Der Himmel wird beben
Page 11
Troy sah mich voller Abneigung an. »Wenn es so sein sollte, werde ich es dich wissen lassen.« Dann schaute er nach unten auf das Partytreiben, schwieg eine Weile und seufzte schließlich auf diese ekelhaft-süffisante Troy-Art: »Ach, der arme Knox. Er hat keine Ahnung, was du so in seiner Abwesenheit getrieben hast, oder?«
Er besaß die Frechheit, davon anzufangen? Mein Hass flammte wieder auf. »Ich wurde reingelegt«, presste ich mühsam kontrolliert hervor. »Du hast im Bunker selbst gesagt, dass ich keine Chance hatte.«
»Ja, das habe ich, um dich zu motivieren, Leopold zu töten.« Troy kam einen Schritt näher und sah mir in die Augen. »Aber die Wahrheit ist – ich halte dich für schwach, Scale. Nichts könnte das deutlicher zeigen als diese Episode mit Lucien de Marais. Ein hübscher Kerl taucht auf und schon wirfst du alles über den Haufen, was dir je etwas bedeutet hat. Das ist erbärmlich.«
Bilder von Lucien und mir überfluteten meinen Geist. Ich spürte den vertrauten Druck in den Schläfen. »Er ist der beste Schakal, den es gibt.« Es klang sogar in meinen Ohren wie eine Ausrede.
»Und du bist ein Mädchen mit überdurchschnittlicher Gehirnkapazität und hättest merken müssen, dass er dir etwas vormacht. Aber das hast du nicht. Wahrscheinlich wolltest du es gar nicht.«
Ich schnaubte. »Ja, klar. Ich bin dumm und einfältig und habe mich in jemanden verliebt, dem ich nichts bedeutet habe. Wir haben es alle verstanden. Die Frage ist: Warum bringst du mich nicht um oder jagst mich davon? Du findest sicher jemand anderen, den du runtermachen kannst.«
»Ich wäre dich nur zu gern los, glaub mir.« Troy biss die Zähne aufeinander. »Aber die OmnI hat Pläne mit dir, und solange das so ist, werde ich mich ihr fügen. Knox ist außerdem ziemlich motiviert, seit du hier bist. Er scheint zu glauben, er sei dir etwas schuldig. Vielleicht sollte ich ihm sagen, dass es dafür keinen Grund gibt.«
Mir wurde kalt. Wenn Knox von Lucien erfuhr, dann ging mein Plan zum Teufel.
»Knox war weg, quasi tot«, behauptete ich. »Er würde mir das nicht vorwerfen.«
»Auch nicht, wenn es um den Bruder des Königs geht? Da wäre ich nicht so sicher.« Troy schnalzte mit der Zunge. »Der gute Knox hofft auf eine glorreiche Zukunft mit dir. Willst du die wirklich auf einer Lüge aufbauen?«
»Wenn du auch nur ein Wort –«
»Keine Sorge.« Troy tätschelte meine Schulter. Ich schlug seine Hand weg und er lachte. »Momentan ist alles so, wie ich es haben möchte. Aber vielleicht will ich eines Tages, dass Knox dich hasst. Und dann werde ich ihm mit Vergnügen erzählen, wie du mit Lucien de Marais ins Bett gegangen bist, obwohl du wusstest, dass die Liebe deines Lebens vermisst wird.«
Ich machte einen Schritt auf ihn zu. »Du widerlicher –«
»Troy?« Knox kam vom Hotel auf uns zu. Ich wusste nicht, ob ich dankbar für die Unterbrechung sein sollte. »Was machst du hier? Wir haben dich erst morgen erwartet.«
»Knox, hi. Ich habe meinen Zeitplan etwas nach vorne verlagert.« Die beiden begrüßten sich mit fast schon freundschaftlichem Handschlag. Mein leerer Magen drehte sich um. Hatte Knox nicht gesagt, er würde Troy kaum kennen?
»Alles klar, Phee?« Knox lächelte zaghaft.
»Ja, natürlich.« Ich warf beiden einen kühlen Blick zu. »Ich gehe jetzt ins Bett. Feiert noch schön.« Damit wandte ich mich ab und ging zum Haus, gemeinsam mit meinem Zorn und dem Wunsch, irgendetwas zu zerstören. Es reichte nicht, dass halb Maraisville in meinem Kopf zusah – jetzt war ich auch noch Troys Launen ausgeliefert. Was für ein fantastischer Tag.
