002 - Someone Else
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Micahs Augen leuchteten auf. »Hab ich dir schon erzählt, dass ich eine Idee für einen neuen Charakter hatte?«
»Nein, noch nicht.«
»Du wirst ihn lieben!« Sie klatschte begeistert in die Hände und begann mir alles über Matayo zu erzählen.
Zu meinem Erstaunen hatte sie sich schon jede Menge Details zu der neuen Figur überlegt. Mein Vortrag darüber, wie wichtig Charakterentwicklung war, schien bei ihr angekommen zu sein. Sie redete wie ein Wasserfall, und ich war dankbar dafür. Auf diese Weise kam ich nicht in die Verlegenheit, mit Auri sprechen zu müssen. Womöglich würde es ihr und Julian auf diese Weise gar nicht auffallen, dass es ein Problem zwischen uns gab, von dem wir anscheinend beide noch nicht wussten, wie wir es wieder aus der Welt schaffen sollten.
Schließlich stießen Keith und Adrian inklusive einer großen Familienpizza zu uns.
Ich hatte die beiden erst in den letzten Monaten besser kennengelernt, denn Adrian und Micah hatten anfangs etwas Zeit für sich gebraucht. Nachdem ihre Eltern Adrian vergangenes Jahr mit Keith im Bett erwischt hatten, war er von ihnen verstoßen worden. Daraufhin war Adrian abgehauen. Mehrere Monate lang hatte er mit niemandem aus der Familie Kontakt gehabt. Micah hatte verzweifelt nach ihm gesucht, und obwohl sie die Gründe für sein Verschwinden mittlerweile nachvollziehen konnte, hatte sie es ihm anfangs übel genommen, dass er so sang- und klanglos untergetaucht war. Sie hatte sich große Sorgen gemacht und wochenlang in Angst um ihn gelebt. Danach hatten die beiden erst wieder zueinanderfinden und den Bruch mit ihren Eltern verkraften müssen. Das war ein ziemliches Gefühlschaos gewesen. Doch seit all das überstanden war, bekamen wir Adrian und Keith immer öfter zu Gesicht. Ich war noch nicht bereit, die beiden zu meinem engen Freundeskreis zu zählen, aber wir waren auf einem guten Weg. Ich mochte die zwei sehr. Und möglicherweise konnte ich Adrian irgendwann mit Amicia bekannt machen, damit sie gemeinsam diese scheußlichen Horrorfilme anschauten. Adrian stand genauso auf Splatter wie sie.
»Was macht das Praktikum, Jules?«, fragte Adrian, der vor Keith auf dem Boden hockte, mit vollem Mund.
Julian beugte sich vor und schnappte sich ein weiteres Stück Pizza. »Läuft. Das Einkaufszentrum-Ding ist fast abgeschlossen, und wenn alles nach Plan läuft, muss ich ab übernächster Woche nur noch acht Stunden pro Tag arbeiten. Wie geil wäre das denn?«
»Sehr geil«, antwortete Micah. »Ich freue mich, wenn du endlich wieder Zeit für mich hast.«
»Ich habe jetzt Zeit für dich.«
»Aber auch nur weil ich deine Unterlagen versteckt habe.«
Keith hob die Augenbrauen. »Du hast wirklich seine Unterlagen versteckt?«
»Ja«, sagte Micah und klang dabei beinahe stolz. »Er kann nicht nur arbeiten. Das ist ungesund.«
»Ungesund ist, wenn ich nicht rechtzeitig fertig werde und mein Chef mich umbringt«, erwiderte Julian.
Micah tupfte sich den Mund mit einer Serviette ab. »Zumindest hattest du so vor deinem Tod noch einmal richtig Spaß.«
»Du bist unverbesserlich.«
»Danke.«
»Das war kein … Ach, vergiss es.« Julian schüttelte den Kopf. »Ich liebe dich.«
Micah grinste triumphierend und biss in ihre Pizza.
Julian wandte sich wieder Adrian zu. »Hattest du schon Zeit, dir meine Unterlagen anzugucken?«
»Ja, sie sind superhilfreich«, gab Adrian zurück. Er war für das kommende Semester am MFC eingeschrieben, um dort wie Julian Architektur zu studieren. Um sich einen kleinen Vorsprung zu erarbeiteten, hatte er sich Julians Unterlagen der letzten zwei Semester ausgeliehen. »Ich hoffe, Dr. Walter-Claus bietet im nächsten Semester wieder diesen Kurs über nachhaltiges Wohnen an.«
»Oh ja, die Vorlesung war klasse«, schwärmte Julian, und die beiden verloren sich in einer Unterhaltung über Solarpaneele und Wärmedämmung, die mich nicht weniger hätte interessieren können.
