun haben willst?«, fragte Willa. »Du kennst meine Meinung dazu, Kenzie. Er hat Scheiße gebaut und dir wehgetan. Aber … du kommst trotzdem nicht von ihm los. Und da du kein dummes Huhn bist, das sich an irgendwelche Typen hängt, die ihnen nicht guttun, solltest du dich vielleicht fragen, wieso das so ist.«

  Weil ich eben doch ein dummes Huhn bin. Und immer noch schrecklich verliebt in diesen Kerl.

  »Ich kann ihm doch nie wieder vertrauen, Willy! Egal, wie sehr ich es will, wie sehr ich uns will, ich kriege diesen Mist mit Ada nicht aus dem Kopf. Und ich würde mich bei jedem Wort, bei jedem Satz fragen, ob er mir etwas verheimlicht. Ob es da noch mehr Geheimnisse gibt, von denen ich nichts weiß. Wenn ich mich wieder auf ihn einlasse und er mich noch einmal anlügt … das würde ich nicht überstehen.«

  Meine Schwester schwieg, ich hörte aber, wie sie die Luft ausstieß. »Dann kannst du eigentlich nur eins tun«, sagte sie dann.

  »Und was?« Ich klang ziemlich kläglich. Aber ich war echt verzweifelt.

  »Nach Hause kommen«, sagte sie. »Bring so viele Kilometer wie möglich zwischen euch und hoffe darauf, dass du irgendwann damit aufhörst, an ihn zu denken.«

  Ich atmete aus, plötzlich war mir kalt. Wenn sogar Willa, die nie ausgeschlossen hatte, dass es noch eine Chance für Lyall und mich gab, nun keine andere Lösung mehr sah, dann musste es richtig sein, oder nicht?

  »Dir gefällt die Antwort nicht?«, fragte sie.

  »Nein. Und ja. Keine Ahnung. Ich weiß überhaupt nicht mehr, was richtig ist.«

  »Auf die Gefahr hin, zu klingen wie ein alter Zen-Meister aus einem schlechten C-Movie, aber: Dann musst du herausfinden, was deine Wahrheit ist.«

  »Okay.« Ich sagte es ruhig, weil ich wusste, sie hatte recht. Meine Wut auf Lyall, die sich seit dem Achilleion aufgebaut und sich heute in etwas ganz anderes verwandelt hatte, war verschwunden. Stattdessen fühlte ich mich leer und traurig. Aber ich wusste auch, klären konnte ich das nur allein. »Ich denk drüber nach.«

 

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