Natürlich konnte ich nicht schlafen. Nicht wegen der Kopfschmerzen oder des Streits mit Troy. Es lag auch nicht am Lärm der Party ein paar Stockwerke unter mir. Es waren meine eigenen Gedanken, die mich wachhielten.
Das Verhalten von Knox und Jye hatte mich erschreckt. Klar, wir hatten früher gemeinsam rebellische Gefühle ausgelebt, Leopold einen baldigen Tod gewünscht und uns ausgemalt, wie das Leben nach dem Ende der Abkehr aussehen konnte. Aber das waren die Hirngespinste von Kindern gewesen – von Kindern, die nie in die Lage kommen würden, dem König tatsächlich etwas anzutun. Und nun? Nun waren wir plötzlich erwachsen und mussten mit den Konsequenzen unserer Handlungen leben.
Ich hatte den Plan, Knox, Jye und mich mithilfe der OmnI von Maraisville und ReVerse zu befreien, für eine gute Idee gehalten. Jetzt war ich mir nicht mehr sicher. Konnte es überhaupt einen Neuanfang geben? Nach allem, was passiert war?
Um an etwas anderes zu denken, stand ich auf und ging zu meinem Schrank. Hinter einem losen Wandbrett holte ich die beiden Datenplatten aus Costards Haus hervor und nahm sie mit zum Bett. Dort hielt ich sie gegen das Licht der Nachttischlampe.
Man konnte hindurchsehen, aber das Material war eher milchig als klar. Strukturen sah man kaum, wenn es welche gab, waren sie so winzig, dass man sie nicht erkennen konnte. Ich hatte die Anweisung, die Datenträger direkt morgen auf dem Festland an Maraisville zu übergeben – auch wenn es mich brennend interessierte, was darauf gespeichert war. Aber wie las man so etwas aus? Konnte man das überhaupt mit üblichen Mitteln?
Es ist eine spezielle Holmiumlegierung, erfuhr ich über meine EyeLinks. Extrem selten, extrem wertvoll. Sie kann unglaubliche Datenmengen speichern.
Oha, da war aber jemand auskunftsfreudig. Sonst erhielt ich nur Befehle, keine Informationen.
»Wie liest man es aus?«, fragte ich leise. Vor der Abkehr waren Daten nicht mehr lokal gespeichert worden, sondern auf Serverfarmen irgendwo auf der Welt. Mit diesen altmodischen Speichermedien kannte ich mich nicht aus.
Du wolltest doch Ingenieurin werden. Bestimmt findest du einen Weg.
Etwas an den Worten berührte einen Nerv. Sie klangen vertraut, wie schon einmal gehört. War es … nein, das ergab keinen Sinn. Das war unmöglich er am anderen Ende. Lucien saß nicht im Überwachungsraum, warum auch? Er war mehr als fertig mit mir.
Du solltest dich besser beeilen. Allzu viel Zeit bleibt dir nicht.
Aber wer würde mich dazu ermutigen, mir die Daten anzusehen? Phoenix hatte nach meiner Rückkehr auf die Insel deutlich gemacht, dass mich der Inhalt der Platten nichts anging. Wer also immer gerade an den Terminals saß, sah das anders. Ich musste diese Gelegenheit nutzen. Ganz ReVerse feierte, niemand würde es merken.
Eilig suchte ich nach etwas zum Überziehen, dann schob ich die Platten in meinen hinteren Hosenbund. In dem Moment klopfte es und ich öffnete.
Es war Knox.
»Hey.« Er lächelte. »Können wir reden?«
»Das hat sicher bis morgen Zeit«, sagte ich abweisend. »Ich bin ziemlich müde.«
»Nur kurz«, bat er.
Ich zögerte eine Sekunde, dann hielt ich ihm die Tür auf und setzte mich wieder auf mein Bett. Die Datenträger stopfte ich in einem unbeobachteten Moment unter die Decke.
Knox blieb neben dem Bett stehen. »Ich … ich möchte nicht, dass du glaubst, ich wäre ein Monster.« Er verknotete seine Finger, wie immer, wenn ihm etwas unangenehm war. »Du hattest vollkommen recht vorhin im UnderTrans. Man sollte nicht feiern, wenn Menschen sterben, egal, auf welcher Seite sie stehen. Aber ich war so froh, dass wir heil da rausgekommen sind … In dem Moment war mir alles andere egal.« Er sah mich unglücklich an.