Ich klinkte mich aus dem Gespräch aus und schob mir eine Gabel von dem Salat in den Mund, den ich mir selbst mitgebracht hatte. Es war pure Folter, das Grünzeug zu essen, während es so köstlich nach Käse roch. Doch meine Zuckerwerte waren schon den ganzen Tag im Eimer. Ich wusste nicht, ob ich in der letzten Zeit zu viel Müll gegessen hatte oder ob es womöglich auch an dem Stress und der Anspannung um Auri liegen konnte. So oder so war mein Blutzucker viel zu hoch, weshalb ich lieber etwas vorsichtig war.
»Habt ihr euch schon überlegt, was ihr mit Julians altem Zimmer macht?«, erkundigte sich Micah aus heiterem Himmel und schaute abwechselnd Auri und mich an. Wir saßen gemeinsam auf der Couch, aber jeder in einer Ecke.
»Noch nicht«, antwortete Auri und wich dabei Micahs Blick aus, indem er eine Olive von seiner Pizza pflückte und sich in den Mund schob. »Wir haben Aliza gefragt, ob sie einziehen möchte, aber sie will lieber eine Wohnung für sich haben. Ist vermutlich besser so, sonst könnte ich meinen Ernährungsplan ganz vergessen.«
Micah lachte. »Sagt er und futtert dabei Pizza.«
»Hey, das ist die Belohnung dafür, dass ich heute wieder am Training teilgenommen habe.«
Der Satz ließ mich aufhorchen. »Du warst beim Training?«
Auri nickte. »Meinem Fuß geht es wieder gut.«
»Bist du dir sicher?«, fragte ich skeptisch. »Die Ärztin meinte, du sollst nichts überstürzen.«
»Ich überstürze nichts.« Er hob sein Bein und ließ den Knöchel kreisen, als würde das irgendwas beweisen.
Ich setzte zu einer Erwiderung an, beschloss dann jedoch, die Klappe zu halten. Wäre zwischen Auri und mir alles wie immer gewesen, hätte ich vielleicht noch etwas gesagt, aber bei der angespannten Stimmung, die bereits zwischen uns herrschte, wollte ich keinen Streit riskieren. Außerdem war Auri ein erwachsener Mann, er traf seine eigenen Entscheidungen. Und darüber hinaus passte sein Coach auf ihn auf, der gewiss nicht wollte, dass Auris Übermut ihn einen seiner besten Spieler kostete. Schon gar nicht so kurz vor der neuen Saison.
Micah schien die Spannung zwischen Auri und mir zu entgehen, oder sie ignorierte sie gekonnt. Statt das Gespräch um das leer stehende Zimmer zu vertiefen, erkundigte sie sich bei Keith nach ihrem Cosplay, und die beiden vereinbarten einen Termin für die nächste Anprobe.
Als alle satt waren, stellte Julian die Reste der Pizza in den Kühlschrank. Er brachte mir ein Diät-Soda und den anderen ein Sixpack Bier mit.
»Also, was wollen wir spielen?«, fragte Adrian, als er seine Flasche mit einem Zischen öffnete.
»Ich habe etwas vorbereitet«, erklärte Micah. Sie sprang von ihrem Platz auf und flitzte in das Arbeitszimmer, das sie sich mit Julian teilte. Wenige Sekunden später kam sie mit einem Stapel aus klein geschnittenem Papier zurück. »Scharade!«
Julian verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Ich hasse Scharade.«
»Aber nur weil du es noch nie mit mir gespielt hast«, erklärte Micah. »Das Thema sind Filme, Serien, Songs und Bücher. Ich hab die Liste aus dem Internet ausgedruckt, damit ich nicht im Vorteil bin.«
»Großartig.« Der Sarkasmus in Julians Stimme war nicht zu überhören.
Micah ignorierte ihn. »Wir spielen in Paaren. Keith und Adrian, Cassie und Auri, Julian und ich.«
»Wir könnten die Partner aber auch tauschen«, warf Adrian ein.