Verzeih ihm. Er darf nicht an deiner Aufrichtigkeit zweifeln. Auch ohne den Hinweis hätte ich kaum hart bleiben können. Knox sah aus wie ein Häufchen Elend.
»Ich halte dich nicht für ein Monster.« Einfach nachgeben wollte ich trotzdem nicht. »Aber es ist ein schmaler Grat zwischen Richtig und Falsch. Wir dürfen uns nicht mit denen auf eine Stufe stellen, sonst geht alles den Bach runter.« Sanft nahm ich seine Hand und brachte ihn dazu, sich neben mich zu setzen. »Du warst immer mitfühlend und gutherzig, einer der besten Menschen, die ich kenne. Bitte verlier das nicht.«
Er nickte. »Ich gebe mir Mühe, glaub mir. Aber dann versprich du mir, dass du nicht ständig Roulette mit deinem Leben spielst. Wenn ich nicht zurückgekommen wäre –«
»Dann wäre nichts pass
iert. Noch eine Minute und ich hätte De Dorigo dazu gebracht, mich gehen zu lassen.«
»Das hätte er niemals!« Knox sah mich eindringlich an. »Er hat auf dich gezielt und hätte dich erschossen. Und du hast dagestanden, als würdest du dich ergeben. Ich hatte eine Scheißangst um dich, Phee!«
Plötzlich verstand ich etwas und in meinem Herzen löste sich ein Knoten. Knox war kein kaltblütiger Killer. Er hatte mich nur beschützen wollen und deswegen auf De Dorigo geschossen. Aus seiner Sicht hatte er keine Wahl gehabt.
»Es tut mir ehrlich leid«, sagte ich betroffen. »Ich habe dich in diese Situation gebracht. Das hätte nie passieren sollen, ich hätte ni-«
»Schhhh.« Mit einem Finger auf meinen Lippen brachte er mich zum Schweigen. »Sag das nicht, okay? Ich werde dich immer beschützen und ich will dafür keine Gegenleistung, schon gar keine Schuldgefühle.« Zart glitten seine Finger über meine Haare. »Ich weiß, dass es anders ist als früher, wir beide wissen das. Aber meine Gefühle für dich haben sogar ein Clearing überlebt und deine für mich ein Attentat auf den König und die Flucht aus Maraisville. Wir waren so lange getrennt und es sind so furchtbare Sachen passiert. Wir dürfen einander nicht noch einmal verlieren, Phee.« Seine dunklen Augen vertieften sich in meine und er streichelte meine Wange. Ich verspürte einen Stich in meinem von den Toten auferstandenen Herzen.
»Das werden wir nicht. Ich verspreche es.« Ich lächelte.
Vielleicht konnte ich nach all den gebrochenen Versprechen der letzten Zeit wenigstens dieses eine halten.
11
Eine halbe Stunde später schickte ich Knox wieder auf die Party und gab vor, schlafen zu wollen. Es tat mir leid, weil wir seit meiner Ankunft keinen so nahen Moment gehabt hatten. Aber ich hatte etwas zu erledigen.
Die Hotelgänge waren leer, nur von draußen hörte man den Lärm der Party und das Plätschern von Wasser. Da sich alle am Pool tummelten, schaffte ich es ungesehen ins Untergeschoss. Die Zentrale war dunkel, nur die zwei Terminals mit den Überwachungskameras des UnderTrans waren eingeschaltet. Ich ging an ihnen vorbei zum Labor. Hier lagerte alles an Technologie, was ReVerse zur Verfügung hatte.
Ich zog die Schultern hoch, als ich den Raum durchquerte. Jedes Mal, wenn ich die Zentrale betrat, spukten mir Leopolds Worte im Kopf herum. War die OmnI so gefährlich, wie er sagte? Oder war sie so harmlos, wie sie selbst behauptete? Vielleicht kam ich der Antwort heute ja näher.
Ich wusste nicht, wie man die Datenträger auslesen konnte, dazu fehlten mir zu viele Informationen. Also musste ich ein System entwickeln und verschiedene Optionen durchprobieren. Das konnte ich jedoch nicht mit HeadLock in meinem Kopf, also hatte ich meine Dose mit den gelben Kapseln hervorgeholt, die man mir zunächst bei der Verhaftung abgenommen hatte. Auf meine Bitte hin waren sie jedoch anstandslos zusammen mit dem neuen SubDerm-Injektor am Festland deponiert worden. Phoenix verließ sich vermutlich so sehr auf das InstantClear, dass es ihm egal war, ob ich vorübergehend die ganze Kapazität meines Gehirns nutzen konnte. Eine der Kapseln zu nehmen, war in Verbindung mit den InterLinks zwar ein riskantes Manöver, aber ohne hatte ich keine Chance, an die Daten zu kommen.
»Noch da?«, fragte ich leise, während ich in das Lager mit den technischen Komponenten ging und ein paar Kisten aus dem Regal zog. Mein unbekannter Unterstützer hatte sich nicht gemeldet, während Knox bei mir gewesen war.
Ich habe Dienst bis um drei Uhr heute Nacht. Solange bin ich da.
»Und du findest es in Ordnung, wenn ich mir das ansehe?«
Natürlich. Ich bin selbst neugierig, was Costard da gespeichert hat.
»Nun, früher oder später landet es eh bei euch«, sagte ich.
Ja, aber bis dahin bleibt der Inhalt unser Geheimnis.
»Das stimmt. Sag mal … wer bist du eigentlich?«
Es dauerte einige Sekunden, bis ich Antwort bekam.
Es ist besser für uns beide, wenn ich dir das nicht verrate.
Das war eigenartig. Ich hatte erst Lucien in Verdacht gehabt, aber das war unwahrscheinlich, und außerdem passte die Wortwahl nicht zu ihm. Allerdings hätte sich jemand wie Dufort zu erkennen gegeben und ein einfacher Schakal verhielt sich anders … Ich hätte darüber grübeln können und es in meinem jetzigen Zustand vielleicht sogar eingrenzen können. Aber das war Verschwendung von Ressourcen.
»Es tut mir übrigens leid, was heute passiert ist«, sagte ich. »Das mit De Dorigo und seinem Wachmann.«
Das glaube ich dir. Aber wir sollten keine Zeit verlieren.
Ich nickte. Kurz darauf merkte ich, dass die Kapsel wirkte – meine Umgebung wurde klarer und meine Gedanken strukturierter. Jetzt konnte ich loslegen.
Wenn ich nicht von ReVerse erwischt werden wollte, durfte ich die Informationen von den Datenträgern auf keines der Terminals laden. Zum Glück war das auch nicht nötig, denn ich konnte meine EyeLinks nutzen, um mir die Daten anzusehen. Dafür brauchte ich allerdings eine Schnittstelle.
Es dauerte nicht lange, bis ich eine EyeLink-Schnittstelle gefunden hatte, dann suchte ich nach einem Analyzer – ein Hilfsmittel, mit dem man normalerweise die Strukturen von Layern auslesen konnte. Vielleicht funktionierte er auch bei diesem Holmiumzeug.
Ich war zwölf Jahre gewesen, als ich das letzte Mal etwas entwickelt hatte, aber ich hatte es mir seither so oft ausgemalt, dass die Handgriffe wie automatisch erfolgten. Mithilfe eines BrazeSticks verlötete ich den Analyzer mit der Schnittstelle für die EyeLinks und nahm schließlich eine der Platten, um sie mit meinem Versuchsaufbau zu testen. Es brauchte kleine Anpassungen, aber die waren kein Problem. Mit meinem Gehirn auf Hochtouren ging mir diese Arbeit ganz leicht von der Hand.
Sobald die Platte mit dem Analyzer verbunden war, konnte ich die molekularen Strukturen mithilfe eines Algorithmus zu einem lesbaren Dateiformat umwandeln. Als ich damit fertig war, flackerte etwas in meinen EyeLinks, verschwand aber sofort wieder. Ich versuchte es ein weiteres Mal, doch es änderte sich nichts. Etwas von außen verhinderte die Verbindung. Mist. Das war ein Problem, das ich auch mit dem gesamten Inhalt meiner Tablettendose nicht lösen konnte.
»Ich brauche deine Hilfe«, murmelte ich meinem Komplizen zu. »Du musst meine EyeLinks für lokale Inhalte freischalten.«
Wird das die Verbindung zu uns unterbrechen?
»Nein. Ich wäre auch dumm, wenn ich das versuchen würde, oder?« Schließlich schaltete so was das InstantClear scharf.
Das stimmt allerdings. Warte kurz, ich werde mich darum kümmern.
Ich wartete eine Minute, zwei, fünf. Dann kam grünes Licht.
Ist erledigt. Hoffe ich.