In der Zeit, die wir uns kannten, war ich Micahs Bruder noch nie dankbarer gewesen als in diesem Augenblick. Ich wusste nicht, ob ich den Mut aufgebracht hätte, nach einem Partnertausch zu fragen, aber nicht mit Auri in einem Team zu spielen, war eine große Erleichterung.
»Wieso?«, fragte Micah. »Hast du Angst, mit Keith zu verlieren?«
»Verlieren?« Adrian lachte. »Ich will euch anderen nur eine Chance geben.«
Micah hob die Augenbrauen. »Was willst du damit sagen?«
»Dass ihr nicht gegen Keith und mich gewinnen könnt.«
»Einbildung ist auch eine Bildung.«
»Ich meine es ernst, wir machen euch fertig.«
»Pfff«, zischte Micah. »Das könnt ihr vergessen.«
»Es ist nur logisch, dass wir gewinnen. Wir kennen uns am längsten und sind seit fast drei J
ahren zusammen.«
Micah verschränkte die Arme vor der Brust. »Das hat nichts zu bedeuten.«
»Lust zu wetten?«, fragte ihr Zwilling, der sich optisch nicht mehr von ihr hätte unterscheiden können. Anders als Micah hatte Adrian keine schwarzen, sondern blonde Haare. Und während sie eine eher durchschnittliche Größe hatte, war er hochgewachsen mit breiten Schultern.
Trotzig reckte Micah das Kinn. »Immer. Das Verliererpärchen lädt zum Brunch ein.«
Adrian schnaubte. »Wie alt bist du? Achtzig?«
»Okay, die Verlierer müssen einen ekligen Cocktail trinken, den die Gewinner mischen.«
Nun war es Julian, der ein Schnauben ausstieß. »Wie alt bist du? Sieben?«
Micah warf ihm einen finsteren Blick zu. »Hast du eine bessere Idee?«
»Nein, aber mir hat der Brunch-Vorschlag gefallen. Ich mag Essen.«
Adrian stand vom Boden auf. »Von mir aus, dann eben das mit dem Bruch. Für das Rentnerpärchen.«
Micah richtete ihren düsteren Blick von Julian auf ihren Bruder. »Du bist genauso alt wie ich.«
»Man ist immer so alt, wie man sich fühlt. Also, haben wir eine Wette?«
»Seid ihr dabei?«, fragte Micah in Auris und meine Richtung.
»Nein.« – »Besser nicht«, sagten wir wie aus einem Mund, nachdem wir uns in der letzten Minute beide ruhig verhalten hatten.
Mein Blick zuckte zu Auri, und für den Bruchteil einer Sekunde sahen wir einander an, ehe wir uns beide schnell wieder abwandten. Obwohl ich ebenfalls abgelehnt hatte, an der Wette teilzunehmen, versetzte mir Auris »Nein« einen Stich. Es bezeugte, dass er in diesem Augenblick ebenso wenig an unsere Freundschaft glaubte wie ich.
»Dann läuft die Wette eben nur zwischen uns«, beschloss Micah.
Sie und Adrian schlugen ein, und Micah riss ein leeres Blatt aus ihrem Zeichenblock, das sie mit Klebestreifen an die Wand pappte. Sie zog drei Spalten und schrieb unsere Kürzel darüber. Anschließend spielten wir Schere, Stein, Papier darum, welches Team anfangen durfte.
Micah und Julian waren als Erste an der Reihe.
»Gibt dein Bestes. Und denk daran, das Thema ist: Filme, Serien, Songs und Bücher«, ermahnte Micah Julian, als sie ihre Stellung einnahm. Sie zog eine Karte von dem Stapel, las das Wort darauf und legte sie zurück.
»Bereit?«, fragte ich, den Timer meines Handys gestellt.
»Ja.«
»Okay. Drei, zwei, eins … los!« Ich drückte auf »Start«.
Micah legte sofort los. Sie hob zwei Finger.
»Zwei Worte«, erriet Julian.
Sie nickte und deutete die Bewegung einer Kamera an.
»Ein Film!«
Micah nickte erneut und begann mit dem Zeigefinger ein Symbol auf ihre Brust zu zeichnen.
»Kreis. Dreieck. Herz. Rippen. Loch. Loch in Brust. Brust. Brüste?«, rief Julian aufgeregt. Er war bis auf die Kante des Sessels vorgerutscht, sodass er beinahe runterfiel. »Herzschmerz? Julia Roberts? Jennifer Love Hewitt? Eine andere Jennifer? Jennifer Aniston? Jennifer Lawrence?«
Micah schüttelte heftig den Kopf und verdrehte genervt die Augen.