»Ja, ich auch«, antwortete ich, nahm das Modul und kalibrierte die Schnittstelle neu. Erst liefen nur Zahlen über das Bild vor meinen Augen, dann baute sich eine Ordnerstruktur auf. Ich jubelte leise und hielt einen gereckten Daumen vor mein Gesicht. »Ich bin drin. Kannst du das auch sehen?«
Allerdings.
Ich begann, mich systematisch durch die Ordner zu wühlen. Viele Dateien waren voll technischer Details über die OmnI. Meist waren es uninteressante Fakten zu Kühlung und Energieversorgung – die wichtigen Sachen waren auf dem Würfel, den Knox gestohlen hatte. Aber das kümmerte mich nicht. Ich wollte keine OmnI bauen. Ich wollte wissen, ob sie gefährlich war.
Auf den Datenträgern waren Massen von Informationen, ungeordnet und chaotisch. Ich konnte den Inhalt zwar dank meiner entfesselten Fähigkeiten schnell erfassen, aber kaum etwas war die Mühe wert. Da waren unzählige Protokolle, Aufzeichnungen über historische Entwicklungen, dazu eine Menge Test-Berichte erfolgreicher früher Prototypen. Nichts, das mir weiterhalf. Auch mein Komplize schien nicht zu wissen, wo ich suchen musste, denn außer ein paar Erinnerungen, dass er noch da war, meldete er sich nicht zu Wort.
Es wurde zwei Uhr, dann halb drei. Irgendwann begann ich, die Dateien nach dem Zufallsprinzip zu öffnen, um etwas Interessantes zu finden. Ich wusste mittlerweile alles über die Entwicklung künstlicher Intelligenz im letzten Jahrhundert, aber nichts über ihre Gefahren. Al
s ich schon aufgeben wollte und mein Gehirn längst nach HeadLock schrie, ploppte plötzlich im Datenstrom etwas auf – die Aufnahme eines herrschaftlichen Hauses inmitten eines schönen Parks. Ich erkannte es, weil ich es schon einmal auf einem Foto gesehen hatte: Es war das Anwesen der Marais-Familie, bevor es von einem Brand zerstört worden war.
Fast erwartete ich Protest, aber mein Komplize meldete sich nicht. Also öffnete ich die anderen Dokumente in dem Ordner. In allen ging es um den Brand: Medienberichte, Zeugenaussagen, Protokolle der Feuerwehr. Das meiste kam mir bekannt vor. Das grauenhafte Unglück war wegen der Bekanntheit der Familie auf allen Kanälen gewesen und auf große Anteilnahme gestoßen – allein am Grundstück hatten Tausende von Menschen Blumen zu Ehren der Opfer niedergelegt. Ich fragte mich, warum diese Dateien in Ordnern über die OmnI steckten.
Lies weiter.
Ich stockte. Wusste mein Komplize, was der Brand mit der OmnI zu tun hatte? Oder war er nur selbst neugierig?
Ein Unterordner war voller Logfiles, einer Art Tagebuch von Achill de Marais, Leopolds Vater. Erst zögerte ich, in die Privatsphäre dieses bedeutenden Mannes einzudringen. Aber mit Ermunterung von meinem geheimnisvollen Helfer begann ich dann doch zu lesen.
Da war von neuen Entdeckungen für die Energietechnik die Rede, von Errungenschaften der Firma, aber es ging auch um private Themen. Achill schrieb von Amelies Arbeit als Leiterin der Solarenergie-Abteilung, von Luciens Leistungen in der Schule – und der Sorge um ihn, weil er bei waghalsigen Abenteuern immer wieder sein Leben aufs Spiel setzte. Ich drängte meine eigenen Erinnerungen an ihn beiseite und ging die Einträge durch, aber um die OmnI oder künstliche Intelligenz ging es nie. Erst wenige Monate vor dem Brand berichtete Achill von einem Streit mit seinem ältesten Sohn.
Ich habe mit Leo besprochen, dass ich die XC-404 in unserem Haus durch einen neuen KI-Prototypen ersetzen lassen will. Er war jedoch nicht nur dagegen, er ist schier ausgerastet. Von Wahnsinn hat er gesprochen, von Gefahr und dem Verlust der Kontrolle. Vielleicht ist es wegen des Babys, vielleicht entfernt er sich auch von mir. Ich weiß nicht, ob er die Firma in die Zukunft führen sollte. Vielleicht wäre Amelie die bessere Wahl.