Adrian lachte, und dem gönnerhaften Ausdruck in seinem Gesicht nach zu urteilen, kannte er die Antwort bereits.
Micah hörte auf, auf ihre Brust zu zeichnen, und machte stattdessen eine herunterwischende Bewegung vor ihrem Gesicht.
Julian verzog die Lippen. »Keine Ahnung … Helm?«
Micah sprang in die Höhe. Sie nickte aufgeregt und ballte ihre rechte Hand zu einer Faust. Dabei deutete sie immer wieder auf die Stelle zwischen ihren Brüsten, während Julian vollkommen willkürlich anfing, Titel herunterzurattern. »The Fast and the Furious? Born to be Wild? Ghostrider? Mission: Impossible?«
Der Timer ertönte. Eine Minute war abgelaufen.
Resigniert warf Micah die Hände in die Luft, während Adrian und Keith siegessicher dreinblickten. »Wie konntest du das nicht erraten?«, fragte sie vorwurfsvoll. Sie war keine gute Verliererin, das hatte ich schon bei verschiedenen Gelegenheiten festgestellt. Beim Spielen entwickelte sie einen für sie untypischen, vollkommen überzogenen Ehrgeiz.
»Das ist einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Iron Man .«
Julian runzelte die Stirn. »Wie hätte ich darauf kommen sollen?«
»Die Brust. Der Helm. Die Faust. Wir haben doch kürzlich erst Endgame geguckt. Ich bin Iron Man?«
Erkenntnis flackerte in Julians Augen auf. »Aaaah, jetzt versteh ich es.«
»Schön, nur leider zu spät.« Sie schrieb eine große, fette Null unter Julians und ihren Namen und hockte sich statt auf seinen Schoß auf den Boden neben seinem Sessel. »Ihr seid dran.«
Die Aufforderung galt Auri und mir. Keiner von uns rührte sich.
Ich hatte, wenn ich ehrlich war, keine Lust zu spielen, aber ich wollte auch nicht diejenige sein, die den anderen den Abend kaputt machte.
Ich seufzte. »Willst du, oder soll ich?«
»Ich mach«, antwortete Auri, der ebenfalls alles andere als begeistert wirkte.
Er stand auf und stellte sich an die Stelle, an der zuvor Micah ihr Glück versucht hatte. Dann beugte er sich hinunter, um eine Karte zu ziehen. Nachdem er sie durchgelesen hatte, legte er sie zurück und nickte Julian zu, der den Timer übernommen hatte.
»Drei, zwei, eins … los!«, rief Julian.
Auri hob eine Faust an seinen Mund und begann, stumm zu singen.
»Ein Song«, riet ich wenig euphorisch.
Er nickte. Dann deutete er zuerst auf sein Auge und anschließend auf Laurence, der friedlich in seinem Katzenkörbchen neben dem Fernseher schlief und nur hin und wieder leise Traumgeräusche von sich gab.
Ich überlegte kurz. »Eye of the Tiger?«
Auri schnippte mit den Fingern. Die Antwort war richtig.
Okay, vielleicht waren wir in diesem Spiel gar nicht so schlecht, auch wenn wir uns gerade aus dem Weg gingen. Immerhin hatten wir schon einen Punkt mehr als Micah und Julian.
Ich setzte mich aufrecht hin, als Auri die nächste Karte vom Stapel zog. Dieses Mal deutete er an, dass es sich um einen Film handelte. Anschließend zeigte er auf seine Zähne und machte eine heulende Bewegung, ohne jedoch einen Laut von sich zu geben.
»Vampire und Werwölfe?«, riet ich, nun schon etwas energischer.
Er nickte.
»Underworld?«
Er schüttelte den Kopf.
»Van Helsing?«
Auri steckte sich den Finger in den Mund und tat so, als müsste er kotzen.
Oh, jetzt verstand ich. »Twilight!«
Ein breites Grinsen trat auf Auris Gesicht.
Yes! Noch ein Punkt.
Eilig nahm Auri die nächste Karte. Es war wieder ein Film. Mit den Händen machte er eine rieselnde Bewegung und tat daraufhin so, als würde er sich mit theatralischer Geste einen Hut aufsetzen.
Nein, keinen Hut. Das ergab keinen Sinn. Eine Krone.
»Die Schneekönigin!«
Auri rümpfte die Nase und schüttelte den Kopf.
»Snow White and the Huntsman?«
Auri begann erneut, singende Mundbewegungen zu machen.
Ich sprang von der Couch auf. »Ähm, ähm, ähm … Frozen! «
Er nickte und schnappte sich die vierte Karte.
Adrian war das Grinsen inzwischen vergangen. Micah wirkte dagegen nicht mehr ganz so deprimiert. Anscheinend freute sie sich, Auri und mich möglicherweise gewinnen zu sehen.
Ich linste auf den Timer, der auf Julians Handy ablief. Uns blieben noch zehn Sekunden.
Dieses Mal deutete Auri nicht an, ob es sich um einen Film, einen Song oder ein Buch handelte, stattdessen begann er, in die Luft zu boxen. Er setzte zwei, drei, vier kräftige Hiebe.
»Ali?«
Auri stoppte das Schattenboxen und tat stattdessen so, als würde er sich einen Schal umbinden.
Ich lachte, denn ich kannte die Antwort. »Fight Club!« , rief ich in dem Moment, in dem der Timer ertönte.
»Richtig!«, brüllte Auri begeistert. Er liebte das Gewinnen mindestens genauso sehr, wie Micah das Verlieren hasste, und für einen M
oment schien er sogar zu vergessen, dass wir uns eigentlich aus dem Weg gingen. Begeistert streckte er mir eine Hand für ein High five entgegen.
Ich schlug ein.
»Vier zu null!«, rief er in Micahs Richtung und schnappte sich den Stift. Schwungvoll schrieb er eine Vier in die Spalte neben der Null.
»Wie um alles in der Welt bist du bei dem Letzten auf Fight Club gekommen?«, fragte mich Keith.
Ich ließ mich zurück auf das Sofa fallen. »Ganz einfach. Das Boxen stand fürs Kämpfen, und die andere Bewegung war Brad Pitt in World War Z , wie er den lächerlichen Schal zurechtrückt, über den Auri und ich uns immer lustig machen.«
»Gegen euch zu spielen, macht wirklich keinen Spaß«, warf Micah ein und schnappte sich eine Erdnuss aus der Schale, die vor ihr auf dem Tisch stand. »Das ist wie gegen ein altes Ehepaar anzutreten.«
»Du bist nur eine schlechte Verliererin«, merkte Julian an.
»Noch haben wir nicht verloren!«, protestierte Micah. »Wir haben nur eine Runde zum Aufwärmen gebraucht.«
Es stellte sich heraus, dass sie sich irrte. Julian und sie mussten sich nicht erst aufwärmen, sie waren einfach wirklich schlecht. Frei nach dem Motto »Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn« machten sie ein paar Punkte, aber sie hatten keine Chance gegen Auri und mich und erst recht nicht gegen Adrian und Keith. Am Ende verloren Micah und Julian mit siebzehn zu sechsunddreißig gegen Auri und mich, und wir verloren gegen Adrian und Keith, die ganze fünfundvierzig Punkte einsammelten.
»Das muss angemessen gefeiert werden«, verkündete Adrian. Er zückte sein Handy, und ein paar Sekunden später ertönte We Are the Champions von Queen. Nach ein paar theatralischen Gewinnerposen zog er Keith an sich und küsste ihn innig.
Micah gab ein Würgegeräusch von sich, und ich war plötzlich sehr an dem Etikett meiner Flasche interessiert. Der Anblick der beiden küssenden Männer erinnerte mich viel zu sehr an diese Sache, die ich in der letzten Stunde dank des Spiels erfolgreich hatte verdrängen können.
Auri und ich waren allerdings ein wirklich gutes Team gewesen, das ließ sich nicht von der Hand weisen. Wir hatten fast alle Begriffe des jeweils anderen erraten. Micah hatte nicht ganz unrecht. Wir waren zwar kein altes Ehepaar, aber Auri kannte mich besser als jeder andere Mensch auf dieser Welt. Und das war etwas Wunderbares, das ich mir nicht von einer einzelnen unklugen Handlung kaputt machen lassen wollte. Natürlich konnten wir die Sache aussitzen und darauf hoffen, dass dieser dumme Moment im See in Vergessenheit geriet, aber was, wenn dem nicht so war? Was, wenn wir uns irrten und diese eigenartige Spannung zwischen uns nicht verschwand, sondern nur größer wurde und sich weiter und weiter aufbaute? Das wollte ich nicht riskieren.